Was ist neu

Copywrite Mosaik

Seniors
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20.09.2007
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Mosaik

Die folgende Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit:

Als ich drei oder vier Jahre alt war, ging mein Vater an einem heißen Tag im Spätaugust mit mir ins Freibad. Er breitete eine große Decke auf der Wiese aus, so dass eine Hälfte im Schatten eines Baumes lag und die andere in der Sonne. Er legte sich auf die Sonnenseite, hielt einen vorbeilaufenden Jungen am Hosenzipfel fest und drückte ihm eine Mark in die Hand, damit er mir ein Minimilk Vanille kaufe. Vom Rest könne er sich auch eins aussuchen. Weil ich mit meinem Eis glücklich war, schlief mein Vater in der Sonne ein und ich fing an, mich zu langweilen. Und weil das Kinderbecken komisch roch und zu viele Frauen mit schwammigen Oberschenkeln darin herumwateten und ihre mit Eimern und Schwimmenten um sich werfenden Kinder beaufsichtigten, ging ich in den Sandkasten, wo ich auf den Ball eines anderen Mädchens trat, stürzte, und mir am Waschbeton den Ellenbogen aufschlug.

Wenn ich ein bisschen blinzle und den Kopf schief lege, sieht die Narbe an meinem rechten Ellenbogen aus wie ein Katzenkopf. Es ist nicht leicht, sie anzusehen und dabei auch noch den Kopf schief zu legen. Meine Mutter erzählt diese Geschichte gern ein bisschen anders, mal war sie dabei und sah mir von unserem Platz unter dem Baum aus zu, ein anderes Mal sonnte sie sich und mein Vater hatte die Aufgabe, mich im Auge zu behalten. Das hängt ganz von ihrer Stimmung ab. „Dabei konnte man dich doch gar nicht übersehen, wie du gestrahlt hast, in deinem sonnengelben Kleid!“, ruft sie, drückt eine Zigarette im Blumenkasten aus und stützt sich mit beiden Armen auf die Balustrade. Ein schwerer Seufzer, sie lässt den Kopf hängen, genau wie die Petunien im Kasten. Ihnen fehlt Wasser, dafür haben sie Läuse.
Meine Mutter murmelt etwas, das wie „Arschloch“ klingt und lässt sich auf den großen Sessel fallen, der angeblich noch aus ihrer Studentenzeit stammt. Ich blicke in ihr trockenes Gesicht, das sie in die Sonne streckt wie eine lichthungrige Pflanze. Ich weiß, was sie sich jetzt vorstellt. Ein Balkon mit schmiedeeisernen, geschwungenen Streben, vierter Stock, in einer kleinen Gasse in Montmartre. Von der Hauptstraße wehen Auto- und Passantengeräusche her. Meine Mutter trägt ein rotkariertes Kleid und sitzt in einem Korbsessel, raucht mit Zigarettenspitze, einen Espresso neben sich. Aus einem großen Terrakottakübel wuchert Kapuzinerkresse.
Ihr Gesicht ist regungslos, sie hat vergessen zu atmen. Vielleicht ist sie tot.
„Mama“, sage ich laut.
„Mhm.“
„Ich treffe mich später mit Maria.“
„Nimm dir, was du brauchst, Schatz.“
Ich rühre mich nicht. „Heute hat Herr Selbach nach der Stunde meine Brüste angefasst.“
„Hm.“ Ihre Stimme macht einen kleinen interessierten Schlenker, so als würde ihr mitten im Sprechen das Stromkabel herausgezogen.
Ich drehe mich um und gehe in die Küche, ziehe einen Schein aus dem Portemonnaie meiner Mutter und gehe aus dem Haus. „Komm nicht so spät nach Hause!“, ruft sie mir träge hinterher.

An der Bushaltestelle gegenüber Luigis Pizzeria sitzt eine alte Frau mit ihrer Katze. Sie ist immer dort, wenn ich vorbeikomme. Eine Weile beobachte ich sie von der Ampel aus: Ihr Gesicht ist bewegt, so als würde sie sich unterhalten, ohne den Mund dabei zu bewegen. Ihre Hände streichen im Wechsel über das rotgetigerte Fell des Katers, der sich auf ihrem Schoß breitgemacht hat. Er schnurrt, da bin ich ganz sicher.
Es wird grün, aber ich überlege es mir anders. Anstatt die Straße zu überqueren, gehe ich zur Bushaltestelle und setze mich neben die alte Frau.
„Tag.“
Sie dreht mir ihr Gesicht zu und nickt kurz und freundlich, ohne dabei mit dem Streicheln aufzuhören. Ihre Bewegungen erinnern mich an die einer Spinnerin, die am Spinnrad sitzt.
„Worauf warten Sie?“, frage ich.
„Mein Sohn kommt mit dem achtunddreißiger Bus.“ Ihre Stimme klingt erstaunlich fest.
„Ah.“ Ein paar Minuten verstreichen. Ich höre nichts als das Schnurren des Katers und ein gelegentlich vorbeifahrendes Auto. Dann kommt der Bus, ein paar türkische Kinder steigen aus, die Nachbarin reckt den Kopf.
„Ist er nicht da drin, ihr Sohn?“, frage ich.
„Nein“, sagt sie. „Nein.“
„Hat er versprochen zu kommen?“
„Schon lange.“ Sie seufzt, aber bleibt sitzen und fährt fort, ihren roten Kater zu kraulen.
„Was tun Sie jetzt?“
„Vielleicht kommt er mit dem nächsten.“
Der Bus zischt, schließt die Türen und fährt heulend weiter.
„Wie heißt Ihr Kater?“
„Kikki“, antwortet sie. „Und es ist eine Katze.“

Von dem Geld aus dem Portemonnaie meiner Mutter kaufe ich mir eine Pizza Tonno und setze mich damit ans Flussufer auf einen Stein. Zu viel Käse auf der Pizza. Ich werfe den Schwänen etwas zu, als mich etwas am Kopf trifft. Ich drehe mich um.
„Keinen Käse für Schwäne, spinnst du?“ Schräg hinter mir auf einer Bank sitzt ein finster blickender Typ mit knielangem Mantel, obwohl doch schon Frühling ist.
„Du bist ganz schön unhöflich“, sage ich und beiße von meiner Pizza ab.
„Und du bist dumm.“
„Woher weißt du das?“ Ich stehe auf und setze mich neben ihn auf die Bank. „Willst du auch ein Stück?“
„Schwäne mit Käse zu füttern ist dumm. Ich mag keine Pizza.“
„Warum?“
„Schwäne sollte man überhaupt nicht füttern, sie finden allein -“
„Nein, ich meine, warum magst du keine Pizza? Jeder mag Pizza.“
„Ich nicht. Die Pizzen machen eh nur die Türken und an ihr Schild draußen schreiben sie Luigi dran. Und weißt du, wie es in so einer Küche zugeht?“
„Nein.“
Er schaut mich entrüstet an, ein bisschen fassungslos. „Schlimm jedenfalls!“, ruft er dann.
„Schon gut“, sage ich und lache. „Warum bist du so wütend?“
Er antwortet nicht. Stattdessen bohrt er mit dem Absatz seines Schuhs ein Loch in die Erde.
„Wie heißt du?“
„Du fragst so viel, Mädchen. Warum gehst du nicht nach Hause?“
„Ich habe kein Zuhause. Meine Mutter hat Krebs, ich wohne bei meiner Großmutter und ihrer Katze Kikki.“
Jetzt schaut er mich an, grimmig, aber unbewegt. Er ist unrasiert und struppig, seine Augen sind glanzlos und dunkel und liegen tief in ihren Höhlen.
„Warum trägst du diesen Mantel?“, frage ich. „Es ist doch Frühling.“
„Dicke Menschen frieren nicht so schnell wie dünne. Vielleicht ist dir deswegen warm.“
Ich muss lachen über sein Bemühen, etwas Gemeines zu sagen. „Komm schon, Carlo, ich bin überhaupt nicht dick. Vielleicht nicht so knochig wie du, aber nicht dick.“ Ich schubse ihn ein bisschen, immer noch lachend, während er aufs Neue beteuert, wie dick ich sei. Schließlich kann ich nicht mehr, ich kriege Seitenstechen vor Lachen und atme tief durch, um mich zu beruhigen.
„Überhaupt nicht.“
„Doch, sehr.“
„Ach, Carlo.“
„Ich bin nicht Carlo!“
„Wer bist du dann?“
Daraufhin schweigt er.

In Deutsch bei Herr Selbach sollen wir ein Gedicht über den Frühling schreiben und dabei rhetorische Mittel kennzeichnen. Das mit den meisten verschiedenen rhetorischen Mitteln gewinnt. Meins lautet:
Dünne Menschen frieren
im Frühling.
Dicke Menschen frieren
nicht im Frühling.

Als wir unsere Gedichte laut vorlesen müssen, kichern die Mädchen aus den hinteren Reihen und Maria, die vor mir sitzt, dreht sich zu mir um. Ich zwinkere ihr zu.
Mein Gedicht gewinnt nicht, aber nach der Stunde will Herr Selbach mit mir sprechen.
„Francine, ich habe mich nur gefragt, wie es bei dir so zuhause läuft.“
„Gut.“
Ich sehe das Erstaunen auf seinem Gesicht, er hat wohl eine längere Antwort erwartet, die er spontan aufgreifen kann. An einem „gut“ ist nichts aufzugreifen. „Nur gut?“
„Blendend.“
Er runzelt die Stirn. „Vielleicht könnte man mit deiner Mutter ja mal einen Termin ausmachen, zu einer Sprechstunde? Du bist natürlich auch eingeladen.“
„Mal sehen. Sie hat ziemlich viel zu tun.“ Ich gehe zur Tür. Über meine Schulter werfe ich ihm einen Blick zu und fahre mir mit der Hand durchs Haar. „Wenn ich meinen Freund mitbringen darf.“

