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Unverschämtheit!

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27.03.2003
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Unverschämtheit!

Mürrisch stöckelt Hanne über den Marktplatz ihrer kleinen Heimatstadt. Kopfsteinpflaster!

Wie sie es haßt! Das halten die besten Schuhe nicht aus!

Überhaupt ist es eine Qual, hier einzukaufen, kein einziger vernünftiger Laden mehr, nicht mal Hosengummi ist mehr zu bekommen, dafür reiht sich nun ein Postkartenständer an den anderen. Alles nur noch für die Auswärtigen, wie Herbert immer sagt!

Ihre Füße schmerzen, sie muß sich setzen!

Zielstrebig steuert sie auf die kleine Eisdiele zu, läßt sich aufatmend an einem runden, blauen Tisch im Freien nieder, hält Ausschau nach der Bedienung und bestellt: „Einmal Erdbeer mit Sahne, wie immer!“ „Kommt sofort, schöne Frau!“ Dienstbeflissen macht sich der junge Mann an die Erfüllung ihres Wunsches.

Man mag von den Italienern halten, was man will, freundlich sind sie ja schon! Und so charmant! Die wissen, was eine Frau sich wünscht!

„Darf ich gleich kassieren?“ reißt sie der Kellner aus ihren schwärmerischen Gedanken, „es geht nicht anders hier draußen!“

Lächelnd zahlt Hanne, wirft ihm noch einen wohlwollenden Blick hinterher und wendet sich dann ihrem Eisbecher zu. Wie dumm, der Löffel fehlt!

Das ist ja wieder mal typisch! Komplimente verteilen, aber das Wesentliche vergessen! Herbert hat schon recht, was nutzt das ganze Getue, im Leben zählen andere Dinge!

Seufzend erhebt sie sich von ihrem Platz und nimmt ärgerlich an der Theke den fehlenden Eislöffel entgegen. Ach, ihm tut es leid? Das hilft jetzt auch nichts mehr. Wenn man nicht alles selber macht!

Unwillig und mit dem Gedanken, sich beim nächsten Mal das Trinkgeld zu sparen, schlängelt Hanne sich durch die Tischreihen zurück und glaubt ihren Augen nicht zu trauen.

Ein großer, dunkelhäutiger Mann sitzt an ihrem Platz und macht sich in aller Seelenruhe über ihren Eisbecher her. Welch eine Unverschämtheit! So weit ist es also schon!

„Lass’ bloß nie deine Sachen aus den Augen, dieses Gesindel reißt sich alles unter den Nagel“, pflegt Herbert sie immer zu ermahnen.

Und jetzt das! Aber nicht mit ihr! So nicht!

Mit einem erbosten „Jetzt aber!“ setzt Hanne sich zu dem Schwarzen an den Tisch. Sie holt tief Luft, greift schnell nach dem kleinen silbernen Tablett und zieht es mit einem Ruck auf ihre Seite.

Verblüfft hält der fremde Mann inne, ringt vergeblich um Worte und verfolgt mit weit aufgerissenen Augen, wie Hanne beginnt, ihr Eis zu löffeln.

Soll er nur schauen! Damit hat er wohl nicht gerechnet! Der glaubt wohl, sie gehört zu denen, die sich alles gefallen lassen! Aber vor ihr als Frau hat der ja sowieso keine Achtung!

Als würde es nicht reichen, daß er und seinesgleichen hier auf ihre Kosten leben.

Politisch verfolgt, von wegen! Faul und arbeitsscheu sind sie, alle miteinander!

Machen sich hier einen schönen Lenz, während Männer wie Herbert sich täglich neun Stunden lang an der Drehbank die Beine in den Bauch stehen! Wen wundert es da, daß seine Laune von Tag zu Tag unerträglicher wird? Wie gut, dass er sie jetzt nicht sehen kann! Seine Frau mit einem Ausländer am Tisch! Und warum hat dieser unverschämte Schwarze nicht einmal soviel Anstand, aufzustehen und sich zu entfernen, nachdem ihm seine miese Gaunerei nicht gelungen ist?

