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Die zertanzten Schuhe - Wie es weiterging

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22.10.2004
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Die zertanzten Schuhe - Wie es weiterging

I. Die zwölf Schwestern

Es war in einem nicht allzu fernen Königreiche, da trug es sich zu, dass der König starb und das Reich auf die älteste seiner zwölf Töchter und ihren Gemahl überging. Jener Gemahl war aber selbst bereits ein reifer Mann mit ergrauenden Schläfen, ein ehemaliger Soldat, welcher dem König einst die nächtlichen Aktivitäten seiner Töchter verraten hatte und zum Lohne mit der Ältesten verheiratet worden war. Ihre Schwestern waren nacheinander mit Prinzen und Fürsten in den Nachbarländern verheiratet worden, nur die Jüngste weigerte sich hartnäckig. Der alte König hatte sie hart über ihren Starrsinn getadelt, war sie doch ein schönes und kluges Mädchen und viele Fürsten hätten sich glücklich geschätzt, sie heimführen zu können. Doch wollte sie nichts von Heirat wissen. Tagein, tagaus saß sie in ihrer Kammer und kannte nur drei Zerstreuungen: sie webte, dichtete und starrte sehnsuchtsvoll ins Leere, wobei niemand zu sagen wusste, woran sie denken mochte. Sie sprach auch mit niemandem, der sie darob befragen wollte. Mehrere Jahre waren schon so vergangen, und ihr Vater war in dem Gram gestorben, seine jüngste Tochter unverheiratet zu wissen.
Das Unglück seiner Ältesten war ihm freilich unentdeckt geblieben. Zwar hatte sie ihrem Gemahle bereits ein braunlockiges Söhnchen geschenkt, zwar bemühte sie sich, ihm eine gute Ehefrau zu sein, doch in ihrem Herzen empfand sie nicht die geringste zärtliche Neigung für ihn. Das Glück ihres Lebens meinte sie vor Jahren in den Augen ihres verwunschenen Prinzen gesehen zu haben. Mit Freuden hatte sie das Blut an ihren Füßen auf sich genommen, um ihn nach tausend Nächten erlöst zu haben. Der Soldat aber war just in der vorletzten dieser tausend Nächte zum König gegangen und hatte sie allesamt verraten, sodass der Eingang zu der unterirdischen Welt zugeschüttet worden war und die zwölf Prinzen wieder auf ewige Zeit verwunschen. Denn wann, so fragte sich die Königin, würde es wieder zwölf Schwestern geben, welche bereit waren, die Prinzen zu erlösen? Und sie fand sich in einem grausamen Zwiespalt der Seele wieder: sie wünschte es ihrem Liebsten und seinen Brüdern nicht, dass sie ewig verwunschen blieben, es schmerzte sie aber auch, sich ihren Prinzen in den Armen einer anderen Frau vorzustellen.
Ebenso wusste die Königin, dass ihre jüngste Schwester sie verachtete, da sie den Soldaten geehelicht hatte. Die Bindung zwischen der jüngsten Prinzessin und ihrem Liebsten war, das gestand sich die Königin ein, wahrscheinlich die engste von allen zwölfen gewesen, auch wenn sie nicht geglaubt hatte, dass die beiden, die ja noch halbe Kinder waren, so innige Liebe empfinden konnten. Aber in den letzten Jahren hatte sie es ja gesehen, dass ihre Schwester dem verwunschenen Prinzen noch immer die Treue hielt.
Als der kleine Sohn der Königin seinen fünften Geburtstag feierte, wurden sämtliche Schwestern und ihre Ehemänner zu einem großen Fest geladen. Sie alle kamen und freuten sich sehr über den possierlichen Jungen, auch begrüßten sie den neuen König voller Freude und Wärme. Bald kam es einer der Schwestern in den Sinn, nach der Jüngsten zu fragen, die nicht erschienen war; darauf erzählte der König ihr von dem seltsamen Gebaren des Mädchens, das er sich nicht zu erklären vermochte. Die Königin, die es vermocht hätte, schwieg. Nun wollten die Prinzessinnen aber ihre Schwester sehen, und der Ältesten blieb nichts anderes übrig, als sie hinauf zu der Kammer zu führen, in der die Jüngste tagein, tagaus saß.