Im Bus sehe ich Carlo, aber ich gebe vor, ihn nicht zu bemerken. Aus dem Augenwinkel beobachte ich ihn, ich bin ganz sicher, dass er mich auch gesehen hat. Als er am Klinikum aussteigt, setze ich meine Kopfhörer auf und folge ihm.
Mit hastigen Schritten und seinen langen Beinen läuft er Richtung Flussufer, ich kann ihm kaum folgen. Manchmal blickt er nervös nach links und rechts, als würde er etwas Unbestimmtes suchen, oder kramt in seiner Manteltasche herum. Dann, ohne Vorwarnung, dreht er sich um. Ich laufe noch eine Weile weiter auf ihn zu und blicke ins Leere, dann fokussiere ich ihn, setze meine Kopfhörer ab und sage: „Carlo! Was machst du denn hier?“
„Warum folgst du mir? Hast du keine anderen Freunde?“
„Ich hab dich nicht mal erkannt, meine Augen sind schlecht. Eigentlich trage ich eine Brille. Ich gehe meine Mutter besuchen“, sage ich und mache eine Kopfbewegung in Richtung Klinikum.
Kurz schaut er verblüfft, bringt ein „hm!“ hervor, dann kehrt der finstere Ausdruck in sein Gesicht zurück.
„Aber hey, schön, dass wir jetzt Freunde sind“, sage ich und gebe ihm einen Klaps auf die Schulter. Zum ersten Mal sehe ich, wie jegliche Spannung Carlos Körper verlässt, und erst dann fällt mir auf, wie verkrampft er eigentlich ist. „Was?“, blafft er. Einen Moment lang sieht er aus, als wolle er mich schlagen. „Wer hat das behauptet?“
„Du selbst, grad eben. Du hast gesagt: Hast du keine anderen Freunde?“
Ich glaube, er versteht nicht ganz, aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich hake mich bei ihm unter und ziehe ihn weiter. „Wohin gehst du? Wieder runter zu den Schwänen?“ Irgendwie ist es anstrengend, so mit ihm zu laufen, wir haben nicht denselben Rhythmus und er hat sich wieder verkrampft, als wäre er halb aufgetaut. Aber immerhin.
„Wolltest du nicht deine Mutter besuchen?“ Er befreit sich aus meinem Griff.
„Ach, das kann warten. Die kriegt eh nix mit vor lauter Morphium.“
Am Flussufer steuert er auf dieselbe Bank zu, von der aus er mich gestern mit Steinchen beworfen hat.
„Sitzt du immer auf derselben Bank?“
Er grummelt nur irgendwas.
„Magst du Schwäne?“
„Was du für Fragen stellst! Immer nur Fragen, Fragen. Kannst du nicht mal die Klappe halten?“
„Aye, Sir“, sage ich. Schweigend beobachte ich ihn von der Seite.
„Lieber als Menschen?“
„Herrgott!“
„Ja?“
„Menschen sind faul und dreckig. Von Innen heraus, bis an die Oberfläche.“
„Und du? Bist du auch faul und dreckig? Oder bist du eigentlich ein Schwan?“ Ich mache große Flügelbewegungen und recke den Hals.
„Die Welt wäre jedenfalls besser, wenn Menschen mehr wie Schwäne wären. Sieh dir ihr Gefieder an. Da perlt alles dran ab.“
„Ja, Schwäne sind hübsch. Aber ich weiß nicht, ob sie auch schlau sind. Schweine zum Beispiel, die sind intelligent, aber dreckig. Oder Raben.“
Er mustert mich interessiert und ich mustere ihn, für einen Moment, der seltsam zeitleer ist.
Dann spricht er, es fühlt sich an, als würde mich jemand an einer Schnur, die an meinem Kopf befestigt ist, aus dem Wasser ziehen. Seine Stimme dringt nur langsam in mein Bewusstsein. „Die Besuchszeit ist bald vorbei.“ Ich habe nicht mal eine Uhr dabei.
„Achja“, sage ich traurig. „Wie spät ist es denn?“
Sein Blick löst sich von meinem, er schaut auf sein Handgelenk. „Fast siebzehn Uhr.“
„Gut“, sage ich und stehe auf. „Gut. Ich gehe nach Hause.“

Im Kühlschrank ist nichts, außer ein paar Zitronen, einer Flasche Ketchup und einer Packung Schinken. Ich nehme den Schinken, öffne eine Dose Mais aus der Vorratskammer und setze mich damit zu meiner Mutter auf den Balkon.
„Ist dir nicht kalt?“, frage ich.
„Ein wenig“, sagt sie. Die Sonne steht schon tief.
„Wie war's in der Schule?“
„Wie's halt so ist, in der Schule.“
„Hmm.“ Sie lässt langsam ihren Kopf kreisen.
„Naja, Maria und ich sitzen ab jetzt nicht mehr nebeneinander, weil wir zu viel reden. Aber nur in Deutsch. Und ein komischer Typ von der Straße hat mich vorhin angesprochen und wollte mich ins Kino einladen.“
Meine Mutter schlägt die Augen auf und sieht mich an. „Mensch, Franc, iss doch was Richtiges.“
„Ist nichts da.“
Ich denke an Carlo und die Schwäne und frage mich, was er wohl zum Abendbrot isst. Bestimmt schmiert er sich Brote in der Küche, belegt sie mit Pfeffersalami oder Camembert, dazu geviertelte Tomaten mit Kräutersalz, wie er es von seiner Mutter gewohnt war. Damit setzt er sich an seinen Esstisch und schaut mit finsterer Miene die Nachrichten.
Eigentlich ist das Bild absurd. Ich habe aufgehört zu kauen, starre auf die Petunien meiner Mutter, die Dose Mais in der linken und die Gabel in der rechten Hand und schlucke schwer.

Es ist dunkel im Wald, als würden die Baumkronen das Tageslicht aufsaugen, und es herrscht eine Stille, als hätte man Watte in den Ohren. Der Waldboden absorbiert jegliche Geräusche. Ich beobachte eine Person, von der ich weiß, dass sie Carlo ist. Er hat sich eine kleine Grube in den Boden gegraben, kein wirkliches Loch, eher eine Senke. Überall ist trockenes Laub. Ich geselle mich zu ihm und gemeinsam sitzen wir geschützt in der Kuhle. Im Waldboden. Carlo nimmt keinerlei Notiz von mir. Ich fange zwei vorbeilaufende Frischlinge, die merkwürdig rund und glatt sind und an einer langen Schnur zusammengebunden, und wir essen ihr rohes Fleisch. Ich teste die Konsistenz, indem ich es mit der Zunge gegen meine Zähne drücke und eine Weile mit komischem Magengefühl damit herumspiele.
Mein Bett fühlt sich an wie der Waldboden und unbeweglich dazuliegen wird mir unerträglich. Ich stehe auf und gehe mit meiner Decke auf den Balkon, um etwas zu riechen, etwas zu hören, nichts zu schmecken und um etwas zu sehen. Aber alles, was ich sehe sind die verlausten Petunien und der Sessel meiner Mutter mit dem hässlichen Hahnentrittmuster, der angeblich aus ihrer Studentenzeit stammt. Ich weiß ganz genau, dass sie ihn irgendwann vom Sperrmüll mitgebracht hat. Aber ich setze mich trotzdem hinein, lege die Beine auf das Balkongeländer und schlafe ein.

Am Morgen erwache ich sehr früh, weil es kalt ist, die Vögel lärmen und mein Nacken steif ist. Ich will aufstehen, aber mein linkes Bein ist eingeschlafen und vollkommen taub, sodass ich wegknicke und fast auf den Boden geknallt wäre, hätte ich mich nicht am Balkongeländer festgeklammert. Einige Minuten verstreichen, bis das Gefühl in mein Bein zurückkehrt. Währenddessen fühle ich mich amputiert und versuche, mir mein Leben mit nur einem Bein vorzustellen. Ich hätte wahrscheinlich eine Aluprothese mit Gelenk und Fuß, die sich deutlich an meinem Hosenbein abzeichnete. Die Leute hätten Mitleid mit mir, weswegen ich im Sommer nur noch knielange Röcke tragen würde. Der Bus würde nie mehr vor meiner Nase wegfahren. Mütter würden ihre Kinder auffordern, mir einen Butterkeks abzugeben. Luigi würde mir an schönen Tagen eine Pizza schenken.
Ein wenig bedaure ich es, als ich mein Bein wieder spüren kann.

„Mensch, Franc“, sagt meine Mutter, als sie in die Küche kommt. „Du bist ja schon wach.“ Mutter ist im Nachthemd und ich versuche, nicht hinzusehen.
„Ja“, sage ich. Es ist mein erstes Wort des Tages, ich hätte nicht erwartet, dass ich so heiser bin. „Du auch.“
„Ich brauche einen Kaffee.“
„Wir können zusammen frühstücken.“
Mutter kramt in der Vorratskammer herum. „Es ist kein Kaffee mehr da.“
„Milch auch nicht“, sage ich. „Wir könnten in der Stadt frühstücken gehen. Es ist Samstag.“
„Was?“, sagt sie verblüfft und steckt ihren Kopf aus der Vorratskammer. Dann lacht sie. „Franc, du spinnst ja. Es ist Monatsende. Und so früh kriege ich ohnehin keinen Bissen runter.“ Sie geht in den Flur und kramt in ihrer Handtasche. Ich höre Kleingeld klimpern. „Hier“, ruft sie und kommt wieder in die Küche. „Kannst du ein bisschen Kaffee mitbringen?“
„Reicht das noch für Milch?“
„Das sind zehn Euro, Franc.“

Auf dem Weg zum Supermarkt sehe ich wieder die alte Frau mit ihrer Katze an der Bushaltestelle. Ich beschließe, dass meine Mutter warten kann, überquere die Straße und setze mich zu ihr.
„Guten Tag. Hallo Kikki.“
Mit einer ständig nickenden Kopfbewegung dreht die alte Frau mir langsam ihr Gesicht zu wie eine Schildkröte. „Hallo Mädchen.“
„Ich heiße Francine. Mein Vater ist Franzose. Kann ich Ihre Katze streicheln?“
Sie blickt hinab auf ihren Schoß, auf dem sich die Katze ausgebreitet hat und mir faul entgegenblinzelt. Ich interpretiere das als ja und kraule ihr Fell, das hinter den Ohren besonders flauschig ist.
„Warten Sie wieder auf Ihren Sohn?“
Wieder dreht sie mir ihren nickenden Schildkrötenkopf zu. Ihre Augen sind wässrig hellblau und trüb. Der Versuch, sie mir als junge Frau vorzustellen, klappt nicht, nicht bei ihr. Sie ist wie eine Institution, wie eine Mutter, die man viel zu oft sieht, als dass man ihr Altern beobachten könnte.
Die Katze hat ihre Krallen ausgefahren und langt nach meiner Jeans.
„Ich muss kurz in den Supermarkt und Milch kaufen“, sage ich und stehe auf. „Bis später.“

Eine sehr dicke Frau sortiert gleich am Eingang Marmeladen- und Honiggläser in das Regal. Das Fleisch hängt ihr wie Hängematten träge von den Oberarmen. Ich frage mich, wie ihre Stimme klingt. Wahrscheinlich spricht sie durch die Nase, als hätte sie einen Schnupfen, der niemals weggeht. Ich spreche sie an. „Wo finde ich hier Kaffee und Milch?“
„Milch ist da hinten im Kühlregal und Kaffee gleich hier vorn neben den Frühstückssachen.“ Ihre Stimme ist rau, kein bisschen nasal und sehr angenehm.
„Gleich dort beim Müsli, ja?“
„Ja“, sagt sie nur und runzelt die Stirn.
Mir fällt nichts mehr ein, also drehe ich mich um und gehe. Ich bin sicher, den Blick der Hängemattenfrau auf meinem Rücken zu spüren und schaue nochmal zurück, aber sie steht nur da und sortiert weiter.

