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Savegames
»Was zum Teufel...?«
Fluchend erwache aus einem traumlosen Schlaf. Dunkelheit dominiert meine visuelle Wahrnehmung und die restlichen Sinne.
»Mist! Bin ich tot?«, frage ich mich. Falls ja, muss ich mich dann bis in alle Ewigkeit so beschissen fühlen wie jetzt gerade?
Vielleicht sieht die ganze Sache mit offenen Augen anders aus? Gesagt, getan: Die Kruste meiner Augenlider bricht auf wie arktisches Eis, und fast brennt mir das grelle Licht meiner Deckenlampe ein Loch in die Netzhaut.
War ich gestern Abend wieder Saufen? Auf Kneipentour mit Henry? Ich weiß es nicht mehr – an sich ein sehr gutes Indiz meiner Schuld. Das Pochen hinter meinen Schläfen und der leicht pelzige Belag auf der Zunge schließen fürs erste die Beweisführung ab. Genauer kann ich nicht darüber nachdenken, da mein Gehirn momentan im Standby-Modus läuft.
Nur widerwillig lässt sich mein Körper aus dem Bett zerren. Meine betonschweren Füße ziehen tiefe Täler durch die Wäscheberge auf dem Teppich.
»Wie sieht’s hier schon wieder aus? Verdammt nochmal!«, fluche ich weiter rum, als mein Blick an meinem Lieblingshemd kleben bleibt. Ein riesiger dunkelroter Fleck zieht sich wie ein Rallyestreifen von der Schulter bis über den Bauch. Ich hebe es auf, schnuppere und kratze daran. Getrocknetes Blut bröckelt zu Boden. Hastig untersuche ich meinen Körper auf irgendwelche schwerwiegenden Verletzungen hin. Nichts zu finden. Aller Schmerz beschränkt sich auf die Innenseite meines Schädels.
Ich sollte mich wirklich bald erinnern, was gestern Abend passiert ist, versuche ich mir im Tran klarzumachen. Irgendjemandem muss das Blut schließlich gehören, auch wenn’s nicht meines ist. Das Hemd ist jedenfalls versaut.
Lustlos schmeiße ich es in die Ecke, stolpere weiter in die Küche und schlage mir ganz nebenbei das Knie am Esszimmertisch an. Ein weiterer Fluch mit sehr vielen Zischlauten rutscht mir über die Lippen. Dann humpele ich weiter. An der Spüle füllen meine zittrigen Hände ein Glas mit Wasser und schütten es mir zu gleichen Teilen in den Hals und ins Gesicht. Langsam bessert sich meine physische Situation, doch was geschehen ist, weiß ich noch immer nicht.
Ich sollte Anna anrufen – ich will Anna anrufen. Die Sehnsucht nach der Nähe meiner Freundin überfällt mich hinterrücks. Vielleicht weiß Anna etwas.
Mein Blick schweift über das Chaos, das ich Wohnung nenne.
»Wo ist nur das verflixte Telefon?«
Wie eine Oase der Ordnung, sticht mir plötzlich der vollkommen leergeräumte Kniebrecher-Esszimmertisch ins Auge. Einzig ein kleiner Zettel sonnt sich darauf im fahlen Neonlicht.
Woher stammt dieser Zettel? Hat er was mit letzter Nacht zutun? Wer hat ihn geschrieben? Diese Dinge können nur geklärt werden, kommt mir messerscharf der Gedanke, wenn ich hingehe und ihn lese.
Er ist von Anna, womit schon die wichtigste Frage beantwortet wäre. Sie schreibt, dass sie ihn gestern Abend hier hin gelegt hat – ich fühle, dass ich langsam den Lösungen der Geheimnisse des Lebens oder zumindest dieses bisher beschissen gelaufenen Morgens näher komme.
Es folgen einige Zeilen über ihre Gefühle. Blablabla ....Sie macht Schluss mit mir... Wieder Blablabla und...
WAS?
Wie bitte?
Ich lese die fünf Wörter noch einmal, aber sie wollen sich partout nicht ändern. Ich versuche, sie zu einem schöneren Satz umzustellen, doch jedes Mal bleibt ihre Botschaft die gleiche: Anna hat mit mir Schluss gemacht. Das ist heute wirklich ein Scheißtag!
