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Jenseits der Norm

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16.08.2003
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Jenseits der Norm

Sie hatten eine Vereinbarung. Einmal ausgesprochen, nie wieder thematisiert, immer präsent. Luisa wusste, dass sie für Hans eine tolle Frau war, und er durfte es ihr sagen, wann immer er wollte, in allen Variationen. Sie genoss es, ohne dass sie sich was bei seinen Komplimenten dachte, denn das war der zweite Teil der Absprache: Sie brauchte keine Angst zu haben, dass er ihr jemals zu nahe treten würde. Manchmal hatte sie sich allerdings genau das gewünscht. Und das war Luisas ganz persönliche Abmachung mit sich selbst, ihm gegenüber das niemals einzugestehen.

„Bleib bei mir heute Nacht. Lass es uns vergessen, nur für wenige Stunden. Bitte!“
An diesem Abend brach er die Vereinbarung. Sie stand in der geöffneten Terrassentür, den köstlichen Geschmack der Pasta und des würzigen Cabernet Sauvignon in ihrem Mund, den leichten Wind auf ihren Armen. Hans war in den Keller gegangen, um das Dessert aus dem Gefrierschrank zu holen. Als er das Wohnzimmer wieder betreten wollte, verharrte er in der Türschwelle und betrachtete sie. Ihre Wangen waren vom Wein gerötet, eine Haarsträhne hatte sich aus einem ihrer geflochtenen Zöpfe gelöst. Eigentlich hatte sie rauchen wollen, aber ihre Zigaretten lagen noch immer auf dem Glastisch. Ihr Kopf lehnte entspannt an dem Türrahmen, ihr lächelndes Gesicht hatte sie in die kühler werdende Abendluft gereckt. Das Windspiel gab melodische Töne von sich, die sich mit dem Zirpen der Grillen mischten.

An manchen Tagen hatte Hans sich selbst überzeugt, dass seine Gefühle ihr gegenüber freundschaftlicher, nahezu väterlicher Natur waren. An diesem Abend sah er sie in seinem Wohnzimmer stehen, und sämtliche verdrängte Emotionen trafen auf ihn zurück wie ein Bumerang. Die Gespräche beim Essen, bis in die hinterste Ecke seiner Seele dringend, ihre scheuen Blicke, die durch seine immer wieder eingefangen wurden, ihr Lehnen in der Terrassentür, während die Sonne unterging.

So durchquerte Hans das Wohnzimmer, näherte sich ihr vorsichtig und legte sanft seine Hände um ihre schmalen Hüften, während er diese Worte sprach. Das Eis in der Packung schmolz erst in seiner Hand und dann neben den Zigaretten auf dem Wohnzimmertisch. Das Licht hatte er bereits auf dem Weg zu ihr ausgeschaltet, so dass nur das warme Flackern der Kerzen den Raum erhellte und sie in ein wohliges Licht hüllte. Sie fuhr unter seinen Händen zusammen, wich seiner Berührung weder aus, noch gab sie ihr nach. Sie schaute zu, wie es draußen Nacht wurde.

„Mein Mädchen“, flüsterte er, und legte seine rechte Hand sachte auf ihre Schulter. „Lass die vielen Jahre jetzt keine Rolle spielen, bitte. Stell Dir vor, sie würden mit der Sonne untergehen.“
Mein Mädchen – wie sehr sie es liebte, wenn er sie so nannte, mit Stolz in seiner Stimme. Und wie oft hatte sie sich während seiner freundschaftlichen Umarmungen das gewünscht, was er jetzt in seiner gewohnten Indiskretion in Worte fasste. Sie blickte starr nach draußen in den wolkenlosen Himmel, die Sterne umringten die hell scheinende Mondsichel. Vor dem Garten passierten Menschen die Straße. Wie lange hatten sie gebraucht, um einen Begründung für ihre Treffen, ihre ungewöhnliche Verbindung zu finden, die standhielt vor ihrer Vernunft. Sie hatte nie einen Menschen getroffen, der so verwandt mit ihr war, mit dem der Energienaustausch so einfach war, der sie so verstand. Einer von ihnen war versehentlich in die falsche Generation katapultiert worden. Sie beschloss, diesen Fehler nicht länger als gegeben hinzunehmen. Die Moral, die Stimme ihrer Mutter, war an diesem Abend spätestens mit dem zweiten Glas Wein ertränkt worden. Luisa hatte keine Kraft mehr.