Unterwegs trinke ich Milch aus der Packung, um meinen Magen zu füllen. Zuhause sitzt Mutter auf dem Balkon und döst.
„Da hab ich heute Nacht auch geschlafen“, sage ich und sie fährt zusammen.
„Franc, hast du mich erschreckt.“
„Kaffee und Wechselgeld sind in der Küche.“
„Danke mein Engel.“
Wie könnte man jemandem böse sein, der Engel zu einem sagt? „Ich geh wieder raus. Bei Luigi ist eine alte Frau mit Katze. Ich glaube, sie würde mich gern adoptieren oder so.“
„Ja, viel Spaß“, meint sie, ihr mildes, träges Lächeln im Gesicht und steht auf, um in der Küche Kaffee zu kochen.

Ich beschließe, den Rest des Tages bei der Alten und ihrer Katze zu verbringen und mit ihr auf den unbekannten Sohn zu warten. Wahrscheinlich existiert er gar nicht. Womöglich ist er lange tot oder in eine andere Stadt gezogen, verdient jetzt viel Geld und kommt einmal im Jahr seine alte Mutter besuchen. Vielleicht überlegt er, sie in ein Pflegeheim zu geben.
„Hallo.“
„Hallo Mädchen.“ Ein Schildkrötenlächeln.
„Ich werde Ihnen ein bisschen Gesellschaft leisten, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Nein, nein. Gesellschaft tut mir immer gut.“
„Schaun Sie mal.“ Ich kremple meinen Ärmel hoch und zeige ihr die Katzenkopfnarbe an meinem Ellenbogen. „Die sieht aus wie Kikkis Gesicht, finden Sie nicht?“
Sie schaut und blinzelt.
„Ja, sie müssen ein bisschen den Kopf schief legen.“
Ihr überraschend kalter Finger berührt meinen Ellenbogen. „Wie hast du das nur angestellt, Mädchen?“
„Ich war klein, etwa vier oder fünf, ich kann nichts dafür. Mein Vater war mit mir im Freibad und ich bin im Sandkasten auf den Ball eines Mädchens getreten, weil er nicht aufgepasst hat. Ich bin gestürzt und habe mir den Ellenbogen aufgeschlagen. Erstaunlich, wie solche Narben mitwachsen, finden sie nicht? Ich glaube, die war früher viel kleiner.“
„Dein Vater hätte besser aufgepasst.“
„Ja, nicht. Andererseits, wer hat sonst eine Narbe, die aussieht wie ein Katzenkopf?“
Die Alte schüttelt den Kopf und Kikki reckt sich, weil die Streicheleinheiten ausbleiben. Ich kraule sie unterm Kinn und sie schnurrt und schließt die Augen zu Schlitzen. Dann klettert sie vom Schoß der alten Frau auf meinen. Ihre Beine stechen in meine Oberschenkel bevor sie sich als warmes Fellbündel zusammenrollt.
„Beneidenswertes Leben, oder? Man kann machen was man will und trotzdem wird man immer gestreichelt. Niemand würde eine Katze treten, weil sie was angestellt hat. Hunde schon, die werden erzogen.“

Mit dem achtundreißiger Bus kurz nach dreizehn Uhr kommt Carlo. Ich sage nichts. Auch er sagt nichts, sondern steht da wie angewurzelt und schaut stumm zu mir, zu der Katze auf meinem Schoß und dann zu der Alten, die sich erhebt und auf ihn zutappt. „Da bist du ja“, sagt sie und für einen Moment denke ich, dass sie ihn herzen und küssen und ihm in die Wange kneifen will. Aber sie tut nichts dergleichen, zupft nur am Kragen seiner Jacke und sagt: „Auf dem Herd steht ein Nudelauflauf, ich werde ihn für dich warm machen.“
Carlo grummelt etwas und blickt immer wieder nervös zu mir.
„Ist das ihr Sohn?“, frage ich dann. Die Alte dreht sich um und lächelt, jetzt schauen mich beide ruhig an. Ich streichle die Katze.
„Komm nur ruhig mit, Mädchen, es ist genug Essen da. Bestimmt hast du Hunger.“
Ich sehe an Carlos Blick, dass er protestieren will, aber ich scheuche die Katze schnell von ihrem Platz und stehe auf. „Ja, sehr sogar. Nudelauflauf klingt hervorragend.“

In der Küche ist nicht viel Platz, aber sie ist erstaunlich leer. Die Wände sind kalkweiß, es gibt keine Vorhänge, keine Teller an den Wänden oder verstaubte Strohblumen auf dem Küchentisch, nicht mal eine Tischdecke.
Carlo und ich sitzen uns gegenüber, während die alte Frau den Auflauf in den Ofen steckt und die Katze füttert. Er meidet meinen Blick.
„Wie heißt du wirklich, Carlo?“
„Sven.“
„Sven. Ich glaube nicht, dass ich mich so schnell daran gewöhnen kann.“
Keiner von uns sagt etwas, bis die Alte die Küche verlässt.
„Ich wohne hier nur zur Untermiete.“
Überrascht sehe ich ihn an. „Ich dachte, das wäre deine Mutter.“ Ich lache. „Stell dir nur vor, für einen Moment dachte ich, wir wären sowas wie Geschwister.“
Er sieht mich entsetzt an und ich lache nur noch mehr.
„Nein, ich – was? Warum Geschwister? Was redest du?“ Seine Verwirrung kippt in Ärger um, deswegen höre ich auf zu lachen.
„Aber denkt sie, du wärst ihr Sohn?“
„Naja. Sie ist nicht ganz hell.“
„Auf mich macht sie nicht den Eindruck. Bist du wirklich nicht ihr Sohn?“
Er schaut mich finster an. „Nein.“
„Aber du lässt sie glauben, du wärst es?“
„Ja – also, nein!“, ruft er auf mein Stirnrunzeln. „Sie ist nunmal -“, er senkt die Stimme als er merkt, wie laut er geworden ist, „störrisch. Hängt an mir und lässt mich bei sich wohnen.“
„Sie hat dich adoptiert.“
„Naja ...“
„Sozusagen.“
„Ja, wahrscheinlich.“ Wieder schaut er finster. Carlos Mimik belustigt mich. Sobald er bemerkt, dass sein Ausdruck entspannt und unkontrolliert ist, verzieht er die Miene zu diesem finsteren Blick. „Ich bin kein Lügner.“
„Ich weiß“, sage ich leise. „Das bin nur ich.“
Aus dem Wohnzimmer tönt ein Klavier, dramatisch, so als hätte jemand zu viele nicht zusammenpassende Tasten angeschlagen.
„Die Katze“, sagt Carlo. „Läuft immer auf der Klaviatur herum. Jeden Nachmittag. Schlecht erzogen.“
„Katzen kann man nicht erziehen.“
Carlo schweigt und schaut mich an. Völlig neutral dieses Mal, wir mustern uns gegenseitig wie vor ein paar Tagen am Fluss, weder er noch ich verziehen eine Miene. Es ist ein ehrlicher Moment und ich zwinge mich, dieses Gefühl nicht abzuschütteln.
„Meine Mutter hat keinen Krebs“, sage ich, ohne den Blick von ihm zu nehmen. „Ihr geht es gut, zumindest gesundheitlich. Ich wohne bei ihr, auch wenn sie nicht bei mir wohnt. Sie ist irgendwo in Frankreich, mit dem Kopf, zusammen mit meinem Vater, von dem ich nicht viel weiß. Ich habe eine Erinnerung an ihn, aber ich habe keine Ahnung, ob sie wahr ist oder nur ein Traum oder etwas, das ich mir ausgedacht oder meine Mutter mir erzählt hat. Ist auch nicht besonders wichtig. Meine Mutter behauptet, mein Vater sei Franzose und nennt mich Franc, nach Francine.“
Carlo lacht.
„Was gibt es da zu lachen?“
„Beides albern, aber Francine ist noch besser als Franc. Klingt wie Frank.“
„Ja.“ Ich schweige. „Manchmal nennt sie mich auch Engel. Furchtbar, nicht?“
„Erzähl mir von der Erinnerung.“
„Sie ist wahrscheinlich eine Lüge.“ Ich fahre mit dem Finger über die brüchige Tischkante. „Nein, lass. Ich fühle mich grad gut so.“

 

Hallo Strudel,

jetzt hast Du so gehetzt und immer noch keinen Kommentar. Das ist frech von den Hetzern.

Also, ich mach dann mal:

Der Horst also, der doofe Horst, ist es geworden. Dabei habe ich jetzt erst wegen des copywrites "Von Hunden und Katzen" gelesen und fand es viel besser als "Maedchen, die von Maennern traumen". Und von der Geschichte fand ich ja auch den Horstteil am doefsten und den mit der imaginaeren Freundin viel besser. Die Freundin ist jetzt raus, und insgesamt liest sich das alles runder als in der Originalgeschichte, aber mit Horst bin ich trotzdem noch nicht versoehnt. Das Spiel mit der Mutter, die Franc nie wirklich wahrnimmt, nie wirklich antwortet, selbst wenn Muetterliches provoziert werden soll, die sich ihre Vergangenheit zusammentraeumt, das ist ja relativ 1:1. In anderen Worten zwar, aber das gleiche Verhaeltnis. Und Carlo kommt auch auf die gleiche Art und aus den selben Gruenden rein. Und er stoert mich genauso wie bei Jo. Ich sags auch mit den gleichen Worten: Es fuehlt sich so literarisch-konstruiert an. Und hier, weil wirklich jedes Detail sich zum Gesamtbild fuegt, alles so ein bisschen glatter und ordentlicher ist und dann zum Schluss auch noch so aufgeloest wird, faellt dieses Konstruierte hier sogar noch mehr auf. Das ist ja alles schoen und macht Sinn und man kann eine total spannungsfreie Interpretation dazu schreiben - Katzenerziehen, super, fuegt sich auch.
Es ist nach literarischen Mustern folgerichtig, wie das da so laeuft. Aber so benimmt sich ja keiner - laesst sich von so nem Typ die ganze Zeit anraunzen und so. Das nervt mich immer, wenn Figuren sich so betont strange verhalten. Dass sie zum Beispiel darauf besteht, ihn Carlo zu nennen ist auch so ein Beispiel. Das macht literarisch Sinn, aber ein echter Mensch wuerde es nicht tun.
Weil das Ganze dem Ursprungstext so aehnlich war, wurde ich dann auch so ab Seite 5 etwas ungeduldig und habe mich sehr ueber die Wendung gefreut, die alles zusammenfuehrte, und dem Mutterding nochmal so nen Dreh gab. Obwohl so ein spiegelverkehrtes Gegenbild - ist natuerlich auch wieder sehr kuenstlich.
Das Ende dann, ahem, "ein Moment der Ehrlichkeit". So eine Katharsis. Das ist mir echt zu spannungsfrei geloest. So ein intellektuelles happy end.