Was soll ich jetzt tun? Weinen? Kotzen? Vielleicht beides gleichzeitig? In der körperlichen Verfassung dazu wäre ich.
Nein, ich muss Taten sprechen lassen, das weiß ich, denn wenn Anna einen Entschluss gefasst hat, ist dieser meist von Dauer - besonders, wenn ich etwas anderes will. Ich kenne Annas sture Prinzipientreue, die in der Frauenwelt eher selten und daher umso kostbarer ist. Ich will meine Anna zurück!
In ihrem letzten Satz bittet sie mich, uns nicht mehr zu treffen, da es alles angeblich nur unnötig schwerer für beide machen würde. Deshalb beschließe ich, in ihre Wohnung zu fahren.
Auf dem Weg dorthin schmiede ich einen perfiden Plan. So einfach gebe ich meine Anna nicht auf. Nicht so! Mein Vorhaben ist gefährlich, illegal und zutiefst unmoralisch. Hinzu gesellen sich Adjektive wie spontan, brutal, verrückt und irrsinnig – also genau das Richtige für mich.
Aufregung und Angst baden mich jetzt abwechselnd in heißkaltem Schweiß. Glücklicher Weise hat Anna gestern Abend offensichtlich vergessen, mir ihre Ersatzschlüsselkarte abzunehmen.
In unauffälliger Art parke ich meinen Wagen schräg auf dem Bordstein vor Annas Hochhaus, springe durchs Erdgeschoss in den Fahrstuhl und drücke eilig den Knopf für den sechsten Stock.
In gähnender Zeitlupe schließen sich die Aufzugtüren. Aus Lautsprechern dudeln mir gehirnschmelzende Todeswellen, von anderen auch Fahrstuhlmusik genannt, entgegen. Unvermittelt kehren Brechreiz und Kopfschmerz zurück. Zwei Ewigkeiten später bin ich endlich oben.
Für einen langen Augenblick hält mich noch der Hauswart im Flur vor Annas Wohnung auf und ich sehe mich schon mindestens des schweren Einbruchs überführt, verurteilt und für Jahrzehnte weggesperrt. Er hingegen hebt nur kurz den Arm und winkt mir freundlich zu.
»Der Alte kennt mich doch gar nicht, denke ich überrascht, zucke dann aber mit den Schultern. Als meine Atmung wieder einsetzt, rutsche ich wie ein Aal um die Tür und hinein in die Wohnung.
Drinnen herrscht klinische Sauberkeit und ich fürchte unwillkürlich, die Zimmer mit meinen Absichten auf einer Meta-Ebene zu infizieren. Dieses Risiko muss ich allerdings in Kauf nehmen. Die Wohnung ist wie erwartet leer, denn die Vormittage verbringt Anna auf Arbeit gewöhnlich mit Quatschen, Däumchendrehen und Kaffeetrinken.
An der Anzeigetafel ihres passend zur Einrichtung beige gestrichenen Restruktors lese ich den aktuellen Status ab. Ein zweites Mal habe ich heute Glück, was nach dem versauten Morgen auch bitter nötig ist: auf dem Display blinkt klar lesbar das Datum von vor drei Wochen. Darauf habe ich gehofft.
Bevor ich Anna in ihrer Firma aufsuche, fahre ich schnell noch bei meinen Eltern ran.
»Schön, dass du nach einem halben Jahr mal wieder vorbeikommst!, freut sich meine Mutter an der Tür und will mit mir gleich über irgendetwas Wichtiges die blöden Nachbarn betreffend reden. Leider verstehe ich es nicht genau, da ich blitzartig die Treppe hoch in das Arbeitszimmer meines Vaters stürme. Hier irgendwo muss das verflixte Ding sein. Fahrig durchkrame ich die große, vorsintflutliche Polizeikiste, in der mein Vater seine Erinnerungsstücke an die Gute Alte Zeit aufbewahrt. Gefunden!
Der »Peacemaker« ist zwar ein wenig verstaubt aber noch gut in Schuss – sozusagen.
Schon sprinte ich wieder hinaus und winke meiner Mutter zum Abschied durch die Heckscheibe, als ich die Einfahrt wieder verlasse.