Und so brach unter seinen warmen Händen ein Damm in ihr, den sie mühevoll immer höher und stabiler gebaut hatte in den letzten Monaten. Er barst und ließ ihre Gefühle ungebremst strömen, zusammen mit einigen Tränen. Hans spürte, wie ihr Widerstand nachließ, drehte sie ruhig zu sich herum, strich über ihre Haare und flüsterte ein überflüssiges „Bitte, schlaf mit mir“ leise in ihr Ohr, nicht ohne zärtlich und scheinbar unbeabsichtigt mit seinem Atem an ihrem Gesicht vorbei zu gleiten und vorher ihre Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Er sah ihr ein letztes Mal fragend in die Augen. Luisa nickte leicht und ließ sich endlich in seine Arme fallen. Sie war nicht länger in der Lage, ihre Gefühle mit Normalität zuzuschütten, nicht in dieser Nacht. All die anderen Menschen, ihre Fragen, ihre Skepsis, verblassten hinter den klaren Konturen seines Gesichtes. Sie tat seine zahlreichen Komplimente nicht länger mit einem unsicheren Lachen ab sondern gab sich seiner Werbung hin.

Er berührte sie, wie sie niemals zuvor berührt worden war. Kein Zittern ging durch seine Finger, als er sachte die Knöpfe ihrer Bluse öffnete. Seine starken Hände hatten zehn Federn statt Finger, wie ein Hauch streichelten sie sanft über ihren Rücken. Sie überließ sich ihnen ganz. Er liebkoste ihren Körper, als wäre er ein kostbares, zerbrechliches Juwel. Er wusste, wie sie angefasst werden wollte, weil zahlreiche Frauen es ihn gelehrt hatten. Und sie ließ sich mitreißen auf dieser Welle der Zärtlichkeit, all die Energie, die sich seit Monaten zwischen ihnen aufgebaut hatte, entlud sich explosionsartig in diesen Stunden. Nie hatte sie mit einem Mann eine erste Nacht verbracht, dessen Seele sie so durch und durch kannte, mit dem sie so vertraut war. Alles war so klar, so geregelt, nichts musste in Frage gestellt, durch Unsicherheit zerstört werden. Sie war die Frau, er war der Mann, so sollte es sein. Er hatte Blumen gekauft, er hatte ihr den Wein eingegossen, er hatte ihr den Stuhl zurückgezogen, er hatte für sie gekocht, er hatte Musik aufgelegt. Mit derselben Selbstverständlichkeit trug er sie dann ins Schlafzimmer und entkleidete sie nach und nach. Und sie nahm ihre tiefe Zuneigung und Leidenschaft an, ließ sich nach allen Regeln der Kunst von ihm verführen und verwöhnen. Die jahrzehntelange Übung machte ihn zum Meister. Sie hatte es noch nie so genossen, einen Mann in sich zu spüren und erbebte unter der Hitze seines Körpers.

Am nächsten Morgen wurde er von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Luisa war immer noch da, wie er erleichtert feststellte. Sie lag neben ihm und sah ihn an. Neugierig tasteten sich ihre Blicke ab, ängstlich auf der Suche nach der Veränderung. Ihre Augen waren klar und ehrlich wie stets.
„Mein Mädchen“, murmelte er leise und tastete nach ihrer Hand.
„Hans … was machen wir denn jetzt?“, fragte sie ihn besorgt und hoffte inständig, er kenne die Antwort. Er strich sanft eine Haarsträhne aus ihrer Stirn, küsste sie auf dieselbe und antwortete lächelnd: „Erstmal Frühstück.“

 

hey juschi,
schöne geschichte. eine handlung, die mir gefällt, gefühlvoll und sensibel inszeniert, schöne details (das mit dem stuhl zurückziehen, wein eingiessen und so - wer wünscht sich schon nicht, so behandelt zu werden...)
hab sie genossen, merci.

*sissi*

 

Hallo ihr zwei,

hui, das ging ja schnell :) Vielen Dank für euer Lob, hat mich sehr gefreut.

@ jo: nein, es ist nicht meine erste Geschichte - ob das Alter der Geschichten was über ihre Qualität sagt (je neuer, desto besser), weiß ich allerdings nicht. Schön, dass dir das Ende gefallen hat, ich wusste nicht genau, ob es nicht vielleicht wie ein sich drücken vor dem Auflösen der Situation ankommt.