Wie sie eintraten, fanden sie die Prinzessin stumm und bleich auf ihrem Bett sitzend. Ihr Haar war so lang geworden, dass es mittlerweile den ganzen Fußboden bedeckte. Auf dem Webstuhle vor ihr hatte sie ein feines weißes Tüchlein, an dem sie bis eben gearbeitet; in ihren Augen aber stand ein Leid, das nicht zu ihrer Jugend passte.
Erstaunt und erschrocken traten die Prinzessinnen auf ihre Schwester zu, begrüßten und befragten sie, was denn geschehen sei.
„Als ich fortging“, sagte die, welche gleich nach der Ältesten verheiratet worden war, „saßest du schon genauso da. Ich dachte nicht, dass es jetzt noch immer so sein könnte. Was ist dir?“
Da blickte die Jüngste sie alle der Reihe nach an und sprach schließlich: „Ach! Ihr habt sie alle schon vergessen, ich weiß es wohl. Denn für euch, was war es damals mehr als ein Abenteuer? Musstet ihr nicht an jedem Morgen aufs Neue überredet zu werden, die Schmerzen der nächsten Nacht wieder zu ertragen? Wie oft wolltet ihr nicht den stundenlangen Tanz gegen erquickenden Schlaf eintauschen und für immer die feinen engen Schuhe abstreifen, die wir mit unseren zerschundenen Füßen nicht mehr tragen konnten! Wehe, ihr wart auch nur nach außen hin die richtigen, um jene Prinzen zu erlösen. So wenig Zeit ist verstrichen, doch ihr denkt schon gar nicht mehr an sie.“
„Weil wir nichts mehr für sie tun können“, versetzte ihr eine der Schwestern.
„Außerdem“, sagte eine andere, „haben wir in unseren Männern so liebevolle Gemahle gefunden, dass es uns nicht mehr nach jenen Prinzen verlangt.“
„Du denkst zuviel an sie“, fügte eine dritte hinzu. „Es ist ein schönes Traumbild für dich, und in deiner Jugend glaubst du noch an die ewige Liebe. Wir aber haben begriffen, wie das Leben wirklich ist.“
„Sprich mir nicht von Traumbildern!“, klagte die Jüngste. „Ich sehe ihn jede Nacht im Traum. Wir können einander nicht vergessen, wir sind uns viel zu nah. Ach! Würden sie mich doch glücklich machen, diese Träume! Aber sie zeigen mir nur das Unmögliche. Wie auch immer ich das Leben zu leben suchen würde, nie könnt ich glücklich sein, alles wäre nur Spiel, und solch falsches Glück ist mir noch bitterer als ehrliches Unglück. Ihr nennt mich dumm, weil ich jung bin. Aber Liebe kennt keine Jahre...“ Wieder schaute sie ihre Schwestern an. „Welche von euch denkt noch an den ihren? Welche von euch würde heute mit mir hinab steigen, den Schutt beiseite räumen, es ein zweites Mal versuchen? Welche von euch liebt den ihren noch?“
Und sie blickte wieder auf ihre Webarbeit.
Ihre Schwestern jedoch sahen sich an und schwiegen sehr lange. Schließlich sagten sie einander: „Sie ist wohl verrückt geworden über ihre Träumereien.“ Und achselzuckend stiegen sie wieder hinab, in den großen Tanzsaal, wo ihre Männer auf sie warteten.
Nur die Königin blieb zurück und betrachtete ihre jüngste Schwester.
„Auch ich kann ihn nicht vergessen“, sagte sie. „Ich weiß, was du fühlst.“
„Aber du hast ihn verleugnet und dich dem Soldaten geschenkt.“
„Ich habe ihm meine Hand gereicht. Doch im Herzen bin ich meinem Prinzen so treu geblieben als du dem deinen.“
„Ich weiß nicht“, sagte die Jüngste leise, „die Treue des Herzens ist schön, aber du bist zu schwach, um noch mehr Treue zu zeigen.“
Das erzürnte die Königin. „Schwäche? Was sagst du da! Es ist mir wahrlich nicht leicht, und das weißt du! Aber habe ich nicht eine Verpflichtung ans Leben? Was würde er sagen, wenn ich mich für ihn begrabe?“
„Das weiß ich nicht“, entgegnete die Prinzessin, begann wieder zu weben und sah ihre Schwester nicht mehr an. Und jene wusste, dass es zwecklos war, und stieg wieder hinab, wo sie nach ihrem kleinen Sohn suchen würde, welcher sich unterdessen bis in das alte Mädchenschlafzimmer vorgewagt und dort die dunkle Falltür gefunden hatte. Unter dieser schien ihm gedämpfte Musik entgegen zu dringen, lieblicher als alles, was er je gehört.