Das ist natuerlich ein bisschen fies, einem offensichtlich sehr gut durchdachten und wohlkonstruiertem Text gerade das vorzuwerfen. Es ist auch Meckern auf sehr hohem Niveau. Es ist gut geschrieben, keine Frage, und ich werde gleich meine highlights auflisten, aber gepackt hat es mich aus den oben breitgetretenen Gruenden nicht.

Details:

Ein schwerer Seufzer, sie lässt den Kopf hängen, genau wie die Petunien im Kasten. Ihnen fehlt Wasser, dafür haben sie Läuse.
Suggestive Juxtaposition von Blattlaeusen und Mutterkopf. Sehr schoen!

Sie ist dort immer, wenn ich vorbeikomme.
"immer dort" klingt mir fluessiger

Ihr Gesicht ist bewegt, so als würde sie sich unterhalten, ohne den Mund dabei zu bewegen.
ein "bewegt" zu viel

Spinnerin, die am Spinnrad sitzt.
oder eine Weberin, die an einem Webstuhl sitzt? ;)

In Deutsch bei Herr Selbach sollen wir ein Gedicht über den Frühling schreiben und dabei rhetorische Mittel kennzeichnen. Das mit den meisten verschiedenen rhetorischen Mitteln gewinnt.
hehe. Da musste ich echt lachen. Ist ne coole Stelle

Dann spricht er, es fühlt sich an, als würde mich jemand an einer Schnur, die an meinem Kopf befestigt ist, aus dem Wasser ziehen.
Das fand ich etwas zu sperrig

Eigentlich ist das Bild absurd. Ich habe im Prinzip keine Vorstellung davon, wie es bei Carlo zuhause aussieht, was er gern isst, ob er fernsieht, welche Musik er mag, ob er seinen knielangen Wollmantel das ganze Jahr über trägt und ob er einen Hund oder eine Katze oder einen Goldfisch namens Edwin hat.
Das braucht es doch eigentlich nicht. Ist doch schon klar.

Ich fange zwei vorbeilaufende Frischlinge, die merkwürdig rund und glatt sind und an einer langen Schnur zusammengebunden, und wir essen ihr rohes Fleisch. Ich teste die Konsistenz, indem ich es mit der Zunge gegen meine Zähne drücke und eine Weile mit komischem Magengefühl damit herumspiele.
Das fand ich super, auch das "Hahnentrittmuster"
Das mit dem angenehm amputierten Bein mochte ich auch. Das konnte ich nachvollziehen

Der Versuch, sie mir als junge Frau vorzustellen, klappt nicht, nicht bei ihr. Sie ist wie eine Institution, wie eine Mutter, die man viel zu oft sieht, als dass man ihr Altern beobachten könnte.
Den ersten Satz finde ich sehr gut. Die hinterhergeschobene Aufdroeselung verleidet ihn mir.

Na ja, und dann der Satz "Es ist ein ehrlicher Moment", der ist echt drueber, eben die ganze Szene.

Ja, tut mir leid, insgesamt nicht so positiv, aber wie gesagt, Meckern auf sehr hohem Niveau.

lg
fiz

 

Hey Strudel,

ich sag mal so, nach dem ersten Lesen dachte ich so, ja schön zu lesen, habe dabei versucht mich an Jos Vorlagen zu erinnern und mich gefreut, wenn ich etwas erkannt habe, las mich also so durch Deinen Text und war mir irgendwie uneins. Am Ende war ich mir nur sicher, dass ich das Mädel mochte, mit ihrer unbekümmerten Art auf Leute zuzugehen (weil ich so Menschen einfach wirklich bewundere) und das Ende weniger mochte, weil sie da alle so zusammenkommen und das schon mächtig konstruiert und künstlich gewollt auf mich wirkte.

Heute habe ich Jo mal weg gelassen und die Geschichte einfach nur für sich gelesen und ganz ehrlich, sie hat mir sehr viel besser gefallen. Vielleicht auch, weil ich so zarte Zwischen-den-Zeilen-Sachen viel bewusster aufnehmen konnte. Also, wir haben da vier Menschen, die alle auf ihre eigene Art und Weise recht verschroben sind, die aber alle eines gemeinsam haben und das ist ihre Einsamkeit. Und alle wollen sie dieser entkommen, wollen da heraus und unter diesem Gesichtspunkt gewinnt das Ende natürlich (für mich jedenfalls), wenn sich die drei da finden und die Mutter auf ihrem Balkon bleibt, mit Maisdosen und verlausten, vertrockneten Blumen. Das ist ein hartes Schicksal, was Du ihr da anhängst - echt jetzt :)!

Und nun was wirklich Gemeines. Jo hat es nicht geschafft dem Horst Leben einzuhauchen und für mich, ist er in dieser Geschichte auch die schwächste Figur. Die drei Frauen sind stark, die finde ich wunderbar, so jede für sich genommen, aber er ist der Verlierer. Ich überlege die ganze Zeit, ob es daran liegen könnte, dass ich seine Gründe/Motivation/Geschichte für seine Einsamkeit nicht kenne. Die Geschichten der Frauen werden erzählt (okay, bei der alten Dame kann man sie sich zusammenbasteln), aber seine Geschichte wird nicht preisgegeben, nicht mal in Ansätzen. Eigentlich wirkt er eher wie ein Statist zwischen den anderen. Auf mich jedenfalls. Ist ja auch so, dass die Mädels die Aktiven sind. Die Alte sucht sich halt nen Ersatzsohn; das Mädel quatscht alle an, geht auf die Leute zu, macht sich und den Leuten dabei was vor; die Mutter träumt sich aus ihrer Situation fort und er wird eben adoptiert und weil es bequem ist, lässt er es mit sich machen. Also, er hat schon so einen passiven Ansatz in meiner Lesart.

Ich hab die Copy wirklich gern gelesen. Beim zweiten Durchgang sogar noch lieber. Und obwohl sie in einem lockeren Unterhaltungston daherkommt, zieht sie mich schon ganz schön runter. Das ist schon gut gemacht. Finde ich.

Liebe Grüße Fliege

 

Hey Apfelstrüdel,

beim ersten Mal las es sich tatsächlich wie ein Mosaik, wie ein Flickenteppich, passte irgenwie nicht so richtig zusammen, klang aber trotzdem richtig. Das hatte wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass ich immer meine Geschichten im Hinterkopf hatte und sie einfach nicht zusammenbringen konnte. Beim zweiten Mal lesen gefiel mir dein cw viel besser, also ähnlich wie Fliege.
Ich hab nicht viel zu meckern, wobei ich mich schon wundere, warum du Horst in die Geschichte kopiert hast, obwohl du ihn auch nicht in meiner Geschichte haben wolltest und hier vermasselt er auch so bisschen diese schöne Geschichte.

Am besten haben mir die Passagen mit der Mutter gefallen, die Stimmung und die Atmosphäre, die aus einfachen Bildern erzeugt werden, so ein südfranzösisches Flair bisschen. Aber auch insgesamt mochte ich sehr deine Bilder, schon am Anfang, die Szene mit dem Vater, da sehe ich einen dürren Franzosen mit Sonnenbrille und viel zu faul und unväterlich, als dass er sich um seine vierjährige Tochter kümmern würde. Ein Katzentyp halt. Tatsächlich fügt sich die Hundkatz-Geschichte super in die Mädchen-Geschichte ein.

Sie ist dort immer, wenn ich vorbeikomme.
Ich weiß, dass ich immer die Wörter in den Sätzen verdrehe, und wenn du das machst, dann verunsichert mich das, weil du ja die Deutsche bist. :P Also, Sie ist immer dort, wenn ich vorbeikomme, oder nicht?
Am Ende hast du auch die Anrede "Sie" kleingeschrieben.
Ich drehe mich um und gehe in die Küche, ziehe einen Schein aus dem Portemonnaie meiner Mutter und gehe aus dem Haus
Du neigst auch gerne mal zu längeren Sätzen. Das ist manchmal ermüdend, doofes Beispiel, aber das hier. Ich würd daraus ein "aus Mamas Portemonnaie" machen. Und dann Punkt, neuer Satz. Aber deine Geschichte, deine Sätze.

Überhaupt nicht.“
„Doch, sehr.“
„Ach, Carlo.“
„Ich bin nicht Carlo!“
„Wer bist du dann?“
Daraufhin schweigt er.
Wie war das mit dem Schultheater? :P

Manchmal fand ich die Franc nicht glaubwürdig, wie hier:

Als wir unsere Gedichte laut vorlesen müssen, kichern die Mädchen aus den hinteren Reihen und Maria, die vor mir sitzt, dreht sich zu mir um. Ich zwinkere ihr zu.
Völlig unklar. Es soll Francs Bemühen um eine Freundschaft oder Kontakt zu Maria dargestellt werden, ich finds nicht gelungen. Manchmal lacht sie auch ohne jegliche Motivation, wenn sie da bei Carlo abgeht, dabei hat er gar keinen Witz gemacht, und die Situation ansich ist völlig witzlos, ich verstehe sie da einfach nicht. Bei sinnlosem Lachen denke ich an pubertierende Mädels, die beim Lachen die Hand vor dem Mund halten, um die Zahnspange zu verstecken und nach Periode stinken. Das bringe ich mit Lachen ohne Grund in Verbindung, da wurde mir Franc auch richtig unsympathisch.

Den Dialog mit Herr Selbach fand ich wiederum schlüssig.

