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Des Fährmanns letzte Fahrt

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14.04.2002
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Des Fährmanns letzte Fahrt

Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Dumpfes Geplätscher erklingt wie Musik, die leise und murmelnd verhallt, während sich Welle um Welle am Schiffsrumpf erhebt und in schäumende Kronen zerfällt. Als weiße Perlen rollen sie nun auf der Oberfläche dahin, den Weg zum Ufer schaffen sie nicht, von der Mitte des reißenden Stroms.

Er ist müde, der Fährmann und kann schon nicht mehr, doch auf ihn wartet noch eine Fahrt. Eine letzte Fahrt für den heutigen Tag, dann der erholsame Schlaf. Das Ufer liegt ins Mondlicht getaucht und scheint nicht mehr weit zu sein. Dort drüben steht eine schwarze Gestalt, fest in den Mantel gehüllt. Es ist eisig kalt und der Abendwind pfeift durch die Bäume und durch das Gebüsch. Der Mantel flattert im stürmischen Wind, der Fährmann erkennt kein Gesicht.

Dem Alten kommt das so schauerlich vor, das Mondlicht, der Wind, die Gestalt. Doch er weiß, es ist schon die letzte Fahrt und dann wartet erholsamer Schlaf. Er legt seine Fähre am Ufer an und die Gestalt steigt schweigend an Bord. Der Fährmann legt ab und bringt seinen Kahn durch die Kraft des Wassers in Fahrt. Eine Weile plätschert das Schiff so dahin und die beiden reden kein Wort. Nur der Nachtwind fährt eisig durch das Gebein und pfeift durch die Ritzen des Kahns.

Der Fährmann ist müd’, sehnt das Ufer herbei, und den erholsamen Schlaf. Doch der Weg ist noch weit und dem Fährmann graut vor der unheimlich dunklen Gestalt. Die Mitte des Flusses ist schon erreicht, das weiß der Alte bestimmt. Da nimmt die Gestalt die Kapuze ab, ihr Haar weht im beißenden Wind. Der Fährmann blickt auf und erstarrt schreckensbleich: Die Gestalt, sie hat kein Gesicht! Der Schreck ist vorbei und er handelt geschwind und springt in die eisige Flut.

Die Gestalt auf dem Kahn ist vorn über gebeugt und reicht dem Fährmann die Hand. Doch der ist entsetzt, denn er sieht kein Gesicht und nimmt diese Hilfe nicht an. „Du bist der Tod und wolltest mich holen!“, ruft er der Gestalt noch nach. Doch da streicht der Wind das Haar zurück und er sieht das Gesicht einer Frau. „Wie kann einer nur so furchtsam sein? Rasch! Nimm meine Hand!“ Doch die Wellen tragen den Fährmann fort, hinaus in die finstere Nacht.

Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Der Fährmann ist müde und kann schon nicht mehr. Es nützt ihm kein Rufen, kein Schreien. Der Kahn ist in weite Entfernung gerückt und mit ihm die helfende Hand. Welle um Welle rollt über ihn und zerrt an dem alten Mann. Den Weg zum Ufer schafft er nicht mehr, von der Mitte des reißenden Stroms.

 
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Liest sich sehr lyrisch. Mir ist aufgefallen, dass jeder Absatz sechs Zeilen hat, aber ich sehe nichts Experimentelles darin.

EDIT: Sehe gerade, dass die sechs Zeilen nur durch meine Auflösung zustande kommen.

 

Liebe Barbara,

in der Druckversion hat jeder Absatz fünf Zeilen, aber ich denke, das Experimentelle an dem Text ist was anderes.

Hier die Geschichte noch mal auszugsweise:
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Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Dumpfes Geplätscher erklingt wie Musik, die leise und murmelnd verhallt, während sich Welle um Welle am Schiffsrumpf erhebt und in schäumende Kronen zerfällt. Als weiße Perlen rollen sie nun auf der Oberfläche dahin, den Weg zum Ufer schaffen sie nicht, von der Mitte des reißenden Stroms.

Er ist müde, der Fährmann und kann schon nicht mehr, doch auf ihn wartet noch eine Fahrt. Eine letzte Fahrt für den heutigen Tag, dann der erholsame Schlaf.

[...]

Dem Alten kommt das so schauerlich vor, das Mondlicht, der Wind, die Gestalt. Doch er weiß, es ist schon die letzte Fahrt und dann wartet erholsamer Schlaf.

[...]

Der Fährmann ist müd’, sehnt das Ufer herbei, und den erholsamen Schlaf.

[...]

Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Der Fährmann ist müde und kann schon nicht mehr. Es nützt ihm kein Rufen, kein Schreien. Der Kahn ist in weite Entfernung gerückt und mit ihm die helfende Hand. Welle um Welle rollt über ihn und zerrt an dem alten Mann. Den Weg zum Ufer schafft er nicht mehr, von der Mitte des reißenden Stroms.
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So ganz blicke ich noch nicht durch, aber das Experiment baut sicherlich auf die Wiederholungen auf, oder?

Sprachlich ist der Text wirklich sehr poetisch geschrieben und schön zu lesen.