Seine Mutter würde ihn nicht mehr finden.
Und auf dem Gesicht der jüngsten Prinzessin lag ein wehmütiges Lächeln.
Elf Prinzen aber klagten, denn man hatte sie vergessen.


II: Der Königssohn und die zwölf Schwäne

Der kleine Prinz hatte staunend mitangesehen, wie die Falltür sich wie von selbst gehoben hatte. Dann war er nähergekommen und hatte ein paar Stufen gesehen, aber auch jede Menge Schutt und Steine, die den weiteren Weg versperrten. Doch der kleine Junge war neugierig, und überdies lockte ihn die Musik, die noch immer aus der Tiefe heraufklang. Also hüpfte er in das Loch und näherte sich dem Steinhaufen. Für einen ausgewachsenen Menschen wäre dieser unmöglich zu überwinden gewesen. Aber der Königssohn war für seine fünf Jahre noch immer ungeheuer winzig. Er kletterte auf den Steinen herum, fand hier einen Spalt und dort eine Lücke, und ehe er’s sich versah, war er auf der anderen Seite des gewaltigen Steinhaufens, rutschte dort auf den kalten Stufen aus und purzelte mit einem Aufschrei hinab in die Tiefe! Pardauz, da lag er!
Allerdings war unserem Königskind kein Leid geschehen, denn es war auf dem weichsten Gras gelandet. Staunend sah der Kleine sich um; er war in keinem unterirdischen Gewölbe, sondern in einer ganz eigenen Welt! Vor ihm lag ein weiter, silbern glänzender See. Das Gras, auf dem er gelandet war, fühlte sich seidig an und schimmerte leicht golden. Doch auch die Bäume und Sträucher, die am Ufer des Sees wuchsen, glänzten in dieser Farbe, und in einiger Entfernung erkannte er eine prachtvolle Weide, die ganz aus Silber zu sein schien.
Auf der anderen Seite des Sees aber sah er ein prächtiges Schloss stehen, das hell erleuchtet war. Von dorther drang die Musik herüber. Es war aber kein fröhliches Tanzlied, sondern trotz ihrer Schönheit die traurigste Weise, die er je vernommen, und das Herz wurde ihm schwer. Gleichzeitig verlangte es ihn, sich der Musik zu nähern. Vielleicht fand er in dem Schloss auch Leute, die ihm sagen konnten, wo er hier war.
Der kleine Königssohn lief also am Ufer umher, doch es war weit und breit kein Kahn zu sehen. Da beschloss er, um den See herumzulaufen, denn dieser schien ihm nicht allzu groß zu sein. Er war zwar weitaus größer wohl als der Schlossteich bei ihm daheim, doch natürlich um vieles kleiner als das Meer, das er auf einer Ferienreise zu seiner ältesten Tante gesehen hatte. Jene Tante war nämlich mit dem Küstenkönig verheiratet.
Die Silberweide schien nicht zu weit entfernt zu sein, doch die Füße wurden ihm schwerer und schwerer, als er auf sie zulief, und es mochten mehrere Stunden vergangen sein, bis er sie erreichte. Es war auch kein gewöhnlicher Baum, sondern Stamm, Zweige und Blätter waren wirklich ganz aus Silber, der Stamm klobig, die Blätter dünn und filigran, dazu war die Weide größer als alle Bäume, die er je erblickt hatte. Staunend und müde setzte der kleine Prinz sich an den Fuß der Weide, um auszuruhen, und kurz darauf war er eingeschlafen.
Das Geräusch flatternder Flügel weckte ihn bald danach. Er schlug die Augen auf und sah um sich herum zwölf weiße Schwäne sitzen, mit klugen schwarzen Augen und goldenen Schnäbeln.
„Guten Tag, liebe Schwäne“, sagte der Königssohn, denn er war ein wohlerzogenes Kind.
Die Schwäne nickten ihm freundlich zu und antworteten: „Guten Tag, Prinz Felipe!“
Das erstaunte den Jungen nun doch sehr, denn sprechende Schwäne gab es bei ihm zuhause nicht. Außerdem konnte er sich nicht vorstellen, woher sie seinen Namen wissen sollten. Wie er das aber fragen wollte, kamen ihm gleichzeitig viele andere Fragen in den Sinn, nämlich wer sie seien, wieso sie sprächen und wo er sich befinde, auch was die Musik bedeute und wie er in das Schloss oder aber wieder nach Hause komme; und er überlegte, welche Frage zuerst zu stellen sei, und brachte darüber kein Wort heraus.