„Aber hey, schön, dass wir jetzt Freunde sind“, sage ich und gebe ihm einen Klaps auf die Schulter.
Das find ich auch gut, du hast ihre Beziehung "entsexualisiert". Bei mir hatten die auch keinen Sex, aber da verliebt sich Horst in Franc. Bei dieser Geschichte kann man sich denken, dass sie zu Freunden werden.
„Magst du Schwäne?“
„Was du für Fragen stellst! Immer nur Fragen, Fragen. Kannst du nicht mal die Klappe halten?“
„Aye, Sir“, sage ich. Schweigend beobachte ich ihn von der Seite.
„Lieber als Menschen?“
„Herrgott!“
„Ja?“
:)
Im Kühlschrank ist nichts, außer ein paar Zitronen, einer Flasche Ketchup und einer Packung Schinken.
Die Zitronen!
Ich denke an Carlo und die Schwäne und frage mich, was er wohl zum Abendbrot isst. Bestimmt schmiert er sich Brote in der Küche, belegt sie mit Pfeffersalami oder Camembert, dazu geviertelte Tomaten mit Kräutersalz, wie er es von seiner Mutter gewohnt war. Damit setzt er sich an seinen Esstisch und schaut mit finsterer Miene die Nachrichten. Eigentlich ist das Bild absurd. Ich habe im Prinzip keine Vorstellung davon, wie es bei Carlo zuhause aussieht, was er gern isst, ob er fernsieht, welche Musik er mag, ob er seinen knielangen Wollmantel das ganze Jahr über trägt und ob er einen Hund oder eine Katze oder einen Goldfisch namens Edwin hat.
Mit den Sätzen machst du das ganze Bild, das du da aufbaust kaputt. Natürlich spinnt sie da in dem Moment herum, aber mein Gott, lass sie doch spinnen. :) Das ist aber an ein paar Stellen bei dir so, die emotionale Franc wird in den letzten Sätzen eines Absatz durch die rationale Franc ausgetauscht und das gehört nicht in die Geschichte.

Am Morgen erwache ich sehr früh, weil es kalt ist, die Vögel lärmen und mein Nacken steif ist. [...] die sich deutlich an meinem Hosenbein abzeichnete. Die Leute hätten Mitleid mit mir, weswegen ich im Sommer nur noch knielange Röcke tragen würde. Der Bus würde nie mehr vor meiner Nase wegfahren. Mütter würden ihre Kinder auffordern, mir einen Butterkeks abzugeben. Luigi würde mir an schönen Tagen eine Pizza schenken.
Ein wenig bedaure ich es, als ich mein Bein wieder spüren kann.
Ich find diesen Absatz wahnsinnig stark.
Albern. Versuch nicht die Spannung aus der Situation zu nehmen, das ist ein trauriger Moment und da gehören meiner Meinung nach solche Sätze nicht hin.
Mit einer ständig nickenden Kopfbewegung dreht die alte Frau mir langsam ihr Gesicht zu wie eine Schildkröte. „Hallo Mädchen.“
Schön. Ich mag aber sowieso alte Menschen.
„Ich heiße Francine. Mein Vater ist Franzose. Kann ich Ihre Katze streicheln?“
Ich hatte in der Unterstufe ein Mädchen in meiner Klasse, die das auch immer gemacht hat: Ich heiße Denise, mein Vater ist. Engländer.
Manchmal klang es, als würd sie sich für ihren Namen entschuldigen, und manchmal, als würd sie damit angeben. :) Coole Stelle jedenfalls.
Eine sehr dicke Frau sortiert gleich am Eingang Marmeladen- und Honiggläser in das Regal. Das Fleisch hängt ihr wie Hängematten träge von den Oberarmen. Ich frage mich, wie ihre Stimme klingt. Eine sehr dicke Frau sortiert gleich am Eingang Marmeladen- und Honiggläser in das Regal. Das Fleisch hängt ihr wie Hängematten träge von den Oberarmen. Ich frage mich, wie ihre Stimme klingt.
Also bei solchen Stellen merkt man, dass das keine Geschichte mit plot ist und Spannungsbogen und den sonstigen Sachen. Aber ich erkenn da auch meine Geschichten drin, die sind auch meist ohne Plot und spannend sind sie auch nicht wirklich. Und die Geschichte, die du kopiert hast, haben eh keinen plot in dem Sinne. Sie laufen nicht auf ein bestimmtes Ziel zu, es steckt kein Plan dahinter, es sind nur bestimmte Charaktere, die aufeinander treffen. Da tragen die Figuren die Geschichte und das ist hier auch der Fall, es sind die Geschichten der Figuren, die erzählt werden.
„Was gibt es da zu lachen?“
„Beides albern, aber Francine ist noch besser als Franc. Klingt wie Frank.
„Ja.“ Ich schweige. „Manchmal nennt sie mich auch Engel. Furchtbar, nicht?“
„Erzähl mir von der Erinnerung.“
„Sie ist wahrscheinlich eine Lüge.“
„Ich weiß.“
Ich fahre mit dem Finger über die brüchige Tischkante. „Nein, lass. Ich fühle mich grad gut so.“
Man hört nicht ob Franc oder Frank, kannst du also weglassen.
Ansonsten ist das durchaus ein guter Abschluss für die Geschichte.

Ehm, ja, was soll ich sagen? Ich glaub, aus den Kommentaren ist mehr oder weniger klar geworden, dass ich die Geschichte mochte (deshalb konnte ich auch deine Kritik (leider! :P) nicht kopieren) es war einfach cool, meine Geschichten so bearbeitet zu lesen. Das hat mich natürlich wahnsinnig gefreut, ich hatte da aber auch relativ Glück mit dir als Kopiererin. (btw. Ich stell dich vielleicht als Sekretärin ein, wenn ich reich und berühmt bin, mal sehen.) Damit Quinn jetzt nicht beleidigt ist; (@Herr Q, ja, du hattest auch ein gutes cw geschrieben. :P aber leider nicht so gut wie Mademoiselle Apfelstrüdeel)

Also: Hat mir gut gefallen und es hat Spaß gemacht, weiter so!

JoBlack

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

Aus einem großen Terrakottakübel wuchert Kapuzinerkresse.
Ich les die Geschichte zum dritten Mal und der erste Teil, die ersten zwei Absätze, werden mit jedem Mal schöner, weil es so ein vollständiges Bild gibt. Farben, Details, Empfindungen, diese klassischen Sommer-Bilder. Und darin diese Mutter. An der Mutter hatte ich zu knabbern, eigentlich erlaubt mir deine Geschichte jetzt erst die von Jo zu verstehen, in Bezug auf die Mutter.
Durch dieses Sommerbild und das Kleid, und wie deutlich sie sich da selbst stilisiert. Das ist der einzige Moment in ihrem Leben, in dem sie mit sich selbst zufrieden war, glaube ich. Dieser Sommer und diese Zeit mit dem Vater, dieser Urlaubsflirt. Der hat ihr alles rausgesogen, was sie hatte. Seitdem ist sie auch keine Frau mehr, sie ist ja in keiner Weise, in keiner Funktion in beiden Geschichten, in irgendeiner Form leidenschaftlich oder lebendig. Bei Jo ist sie ein gebrochener Baum, auf dem Sofa verwurzelt, bei dir ist sie eine Pflanze.
Sie hatte diesen einen Moment der Leidenschaft, der Sexualität, als sie begehrenswert war und stilisiert und mit sich im Einklang, und als der vorbei war, blieb nichts mehr übrig. Tatsächlich wie eine Pflanze, die eine Blüte trägt, und wenn die weg ist, war’s das. Dann geht der Rest ein.

„Nein, ich meine, warum magst du keine Pizza? Jeder mag Pizza.“
„Ich nicht. Die Pizzen machen eh nur die Türken und an ihr Schild draußen schreiben sie Luigi dran. Und weißt du, wie es in so einer Küche zugeht?“
„Nein.“
Er schaut mich entrüstet an, ein bisschen fassungslos. „Schlimm jedenfalls!“, ruft er dann.
Das ist schön. Ich sehe diese Carlo-Figur nicht so kritisch, es ist durchwachsen, was dort stattfindet. Aber einige der schönsten Momente der Geschichte kommen durch diese Dynamik.
Hier ist das doch richtig toll gemacht. Die Erzählerin ist neugierig auf die ganze Welt. Und Carlo ist es gar nicht gewohnt, dass sich überhaupt wer für ihn interessiert.
Das ist ja die Crux mit den Figuren. Niemand interessiert sich für sie. Die Erzählerin entwickelt – auch in beiden Versionen – komplizierte Lügengeflechte, und erzählt was vom Pferd und hat so viele Gedanken – und es juckt überhaupt keinen in den ganzen Geschichten.
Die Lehrer tauchen nur so am Horizont auf, als Leute, die sich für ihren Stoff und ihren Lehrplan interessieren, aber nur ganz peripher für die Schüler.
Und eigentlich geht es in beiden Geschichten darum, jemanden zu finden, der sich für einen interessiert, und für den man sich dann auch interessiert. Jo hat das ganz richtig gesagt: Bei ihr findet das angedeutet auf einer sexuellen Ebene statt, in dieser Geschichte hier nicht.
Dafür ist deine Erzählerin auch zu jung, hat man das Gefühl. Durch die hellere, freiere Sicht auf die Geschichte wirkt deine Erzählerin viel jünger als Carlo. Es verschiebt sich da der Größen- und Altersunterschied, durch die unterschiedliche Einstellung von Franca zu ihrer Umwelt im Vergleich zur Orginalgeschichte.
Also hier an der Stelle: Carlo ist gar nicht gewohnt, dass ihm irgendwer länger als 2 Gedanken lang zuhört. Bisher musste er noch nie diesen 3. Satz sagen. ;)

Ich muss lachen über sein Bemühen, etwas Gemeines zu sagen.
Ich stolper jedes Mal über den Satz, weil der unheimlich nach Jo klingt. Dieses leicht Tappsig-Umständlich. Lachen – Bemühen – sagen. Das ist sehr schön.

Dünne Menschen frieren
im Frühling.
Dicke Menschen frieren
nicht im Frühling.
Das ist schon sehr gut. Dadaistisch.
Hast du eine Mutter, hast du immer Butter.

Über meine Schulter werfe ich ihm einen Blick zu und fahre mir mit der Hand durchs Haar. „Wenn ich meinen Freund mitbringen darf.“
Ja, das ist tatsächlich einer der Unterschiede zwischen den Figuren. Die Sexualität.
Jo hört das nicht gerne, aber es gibt die Stelle, die du weggelassen hast, bei ihr, wenn die Erzählerin eine einsame Frau im Kino sieht, die die Tasche so über der Brust hat. Und später bei Carlo denkt sie ja auch: Oh, ich bin jetzt mit dem alleine, wenn da mal nichts passiert. Und auch mit Kerstin, das ist schon alles viel sexueller.
Bei deiner Figur ist das noch alles sehr ein Spiel. Maria wird zugezwinkert. Hier der Freund. Da ist alles sofort mit einer Pose verbunden. Wie ein Theaterstück.
Also die Figur hier wirkt deutlich jünger, ist ganz erstaunlich, in welchen Nuancen man das mitbekommt. Jos Figur hat eine deutlich zynischere Weltsicht, deine nicht. Deine Figur streift auch durch die Geschichte.