Viele Grüße,

Michael :)

 

Vielen Dank erstmal an alle fürs Lesen und Kommentieren!

@Leif
Ein Experiment war es sprachlich insofern, als dass der Text wirklich lyrisch klingen soll, er es aber nur aufgrund des Rhythmus' ist. Dadurch kommt auch die - wie immer auch die Auflösung in den verschiedenen Versionen sein mag - rhythmische Anzahl an Zeilen zustande.

@Lord
Nein, ein Gedicht hab ich hier nicht verwurstet. Aber der Rhythmus ist der Ballade "Der Totentanz" sehr ähnlich. Sie beginnt:

Der Türmer schaut zu Mitten der Nacht hinab auf die Gräber in Lage...

Mag sein, dass es dir bekannt vorkommt, weil der Inhalt eher sagenhafter Gestalt ist. Aber an und für sich liegt dem Text nichts zugrunde, das ich kenne.

@ Michael, treue Seele:
Ganz richtig hast du erkannt, dass das Stilmittel/Strickmuster die Wiederholungen in den einzelnen Absätzen sind (wie auch der Rhythmus). Was du hier heraus gestrichen und markiert hast, ist ganz klar das, was auch zu erkennen sein sollte:

Im ersten wie auch im letzen Absatz treibt der Kahn auf gleiche Weise über den Fluss. Nur das eine Mal bei der Hinfahrt, das andere Mal bei der Rückfahrt.
Wie sich die "Perlen" im Wasser verlieren, und den Weg ans Ufer nicht mehr schaffen, ist es zum Ende der Fährmann. usw.

Und dann sind da noch die poetisch klingenden Worte, die aber schlussendlich keinen Reim finden (der soll sich sozusagen auch "in den Wellen" verlieren)

Die rhythmische Form hab ich deshalb gewählt, weil man im Text vorangetrieben/fortgetrieben werden soll, wie der Kahn im Wasser und wie die Perlen und der Fährmann Richtung Ufer, das sie jedoch nicht erreichen.

Die Intention war einen poetischen Text mit sagenhaftem Inhalt, der sich in Prosaform doch einen Rhythmus sucht... eine Mischung halt.

Ich hoffe, dass der Rhythmus rüberkommt. Wenn ich selbst den Text lese, bin ich immer sofort "drinnen", weiß aber nicht, ob er auch beim Leser ankommt.

Wenn der Text schön zu lesen ist und sprachlich ankommt, ohne dass man den Rhythmus bemerkt, ist es auch okay.(nicht ganz, weil dann ein Teil der Absicht fehlt und ich nochmal drüberarbeiten sollte)

Liebe Grüße
Barbara

 

hmmm, alles liest sich so im... Fluss. Vielleicht sind die Sätze selber die Wellen? Sie sind immer in etwa gleich lang und lesen sich immer in zwei Teilen: den ersten, den man betont, den zweiten, bei dem die Betonung abklingt. Wenn es so ist, finde ich dieses stilistische Mittel genial!
Also, ich finds irgendwie ziemlich klasse und eigentlich auch experimentel. Vielleicht wolltest Du tatsächlich ja ein Gedicht schreiben, doch dann gefiel es Dir als eine experimentelle Kurzgeschichte besser?

 

da haben wir wohl gleichzeitig geschrieben und abgeschickt. Aber jetz weiß ich ja Bescheid, dass ich gar nicht so falsch lag... :D

 

Hehehe und er kommt doch an, der Rhythmus! Danke Yva für deinen Kommentar, das freut mich sehr!
Ja, der erste Gedanke war ein Gedicht. Doch dann hielt ich diese Form auch für passend.
Schön, dass es dir gefällt!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara!

Respekt! Die Geschichte liest sich wirklich wie eine Ballade, wie ein Gedicht.
Als ich Yvas Theorie gelesen hatte, musste ich sie natürlich sofort überprüfen. Es stimmt! Wow! Das müsste man mal laut lesen; das wird ja immer rasanter! Ich hör besser auf, bevor die Wellen gleich noch überschwappen und ne Sturmflut verursachen... :D

Mfg
xka

 

Vielen Dank, xkaxre, für deine "überschwappende" Kritik :). Es freut mich wirklich mehr und mehr, diese Geschichte ausprobiert zu haben.

Liebe Grüße
Barbara

 

Liebe Barbara!

Als ich neulich Deine Geschichte zum ersten Mal las, fand ich sie ausgesprochen schön - vom Inhalt wie von der Umsetzung her betrachtet. Was das Experiment war (es stand da grade erst der Kommentare von Leif da), konnte ich nicht herausfinden, obwohl mir klar war, daß es etwas mit dem Satzbau zu tun haben müsse. Aber ich mußte dann meinen Sohn abholen und drehte den PC ab, hatte also nicht wirklich Zeit, darüber nachzudenken.

Tja, und jetzt hab ich den Fehler gemacht, die Kommentare zuerst zu lesen - kann Dir also gar nicht sagen, ob ich von selbst draufgekommen wäre...

