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05.05.2004
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Ich wollte mal eure Meinung zu einem Thema einholen, mit dem ich manchmal Probleme habe, auch wenn es in Kurzgeschichten eher seltener relevant ist.
Wie schreibt ihr Rückblenden in einer Geschichte, die in der Mitvergangenheit erzählt wird? Korrekterweise müsste man die gesamte Rückblende in Vorvergangenheit schreiben, aber besonders, wenn es sich um eine längere Passage handelt, liest sich das furchtbar umständlich und die ständigen "hatte" und "waren" wirken wie Wortwiederholungen (und sind es eigentlich auch).
Manche Autoren, von denen ich Bücher gelesen habe, leiten eine Rückblende mit Vorvergangenheit ein und wechseln dann irgendwann zu Mitvergangenheit (z.B. "Sokolows Universum" von Leon DeWinter). Klingt viel besser, ist aber eigentlich grammatikalisch falsch. Etablierte Autoren können sich das vielleicht leisten, aber ich frage mich, ob ich als Herr Niemand ein Manuskript verschicken sollte, in dem ich Grammatik-Fehler stehen lasse. :(
Wie seht ihr das?

 

Rückblenden schreibe ich gewöhnlich nicht in der Vorvergangenheit (es sei denn sie wären so kurz, das es nicht stört), sondern füge sie kursiv oder mit Sternchen ein, so dass sie abgegrenzt werden, aber sich nicht so schwerfällig lesen und bleibe im Präteritum.

 

Wenn die Rückblende vernünftig eingeleitet wird und deutlich ist, wo sie beginnt und wo sie endet, sehe ich sogar das Präsens als möglich an, eventuell sogar mit einem Wechsel der Erzählperspektive. Beispiel:
___________

Zum ersten Mal seit 14 Jahren betrat er das Haus seiner Eltern. Die Stille lastete auf ihm, während er mit hängenden Schultern von einem Raum in den nächsten schlenderte. Alles wirkte so fremd, so unnatürlich. Im Wohnzimmmer blieb sein Blick an dem geliebten Ohrensessel seines Vaters hängen und wanderte schließlich zu den Bildern auf dem Kaminsims. Stumm nahm er eines in die Hand, das ihn mit seinen Eltern am Strand von Rimini zeigte.

Ich sitze neben meinen Eltern im Sand und sehe den Möwen zu, die gierig auf Futter lauernd über uns kreisen. Nicht weit von uns steht der Mann mit den Luftballons. Schon immer wollte ich einen davon haben, und heute steht Mama tatsächlich auf, geht hinüber und kauft mir den größten Luftballon, den der Mann hat. Er hat das strahlendste Rot, das über den gesamten Strand leuchtet. Ich bin unheimlich stolz und sehe mich verstohlen nach den neidischen Blicken der anderen Kinder um.

Tränen rannen über seine Wangen. Er stellte das Bild zurück auf den Kaminsims und wischte sich verstohlen mit den Ärmel seines Pullis über die Augen.
__________

Blablabla, sicher nicht druckreif, aber halt mal als in die Tüte gesprochenes (bzw. geschriebenes) Beispiel. Im Grunde ist also (zumindest meiner Meinung nach) jede Zeit und jede Erzählperspektive in einer Rückblende möglich, so lange es zum "Drumherum" passt und passend eingebettet ist.

 

Stimmt, in manchen Fällen kann das Präsens sogar noch besser sein, wenn es die Unmittelbarkeit des Erlebens der Vergangenheit unterstreicht. (Kompliziert, aber hoffentlich verständlich. <g>)

 

Danke für die raschen Antworten. Im Wesentlichen sehe ich es so wie ihr.
Was ich aber eigentlich (zumindest auch) fragen wollte: Wird das ein Verlagslektor und/oder die Jury eines Wettbewerbs auch als stilistische Freiheit sehen? Denn, wie gesagt, auch wenn mir selbst das wurscht ist, es ist strenggenommen falsch.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hej Woodwose,

natürlich werden das Jurymitglieder und auch Lektoren akzeptieren, sofern es konsequent durchgeführt und ein Sinn dahinter erkennbar ist. Keine Sorge, eine geiwsse stilistische Freiheit dürfen sich auch Jung-Autoren erlauben! ;)

 

Laut Wolf Schneider (Buch: "Deutsch fürs Leben"), welches ich mir nun geleistet habe, geht das so:

"(...) nach einem einzigen Plusquamperfekt" soll man dann "ins Imperfekt springen (...)".

Kann mal einer ein Beispiel dazu bauen???