Irgendwie ist es anstrengend, so mit ihm zu laufen, wir haben nicht denselben Rhythmus
Das ist einer meiner Lieblingssätze in der Geschichte. Ich denke, er ist sehr wahr. Wenn man das mal abstrahiert: Das ist der Unterschied zwischen einer mädchenhafte Schwärmerei, wie eine Beziehung mal laufen wird, und der Realität, wie sie später mal wirklich läuft.
In solchen Wunschträumen von Beziehungen ist immer alles reibungslos, und es fügt sich, und man passt zueinander.
Und hier in der Wirklichkeit, da will sie sich ihm anpassen, und es geht nicht, und er will aber auch nicht, und sie hält ihn zwar fest, aber es macht auch gar keinen Spaß.
Und man merkt auch, wie sich nach der kleinen Szene hier, die Stimmung verändert, wie sich die Machtverhältnisse verschieben. Die Erzählerin gerät auch hier aus dem Tritt. Bisher kommt sie ja immer an und wirft Carlo um. Bringt ihn aus der Balance, erwischt ihn auf dem falschen Fuß, und überschwemmt ihn mit dieser Naivitiät und Euphorie.
Und nach der Szene hier, ist das weg.

„Was du für Fragen stellst! Immer nur Fragen, Fragen. Kannst du nicht mal die Klappe halten?“
„Aye, Sir“, sage ich. Schweigend beobachte ich ihn von der Seite.
„Lieber als Menschen?“
Das ist wirklich sehr schön.
Aber man merkt hier schon bei Carlo, dass er sich das nicht gefallen lassen wird.

Bestimmt schmiert er sich Brote in der Küche, belegt sie mit Pfeffersalami oder Camembert, dazu geviertelte Tomaten mit Kräutersalz, wie er es von seiner Mutter gewohnt war. Damit setzt er sich an seinen Esstisch und schaut mit finsterer Miene die Nachrichten.
Das ist toll. Geviertelte Tomaten mit Kräutersalz. Das muss man sich erstmal zu schreiben trauen. Wirklich toll.

Ich fange zwei vorbeilaufende Frischlinge, die merkwürdig rund und glatt sind und an einer langen Schnur zusammengebunden, und wir essen ihr rohes Fleisch.
Ja, es macht mir in beiden Geschichten Freude nach diesen Dingen zu sehen. Dieser Traum und was sie da hat, also dieser Traum mit einer Rückwendung ins Tierische – was ist das? Eine enge Verbindung, auf einer vor-bewusstlichen Ebene ,und sie fressen da gemeinsam, sind untererdig … ist das die unterdrückte Sexualität, die da Bahn bricht? Es ist die Frage, wie der Traum bei Jo gewesen wäre. Und dann immer die Mutter. Mit der Studienzeit und dem Sessel … die Mutter, das ist ja beiden Figuren klar, ist durch einen Mann gebrochen worden. Durch die Liebe, durch die Leidenschaft. Und es fällt schon auf, dass in diesen Situationen die Mutter immer nicht weit ist.

Ich hätte wahrscheinlich eine Aluprothese mit Gelenk und Fuß, die sich deutlich an meinem Hosenbein abzeichnete. Die Leute hätten Mitleid mit mir, weswegen ich im Sommer nur noch knielange Röcke tragen würde. Der Bus würde nie mehr vor meiner Nase wegfahren. Mütter würden ihre Kinder auffordern, mir einen Butterkeks abzugeben. Luigi würde mir an schönen Tagen eine Pizza schenken.
Ich mag das sehr, aber Luigi passt nicht. Der hätte in Jos Geschichte gepasst, du hast diese Idee mit ihm noch gar nicht eingeführt. Also hier an diesem prominenten Platz, am Ende dieser Idee, als Abschluss, die Position hat er sich in deiner Geschichte nicht verdient.

Mutter ist im Nachthemd und ich versuche, nicht hinzusehen.
Gut, dass in der Geschichte keine Zigarre vorkommt! :)

„Ich heiße Francine. Mein Vater ist Franzose. Kann ich Ihre Katze streicheln?“
Ich muss da jedes Mal an Signs denken, wenn das kleine Mädchen sagt: „Da ist ein Monster unter meinem Bett. Kann ich ein Glas Wasser haben?“ Und beide Sätze genau gleich betont, so als seien sie gleich wichtig.
So stell ich mir das hier auch vor, dass die drei Sätze, die so verschieden sind, mit der gleichen Selbstverständlichkeit ausgesprochen werden.

Der Versuch, sie mir als junge Frau vorzustellen, klappt nicht, nicht bei ihr. Sie ist wie eine Institution, wie eine Mutter, die man viel zu oft sieht, als dass man ihr Altern beobachten könnte.
Ach, das arme Kind. In dem Satz ist ja die Tragik drin. Das arme Mädchen stellt sich jeden Tag die eigene Mutter vor, wie sie mal jung war.
Die Psyche ist da so versteckt, in diesen beiden Figuren, das ist schon sehr interessant, in diesen Steinbrüchen dann zu hämmern. Dieser Rollenprosa-Ansatz der Ich-Erzählerinnen, ich denke sowohl du als auch Jo habt euch beide gut in diese Figur rein versetzen können.

Zuhause sitzt Mutter auf dem Balkon und döst.
Es ist auch interessant, wie diese Figur rüberkommt. Bei Jo ist sie behäbiger und italienischer. Bei dir wirkt sie fragil und trocken. Es ist eine sehr ähnliche Figur, mit zwei verschiedenen Facetten oder Nuancen. So wie Croissant und Ciabatta.

Erstaunlich, wie solche Narben mitwachsen, finden sie nicht? Ich glaube, die war früher viel kleiner.“
„Dein Vater hätte besser aufgepasst.“
„Ja, nicht. Andererseits, wer hat sonst eine Narbe, die aussieht wie ein Katzenkopf?“
Ich denke, das ist der Hauptunterschied zwischen den beiden Geschichten.
Dieser Dialog hier ,mag an der Stelle auch wieder eine Lüge sein, aber er erklärt die Geschichte. Deine Erzählerin ist mit sich im Reinen: Sie hat das alles unter einen Hut gebracht. Mein Vater hat mich verlassen, und das hat Narben in mir hinterlassen, aber es hat mich auch zu der gemacht, die ich gerade bin. Und meine Mutter zerbricht vielleicht daran, aber das ist halt so.
Und bei Jo ist es so: Ich hab doch keine Narben. Mit mir ist alles okay. Huch, meine Mutter. Oh ja, der geht’s schlecht. Wer hat denn da wieder ihre Couch kaputt gemacht?
Das ist der Unterschied zwischen den beiden Figuren, er liegt allein in der Erzählerin. Jos Erzählerin ist dann tatsächlich dadurch besser geeignet eine dramatische Geschichte zu erzählen, weil sie zu ganz anderen Handlungen fähig ist. Das mit der Mutter, der Versuch, sich selbst durch sie zu retten, und die Unfähigkeit, sich das überhaupt einzugestehen, weil man selbst ja natürlich überhaupt keine Probleme hat.
Und hier in dieser Szene wird deine Figur klar, und auch der Sinn dieses Aufbaus. Sie hat sich mit der Narbe richtig angefreundet.


Mit dem achtundreißiger Bus kurz nach dreizehn Uhr kommt Carlo. Ich sage nichts. Auch er sagt nichts, sondern steht da wie angewurzelt und schaut stumm zu mir, zu der Katze auf meinem Schoß und dann zu der Alten, die sich erhebt und auf ihn zutappt.
Ja, und das ist jetzt auch die Schwachstelle, weil die Geschichte dann nicht mehr so aufgeht.
In dieser Situation sitzt die Frau da und wartet auf ihren Sohn.
Und die Erzählerin sitzt da und wartet auf irgendwas. Es ist die Frage. In Jos Geschichte möchte die Figur erst sich selbst nur irgendwie anders und mit einer anderen Mutter (Kerstin), dann möchte sie einen Vater (Luigi) und dann möchte sie jemanden, der sie so nimmt wie sie ist (Horst).
Und in deiner Geschichte: Die Figur will eigentlich eine neue Mutter. Da wird ja ständig geschaut, wo man unterschlüpfen könnte. In der ersten Szene schon: Die dicken Frauen achten auf ihre Kinder. Und dann Supermarktverkäuferinnen. Und diese Frau dort.
Und in deiner Geschichte von der Konzeption her, ist Carlo eigentlich dann das, was die Erzählerin gern sein möchte. Das Kind dieser Frau.
Ja, und die Erzählerin möchte sich dann da einklinken. So: Wir zwei sind deine Kinder. Das ist dann natürlich asexuell. Ich dachte erst, dass Carlo der Vater sein könnte, auf den sie wartet, aber das tut sie ja eher in Jos Geschichte, hier ist das eigentlich erstrebenswerte diese Katzenmutter.
Und ich denke, das geht alles nicht so richtig einwandfrei auf. Was diese Figur da genau möchte. Es ist auch undramatischer und mehr ein Streifen als bei Jo.

Ich hab mich sehr gern mit der Geschichte beschäftigt. Ich denke es ist wirklich eine der schönsten und reichhaltigsten Figuren, die ich hier je gesehen habe. Im Wechselspiel mit der Geschichte von Jo gewinnt es natürlich. Diese Figur der Franc ist schon in beiden Versionen, richtig, richtig toll. Die hier ist lebensfähiger und zahmer als die andere, auch angepasster, sie hat nicht so mit sich zu kämpfen. Das schmälert die Wirkung aber gar nicht.

Also mir hat’s sehr gut gefallen
Quinn

P.S.:
(@Herr Q, ja, du hattest auch ein gutes cw geschrieben. :P aber leider nicht so gut wie Mademoiselle Apfelstrüdeel)
Du hattest damals auch noch nicht so gute Geschichten zum kopieren wie heute … Stinker!

 

Hallo fiz!

