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Der schwarze Panther
Der schwarze Panther
Er spürte sie, ganz schwach nur, die lauernde Gefahr. Wie sie sich näherte, schleichend, lautlos.
Arnd ging den Weg entlang, einfach so, ohne zu wissen warum, oder wohin.
Etwas trieb ihn, doch was?
Er schaute sich um. Links von ihm ein Abhang, der nach jedem Schritt den Arnd zurück legte, felsiger und steiler wurde. Rechts Wald. Eine sonnenüberflutete kleine Lichtung. Aber auch Schatten, dunkel undurchdringlich, geheimnisvoll.
„Du solltest hier nicht sein, geh zurück, schnell!“ Er hörte die Worte an seinem Ohr, ahnte, dass es besser wäre, der Stimme zu folgen. Doch er tat es nicht. Unsinn, was er sich da einbildete. Warum sollte er umkehren? Es gefiel ihm den Weg zu gehen. Doch etwas keimte in ihm, würde größer, klarer.
Plötzlich schien alles um ihn herum sich zu verschieben. Es wurde Nacht, es wurde Tag, im sekundenschnellen Wechsel. Licht und Schatten schienen an ihm zu zerren, so als würden die Elemente um ihn streiten. Arnd begriff nicht, was geschah. Dann sah er sie, die funkelnden Augen, den schwarzen, glänzenden Leib, die Muskeln, die sich spannten. Den Panther, der auf ihn zu sprang, ihn zu Boden riß, auf ihm liegen blieb und einer Statue gleich, zu erstarren schien. Entsetzt blickte Arnd in die gelben Augen des Tieres, die sich zu weiten schienen,so, als wollten sie ihn verschlingen. Doch bevor das Gefühl sterben zu müssen, ihn wirklich erreichen konnte, war sie plötzlich wieder da, die Erinnerung. Sein Kopf schnellte zur Seite. Er wußte, gleich würde seine Frau nur einige Schritte von ihm entfernt stehen, sich suchend nach ihm umsehen.
„Arnd, wo bist du?“ würde sie rufen.
Und all das, was er schon so oft erlebt hatte, wäre wieder da. Die gleichen Worte, das gleiche Geschehen. Er würde ihm zwanghaft folgen müssen.
„Arnd, wo bist du?“
Sie war da.
Er hörte ihre Stimme, sah ihr sorgenvolles Gesicht.
„Hier Elli, ich bin hier!“
Sie schaute in seine Richtung, doch sie sah und hörte ihn nicht.
Arnd kniff die Augen zu, auf, zu..., hielt die Luft an. Doch wenn auch sonst auf diese Weise die Flucht gelang, so blieb er jetzt gefangen.
Verzweifelt musste er zulassen, dass Elli, zum Greifen nah, an ihm vorbei ging.
Noch einmal formten ihre Lippen seinen Namen. Einem Hauch gleich, schwebten die Worte zu ihm: „Arnd, ach Arnd, wo bist du?“
Alles in ihm schrie, als Elli sich von ihm abwandte, um den Weg zurück zu gehen, den sie gekommen war.
Wieder ließ der Panther ihn unerwartet frei. Wieder lief Arnd, froh der Gefahr entronnen zu sein, seiner Frau hinterher. Wieder stoppte eine unsichtbare Wand seinen Lauf, so dass er Elli nicht folgen konnte. Und wieder erwachte er mit rasendem Herzen aus seinem Alptraum.
Elli hatte sich über ihn gebeugt, ihn wortlos in den Arm genommen.
„Ich habe es schon wieder geträumt“, flüsterte Arnd.
„Verdammt, dieser Traum macht mich fertig.“
Elli legte den Kopf an seine Schulter. Er fühlte die Sorge in ihr, wußte, dass sie gleich versuchen würde ihn aufzumuntern.
„Raus aus den Federn“, neckte sie. "Es ist Frühling, das Leben erwacht, die Sonne scheint, kein guter Tag für schlechte Gedanken.“
Und doch hörte er ihr leises Seufzen, als sie den Raum verließ.
