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Jagd

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27.03.2004
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Jagd

Aditi war schwach. Die kleinste Wölfin weit und breit. Und sie war einsam. Kein Rudel erklärte sich bereit, sie aufzunehmen, so musste sich Aditi allein durchs Leben kämpfen. Und das war nicht einfach. Alaskas Winter kosteten viele Leben und die Wehrlosen starben zuerst. Doch bisher war es Aditi gelungen, diesem Schicksal zu entrinnen, indem sie sich an die Fersen eines Rudels heftete. Der Alphawolf hiess Houdon und scherte sich nicht um sie. Oftmals hinterliess das Rudel Aditi nur noch abgenagte Kadaver, doch wenn sie Glück hatte, fand sie noch einige Fleischstücke. So auch heute. Sie war den fremden Wölfen gefährlich nahe gekommen, sodass sie die Welpen fröhlich kläffen hörte, während sie ums Futter stritten. Glücklicherweise lief sie gegen den Wind, das Rudel hatte keine Chance, Aditis Witterung zu erfassen. Sobald die Wölfe ihre Mahlzeit beendet hatten, machten sie sich aus dem Staub. Aditi freute sich still und wagte sich nach kurzer Wartezeit zum erlegten Karibu, das zwischen einigen Nadelbäumen verborgen war. Doch dort war schon jemand: Ein Vielfrass! Aditi konnte Vielfrasse nicht ausstehen, sie waren zwar ziemlich klein, aber stark, streitsüchtig und hielten sich für die Herren der Welt. Da bildete das Exemplar vor ihr auch keine Ausnahme.
"Verzieh dich", zischte es wütend. Als Aditi nicht gleich reagierte, stiess der Vielfrass eine jener grässlichen Duftmarken los, die Aditi wie alle anderen Tiere verabscheute.
"Verfluchter Gauner! Kannst nichts als stehlen und stinken!", bellte Aditi. Dann floh sie schleunigst und beschloss, ein paar Lemminge zu jagen. Sie verliess den Schutz der Bäume und wagte sich weit auf die Ebene hinaus, wo die Lemminge unter dem Boden hausten. Geduldig wartete sie an einem der zahlreichen Eingänge, stocherte mit Pfoten und Schnauze über die karg bewachsene Erde.

Barry nieste, was jedoch im Gedröhn des Hubschraubers unterging. Nichtsdestotrotz wühlte er ein Taschentuch aus der Tasche seiner Felljacke hervor und schnäuzte geräuschvoll. Stan grinste.
"Verflucht kalt hier oben, was?"
Barry nickte. "Muss mich erkältet haben."
"Wird ein harter Winter! Solche Temperaturen hatten wir schon lange nicht mehr im Oktober."
"Hmm, ja."
"Schon ein Zeichen von Wölfen gesehen?", fragte Todd, der den Hubschrauber steuerte.
"Nicht dass ich wüsste", knurrte Barry und nieste erneut.
"Mir ist auch nichts aufgefallen", meinte Stan.
"Kein Wunder!", brummte Todd. "Wenn ihr dauernd miteinander plaudert statt aus dem Fenster zu schauen!"

Aditi jaulte freudig auf, als endlich ein Lemming aus dem Bau getrippelt kam. Er entdeckte die Wölfin nicht sofort und als sie ihre Schnauze über den Nager senkte, war es zu spät. Die Knochen zerbarsten zwischen Aditis mahlenden Kiefern. Genüsslich schluckte sie den Happen hinunter.
"Hoffentlich war das nicht alles!", murmelte sie leise und konzentrierte sich erneut auf die Löcher im Boden.
Wenn sie Glück hatte, würde sie noch ein paar Lemminge erbeuten können und so annähernd satt werden.