„Armer Junge!“, sagte der schönste und größte der Schwäne. „So bist du durch die Musik genauso hergelockt werden wie einst vor Jahren die zwölf Königstöchter, doch anders als sie vermagst du hier nichts zu bewirken.“
„Ja“, sagte der kleinste Schwan, dessen Gefieder silbern glänzte, „aber ich fürchte auch, du wirst nicht wieder fort kommen, denn die Lücken im Steinberg haben sich geschlossen. Ich glaube wohl, sie möchten dich gern hier haben.“
„Aber wer?“, fragte unser Prinz Felipe, und bei dem Gedanken, dass er seine liebe zärtliche Mutter und das schöne Schloss nie wieder sehen sollte, füllten seine braunen Augen sich bereits mit Tränen. Doch die Schwäne kamen näher zu ihm heran, wischten ihm die Tränen mit ihren Flügelspitzen ab und trösteten ihn mit weichen Stimmen: „Fürchte dich nicht! Solang wir bei dir sind, soll dir niemand ein Leid tun. Diese Welt hat ihre Schönheiten, und du sollst sie kennen und lieben lernen und hier noch glücklicher sein als auf der Erde. Viele Wunder gibt es hier, die du sonst nie kennen lernen könntest.“
Felipe hörte zu weinen auf und sagte: „Dann will ich gern eine Weile bei euch bleiben und sehen, wie es mir gefällt! Aber wer seid ihr denn, und warum könnt ihr sprechen?“
Da wurden die schwarzen Augen der Schwäne sehr traurig, und sie erzählten ihm:
„Wisse, liebes Königskind, wir waren nicht immer Schwäne. Wie deine Mutter und ihre elf Schwestern, so waren auch wir einst zwölf Prinzessinnen und hatten zwölf schöne Brüder. Vor langen Jahren aber ist ein Fluch über uns gekommen, und wir wurden in Schwäne verwandelt. Aber anders als unsere Brüder können wir wohl nie erlöst werden.“
„Wieso seid ihr verflucht worden? Was habt ihr Böses getan?“
„Ach, kleiner Prinz“, seufzte einer der Schwäne, „das können wir dir heute noch nicht sagen, denn du bist noch viel zu jung, um das zu verstehen. Aber wenn du bei uns bleibst, wirst du es eines Tages erfahren. Habe nur keine Angst vor uns, denn wir haben alle ein gutes Herz und würden dir nie etwas antun. Bei uns soll es dir so gut gehen wie bei deiner Mutter, und wir wollen dich behüten, als seiest du unser eigenes Kind.“
Und sie erhoben sich, und der größte Schwan sagte zu Felipe, er solle auf seinen Rücken steigen. Der Prinz tat es und hielt sich an den duftig weißen Federn des großen Vogels fest, während dieser mit seinen elf Schwestern in das silbrige Wasser des Sees glitt. Sie schwammen in Richtung des Schlosses, doch auf halbem Wege erkannte Felipe, dass inmitten des Sees noch eine Insel lag, und auf diese steuerten sie hin, gingen an Land und zeigten ihm zwölf samtene Nester, ein jedes in einer anderen Farbe.
„Bald“, sagten sie, „werden wir auch eines für dich haben, in dem du schlafen kannst.“
Daraufhin brachten sie ihm Gutes zu essen und zu trinken: Milch und Eier, auch fremdartige Wurzeln und Beeren, die dem Jungen aber sehr gut schmeckten. Als er gesättigt war, fragte er nach der Musik, die aus dem Schloss drang. Die Schwäne aber sprachen zu ihm: „Du darfst diesen Klängen wohl lauschen und dich an ihnen erfreuen, aber du darfst nie in dieses Schloss gehen, ehe du nicht siebzehn Jahre zählst.“
Ach! Das klang für den kleinen Königssohn wie ein Nie, denn zwölf Jahre waren für ihn eine unvorstellbar lange Zeit. Fast grämte er sich darüber, doch die Schwäne trösteten ihn bereits wieder: „Es gibt keinen Grund, traurig zu sein, lieber Prinz! Denn in unserer Welt gibt es soviel Schönes und Wundervolles zu sehen, und du bist so jung und hast noch so viel zu lernen, dass du hundert Jahre damit zubringen könntest, ohne dich zu langweilen.“
Da war er wieder beruhigt und willig, sich in alles zu fügen, was die wunderbaren Schwäne zu ihm sagten.