Aufgebracht stochert Hanne in ihrem Eisbecher. Was ist das nur für ein Mensch? Was geht wohl in seinem Kopf vor? Denkt er schon über seine nächste Schandtat nach? Wie kann er ihr dabei nur so offen in die Augen schauen? Das beweist doch seine ganze Durchtriebenheit!

Entspannt zurückgelehnt sitzt der fremde Mann ihr jetzt gegenüber und mustert sie mit neugierigem Blick. Er lacht sie sogar an und zwei Reihen strahlend weißer Zähne blitzen ihr aus dem dunklen Gesicht entgegen.

Das ist ja wohl die Höhe! Der Kerl macht sich auch noch lustig über sie!

Wütend starrt sie zurück. Registriert dabei seine freundlichen Augen, das glänzende, kurzgeschnittene Haar, die durchaus modische Kleidung, seine gepflegten Hände, seine ganze, angenehm wirkende Erscheinung. Wenn sie ihn da so mit Herbert vergleicht!

Aber Kunststück! Diese Typen sitzen ja den ganzen Tag nur in der Sonne, schneiden sich die Fingernägel und lassen den Herrgott einen braven Mann sein! Da kann man leicht gut aussehen! Von denen macht sich ja keiner dreckig. Und die Rotkreuz-Kleiderkammer gibt ja auch so einiges her, das ist nicht zu übersehen. Umsonst und für nichts. Asylant müßte man sein! Kost und Logis frei! Bekommen die nicht sogar ein Taschengeld? Es ist einfach eine Schande! Ach! Jetzt wird es ihm wohl doch ungemütlich. Wird aber auch Zeit!

Langsam und gelassen steht der Fremde von seinem Platz auf, greift nach seiner Jacke, schiebt seinen Stuhl ordentlich an das kleine Tischchen, betrachtet Hanne noch einmal lächelnd und wünscht ihr in erstaunlich flüssigem Deutsch einen weiterhin guten Appetit und dazu noch einen angenehmen Tag.

Frechheit! Hat dieser Kerl denn nicht einmal die Spur eines schlechten Gewissens? Der traut sich tatsächlich, ihr jetzt noch eine schöne Zeit zu wünschen? Die hat er ihr doch gerade eben gründlich verdorben. Es ist unglaublich!

Trotz aller Empörung kann sie es nicht lassen, nach einer Weile verstohlen den Kopf zu drehen und dem Fremden nachzuschauen. Hochaufgerichtet und ohne Eile schlendert er über den sonnigen Marktplatz des kleinen Städtchens und betrachtet dabei interessiert die verschiedenen Auslagen der Schaufenster. Als ob der sich was kaufen könnte! Das ist doch pure Provokation!

Resigniert seufzend wendet Hanne sich wieder um und ihr Blick fällt dabei auf das runde, blaue Tischchen unweit von ihr.

Ein Eisbecher steht dort. Auf einem kleinen, silbernen Tablett.

Hellrosa, in der Sonne zerlaufenes Erdbeereis. Mit Sahne. Aber ohne Löffel.

 

Hm, ja, ist ja alles schön und gut, und was die Moral betreffen soll, deinen Absichten in Ehren, aber die Geschichte kommt mir um eine einzige Ecke rum ziemlich bekannt vor...
Mit dem unbedeutenden Unterschied, dass es sich bei der mir bekannten Version um keinen "Ausländer in dem Sinne" handelt, sondern um einen Schwarzen; und der Austragungsort ist nicht ein Café, sondern ein Restaurant. Der Name der Heldin war, glaub´ ich, "Grete Hehmke" oder so ähnlich, hatte wir in der 11. Klasse (also vor knapp 7 Jahren) analysieren müssen... Kann sich vielleicht irgend jemand an den Titel der Geschichte erinnern?