Stan starrte gedankenverloren aus dem Fenster, betrachtete die Berge am Horizont. "Sag mal, Barry, in welchem Land ist eigentlich das Matterhorn?", fragte er plötzlich.
Barry grinste. "Wie kommst du denn da drauf?"
Stan zuckte die Schultern. "Ist mir nur grade eingefallen. War mal eine Frage bei einer Erdkunde-Klassenarbeit, die ich in den Sand gesetzt habe. Ich weiss die richtige Antwort immer noch nicht!" Er lachte leise.
Todd wandte sich entgeistert um. "Seid ihr vollkommen bescheuert? Wir sind hier auf der Jagd, da könntet ihr euch wohl auch ein bisschen Mühe geben und hinaussehen, ob ihr endlich einen Wolf seht. Mir reicht's langsam!"
"Entschuldige, bin halt etwas müde...", meinte Stan.
Barry schrie auf. "Seht, da vorne, ein Wolf!"
Stan folgte seinem Blick. "Tatsächlich, unsere Suche hat ein Ende! Todd, jetzt wird's ernst, streng dich an mein Junge!"
Auf Todds Gesicht machte sich ein Grinsen breit. "Keine Sorge, den lass ich mir nicht entgehen!"

Aditi sprang auf und wirbelte herum. Unbekannter Lärm hatte sie aufgeschreckt. Am Himmel entdeckte sie die Ursache, ein glänzendes Ding, das einfach in der Luft zu stehen schien.
"Nichts wie weg", wisperte eine Stimme in Aditis Kopf und die Wölfin setzte sich winselnd in Bewegung. Sie rannte so schnell, wie nur selten zuvor in ihrem Leben, doch das seltsame Ding kam immer näher. "Es verfolgt mich!", jaulte Aditi laut auf und versuchte, noch schneller zu rennen.
Warum jagt dieses Ding ausgerechnet mich, fragte sich Aditi, fand darauf aber keine gute Antwort. Schliesslich war sie ziemlich mager und konnte für keine ordentliche Mahlzeit herhalten.
Sie kam nicht auf den Gedanken, dass die Jäger ihr Fell haben wollten. Und die Begründung, dass sie getötet werden musste, damit sie kein Wild jagte, wäre Aditi wohl nie eingefallen. Doch stimmte beides. Die Menschen wollten nicht, dass die Wölfe Karibus und Elche erlegten, denn so konnten sie sie selber jagen und das Fleisch verkaufen. Auch das Wolfsfell konnte gut zu Geld gemacht werden.

"Bald haben wir ihn", rief Todd munter. "Noch ein paar Minuten, und dann ist der Wolf fällig!"
"Freu dich nicht zu früh", meinte Stan. "Wölfe sind zäher als sie aussehen!"
"Das ist nicht meine erste Wolfsjagd!", antwortete Todd stur. "Und ich sage dir, dieser Wolf wird bald aufgeben!"
"Wie du meinst."
Barry grinste begeistert, während Stan die Gewehre hervorholte.

Aditi heulte verzweifelt, doch niemand kam ihr zu Hilfe. Sie war kurz davor, zusammenzubrechen, und sie wusste es. Jeder Sprung kostete eine Kraft, die Aditi kaum aufbringen konnte. Ihre Pfoten trommelten auf den Boden, taub und gefühllos. Die Beine schmerzten bei jedem Schritt.
Der Wind streifte Aditis Fell, kühlte ihr Gesicht und die weit hinaushängende Zunge, welche fast die Erde berührte.
Das glänzende, dröhnende Ding kam immer näher.

Barry lachte auf, als er den Wolf beim Laufen beobachtete. "Stan, schau mal, der hat Dackelbeine!"
Stan nickte vergnügt.
"Krumm sind sie, und schwach!"
"Ha, der Wolf wird gleich schlapp machen!"
"Sag ich doch schon die ganze Zeit!", meinte Todd.

Aditi hechelte im Takt der aufschlagenden Pfoten. Die Sicht verschwamm vor ihren Augen. In ihren Ohren mischte sich der Hubschrauberlärm mit einem eigenartigen Rauschen, wie sie es noch nie gehört hatte.
Die Gerüche in ihrer Nase wurden undefinierbar, alles vermischte sich zu einem einzigen Brei.
Aditis Gedanken verschwanden, bis auf ein dumpf pochendes: "Du darfst nicht aufgeben! Komm, weiter!"
Doch Aditi taumelte. Ihre Vorderbeine knickten ein. Die Wölfin strauchelte, fiel hart, ohne den Schmerz zu spüren. Die Pfoten zuckten noch immer, ihr Kopf hob sich einige Zentimeter und schwang hin und her.