Ich versuch's mal:

Sie war eine schöne Frau gewesen damals, als sie noch Kniebeugen vollzog, alle fünf Minuten von 9:00 bis 23:00 Uhr. Sie ging dazu immer in den Park, um die alten Greise dort in den Wahnsinn zu treiben. Diese begafften sie, nicht selten wurde einer in einem Leichensack davon geschafft. Dabei war sie noch nicht mal sonderlich gut gebaut. Möglicherweise lag es daran, dass Henriette dabei...

Ach denkt Euch doch selber den Rest! :D

Da ich aber noch nicht mal spontan weiß, wie ein Imperfekt korrekt aussieht, sollte ich vielleicht keine Beispiele machen… ;)

Stimmt's trotzdem zufällig...???

 

Also, das Ganze ist relativ einfach:

Wenn ich einen Text in der einfachen Vergangenheit (Imperfekt) erzähle, klingt es etwa so:

Sie stand auf, ging zum Kleiderschrank und zog sich hastig etwas über. Ihre Füße zwangen sie ins Badezimmer - aus dem Spiegel blickte ihr ein müdes Gesicht entgegen.

Anders wäre die Situation, wenn die Prot jetzt schon in ihrem Büro wäre - dann wäre das alles abgeschlossene Vergangenheit, also Plusquamperfekt:

Sie war aufgestanden, zum Kleiderschrank gegangen, das wusste sie noch. Ihre Füße hatten sie ins Badezimmer getragen, und das Gesicht im Spiegel hatte müde und blass ausgesehen...

Wenn ich das Ganze in der Gegenwart schreibe, dann liest es sich so:

Sie sitzt in ihrem Sessel und erinnert sich an heute Morgen. Sie ist zum Kleiderschrank gegangen und hat sich etwas angezogen, dann haben ihre Füße sie ins Badezimmer gezwungen. Beim Anblick ihres eigenen Gesichtes ist sie erschrocken - so hat ihre Mutter ausgesehen, kurz vor ihrem Tod.

klarer? ;)

 

Ich grab mal diesen alten Thread wieder aus, weil mich das Thema beschäftigt und ich gerne eure Meinungen dazu hören würde. Immer wieder lese ich in Kritiken: Bei Geschichten, die in der einfachen Vergangenheit geschrieben sind, gehören Rückblenden in die Vorvergangenheit. Das ist grammatikalisch natürlich korrekt, aber sowie die Rückblende mehr als zwei Sätze umfasst, liest es sich dann einfach grauslich.

Ich zitiere dazu mal aus Sol Steins „Über das Schreiben“:

Bei einigen Wörtern sollte beim Autor ein Warnsignal aufleuchten. „Hatte“ ist der Übeltäter Nummer eins. Kein anderes Wort hat so viele Rückblenden schon im Ansatz zunichte gemacht. Eine Erzählhandlung wird fast immer in der einfachen Vergangenheit präsentiert. Wenn Sie eine Rückblende einfügen, greifen Sie so schnell wie möglich auf dieselbe Zeitform zurück, die Sie in der Haupthandlung verwenden, dass heißt im allgemeinen auf die einfache Vergangenheit.
Besonders unbeholfen wirkt die vollendete Vergangenheit bei Hilfsverben (hatte gehabt, war gewesen), ...
Dazu führt Sol Stein Beispiele an:
Vorvergangenheit (also korrekte Form):
Ich weiß noch, wie mich mein Chef in sein Büro beordert und gesagt hatte: „Setzen Sie sich.“ Er selbst war stehengeblieben. Ich war damals wie ein gerade einberufener Rekrut, alles, was man mir sagte, hatte ich als Befehl genommen. Mir hatte es nicht gefallen, mich zu setzen, während er von oben auf mich herunterblickte.
Laut Sol Stein wäre besser:
Ich weiß noch, wie mich mein Chef in sein Büro beorderte und sagte: „Setzen Sie sich.“ Er selbst blieb stehen. Ich war damals wie ein gerade einberufener Rekrut, ich nahm alles als Befehl, aber ich hatte verdammt wenig Lust, da zu sitzen, während er von oben auf mich herunterblickte.
In einer meiner eigenen Geschichten habe ich mich mal so aus der Affäre gezogen, dass ich eine Erinnerung meiner Protagonistin (und somit eine Rückblende) als allgemein gültige Aussage formuliert habe:
Sie blickte auf den Teich mit dem Brackwasser, dachte an Windermere und ihren Vater, der einen Stein so werfen konnte, dass er drei- oder viermal von der Oberfläche des glasklaren Seewassers abprallte, ehe er versank.
Leider geht das nicht immer. Aktuell habe ich das Problem, dass ich in einer Geschichte eine Rückblende einleiten möchte, die etwa eine Seite umfasst. Geht in vollendeter Vergangenheit natürlich gaaar nicht. Liest sich in der Rohfassung in etwa so:
Chris lehnte am Türrahmen und machte noch immer keinerlei Anstalten, ihr zur Hand zu gehen. Ich kann mich noch gut erinnern, wann du mir das letzte Mal Blumen mitgebracht hast, dachte Jana. Sie sah ihn bildlich vor sich, verlegen lächelnd, mit einem Strauß roter Rosen in der Hand. Er ...
Korrekterweise müsste ich jetzt schreiben: Er hatte ... und mich dann über eine Seite in der Vorvergangenheit durchquälen. Was meint ihr? Einfach dreist in einfacher Vergangenheit weiterschreiben, wie Sol Stein es vorschlägt? Die Rückblende ist ja schließlich eingeleitet, der Leser weiß also, dass die Szene eine Rückblende ist. Wie handhabt ihr Rückblenden, insbesondere längere?