Tja...was tun, in einem solchen Fall? Mal ehrlich, hast du hier "bißchen" abgekupfert oder tatsächlich alles selbst ausgedacht?

 

Hah, genau, wusste ich es doch. Danke für die schnelle Recherche, Bibliothekar!

Genesis, ich warte auf eine vernünftige Erklärung.

 

Hi Hendek,
eine 11. Klasse hab' ich, im Gegensatz zu dir, nicht durchlaufen, und selbst wenn, sie wäre schon so lange her, dass ich mich kaum mehr daran erinnern könnte.
"Grete Hemke" kannte ich nicht, allerdings hab' ich die Geschichte eben gelesen. Tja, mir fällt da nix dazu ein, außer, dass ich DIESE für meine hielt!

Gruß
Genesis

 

Die Klasse - ob 11., 10., 12., 13., - spielt hierbei überhaupt keine Rolle. Die Bennenung diente für mich selbst lediglich als Erinnerungsstütze.
Tatsache und somit relevant ist nur, dass gleiche (nicht selbe) Geschichte nun mal existiert.
Fraglich ist momentan nur, wie wir in diesem Falle fortfahren.

Nun gut, du hast Stellung dazu bezogen; alles Weitere warten wir mal ab.

 

außer, dass ich DIESE für meine hielt!
Sorry, daß ich mich da einmische - aber wieso "für meine hielt"? Wer sollte es wissen, wenn nicht Du?

 

Hallo Häferl,
die Geschichte ist MEINE, heißt, ICH habe sie geschrieben. Falls Ähnlichkeiten mit einer schon existierenden Geschichte bedeuten, dass es nicht mehr meine ist, dann HIELT ich sie wohl nur dafür. Ja?

 

@Hendek,
meine Hochachtung, lieber Hendek, für dieses Feingespür und Erinnerungsvermögen. Sich an denselben Plot zu erinnern, dazu gehört schon was.

@Bib
alle Achtung, dass du den mit dieser Geschichte vergleichbaren Text so schnell gefunden hast.
Kluges Mädel.:thumbsup:

Also, ich würd die Geschichte so lassen wie sie ist, gut, die Idee ist nicht neu, vielleicht sogar abgekupfert, aber mit diesem Makel muß der Autor leben.
Die Umsetzung, aber, diese hat Hendek ja schon deutlich mit seiner Wortwahl "gleich" anstelle von "dasselbe" vorgegeben, ist ziemlich ähnlich mit der Geschichte von Henning Venske.
Übrigens und insoweit geriert für mich deine Geschichte, @ Genesis, fast zum besten Demonstrationsobjekt überhaupt, hast du das Thema auf viel behäbigere Art und Weise umgesetzt als Henning Venske, den ich im übrigen als hochintelligenten Menschen schätze. Er tritt hier in Hamburg mindestens einmal im Monat in einem Kabarett namens Alma Hoppe auf mit seinem berühmt-berüchtigten Monatsschauer.

Während Venske nicht ansatzweise die Gedanken seiner Protagonistin in Bezug auf ihre Einstellung zu Ausländern sprachlich oder besser gesagt schriftstellerisch in den Vordergrund schiebt, ist in deiner Geschichte diese fast das tragende Element.
Dadurch wirkt deine Geschichte, die im übrigen recht flüssig zu lesen ist, aber etwas schwergängiger und umständlicher.


Lieben Gruß
lakita

 

@ lakita,
stimmt, damit werde ich wohl leben müssen.
Aber du hast zumindest verstanden, was ich damit ausdrücken wollte. Mir ging es übrigens nicht nur um die Einstellung die Hanne in Bezug auf Ausländer hat, sondern viel mehr darum, WOHER, bzw. von WEM sie sie hat. Vielleicht kam das nicht so richtig rüber, aber für mich ist es der Knackpunkt der Geschichte.

Schönen Abend noch!
Genesis

 

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