Die drei Jäger jubelten.
Todd liess den Hubschrauber sanft neben dem Wolf landen. Die drei Männer sprangen hinaus und betrachteten das zitternde und zuckende Tier.
Aditi winselte leise und liess den Kopf endgültig sinken.
"Das war's dann wohl!", sagte Stan leise und griff zu seinem Gewehr.

Ein Knall zerriss die Luft rund um Aditi, dicht gefolgt von ihrem letzten Röcheln.

Zusammen verstauten Todd, Stan und Barry den Kadaver im Hubschrauber.
Sie wussten nicht, was für ein Leben sie ausgelöscht hatten, wussten nicht, wie schrecklich sich Aditi in ihren letzten Minuten gefühlt hatte, wussten im Grunde gar nichts. Und selbst wenn sie es gewusst hätten, wäre es nicht wichtig gewesen. Sie bereuten nichts. Es war ja nur ein Tier.

Die Wörter waren: Hubschrauber, fröhlich, Matterhorn, Gauner, Dackel

 

Hallo Sabberbacke,

ich finde es immer wieder erstaunlich, wie sehr sich die Assoziationen zu Wörtern unterscheiden. Jedenfals waren meine, als ich die Wörter in die Wörterbörse stellte ganz andere, als deine in dieser gelungenen Geschichte. OK, das Matterhorn ist etwas gequält in die Geschichte gerutscht, aber auf alle Fälle noch passend. Ohne Wortvorgabe wäre das aber sicherlich eine Passage, die du in deiner Geschichte sofort streichen würdest. :)
Geschickt polarisierst du in deiner Geschichte durch die Vermenschlichung der kleinen Wölfin die Gefühle gegen die Jagd. Trotzdem hatte ich nicht den Eindruck, dass du die Jäger als unsympathische Fieslinge denunziert hast. Eher als Menschen, die über ihr Tun nicht nachdenken. Das hat mir gefallen.
Auch die Region, die Kälte Alaskas und die Atmosphäre werden gut spürbar. In der Wörterbörse haben wir ja oft eher stimmungsgeladene Geschichten. Da ist eine actionreiche Story wie deine wirklich eine willkommene Abwechslung.
Deine Geschichte hat mir gut gefallen.

Einen lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim

Vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen und auch etwas Kritik zu hinterlassen...
Schön, dass sie dir gefallen hat, auch wenn du wohl etwas ganz anderes erwartet hast!
Das zündende Wort war wohl der Hubschrauber, ohne ihn wäre ich nie auf diesen Gedanken gekommen.
Tja, das Matterhorn machte mir ganz schön Schwierigkeiten. Etwas Besseres wollte mir einfach nicht einfallen. Ein Matterhorn in eine Wolfsjagd-Geschichte einzubauen ist gar nicht so einfach. Aber ich finde, die jetzige Lösung zeigt vielleicht ein wenig, dass die Jäger nicht einfach gewissenlose Mörder und Schlächter sind, sondern auch ein Leben führen, normale Menschen sind. Das sollte klar werden, sie sind nicht dumm oder böse!
Aber du hast Recht, ohne die Vorgabe wäre dieser Teil wohl kaum entstanden. :dozey: :Pfeif:
Was man wohl weniger merkt, ist, dass es auch ziemlich gedauert hat, bis ich die Idee mit dem Gauner hatte. Ist aber Alltag in Alaska und passte m. E. ganz gut hinein.

Ja, die Tierwelt in Alaska, eines meiner Lieblingsthemen. Und obwohl ich nie dort war, habe ich Bilder im Kopf von der Wildnis, der Kälte und der unglaublichen Schönheit der freien Natur. Schön, wenn das ein wenig rüberkommt.

Liebe Grüsse, sabberbacke :bounce:

 

Für zwei Wochen aus der Wörterbörse in Spannung verschoben. Bitte Zurück am 03.05.04

 

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