Aber die Idee und die Umsetzung finde ich sowas von gut! Alle Achtung! :thumbsup:

Alles liebe,
Susi :)

 

Hallo Susi! :bounce:

Vielen Dank, ich freu mich sehr über dein Urteil!
Ich glaube, es ist wirklich schwer hinter die Idee des Experiments zu kommen. Vielleicht ist es leichter, es wirklich laut zu lesen. Dann kommt der Rhythmus möglicherweise besser raus.

Danke schön und liebe liebe Grüße
Barbara

 

Hi Barbara,

bin über den Empfehlungsthread hier gelandet.
Alle Achtung, Du hast die Sprache absolut im Griff. Der Rhythmus kam bei mir sofort an und hat mich gefesselt. Sowas habe ich in dieser konsequenten Form hier noch nicht gelesen. Herausragend!

Eine Frage: Wie hast Du die Geschichte geschrieben? Wie schwierig war es, die Sätze in den richtigen Rhythmus zu kriegen?

Uwe

 

Hallo Uwe!

Vielen Dank für deine tolle Kritik! Ich freue mich sehr darüber!

Zu deinen Fragen: Ich hatte eigentlich vor, ein Gedicht mit sagenhaftem Inhalt zu schreiben. Irgendetwas, das von einer Begebenheit erzählt, die irgendeinem Menschen geschehen ist. Dann kam die Idee, mich in die griechische Mythologie zu wagen. Der Fährmann sollte also Charon sein und eine verstorbene, ihm unheilich erscheinende Seele über den Lethe führen. Davon hab ich aber dann Abstand genommen, weil mir das Thema zu ausschweifend vorgekommen ist.
So ist es inhaltlich gesehen zu diesem Ergebnis gekommen.
Da ich aber die Gedichtform nicht ganz verlassen wollte, und es mich auch interessiert hat, wie sich ein ungereimter Text im Rhythmus eines Gedichts liest, habe ich es einfach versucht.
Es war gar nicht so einfach, immer die richtigen Worte zu finden, die auch in den gewählten Rhythmus passen - aber das ist es bei einem Gedicht ja auch nicht und da muss es sich reimen auch noch.
Ich habe oft mit meinen Händen das Metrum dazu geschlagen, und die Schläge abgezählt, nur, um zu sehen, ob der Rhythmus eingehalten wird. Auch die Satzzeichen dienen teilweise dem Rhythmus, weil sich dadurch natürliche Sprechpausen ergeben.
Und als ich mit dem Text fertig war, hab ich das eine oder andere Wort noch verändert, damit es vielleicht besser passt.
Fertig gemacht habe ich den Text aber auf einen Schlag, weil ich es nicht mag, Ideen, die mir vorschweben, oder "innere Bilder" auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben. Dann ist das Gefühl dafür nicht mehr so präsent.
Aber du siehst, es hat sich eigentlich die Idee aus einer ganz anderen Idee entwickelt und ich bin wirklich erstaunt und froh, dass der Text so gut ankommt, das hätte ich nicht gedacht.

Liebe Grüße
Barbara

 

HI Brbara
Ich finde deine Geschichte auh sehr gur :thumbsup:
Ich schließe mich dann noch meinen Vorrednern an. Alle Achtung!
MFG Goethe

 

Hi Goethe!

Danke vielmals! Der Rhythmus, dem der Text ein bisschen zu Grunde liegt, ist übrigens von Goethes "Der Totentanz" ;)

Liebe Grüße
Barbara

 

Hi Barbara!
Wow, dein Experiment ist echt super und ich kann mich Yva in Bezug auf die Sätze als Wellen nur anschließen. Dadurch bringst du gut die Stimmung deiner Geschichte rüber
Liebe Grüsse
Judy

 

Hallo Barbara,

eine in Form und Inhalt gelungene Geschichte, nicht die wirkliche Gefahr, nein die eigenen Ängste bringen den Mann um.
Bin mir nicht sicher, ob Du Hexameter gewählt hast, klingt aber ähnlch wie manche Odysee- Stellen:

Oder ihn fraßen die Fische im Meer, und seine Gebeine
Liegen, vom tiefen Sande bedeckt, am Strande des Festlands.
Also ging er zugrund und ließ für alle die Seinen
Trauer zurück ...

(aus dem 14tem Gesang).

Interessant, dass die Fahrt nicht am Ufer endet, sondern in der Mitte. Durch Anfang und Schluß umrahmt ergibt sich ein emblematisches Bild, das Schicksal des Fährmanns beschreibend.


Tschüß... Woltochinon

 

Danke für deine Kritik, Woltochinon!

Dass die Reise in der Mitte des Flusses endet muss aurfgrund des Anfangs so sein, denn auch der Anfang ist in die Mitte des Flusses gesetzt. Ich wollte einfach so viel wie möglich abrunden, wiederholen, Rhythmus reinbringen, einrahmen, ohne dass der Text schlussendlich davon überladen wird.

Ob Hexameter oder nicht, das sollen klügere Köpfe als ich beurteilen, ich habe einfach den Rhythmus gewählt, den die Idee und die ersten im Kopf gereiften Zeilen des Textes mir vorgegeben haben ;)

Liebe Grüße
Barbara

 

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