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Schafstörungen
"Kompanie angetreten! Abzählen!"
"Eins."
"Zwei."
"Drei."
"Vier."
"Chrrrr... chrrrr..."
"ähh... sechs..."
"Was in drei Enten Namen war das denn?"
"Sir, mit Ihrer Erlaubnis, sprechen zu dürfen, Sir, das ist Gefreiter Holger, Sir! Der schläft immer ein, wenn wir abzählen."
Kampfgruppe Flokati Drei, vierte Division des siebten Geschwaders in der dreizehnten Staffel des ersten Battallions der universalen Armee zur Sicherstellung der multidimensionalen Ordnung in Verbindung mit der Eroberung von Allem durch Schafe, war vollständig angetreten. Fellmarschall Freiherr Ingo von Wollstein, seines Zeichens mit den höchsten Orden dekoriert, die im Kaiserreich Seiner schäflichen Majestät für äußerste Heldenhaftigkeit und Fellflauschigkeit verliehen wurden, lächelte zufrieden und begann mit seiner Rede.
"Männer! Wir haben eine Mission! Lange, sehr lange habt ihr auf diesen Tag gewartet, habt Entbehrungen über euch ergehen lassen und trainiert bis zum Umfallen. Was habt ihr nicht alles durchgemacht, um letztlich hier zu stehen."
"Oh ja... Der Oberst hat uns immer durch die Matschpfützen vom Übungsplatz robben lassen." Ein Schaf in der letzten Reihe ließ die neben ihm stehenden Tiere an seinen Erinnerungen teilhaben.
"Jetzt endlich stehen wir also hier, ihr als meine tapferen Männer, ich als euer Anführer. Einen Feldzug werden wir schlagen, eine Schlacht werden wir gewinnen."
"Die Flecken hab ich wochenlang nicht aus dem Fell gekriegt."
"Wir werden das Dimensionstor durchschreiten und auf dem Feld der Ehre unser Schaf stehen."
"Hier, am linken Hinterbein hab ich immer noch ganz viel von dem Schmadder."
"Ruhe im Glied!"
"Da ganz hinten, wo man mit dem Lappen nie richtig... Sir, tut mir Leid, Sir!"
"Das Dimensionstor öffnet sich. Seid ihr also bereit, eine Schlacht im Namen der Schafheit zu schlagen?"
...
"Frau Weber, Sie wollen doch nicht süchtig werden." Ich weiß nicht, ob ich süchtig werden wollte. Wäre vielleicht besser gewesen, als diese Schlaflosigkeit. Mich einfach ins Bett legen, die Augen schließen und einschlafen. Wenn der Preis dafür eine Sucht war - warum nicht? Endlich schlafen, die Welt vergessen, dem insomnischen Dämon ins Gesicht spucken.
Mein Arzt hat die Schlafmittel abgesetzt. Naturzeugs sollte es sein. Irgendwelche Tropfen, die wie ein Mittelding aus Lebertran und umgekippter Milch schmeckten. Süchtig konnte ich davon jedenfalls kaum werden.
Zwanzig Topfen vor dem Schlafengehen. Zwanzigmal die trübe Flüssigkeit beim fädenziehenden Fall auf den Löffel beobachten. Einmal schlucken, einmal den Brechreiz bekämpfen. Wenn man sich nur lange genug in die Hände von Ärzten begeben hat, wird die Sache irgendwann zur reinen Mathematik.
"Eins – zwei – drei – vier – fünf ..." Vor meinem inneren Auge nahmen die Schafe Gestalt an, manifestierten sich auf einer imaginären Wiese und hüpften nacheinander über einen nett anzusehenden Gartenzaun.
"... sechs - sieben - acht - neun - zehn ..." So langsam spürte ich, wie meine Augenlider sich in Bleischürzen verwandelten und immer schwerer wurden. Mein Zimmer verschwamm hinter einem Nebel aus wohltuender Müdigkeit. Dieses Zeug schien tatsächlich zu funktionieren.
...
"Es ist eine Wiese..."
"Wie bitte? Mach doch mal anständig Meldung! Oder hat man dir das nicht beigebracht?"
"Sir, eine Wiese, Sir!"
"Es spielt keine Rolle, wie das Schlachtfeld aussieht. Wenn es nötig ist, sterbe ich für die Sache auch auf einer Wiese. Also, jetzt macht euch nicht in die Wolle und marschiert los."
"Sir, ja, Sir!"
Flokati Drei durchschritt einer nach dem anderen das multidimensionale Tor. Eigentlich war es keine richtige Wiese, sondern vielmehr eine ebenso einheitlich grüne wie künstlich glatte Fläche, die sich bis hinter den Horizont erstreckte. In alle Richtungen. Unendlich weit.
"Ich liebe den Geruch von frischem Löwenzahn am Morgen." Von Wollstein holte ein paar Mal tief Luft und schien sich sichtlich wohl zu fühlen.
"Sir, da steht ein Zaun, Sir." Vier Meter lang, einen Meter hoch. Mitten auf dem Rasen.
"Soso, ein Zaun also."
"Er ist weiß, Sir."
