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Marlen Haushofer: Die Tapetentür

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Marlen Haushofer: Die Tapetentür

Autor: Marlen Haushofer
Titel: Die Tapetentür
Jahr: 1957
Umfang: 202 Seiten
ISBN: 978-3-423-19105-0
Verlag: dtv

Marlen Haushofers zweiter Roman, erschienen 1957, besticht durch enorme Figurentiefe, fein gewobene Sprache, und tiefsinnige, hochgeistige Reflexionen der Hauptprotagonistin. Die Geschichte wird in der dritten Person, aus der Perspektive Annettes erzählt, ergänzt durch ihre Tagebuchaufzeichnungen. Trotz des weit zurückliegenden Erscheinungsdatums ist dieses Buch immer noch ausgesprochen lesenswert.
Schon früh hat Annette ihre Eltern verloren, die Mutter stirbt als sie zwei Jahre alt ist, der Vater flieht nach Südamerika, auf der Suche nach Identität und Lebenssinn und stirbt frühzeitig im Exil. Als einzige Bezugspersonen bleiben ihr Onkel Eugen, den sie zärtlich liebt und seine Frau, die strenge Tante Johanne. Sie erzieht Annette nach dem gesellschaftlichen Frauen-Kodex der Fünfzigerjahre. Auch Johanne stirbt vor der Zeit. Annette wächst im bürgerlichen Milieu Wiens zu einer jungen Frau heran, die trotz vieler Liebschaften, umgeben von Freunden und Bekannten, seelisch vereinsamt. Der monotone Ablauf ihrer Affären langweilt sie, immer wieder enttäuschen die Männer ihre Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit.
Eine dieser lustlosen Beziehungen ist Alexander, ein immer komplizierter denkender Intellektueller. Als er einen vielversprechenden Auslandsjob erhält, lässt sie ihn widerstandslos ziehen, so, wie er es von ihr erwartet hat.
Sie lernt den vitalen Anwalt Gregor kennen, in den sie sich rasend verliebt. Er erscheint ihr als das Urbild des idealen Liebhabers. Schon bald bittet er um ihre Hand. Annette willigt ein, wird schwanger und hofft, endlich ein „normales“ Leben an der Seite eines geliebten Mannes führen zu können. Sie kündigt ihre Wohnung und gibt ihm zuliebe ihren Beruf als Bibliothekarin auf. Aber auch in dieser Beziehung findet sie kein Glück. Für Gregor ist sie nur Besitz, er interessiert sich ausschließlich für ihren Körper, ihre Erotik, aber nicht für den Menschen Annette. Trotz des ehelichen Lebens, bleiben die beiden einander fremd.

Zitat:
„Gregor weiß nichts von mir, weil ihn nichts interessiert, was über mein erotisches Verhalten hinausgeht, nichts, was er nicht im wahrsten Sinn des Wortes mit Händen greifen kann.“

Die Einsamkeit Annettes steigert sich während der Schwangerschaft ins Unendliche, Gregor bleibt nächtelang fort, betrügt sie, sie weiß davon und erträgt es dennoch schweigend. Im Traum flüchtet Annette durch eine Tapetentür. Ein gelber Hund, dem sie als kleines Mädchen das Leben gerettet hat, erscheint ihr und trägt sie an die Orte ihrer Kindheit. Sie begegnet ihrem (verdrängten)Vater und erlebt sich wieder als kleines Mädchen, auf seinem Schoß sitzend und lauscht seinen fantastischen Tier-Geschichten.
Unmittelbar danach erleidet Annette eine Totgeburt, das Kind erstickt an seiner Nabelschnur. Gregor ist nicht fähig, ihr in dieser Situation zu helfen, die Beziehung ist am Ende, die Entfremdung der Eheleute schreitet weiter voran. Annette ist körperlich und seelisch entkräftet, sinnentleert denkt sie an Selbstmord. Sie vernichtet ihr Tagebuch und zerstört damit bewusst einen Teil ihres Selbst.
Auf Einladung ihres geliebten Onkels Eugen fährt sie zur Erholung nach Italien. Ihm zuliebe führt sie den geplanten Suizid nicht aus, behält sich aber dennoch diese Option vor.
Haushofers (Frauen?)Roman hat mich außerordentlich beeindruckt. Er ließ mich trotz seiner melancholischen Grundstimmung gestärkt zurück, ist schönsprachlich, tiefsinnig, und enorm einfühlsam geschrieben. Aus jeder seiner Zeilen tropft Weisheit. Ich kann dieses Buch nur wärmstens empfehlen.

 

Salü Manuela.

danke für diese Arbeit. Ich schätze Deine Rezensionen sehr und werd mir dieses Buch sicher besorgen.
Hast Du "Die Wand" von M. Haushofer auch gelesen? Hat mich ebenfalls sehr und nachhaltig bewegt.

Herzlichen Dank und Gruss,
Gisanne

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Gisanne!

Ich freue mich, dass dir diese Rezension Lust gemacht hat, die Tapetentür zu öffnen. ;)

Hast Du "Die Wand" von M. Haushofer auch gelesen?

Leider noch nicht, aber ich werde dieses Buch bestimmt demnächst lesen.

Lieben Gruß an Dich,
Manuela :)

 

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