Wie oft schon hatte er mit ihr über den Traum, der seit Monaten in regelmäßigen Abständen auftauchte, gesprochen und versucht den Sinn zu ergründen.
„Verlustängste“, hatte Elli gemeint, obwohl nichts in ihrem harmonischen Leben darauf hin zu weisen schien.
Mit der Zeit hatte Arnd gelernt, den Traum, kurz nachdem er daraus erwacht war, zu verbannen.
Wenn es ihm einmal nicht gelingen wollte, setzte er sich auf sein Motorrad. Die schwere Maschine, auf der zu fahren für ihn die Freiheit dieser Welt bedeutete. Es klärte seine Gedanken, gab ihm Kraft und das Gefühl unsterblich zu sein.
Es war Sommer geworden. Arnds Träume hatten aufgehört.
Nur hin und wieder sah er im Tau des Morgens, in einer Regenpfütze, oder im Schein der untergehenden Sonne, die ausdrucksvollen, gelben Augen des Panthers, die ihn zu durchbohren schienen.
Dann erschrak Arnd ein wenig, erlaubte sich aber nicht, weiter darüber nach zu denken. Er hatte sein Leben fest im Griff, er war glücklich, nur das zählte.
An einem Sonntagmorgen, als die meisten Menschen noch in ihren Betten schlummerten, hauchte Arnd seiner noch schlafenden Frau, einen Kuß auf die Stirn. Er stieg in seine Lederkombination, setzte sich auf sein blau weißes Motorrad. Er genoß es, zu dieser frühen Stunde, wo ihm kaum ein Auto begegnete, loszufahren.
Wie immer traf er sich mit drei Freunden auf dem Nürburgring.
Sie würden sich ein Rennen liefern, drei Stunden später gemeinsam die Rückfahrt antreten und sich an einer Tankstelle mit anderen Motorradfreunden treffen.
Ein Ritual, entstanden in den letzten zwanzig Jahren.
Doch diesmal wollte Arnd noch einmal alleine den Rausch der Geschwindigkeit genießen.
„Fahrt schon mal vor, ich drehe noch eine Runde, wir treffen uns dann an der Tankstelle.“
In seinem Kopf war kein Platz für gelbe, stechende Augen und einen schwarzen glänzenden Leib.
Arnd fuhr seine Runde. Er wurde schneller, Adrenalin schoß durch seinen Körper. Noch wenige Meter, das Ziel vor Augen.
„Fahr durch“, lockte der Übermütige in ihm.
„Genug,“ mahnte der Andere, Vernünftige.
Seine Freunde warteten an der Tankstelle.
Elli wollte mit ihm an den Badesee.
Arnd verließ den Nürburgring, bog auf die immer noch kaum befahrene Landstraße, die von dichtem Wald eingerahmt wurde.
Er sah die nächste Kurve.
Er dachte an seine Freunde.
Seine Yamaha legte sich zur Seite.
Er sah die gerade Straße.
Er dachte an Elli.
Er sah... den schwarzen Panther, der auf ihn zusprang.
Er dachte...
Benommen saß Arnd an einem Baumstamm.
Wie kam er hierher? Warum konnte er sich nicht bewegen?
Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er in Watte gepackt.
Aus weiter Ferne, so kam es ihm vor, drangen Geräusche an sein Ohr.
Etwas blinkte in kurzen Abständen. An aus, an aus... Vor seinem verschleierten Blick tauchten Gestalten auf. Unförmig schienen sie hin und her zu laufen. Er versuchte zu zwinkern, um den milchigen Belag von seinen Augen zu verbannen. Nichts, er konnte selbst seine Lider nicht bewegen.
Arnd wartete auf die Panik, die ihn gleich übermannen würde. Doch es kam keine Panik. Statt dessen überflutete ihn ganz plötzlich, eine besondere, noch nie empfundene Ruhe. Sein Blick klärte sich. Er erkannte Menschen, Polizei- und Krankenwagen, einen Leichenwagen. Männer, die eine Person in einen Zinksarg legten, direkt neben ihm.