Es ist fast zwölf Uhr und Anna müsste jetzt in die Mittagspause gehen. In der Eingangshalle fange ich sie vor dem Fahrstuhl ab. Überrascht und deutlich verunsichert schaut sie mich an, und ich verliebe mich gleich aufs Neue in ihre grünen Augen und die kleine Stupsnase. Kurz zweifele ich an meinem Plan. Aber nein! Ich will und muss es für uns beide tun.
»Wir sollten dringend reden«, sage ich gehetzt, bevor sie überhaupt reagieren kann.
»Was willst DU denn hier?« Sie hat sich wieder gefangen und auch gleich den schrillen Keifton herausgekramt, den sie in solchen Situationen immer verwendet.
»Nur reden!«, versuche ich sie zu beschwichtigen, »Lass uns am besten irgendwo hinfahren und was essen.«
»Du machst es uns beiden nur viel schwerer...«
»Komm schon«, lächle ich sie mit meinem Eine-Million-Dollar-Lächeln an, denn ich kenne ihre Schwachstellen nur zu gut, »Was ist schon so schlimm daran?«
»... Na gut«, lächelt sie zögernd zurück, »Ich hab aber nur dreißig Minuten Zeit und du kannst mich sowieso nicht umstimmen!«
Wir gehen zu meinem Auto, das ich, schlau wie ich bin, vorsorglich in einer Ecke – einer einsamen, dunklen Ecke – im unterirdischen Parkdeck abgestellt habe. Unterwegs versucht sie mir den Tränen nah zu erklären, dass sie sich einsam fühlte; uns in einer typischen Alltagsfalle sieht; nicht mehr an eine gemeinsame Zukunft glaubt und noch einen Haufen anderen emotionalen Quatsch aus blöden Beziehungsratgeberbüchern. Ich lächle nur dabei und nicke an passender Stelle, so wie sich’s gehört.
Am Auto schließe ich ihr die Tür an der Beifahrerseite auf, schaue mich kurz um und sage dann:
»Anna, du weißt, dass ich dich noch immer liebe?«
»Ja, ich liebe dich auch noch – irgendwie. Das war nie wirklich unser Problem...«, sie dreht sich kurz um und steigt ein.
»Leider haben wir nicht...« Der Knauf meines väterlichen Revolvers beendet ihren Satz vorzeitig. Fürsorglich schnalle ich sie fest und schaue sie mir noch mal kurz an. Wie schön sie ist, denke ich, selbst mit der langsam anschwellenden Beule an der Stirn.
»Glaube mir. Es ist so am besten für uns«, flüstere ich ihr ins Ohr und fahre los.
Bei ihr zu Hause angekommen, hieve ich sie aus dem Auto und trage sie wie eine junge Braut über die Schwelle. Vom Hausmeister oder irgendwelchen Nachbarn ist Gott sei dank nichts zu sehen. Wir fahren in stiller Eintracht mit dem Fahrstuhl hinauf und ich klemme aus Versehen beinahe ihren Kopf in der automatischen Tür ein. Dann sind wir in ihrer Wohnung. Ich lehne Anna erst mal an die Wand und überlege, wo ich sie am besten hinbringen könnte. Letztlich entscheide ich mich für das Bad, denn dort ist alles gefliest und abwischbar.
Mit einem lauten Plonk fällt ihr Körper in die Badewanne. Der schwierigste aller Momente ist nah. Mein Herz beginnt zu rasen, als wäre ich von Neuem verliebt. Und irgendwie bin ich das ja auch ... bald wieder. Ich versuche die ganze Sache so emotionslos wie möglich zu betrachten.
»Ein bisschen Schießen, ein bisschen Blut – mehr nicht!«, sage ich mir. Aber dummer Weise habe ich noch nie jemanden erschossen. Vielleicht stelle ich mich ja zu dämlich an.
Wieder zittern meine Hände, als ich langsam den Revolver hebe und auf ihren Kopf ziele. Ich kann’s nicht, merke ich plötzlich – ich kann einfach nicht hinsehen. Aber mit der Hand vor den zugekniffenen Augen geht’s.