Liebe Grüße
Juschi

 

Halllo Juschi,

das ist ja gemein, nicht mal Detailanmerkungen gönnst du mir. ;)

Eine wirklich schöne Geschichte. Konstruktiveres fällt mir dazu leider nicht ein.:)

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

na sowas, da muss ich mir die Fehler doch tatsächlich selber rausfischen, zwei hab ich noch gefunden. ;)
Ja - trotzdem natürlich danke, dass Du trotzdem geschrieben hast, dass sie dir gefallen hat, das freut mich. Wobei mich die von Geschichte zu Geschichte weniger werdenen Anregungen und Anmerkungen eher irritieren als freuen :hmm: Auf jeden Fall scheint mein Ausflug in die Rubrik Romantik offenbar funktioniert zu haben, das ist schön.

Liebe Grüße
Juschi

 

:thumbsup:
perfekt, das könnte nicht perfekter sein!

ach würde ich das auch nur mal erleben!

lg mitschy :crying:

 

Hallo Mitschy,

vielen Dank für Dein Lob, und natürlich für Deinen ersten Beitrag auf dieser Seite :)
Ja, natürlich sehnt man sich nach diesem Einvernehmen der beiden Protagonisten. Allerdings darst Du nicht vergessen, dass es für die beiden aufgrund ihres Altersunterschieds (der hoffentlich deutlich geworden ist ???) nicht immer so einfach ist wie in dieser Nacht.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Juschi,
Das Schöne an der Liebe ist ihre Vielseitigkeit.
Die Liebe zwischen einem älteren Mann und einer wesentlich jüngeren Frau sollte meiner Meinung nach mehr Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Diese Liebe und auch umgekehrt, wenn ein junger Mann eine ältere Frau liebt, ist immer noch mit dem Tabus behaftet.
Du hast das Thema behutsam aufgegriffen.
Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

danke für´s Lesen und deine Rückmeldung. Bezüglich des gesellschaftlichen Tabus gebe ich dir natürlich Recht, besonders wenn´s um Altersunterschiede geht, die nicht einige Jahre sondern eher Jahrzehnte umfassen.

Du hast das Thema behutsam aufgegriffen.
Das war meine Absicht, danke schön :)

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Kristin,

danke für´s Ausgraben der Geschichte - schön, dass sie dir gefallen hat.

Sie war ein wenig wie eine sanft übers Gesicht streichende Hand an einem verregneten Freitagnachmittag.
Verregneter Freitagnachmittag? Wo gibt´s denn sowas? :Pfeif:
Zu deinem Kritikpunkt: Was die beiden trennt, ist der Altersunterschied, nicht mehr und nicht weniger. Stellen wir uns doch z.B. mal eine zwanzigjährige Frau und einen sechszigjährigen Mann vor - und dann die Reaktionen der Eltern der Frau, der Kinder des Mannes (die unter Umständen wesentlich älter sind als das Mädchen), die eigene Vorstellungen von dem was normal ist, möglicherweise die Sehnsucht der Frau nach Kindern usw. Ich glaube, dass es unter diesem Druck schon schwerfallen kann, sich die Gefühle überhaupt einzugestehen. Ich schau in den nächsten Tagen mal, ob ich die Probleme noch stärker verdeutlichen kann, danke für den Hinweis.
Deine Detailanmerkungen werd ich bis auf die letzte übernehmen.

Liebe Grüße und bis morgen,
Juschi

 

Hello Juschi,

eine anregende Geschichte, ein abgesehen vom Altersunterschied nicht gerade neuer Plot, aber ein sehr gelungenes Ende, war wirklich schön zu lesen.

Kleine Anregung: Diesen Satzteil: 'weil zahlreiche Frauen es ihn gelehrt hatten' würde ich weglassen - er wirkt auf mich hier unromantisch und der Tatbestand ist bei einem erfahrenen Mann eine nicht erwähnenswerte Selbstverständlichkeit ;-)

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo gox,

schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Danke für´s Lesen und Kommentieren.
Und natürlich hast du recht: "Jenseits der Geschichten-Norm" ist nur der Altersunterschied, der kennzeichnet das Verhältnis der beiden zueinander.