"Soso, weiß also. Wer von euch verlausten Wollpupern kann mir denn sagen, was wir als Schafe wohl am Besten mit einem solchen Zaun machen sollen? Na?" Betretenes Schweigen in der Kampfgruppe. "Ach, kommt schon... für diesen Fall seid ihr ausgebildet! Ihr verfilzten Blö..."
"Sir, springen, Sir?"
"Aha!" Der Fallmarschall klang beinahe ein wenig stolz. Ein wenig. Beinahe. "Hat also doch einer von euch unnützen Rasenmähern in der Theorie aufgepasst. Kompanie... springen!"
"Über den Zaun?"
"Über den Zaun."
"Sir, wenn mir die Frage erlaubt ist, dann würde ich gerne, also, ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich würde an Ihren Entscheidungen oder denen des glorreichen Kaiserreiches zweifeln, Sir, aber wenn es mir gestattet ist, würde ich gerne die Frage stellen, wobei ich großen Wert drauf lege, eben erwähnten Eindruck nicht zu erwecken, inwiefern uns das Springen über solch einen Zaun unserem Ziel näher bringt... Sir."
...
"... elf - zwölf - dreizehn - vierzehn ..."
Ich hatte so lange nicht geschlafen, dass ich beinahe vergessen hätte, wie das geht. Einen Moment dachte ich, dieser Gestank würde dazugehören. Irgendeine Reaktion de Gehirns, ein fehlgeleitetes Elektron, eine falsche Empfindung. Doch als ich die Augen öffnete, wurde mir klar, dass der Geruch einen anderen Ursprung hatte.
Als Kind hatte ich mich immer gefragt, wohin die Schafe eigentlich gehen, wenn sie nach dem Gezähltwerden über den Zaun gesprungen waren. Jetzt hatte ich eine Antwort.
...
"Hört sofort auf, das Interieur anzuknabbern, ihr niveaulosen Zootiere! Wir sind im Krieg, nicht im Sommerschlussverkauf. Hier gibt es Regeln."
"Sir, tut mir Leid, Sir!"
"Und wenn du nicht gleich deine verlauste Zunge von den Füßen dieses Menschen nimmst, mach ich dir eigenhufig Zöpfe. Und jetzt Ruhe im Glied und Gegend erkunden." Die Schafe standen in einem Raum, der eine gewisse Plüschigkeit nicht leugnen konnte. Zumindest die Oberseite des Holzgestells, auf dem der Mensch lag, fühlte sich schön weich an. Das Zimmer war mit weiteren Möbeln ausgestattet, die der Wollmarschall nach kurzer Überlegung und Konsultation seines Bebilderten Handbuchs der Korrekten Identifizierung Seltsamer Gegenstände im Feindesland nacheinander als Schrank, Tisch, Stuhl und Kommode identifizierte. Offensichtlich ein Schlafzimmer.
"Sir, Gegend erfolgreich erkundet. Keine Anzeichen feindlicher Aktivität - abgesehen von diesem einen da."
"Gut... sehr gut. Ich würde sagen, wir errichten hier unsere Operationsbasis. Baut alles auf und kümmert euch um diesen Menschen."
"Sir, das Tor schließt sich." Der Gefreite hatte vollkommen Recht. Das Dimensionstor wurde immer kleiner, seine Ränder verschwammen und die grüne Wiese mit dem Zaun war nur noch schemenhaft zu erkennen.
"Im Krieg gibt es keine Rückfahrscheine. Sind wir denn genug?"
"Sir, ich weiß nicht, Sir."
"Na dann. Kompanie... abzählen!"
"Eins."
"Zwei."
"Drei."
"Vier."
"Chrrrr... chrrrr..."
...
"... fünfzehn - sechzehn - siebzehn ..." Als der Architekt dieses Haus irgendwann entworfen hat, hat er sicher nicht an Schafe gedacht. Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich mir kaum einen unwirtlicheren Ort für Schafe vorstellen, als mein Schlafzimmer. Wenn ich so darüber nachdachte, fragte ich mich, warum ich darüber nachdachte.
Das ganze Haus voller Schafe und ich überlegte, wie viele Stühle ich ihnen wohl anbieten könnte. Ohne ausreichend Sauerstoff, ohne Raum zum Atmen ist der Geist zu erstaunlichen Reaktionen fähig. Verdrängung. Delirium hätte mein Arzt vielleicht gesagt. Vielleicht auch nicht. Irgendetwas kitzelte meine Füße, irgendetwas setzte sich auf meinen Brustkorb, irgendetwas nahm mir die Luft zum Atmen, irgendetwas... irgendetwas... irgend...
Ich hörte auf zu zählen.
...
"Sir, der Mensch..."
"Bevor du diesen Satz zu Ende sprichst, solltest du dir die Frage stellen, ob er mich interessieren könnte. Und?"
"Sir, hat sich erledigt, Sir!"
"Sehr gut. Habe ich mir gedacht. So, nachdem alle angetreten sind, lasst uns endlich beginnen. Ihr kennt den Plan: Alles erobern, was noch nicht uns gehört. Zack, zack!"