Ja schade, bei dir hats also nicht gezündet. Du triffst aber auch genau ins Schwarze: Was du da bemeckerst sind genau die Sachen, die mich auch beim Schreiben schon verunsichert haben. Erst bin ich ganz gut reingekommen ins CW, die Mutterfigur hat mir echt Spaß gemacht, die Erzählerin auch, hat halt alles so hübsch geflutscht. Aber es ist schwierig, eine so durchdachte Geschichte, wie es die Vorlage ja schon ist, so anzugehen wie ich das gemacht habe. Das ist mir beim Schreiben erst bewusst geworden. Das Verhalten der Protagonisten ist eben in sich sehr schlüssig, und einen ähnlichen Ausgangspunkt zu wählen wie in der Vorlage resultiert halt darin, dieselbige einfach nochmal neu zu erzählen, was ich ja eigentlich nicht wollte (ist das irgendwie verständlich?). Das hat mich dann letztendlich aus der Bahn geworfen und ich musste erstmal bisschen nachdenken, deswegen hat sichs auch so gezogen.

Ja der doofe Horst. Mein Ziel war es ja eigentlich, aus Carlo den besseren Horst zu machen, weil der für mich im Original auch das Hauptmanko war. War dann doch nicht so einfach. Mir ist auch bewusst, dass er eigentlich so eine unwirkliche Person ist, man weiß wenig über ihn, er ist relativ blass. Das wurmt mich auch ganz schön.

Es fuehlt sich so literarisch-konstruiert an.
Ich verstehe das absolut. Ich glaube, dass ich das auch schon selber unter andere Geschichten geschrieben hab. Für mich fühlt es sich aber erstmal gut an, überhaupt was literarisch Durchdachtes geschrieben zu haben. Das ist jetzt natürlich nur ein Score auf persönlicher Ebene. :p Aber sonst hab ich nur so lauter impulsives Zeug geschrieben, was mein Unterbewusstsein so produziert hat. Das war dann natürlich nicht völlige Willkür, aber es waren einfach Geschichten, über die ich mir selber nicht so ganz bewusst war bzw. die ich selber erst im Nachhinein interpretieren musste. Naja, bis auf die Mischageschichte. Jetzt ist es ja lange genug her, dass ich das zugeben kann.

Das nervt mich immer, wenn Figuren sich so betont strange verhalten. Dass sie zum Beispiel darauf besteht, ihn Carlo zu nennen ist auch so ein Beispiel. Das macht literarisch Sinn, aber ein echter Mensch wuerde es nicht tun.
Hmm, ich glaube sowas in der Art habe ich selbst auch an ähnlicher Stelle bei Jo kritisiert. Seltsamerweise hat es sich beim Schreiben aber überhaupt nicht verkehrt angefühlt. Dieses "ein echter Mensch würde es nicht tun" ist so ein Totschlagargument. Was soll man dazu sagen? Alles was ich jetzt entgegnen könnte wäre dadurch ja sofort entkräftet. Für mich muss sich eine Geschichte bzw. eine Figur nicht an der (sozialen) Realität messen können. Sie muss innerhalb der literarisch konstruierten Realität glaubhaft sein.
oder eine Weberin, die an einem Webstuhl sitzt?
Das würde aber nicht zu der Bewegung passen, die ich vor Augen hab.
Das fand ich super, auch das "Hahnentrittmuster"
Ja, viele Tiere in der Geschichte. :) Bin sehr froh, du zitierst die Stellen, die ich selber auch am liebsten mag. Das ist mein Rettungsanker. :p

Danke dir fürs Kommentieren!

Hey Fliege!

Und nun was wirklich Gemeines.
Bin schon groß, ich verkrafte das. :)
Jo hat es nicht geschafft dem Horst Leben einzuhauchen und für mich, ist er in dieser Geschichte auch die schwächste Figur.
Ich weiß, ich weiß ... Und ich kann deine Gründe auch vollkommen nachvollziehen, du zielst da, genau wie feirefiz, auf meine eigenen Zweifel ab. Horst ist nix geworden, ich hätte den echt gern besser hingekriegt. Aber dann hätte ich wahrscheinlich noch ein paar Monate gebraucht.

Dass das Ende konstruiert wirkt, kann ich auch verstehen, eben weil es konstruiert ist. Ich wollte halt unbedingt eine in sich geschlossene Geschichte und nicht so ein dröseliges "hu okay ich lass mal alles offen!"-Ende wie ich es sonst immer so gemacht hab. Das wirkt zwar leichter elegant, ist aber auch etwas beliebig und zu einfach.
Gut jedenfalls, dass dir die Geschichte losgelöst vom Original gefallen hat, das finde ich persönlich ziemlich wichtig, ich begreife das Copywritespiel nicht so als das Schreiben von Sekundärliteratur oder irgendwas in der Art.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Tag Frau Black!

beim ersten Mal las es sich tatsächlich wie ein Mosaik, wie ein Flickenteppich, passte irgenwie nicht so richtig zusammen, klang aber trotzdem richtig. Das hatte wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass ich immer meine Geschichten im Hinterkopf hatte und sie einfach nicht zusammenbringen konnte. Beim zweiten Mal lesen gefiel mir dein cw viel besser, also ähnlich wie Fliege.
Finde so Leseerlebnisreport immer sehr spannend, weil das ja was ist, was ich aus meiner Position so nicht nachempfinden kann. Also die Struktur und überhaupt das meiste ist ja aus Mädchen, die von Männern träumen. Aus den anderen habe ich ja nur die alte Frau mit ihrer Katze und den Lehrer. Und die Zitronen. :)
warum du Horst in die Geschichte kopiert hast, obwohl du ihn auch nicht in meiner Geschichte haben wolltest und hier vermasselt er auch so bisschen diese schöne Geschichte.
Wie, was, warum, das hab ich nie behauptet! Horst fand ich nicht besonders plastisch und glaubhaft als Figur. Aber ich hab nie seine bloße Existenz ...! Aber ja, mit dem Vermasseln hast schon recht. Das hab ich ja schon zweifach zugegeben.
Ein Katzentyp halt. Tatsächlich fügt sich die Hundkatz-Geschichte super in die Mädchen-Geschichte ein.
Yeah. Aber ich hab mir jetzt vorgenommen: Ich werde nicht mehr über Katzen schreiben. Klingt, als würde ich wahnsinnig viel psoduzieren, dem ist offensichtlich nicht so, ähm ... daher kommt das als Vorsatz gleich nach: 1. Mehr Geschichten schreiben.
Ich weiß, dass ich immer die Wörter in den Sätzen verdrehe, und wenn du das machst, dann verunsichert mich das, weil du ja die Deutsche bist. :P Also, Sie ist immer dort, wenn ich vorbeikomme, oder nicht?
Nuja, grammatisch ist der Satz schon korrekt so, mich stört der von der Sprachmelodie nicht im geringsten, aber feirefiz hat das ja auch schon gestört und für mich macht es keinen großen Unterschied.
Du neigst auch gerne mal zu längeren Sätzen. Das ist manchmal ermüdend, doofes Beispiel, aber das hier. Ich würd daraus ein "aus Mamas Portemonnaie" machen. Und dann Punkt, neuer Satz. Aber deine Geschichte, deine Sätze.
Nee, das bleibt so. Mama wär irgendwie inkonsequent.
Wie war das mit dem Schultheater? :P
:D Ja, der Dialog ist schon Schmerzgrenze, auch bei mir. Ich werd mal sehen was ich damit mache.
Völlig unklar. Es soll Francs Bemühen um eine Freundschaft oder Kontakt zu Maria dargestellt werden, ich finds nicht gelungen. Manchmal lacht sie auch ohne jegliche Motivation, wenn sie da bei Carlo abgeht, dabei hat er gar keinen Witz gemacht, und die Situation ansich ist völlig witzlos, ich verstehe sie da einfach nicht.
Hmm. Also ich habe so ein Bild von Carlo im Kopf (ich glaube, das ist furchtbar unklug, das zu sagen, aber): Er sieht aus wie Leon der Profi und ist so neurotisch wie Svend aus Dänische Delikatessen (bzw. der Pfarrer aus Adams Äpfel, die sind sich da ja recht ähnlich). Und das Lachen, also in der Szene am Fluss, ich finde das schon eine komische Situation. Ich hab mir Carlo da halt furchtbar neurotisch vorgestellt. Aber gut, das kann auch wieder arg mit Leservorstellungen kollidieren, ich werd da drüber nachdenken.
Albern. Versuch nicht die Spannung aus der Situation zu nehmen, das ist ein trauriger Moment und da gehören meiner Meinung nach solche Sätze nicht hin.
Und Quinn will auch noch, dass Luigi rausfliegt. Aber bleibt beides drin, die Butterkekse und Luigi!
Nein, ernsthaft, ich finde das überhaupt nicht albern, meine Intention war da auch nicht albern. Es ist halt eine Spinnerei von der Prota, so eine Art vom Hundertsten ins Tausendste kommen, eine Reihe immer beliebiger werdender Beispiele.
Sie laufen nicht auf ein bestimmtes Ziel zu, es steckt kein Plan dahinter, es sind nur bestimmte Charaktere, die aufeinander treffen. Da tragen die Figuren die Geschichte und das ist hier auch der Fall, es sind die Geschichten der Figuren, die erzählt werden.
Yessir!
Man hört nicht ob Franc oder Frank, kannst du also weglassen.
Doch, bei mir schon, weil: Ihr Vater ist Franzose! Für mich klang dieses "Franc" eh schon immer so nasal, insofern gibt es schon einen Unterschied zu "Frank".

So, freut mich natürlich sehr, dass dir das Copy gefallen hat. Mir hats auch echt Spaß gemacht es zu schreiben. Das waren einfach alles sehr ergiebige Figuren und Motive. Und so ein CW ist auch die beste Art und Weise, sich mit einer Geschichte auseinanderzusetzen, man versteht so viel mehr als nach zwei, drei oder auch vier Mal lesen.

Ich stell dich vielleicht als Sekretärin ein, wenn ich reich und berühmt bin, mal sehen.
Da musst du aber wirklich sehr, sehr, verdammt gut zahlen. Weißt, noch bin ich jung und hab Träume. ;)


Okay, Quinn, deinen wirklich monströs (!) langen Kommentar muss ich das nächste Mal beantworten, jetzt muss ich pennen.

Danke und tschüss!
strudel

 

Hallo Strudel,

wollte nur eben was berichtigen.

Zitat:
oder eine Weberin, die an einem Webstuhl sitzt?

Das würde aber nicht zu der Bewegung passen, die ich vor Augen hab.

Schlimm. Da wollte ich witzig sein und habe die Botschaft vergeigt. Ich wollte damit nur sagen, dass es vielleicht gut waere die Spinnerin-Spinnrad Wiederholung zu vermeiden.