Bezüglich deines Formulierungsvorschlags bin ich unschlüssig. Wenn du sagst, dass es unromantisch und somit unpassend an dieser Stelle ist, ist das ein Hinweis, dem ich nochmal nachgehen werde. Was die Überflüssigkeit angeht: ohne, dass ich es in diesem Fall wirklich beurteilen kann - das lernen hängt ja nicht nur von den Möglichkeiten des Lernens sondern auch von der Aufnahmebereitschaft ab. Und ich wollte eben nicht nur verdeutlichen, dass der Mann sehr erfahren ist, sondern auch dass er sehr "lernwillig" war ;)

Liebe Grüße
Juschi

 

Hej Juschi,

Deine Geschichte ist schön geschrieben und hat mir gut gefallen! die Zärtlichkeit zwischen den beiden kommt gut rüber, auch ihre Ängste und Unsicherheiten. Allerdings glaube ich kaum, dass der Altersunterschied heute noch so ein großes Problem ist, dass zwei Menschen ihre Liebe nicht ausleben. Vielleicht bin ich aber auch familiär positiv vorbelastet: Meine Tante war mit einem Mann verheiratet, der 25 Jahre älter war als sie, meine Schwester lebt seit sieben Jahren glücklich mit ihrem Freund zusammen, der 27 Jahre älter ist. sicher gibt es da auch Probleme und Bemerkungen (durchaus auch aus der Familie), aber das hat beide nicht davon abgehalten, zu ihrer Entscheidung zu stehen.
Andersherum wäre es vermutlich noch viel schwieriger: Eine ältere Frau mit einem jüngeren Mann.

Ich bin mir sicher, beim Lesen noch zwei Tippfehler gefunden zu haben, mal schauen, ob ich sie wiederfinde:

Und sie ließ sich mitreißen auf dieser Welle der Zärtlichkeit, all die Energie die sich seit Monaten zwischen ihnen aufgebaut hatte KOMMA entlud sich explosionsartig in diesen Stunden.
Er hatte Blumen gekauft, er hatte ihr den Wein eingegossen, er hatte ihr den Stuhl zurückgezogen, er hatte für sie gekocht, er hatte Musik aufgelegt.
Nur eine persönliche Anmerkung: Für meinen Geschmack sind die Aufzählungen hier zu gleichförmig. Das ist aber eine Frage des Stils und des Geschmackes, nichts, was du wirklich ändern müsstest!

Hm, ich dachte, da wär noch einer gewesen... :susp:

Egal, eine schöne, romantische Geschichte!

LG
chaosqueen

 

Hej, Juschi,
das war aber mal eine gelungene Geschichte, die ich da gelesen habe. Sehr sensibel und gefühlvoll geschildert. Auch die Thematik ist m.E. interessant. Es stimmt zwar, dass es langsam mehr akzeptiert wird als vor einigen Jahren noch, aber doch in Wirklichkeit nur oberflächlich. Die Leute denken sich trotzdem ihren Teil und genau die Punkte die du in deinem Kommentar aufgeführt hast, sind es, die dazuführen können, dass die beiden sich ihren Gefühlen nicht bedingungslos hingeben wollten.
Auch dein Schluss gefällt mir sehr gut, damit bleibt alles offen und ein erfahrener Mann würde, denke ich, genauso reagieren.
Wirklich gut gelungen deine Geschichte.
glg
carrie

 

@chaosqueen,

'Er hatte Blumen gekauft, er hatte ihr den Wein eingegossen, er hatte ihr den Stuhl zurückgezogen, er hatte für sie gekocht, er hatte Musik aufgelegt.'

Diese bewusste Einförmigkeit bewirkt eine Art der Steigerung und bei mir ein Lächeln. Ich finde das hier als Stilmittel sehr passend und gelungen.

Viele Grüsse vom gox

 

Hallo chaosqueen, hallo carrie,

auch euch danke ich für´s Lesen und Kommentare schreiben, und natürlich für euer Lob.

@chaosqueen: der Altersunterschied muss vielleicht nicht mehr zum Problem werden, aber er kann es. Das hängt natürlich davon ab, wie gut man mit gesellschaftlichen Verurteilungen umgehen kann. Fest steht: für die Prot ist es Grund genug, ihre Gefühle zu unterdrücken. Natürlich könnte man zurecht sagen, dass das von Schwäche zeugt, klar. Ich habe allerdings auch einen noch größeren Altersunterschied im Kopf gehabt als die von dir erwähnten. Die Aufzählung lasse ich so wie sie ist, das Komma wird natürlich ergänzt, zwei sogar.

Liebe Grüße,
Juschi

 

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