Die Musik aber klang weiter vom Schloss herüber, bald lauter, bald leise, bald wiegend, bald klagend, doch nie verlor sie etwas von ihrer einzigartigen Schönheit.
Prinz Felipe aber lebte von da an bei den zwölf zu Schwänen verwunschenen Prinzessinnen.


III: Das Leid der Königin

Es vergingen nur wenige Jahre, da war aus der schönen jungen Frau des Soldatenkönigs, wie er im Volke scherzhaft genannt wurde, ein vom Leid gezeichnetes Weib geworden. Ihr Haar war ergraut, ihre Augen müde und leer, ihre Lippen schmal und jedes Lächelns verlustig. War doch ihr kleiner Sohn, der ihre einzige Freude und Zerstreuung gewesen war, seit seinem fünften Geburtstag nicht mehr auffindbar; und es war nicht nur so, dass sie ihn vermisste und Tag und Nacht in Sorge um ihn lebte, es war auch so, dass es ihr seither immer schwerer wurde, eine gute Königin zu sein und die Rolle zu spielen, die sie ihrem Manne gegenüber übernommen hatte. Dieser war ein ruhiger und vernünftiger Mann, deutlich geprägt vom Soldatenleben, das er einst geführt; es war gewiss nichts Boshaftes in seinem Wesen, doch neben den Umständen, unter denen sie seine Frau geworden war, wog noch besonders schwer, dass er nun einfach nicht der Mann war, den sie hätte lieben können und mit dem sie ihr Leben hätte verbringen wollen. Noch bitterer kam zu all dem Leid hinzu, dass das Bild des Prinzen, mit dem sie einst getanzt, von Tag zu Tag mehr verblasste – schon vermochte sie sich nicht mehr die genauen Züge seines Gesichts in Erinnerung zu rufen. Umso einsamer fühlte sie sich. Der König sagte ihr dann und wann, wie gern er ein weiteres Kind mit ihr gehabt hätte, schließlich war auch ein Erbe nötig. Doch seine Frau wies ihn stets ab, und es erboste ihn langsam, dass sie so gar nicht an das Schicksal des Königreiches dachte. Sie wiederum warf ihm von Zeit zu Zeit vor, dass es ihm völlig gleichgültig sei, was aus seinem Sohn geworden. Und so war das Verhältnis des Königspaares kühl und tot. Die zehn Schwestern in den zehn verschiedenen Nachbarländern waren glücklich mit ihren Männern und hatten bereits selbst alle Kinder, welche ihre Freude und Hoffnung waren, und die jüngste Prinzessin saß nach wie vor in ihrer Kammer, webte und dichtete.
Eines Tages stieg ihre älteste Schwester zu ihr hinauf und sah mit Erstaunen, dass die Jüngste sich kaum verändert hatte. Das Leid, das sie trug, war wie immer nur in ihren Augen zu sehen, ihr Haar war noch länger geworden in den vergangenen Jahren. Alles in allem aber hatte sie das liebliche Antlitz eines sehr jungen Mädchens, das Gesicht, in dessen Züge der jüngste verwunschene Prinz einst so verliebt gewesen war.
Die Prinzessin sah nicht auf, als ihre Schwester hereinkam. Aus den Augenwinkeln gewahrte sie wohl, was das Leid aus dieser gemacht hatte, doch sie wusste nichts zu sagen. Ihre Schwester hob eines der im Zimmer umherliegenden Blätter auf und las stumm die darauf geschriebenen Verse.
„Wie schön“, sagte sie schließlich, „aber wie traurig.“
„Die schönsten Sachen sind traurig“, erwiderte die Prinzessin und beugte sich über ihre Webarbeit.
„Denkst du noch immer an ihn?“
„Ich kann ihn gar nicht vergessen, selbst wenn ich es wollte.“
Eine Weile schwiegen sie beide.