Mein Zeigefinger krümmt sich, ein lauter Knall, ein Rückstoss, der mir wütend den Arm wegreißt, und feuchte, schmierige Spritzer, die auf meiner Haut niederregnen.
Das wäre geschafft, denke ich erleichtert und schicke noch kurz einen Fluch an die Erfinder des Restruktors, die es einem mit ihren strikten Sicherheitsregeln unnötig schwer machen. Darf nur in finalen Notfällen verwendet werden, steht immer in den Gebrauchsanweisungen.
Aber die Sache mit Anna und mir ist ja wohl auch ein Notfall.
Als ich die Hand wieder wegnehme, die Augen öffne und neugierig hinsehe, muss ich fast kotzen. Ans Waschbecken gelehnt bin ich froh, dass ich heute noch nichts gegessen habe. Die umliegenden Wände erinnern mich an die letzte Riesenpizza bei meinem Stammitaliener. So bald werde ich dort sicherlich nichts mehr bestellen.
»Und auch niemanden mehr ins Gesicht schießen!«, schwöre ich und fange gleich an, nach zwei Mülltüten und Latexhandschuhen zu suchen.
Ich bin kurz überrascht, wie gut das zarte Rosa mit dem Teint meiner Arme harmoniert, als sich der Handschuhgummi schnalzend an meinen Händen festsaugt. Mit gespreizten Fingern sammle ich die kleinen, roten Fetzen Fleisch von den Fliesen und lasse sie in die eine Tüte fallen. Danach wickle ich die andere straff um die Reste von Annas Kopf, damit ich nachher nicht auch noch das Wohnzimmer sauber machen darf.
Umständlich zerre ich die frische Leiche aus der Badewanne und werfe sie mir wie einen alten Kohlensack über die Schulter. Dann schleppe ich sie ins Wohnzimmer und lege sie vorsichtig in die Restruktorkammer. Die zweite Tüte mit den Resten packe ich daneben.
Die notwendigen Vorbereitungen wären damit erledigt. Mittlerweile etwas besser gelaunt drücke ich den großen, grünen Knopf auf der Konsole des Restruktors. Alles weitere überlasse ich ihm: Atomar löst er augenblicklich die Leiche auf; sammelt ihre Bestandteile; analysiert diese; lädt den letzten, drei Wochen alten Speicherstand von seiner Festplatte und baut mit dessen Hilfe in nur wenigen Minuten die gleiche Anna wieder nach – zumindest genauso gleich wie vor drei Wochen. Unterdessen krame ich die nötigen Reinigungsutensilien aus einem Schrank, um die verbliebene Schweinerei im Bad zu beseitigen. Nicht, dass es gleich wieder Ärger mit der neuen Anna gibt.
Ein fröhliches Ping signalisiert mir, dass meine Freundin fertig ist. Vorsichtig nehme ich sie aus der Kammer und lege sie auf die Couch. Sie schläft friedlich wie ein Engel und duftet neu. Nachdem ich mich von ihrem wundervoll unschuldigen Anblick losgerissen habe, gehe ich wieder zurück ins Bad, denn die Blutflecken sind hartnäckiger als gedacht.
Zwei Stunden später höre ich sie im Wohnzimmer stöhnen.
»Was ist passiert? Wo bin ich?« fragt sie gequält und blinzelt mich aus kleinen Schlitzen an.
»Du hattest einen kleinen Unfall«, lüge ich genial. »Hast dich ganz schön stark am Kopf gestoßen. Nichts schlimmes. Der Arzt meinte, dass es normal ist, wenn du dich etwas daneben fühlst.«
Sie stöhnt nur, unwillig überhaupt etwas zu fühlen.
»Ich dachte mir, ich bringe dich nach Hause und versorge dich ein bisschen«, rede ich munter weiter. »Ich kann ja auch mal wieder was für meine Freundin tun, habe ich mir gesagt. Wir scheinen nicht mehr weit von der typischen Alltagsfalle entfernt zu sein. Daher habe ich mir überlegt, dass wir wieder öfter etwas gemeinsam...«
»Pete!«, unterbricht sie mich, mit ihrem empfindlich hohen Ton in der Stimme. »Momentan fühle ich mich zwar nicht sonderlich wohl, aber vielleicht ist es genau richtig so. Ich will dir nämlich schon lange etwas sagen. Etwas Wichtiges! Leider habe mich aber bisher noch nicht getraut. Jetzt kann ich aber nicht länger warten...«
»Du willst mit mir Schluss machen?«, rate ich einfach mal so ins Blaue.