Und wo ich jetzt schon hier bin:

Für mich muss sich eine Geschichte bzw. eine Figur nicht an der (sozialen) Realität messen können. Sie muss innerhalb der literarisch konstruierten Realität glaubhaft sein.
Das stimmt schon, aber das ist sie ja nur, wenn man beim Lesen trotz ungewoehnlicher Verhaltensweisen nicht denkt "das ist aber sehr kuenstlich, jetzt". Vielleicht war es auch nur bei Dir irritierend, weil Du sowas Konstruiertes eben sonst nicht hast, das war mir sonst immer alles sehr natuerlich, wenn auch undramatisch. Bei Jos Figuren wundert man sich nicht so sehr, wenn die sich seltsam verhalten, Sofas zerfetzen und so (abgesehen vom Horst-Part).

lg,
fiz

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Quinn!

Sorry, dass das mit dem Antworten ein bisschen dauert, bei mir ist es zur Zeit echt stressig, ich komm schon gar nicht mehr runter vom Koffein. Und dein Kommentar verdient ja schon mehr als ne kurze und knackige Antwort, die ich mal eben zwischen Tür und Angel schreiben kann. Ich dachte ja schon bei Mischa weint: Woah. Dasn langer Kommentar! Aber der steckt auch schon ganz schön weg gegen den hier. :p

Deine Interpretation gefällt mir sehr gut! Ist auch toll zu lesen, wenn jemand sich so viele Gedanken zu einer Geschichte macht.

Bei Jo ist sie ein gebrochener Baum, auf dem Sofa verwurzelt, bei dir ist sie eine Pflanze.
Der Vergleich ist cool, den muss ich zitieren und für die Nachwelt aufbewahren, falls du irgendwann mal aufgrund deiner unverschämten Forentrollaktivitäten gelöscht wirst. Wie gesagt, die Mutter ist eine Figur, die mir viel Spaß gemacht hat. Ich hatte schon ein bisschen Bedenken, dass sie etwas überzeichnet ist (was natürlich der Fall ist), aber für mich gehört die genauso. Ich seh sie auch so: Irgendwie unbeweglich, um bloß zu verhindern, dass die Nostalgieseifenblase, in der ihr Kopf da steckt, platzen könnte. Und das gibt ihr irgendwie etwas Pflanzenhaftes, ja. In meinem Kopf hat sie auch ständig die Augen geschlossen und hält praktisch den ganzen Tag ihr Gesicht in die Sonne. Und sie trägt so komische Satin-Morgenmäntel. :p
Die Erzählerin ist neugierig auf die ganze Welt. Und Carlo ist es gar nicht gewohnt, dass sich überhaupt wer für ihn interessiert.
Yes! Ja der Carlo, ich glaube, hätte ich die Geschichte gleich durchgezogen, hätte er besser werden können ... Ach je. Also mich freuts natürlich, dass es für dich irgendwie funktioniert, aber ich seh natürlich trotzdem, dass er irgendwie keine richtig lebendige Figur geworden ist.
Die Erzählerin entwickelt – auch in beiden Versionen – komplizierte Lügengeflechte, und erzählt was vom Pferd und hat so viele Gedanken – und es juckt überhaupt keinen in den ganzen Geschichten.
Ja genau! :)
Dafür ist deine Erzählerin auch zu jung, hat man das Gefühl. Durch die hellere, freiere Sicht auf die Geschichte wirkt deine Erzählerin viel jünger als Carlo. Es verschiebt sich da der Größen- und Altersunterschied, durch die unterschiedliche Einstellung von Franca zu ihrer Umwelt im Vergleich zur Orginalgeschichte.
Also mit dem Alter, keine Ahnung. Für mich ist die Erzählerin auch so ca. 16. War sie ja in Jos Geschichte auch, soweit ich mich erinnere. Ich finde das biologische Alter da aber gar nicht so wichtig, zwischen 10 und 20 sind die Leute doch eh krass unterschiedlich entwickelt.
Ich stolper jedes Mal über den Satz, weil der unheimlich nach Jo klingt. Dieses leicht Tappsig-Umständlich. Lachen – Bemühen – sagen. Das ist sehr schön.
Ja, jetzt wo du's sagst, der Satz ist echt ein bisschen umständlich. :p
Das ist schon sehr gut. Dadaistisch.
Hast du eine Mutter, hast du immer Butter.
Kurzer Poesie-Flash. :D Ich mag die Szene da auch echt ganz gern.
Bei deiner Figur ist das noch alles sehr ein Spiel. Maria wird zugezwinkert. Hier der Freund. Da ist alles sofort mit einer Pose verbunden. Wie ein Theaterstück.
Das Gezwinker will ich echt gern drinlassen, auch wenn Jo es doof findet. Für mich gehört das definitiv zur Erzählerin, zu ihren ganzen Lügengeschichten. Sie testet ja schon ihre Grenzen aus: Was muss sie sagen, um Aufmerksamkeit von ihrer Mutter zu kriegen, was passiert wenn sie den Lehrer anflirtet, oder Maria. Aber es hat mehr was von Ausprobieren bei ihr, nicht von tatsächlichen Intentionen.
Und hier in der Wirklichkeit, da will sie sich ihm anpassen, und es geht nicht, und er will aber auch nicht, und sie hält ihn zwar fest, aber es macht auch gar keinen Spaß.
Yeah. :)
Das ist toll. Geviertelte Tomaten mit Kräutersalz. Das muss man sich erstmal zu schreiben trauen. Wirklich toll.
Haha. Ja, warum auch nicht. War ganz einfach. :p
Dieser Traum und was sie da hat, also dieser Traum mit einer Rückwendung ins Tierische – was ist das?
Okay, das war die Szene, bei der ich ins Stocken geraten bin. Ich wollte an der Stelle unbedingt eine Traumsequenz und hab erst angefangen, mir da was auszudenken, irgendwas mit dem Sessel und dem Hahnentrittmuster und Carlos Gesicht, das aus dem Hahnentrittmuster entspringt ... Aber es war echt ziemlich scheiße. Ich hab dann gemerkt, dass es einfach verdammt schwer ist, sich Träume auszudenken, weil Träume ja auf einer ganz anderen Abstraktionsebene stattfinden. Deswegen ist das auch die einzige Szene in der Geschichte, die intuitiv und nicht durchdacht ist. Und grad deswegen ist deine Interpretation für mich ziemlich spannend.
Es ist die Frage, wie der Traum bei Jo gewesen wäre.
Yessir.
Ich mag das sehr, aber Luigi passt nicht. Der hätte in Jos Geschichte gepasst, du hast diese Idee mit ihm noch gar nicht eingeführt. Also hier an diesem prominenten Platz, am Ende dieser Idee, als Abschluss, die Position hat er sich in deiner Geschichte nicht verdient.
Naah, das hab ich schon zu Jos Kommentar geschrieben. Luigi bleibt, genauso wie die Butterkekse. Ich kann doch nicht beide rausschmeißen, und ich seh das nicht so eng an der Stelle. Es ist halt einfach eine Spinnerei.
Mein Vater hat mich verlassen, und das hat Narben in mir hinterlassen, aber es hat mich auch zu der gemacht, die ich gerade bin. Und meine Mutter zerbricht vielleicht daran, aber das ist halt so.
Ja ... so expliziert klingts fast schon dramatisch. Aber ich glaube, das trifft es ganz gut. Deswegen ist es auch gar nicht so fies, dass die Mutter irgendwie zurückbleibt, wie Fliege meinte. Die Erzählerin weiß halt, dass mit ihr nichts anzufangen ist. Und direkt unglücklich ist die Mutter ja auch nicht, sie lebt ja in der Vergangenheit.
Und bei Jo ist es so: Ich hab doch keine Narben. Mit mir ist alles okay. Huch, meine Mutter. Oh ja, der geht’s schlecht. Wer hat denn da wieder ihre Couch kaputt gemacht?
:D
Das ist der Unterschied zwischen den beiden Figuren, er liegt allein in der Erzählerin. Jos Erzählerin ist dann tatsächlich dadurch besser geeignet eine dramatische Geschichte zu erzählen, weil sie zu ganz anderen Handlungen fähig ist.
Jaaa, das hab ich dann auch gemerkt. Die Erzählerin hier ist nicht so der Typ zum Sofas zerstören. Hätte ich sie sowas machen lassen, hätte die Geschichte wohl noch konstruierter gewirkt als jetzt.
Und ich denke, das geht alles nicht so richtig einwandfrei auf. Was diese Figur da genau möchte. Es ist auch undramatischer und mehr ein Streifen als bei Jo.
Hm. Hm! Ich versteh das Problem nicht ganz. Also, würdest du sagen, die Geschichte geht zu perfekt auf (wie feirefiz ja auch meint), dann wär die Sache klar, könnte ich auch nachvollziehen. Die Geschichte ist halt eher ein Suchprozess der Erzählerin, das stimmt schon ...

Also echt, vielen Dank für die Gedanken, die du dir zu der Geschichte gemacht hast, und vor allem, dass du sie aufgeschrieben hast. Hat mir selber auch nochmal einige Perspektiven aufgezeigt, das ist immer cool. Übrigens gilt dir auch meine Anerkennung dafür, wie du es schaffst, so exorbitante Kommentare komplett smileyfrei zu schreiben.


Und nochmal hallo feirefiz,

das mit der Spinnerin ist wirklich eine blöde Wortwiederholung, mir ist das schon beim Schreiben bewusst gewesen. Mir ist aber ernsthaft nichts Gescheites dazu eingefallen. Und jetzt ist mir der Vergleich irgendwie wichtiger als die Wiederholung, naja. Wenn mich ein Geistesblitz trifft, werd ichs berichtigen.

Das stimmt schon, aber das ist sie ja nur, wenn man beim Lesen trotz ungewoehnlicher Verhaltensweisen nicht denkt "das ist aber sehr kuenstlich, jetzt".
Hast ja recht.
Vielleicht war es auch nur bei Dir irritierend, weil Du sowas Konstruiertes eben sonst nicht hast, das war mir sonst immer alles sehr natuerlich, wenn auch undramatisch. Bei Jos Figuren wundert man sich nicht so sehr, wenn die sich seltsam verhalten, Sofas zerfetzen und so (abgesehen vom Horst-Part).
Hu! Okay. Für mich ist die Verhaltensweise nach wie vor nicht so derbe komisch, der Plot (vor allem das Ende) ist schon konstruiert, also mit der Kritik kann ich was anfangen. Aber die Personen verhalten sich für mich innerhalb der Geschichte schon recht natürlich.

Danke nochmal für die Rückmeldung! Daran hab ich was zu knabbern, aber ist gut, dass ihr mir Futter gebt, kann ich gut gebrauchen.

Gruß!
strudel

 

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