Arnd wunderte sich, dass niemand Notiz von ihm nahm.
„Hallo, könnt ihr mir nicht mal helfen?“ wollte er den Männern zurufen.
Doch seine Worte blieben nur Gedanken.
Die gleichgültige Ruhe, die ihn kurz zuvor gefangen genommen hatte, wandelte sich in Ungeduld.
Sein Blick glitt noch einmal über das Treiben vor ihm.
Was war das? Trümmer, verteilt auf der Straße.
In seinem Kopf hämmerte es.
Blauweiße Blechteile, ein zerplatzter Reifen. Der Rest eines Motorrades. Sein Motorrad. Ein schwarzer, stark zerbeulter BMW auf dem Grünstreifen.
Tiefe Grasnarben um das Fahrzeug. Entstanden durch das Schleudern um die eigene Achse.
Noch bevor Arnd erfassen konnte, was das zu bedeuten hatte, zuckten Bilder durch seinen Kopf. Als würde ein zu schnell laufender Film vor ihm abgedreht, sah er sich selber, sitzend auf seiner Yamaha. Die Kurve, das schwarze Auto, das plötzlich vor ihm aus einer Parkbucht scherte.
Keine Chance. Der Aufprall. Sein Körper der durch die Luft flog. Die uralte Eiche, die seinen Flug stoppte. Sah, wie er mit dem Kopf dagegen prallte.
Hörte den knackenden Laut, als sein Genick brach.
Arnd schloß die Augen, sah das schwarze Auto, den schwarzen Panther, den Todesboten seiner Träume.
Sein Blick wanderte zu dem Zinksarg, der gerade in den Leichenwagen gehoben wurde.
„Mein Körper der darin liegt“, dachte er und verstand nicht, dass er nicht schrie, fluchte, Verzweiflung über sein Schicksal empfinden konnte.
Und doch ahnte er, dass der Schmerz tief in ihm ruhte, dass er sich befreien würde, in dem Moment...
Ein plötzliches Flimmern in der Luft unterbrach den Blick in seine Seele.
Licht, gleich einem Wetterleuchten, glitt auf ihn zu, hüllte ihn ein.
Er spürte eine starke Präsenz. Ein atemberaubendes Prickeln strömte durch Arnds geistigen Körper.
Geflüsterte Töne umschmeichelten sanft seine Sinne.
Obwohl er sie nicht wirklich verstand, erfaßte er die Botschaft.
Kräftig und doch so leicht, erhob er sich aus seiner, immer noch sitzenden, Position.
„Es ist noch nicht vorbei“, hatte ihm das flüsternde Wesen vermittelt.
Dann sah Arnd seine Frau.
Schluchzend, die Hände an den Mund gepreßt. Sie starrte auf den schwarzen BMW. Ihr Körper krümmte sich.
Arnd verstand, dass sie in dem Augenblick, den Sinn seiner Träume erkannt hatte.
Der Schmerz, den seine Seele bisher noch verschlossen gehalten hatte, brach nun aus ihm heraus, wie die mächtige Eruption eines Vulkans.
Elli ging den Weg zurück den sie gekommen war.
Noch einmal formten ihre Lippen seinen Namen.
„Arnd, ach Arnd, wo bist du?“
„Hier Elli, ich bin hier!“ Er lief ihr hinterher und keine unsichtbare Wand hielt ihn auf. Er blieb an ihrer Seite, berührte ihr langes rotes Haar.
Und nur der Kraft des Geistes, dessen Licht ihn immer noch umhüllte, war es zu verdanken, dass er es schaffte, ohne große Verzweiflung den Arm um sie zu legen. Ihr tröstende Worte ins Ohr zu flüstern.
Und Arnd wußte, sie sah und hörte ihn nicht.
Doch er merkte, sie spürte ihn, denn sie lächelte.