 

Hallo,

ich stehe gerade vor einem identischen Problem. Ist diese Frage vielleicht an anderer Stelle beantwortet worden und ich finde sie nur nicht?

Wenn nicht, wäre ich für eine Antwort sehr dankbar.

Lieber Gruß

 

Ist sie doch, das was da von Sol Stein zitiert wird, ist die Antwort. So macht man das elegant. Man schummelt mit den Zeiten. Ist absolut legitim. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn,

vielen Dank für die Antwort. Ich war schon ehrlich verzweifelt.

Wie sieht es mit der Konsequenz aus? Lasse ich die Vorverganhenheitsform dann allgemein weg und nur bei langen Rückblenden? Gibt es da eine Faustformel oder eine Empfehlung, die ihr habt?

Lieber Gruß

 

Es ist ganz einfach. Niemand liest gerne monotone Texte. Wenn man mal eine Seite im Plusquamperfekt gelesen hat, bei dem sich nur noch "war" mit "hatte" abwechst, weiß man: Das mag grammatikalisch noch so richtig sein, es liest sich grausam und es schreibt sich grausam.
Das Plusquamperfekt kann man vereinzelt nutzen, mal einen Satz lang, einen Nebensatz lang, aber für längere Passagen geht man doch wieder ins Präteritum. In das erzählerische Präteritum, das ist nicht das Schul-Präteritum.
Man kann eigentlich das, was man in der Schule über Zeiten gelernt hat, und über Gleichzeitigkeit, Nachzeitigkeit, Vorzeitigkeit getrost vergessen. :) Vielleicht für Sachtexte interessant, literarische Texte müssen ja auch klingen, müssen atmen. Das Plusquamperfekt rumpelt, wenn's gehäuft auftritt. Und das sieht jeder und das hört jeder und das merkt auch jeder.
Es ist das Beste man vertraut bei Zeiten seinem Sprachgefühl. Wenn es sich gestelzt oder umständlich anhört, muss man schummeln.

In einem Standard-Text. Also: Er-Perspektive, normale Zeitform: Präteritum. So, da reden die Leute natürlich im Präsens (in der wörtlichen Rede), und wenn sie in der wörtlichen Rede von der Vergangenheit reden, dann machen sie das im Perfekt. Wenn ich im Erzähltext eine Rückblende benutzen will, dann schreib ich einen Satz im Plusquamperfekt und setz dann alle Hebel in Bewegung, um wieder ins Präteritum zu kommen. Der Leser verzeiht das.
Futur und Futur II braucht man so gut wie nie.
Und es ist schon immer schwierig bei solchen Texten dann, wenn man bekannte Wendungen oder Sprichwörter hat oder "Es ist doch immer so"-Sätze, die dann das Präsens erfordern, weil man das mal so gelernt hat, sogar die stören dann in einem Text, der durchgängig im Präteritum verfasst ist - das ist dann jedesmal eine riesen Diskussion "Aber es ist doch so richtig! Das muss doch jetzt ins Präsens, weil's doch immer so ist - Ja, das haben wir in der Schule so gelernt, es liest sich aber trotzdem doof."
Es gibt eben Formen, die sehen wie Rumpeldeutsch aus.

Also wenn hier Wolf Schneider zum Beispiel zitiert wird: Dem kann man schon mal was glauben. :)

"(...) nach einem einzigen Plusquamperfekt" soll man dann "ins Imperfekt springen (...)".
Man sollte sich da nicht so einen Kopf drum machen, wenn man genug gelesen hat, macht man das schon instinktiv richtig. (Richtig im Sinne von: Kein Mensch wird sich dran stören). Die deutsche Sprache wird ja nicht im Duden gemacht, sondern in den Köpfen der Menschen.

 

Hallo Quinn,

vielen Dank. Deine Antwort hat mich aus einer Sackgasse heraus geführt.

Lieber Gruß

 

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