»Äh... ja?! Woher weiß du das?«
»Nur so ins Blaue geraten.«
»Ich habe mich in letzter Zeit so einsam gefühlt und du warst nie da....«
»Aber das will ich ja jetzt ändern.« Erneut erstrahlt das berüchtigte Lächeln auf meinen Lippen. Ich muss mich anstrengen. Der Drei-Wochen-Zeitbonus, den ich mir gerade erkauft habe, ist zwar hilfreich aber nicht genug.
»Es hat sich bereits etwas geändert...« Mit diesem Satz macht sie mich stutzig.
»Was?«
In gleichen Moment piepst das Schloss der Eingangstür und ein Mann kommt herein.
»Bist du schon da, mein kleines Sahneschnittchen?«, fragt er zuckersüß.
»Henry!«, rufen Anna und ich wie aus einem Mund, nur unterschiedlich betont .
»Was macht der denn hier?« Diesmal sind es ich und Henry, die gleichzeitig ihre Erregung hinausbrüllen und mit dem Zeigefinger jeweils auf den anderen deuten. Wutentbrannt schauen wir dabei zu Anna, die sich ächzend den Kopf hält.
»Ich dachte, du hättest ihm einen eindeutigen Zettel geschrieben!«
»Und ich dachte... äh... Das hätte ich jedenfalls nicht gedacht!«
Ich bin von der Situation total überfordert. Ebenso Anna, die nur mit großen Augen und offenen Mund dasitzen kann und abwechseln mich und Henry ansieht.
Es folgen schweigsame Sekunden, in denen Anna versucht wieder Luft zu bekommen, ich langsam erst begreife, was gerade geschehen ist, und Henry seine Jacke auszieht und sich einen roten Apfel aus einer Obstschale nimmt.
»Sieh mal, alter Freund...« Er spricht plötzlich zu mir mit gönnerhaftem Ton und halbvollem Mund. »...das mit Anna und mir läuft schon seit einigen Monaten so. Sie hatte vorgezogen, lieber erst mal sauber mit dir Schluss zu machen, um es dir später bei passender Gelegenheit zu erzählen.«
»Wann später?«, frage ich entgeistert und kann mich gar nicht entscheiden, wen ich vor lauter Wut anspringen und wessen Kopf ich abreißen soll.
»Du weißt schon: wenn sich alles abgekühlt hat; die Gefühle nicht mehr so wallen; du eine neue Freundin hast – dann etwa.«
»Aber du bist... äh, warst mein Freund!«
»That’s Life«, sagt Henry auf seine typisch saloppe Art, und ich schlage ihm fast ebenso salopp in die Fresse.
»Scheiß Leben ist das!«
»Schon gut! Ich hab’s ja auch verdient.« Er steht wieder auf und betupft sich die blutende Lippe. »Aber das hatten wir alles schon mal.«
»Wie, schon mal?«, frage ich erneut – oder immer noch? – jedenfalls reichlich verwirrt.
»Du sturer Bock hast auch beim letzten Mal nicht einsehen wollen, dass Schluss ist, und uns dann durch Zufall mittendrin überrascht. Aber wir wollten deine Gefühle schonen, und daher dachten wir, dass es so... «
Henry greift blitzschnell nach einer kitschigen Messingvase, die ich Anna bei unserem Einjährigen geschenkt hatte, und plötzlich wird mir seltsam schwarz vor Augen. Ein greller Schmerzesblitz durchzuckt mich. Warme Nässe überströmt meinen Kopf. Blutgeschmack auf meinen Lippen.
»... am besten für dich wäre«, höre ich noch im Fallen.
»Fuck!« Ich erwache in meinem Bett. Finsternis hält mich umschlungen und mein Schädel brummt wie ein Hornissenschwarm.
Was ist geschehen? War ich gestern wieder auf Kneipentour mit Henry? Keine Ahnung! Mein Gedächtnis ist ein großes schwarzes Loch...