„Es tut mir Leid, was mit deinem Sohn passiert ist“, sagte die Jüngste schließlich, und die Älteste war überrascht, dass sie es wusste, „aber vielleicht gibt es keinen Grund, das zu bedauern; wir wissen ja nicht, ob es ihm nicht vielleicht gut geht.“
„Aber wo sollte er sein, wo es ihm gut geht“, versetzte die Königin leise.
„Wie auch immer: Du hast zu mir einst von einer Verpflichtung an das Leben gesprochen. Hast du sie vergessen? Du siehst so aus.“
„Ich habe meine Verpflichtung, aber ich habe nicht die Kraft.“
„Danach fragt das Leben nicht.“
„Sag mir eines“, bat die Königin, „wenn du deinen Prinzen so sehr liebst und ihn all die Jahre nicht hast vergessen können, warum bist du nie hinabgestiegen aus deiner Kammer? Warum hast du nie Befehl gegeben, dass man den Eingang frei räumt, warum bist du nie hinabgegangen, über den See gefahren, warum hast du denn nie versucht, es noch einmal auf dich zu nehmen und wenigstens den einen zu erlösen? Nie ward gesagt, dass das nicht möglich sei. Vielleicht muss jeder der Prinzen eine finden, die ihm bestimmt ist; denn es kann nicht sein, dass genau zwölf Schwestern für zwölf Brüder geschaffen sind. Und du bist es doch, die für ihn bestimmt ist. Warum also trauerst du nur? Warum handelst du nicht?“
Da ließ die Prinzessin ihre Webarbeit sinken und begann bitterlich zu weinen, und es waren Tränen, die schon lange darauf warteten, vergossen zu werden. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte heftig. Ihre Schwester setzte sich erschrocken neben sie und nahm sie in den Arm, was sie zuletzt getan hatte, noch bevor die Prinzen in ihr Leben getreten waren; beide waren sie da noch Kinder gewesen.
Schließlich begann die Jüngste unter Tränen zu sprechen.
„Ich würde ja, wenn es nur möglich wäre! Aber er will es ja nicht. Denn er glaubt, wie es auch seine Brüder glauben, dass wir zwölf sie verraten haben. Bald nachdem der Eingang zugeschüttet worden war, hatte ich einen Traum, und dieser Traum war so intensiv, dass ich wusste, er war Wahrheit. In diesem Traum habe ich ihn gesehen, und sein Gesicht war bitter und traurig. Er sprach zu mir, dass sie das Donnern wohl gehört und bald darauf entdeckt hätten, was mit dem Eingang geschehen sei, und dass sie auch sehr wohl wüssten, was es bedeute; sie seien ihrer Erlösung sehr nahe gewesen, und da hätten wir es mit der Angst zu tun bekommen, denn bisher seien sie ja nur ein nächtliches Abenteuer gewesen, fast nur ein Traum. Doch um sie in unsere tägliche Welt zu lassen, dafür fehle uns Kraft und Mut, und daher hätten wir den Eingang zugeschüttet. Keiner von ihnen, fuhr er fort, habe geglaubt, dass wir das tun würden, und sie alle hätten sich innerlich von uns abgewandt. Ich versuchte, ihm zu erklären, was geschehen war, doch er unterbrach mich, schaute mich traurig an und sprach: ‚Versuche nicht, mich anzulügen. Es tut mir sehr weh, doch mein Herz kennt nur noch Verachtung für dich, auch wenn es dich lieber lieben würde wie bisher. Doch das darf es nun nicht mehr. So lebe denn wohl, wir sehen uns nicht wieder.’ Diesen Traum hat er mir geschickt, ich weiß es wohl; und wenn ich ihn seither in Träumen sehe, ist es verschwommen und er bleibt mir fern, es sind wirre Träume, die nicht von ihm kommen. Ach, ich würde alles tun, könnte ich ihn erlösen, aber er verachtet mich so sehr, dass ich ihn nie überzeugen könnte.“
Und sie weinte leise weiter.
„Es ist wahr“, sagte die Königin zu sich, „sie haben ja nie erfahren, was geschehen ist. Und das Schlimme ist, dass sie ein wenig Recht haben; denn viele von uns mögen innerlich aufgeatmet haben, als der Eingang verschüttet wurde.“
„Ja, viele!“, rief die Prinzessin klagend aus, „aber ich doch nicht, und auch du nicht!“
„Natürlich nicht. Aber höre – meinst du denn nicht, dass du doch hinabsteigen könntest? Wenn du ihm all das mitbrächtest, was du in den Jahren für ihn gewebt und gedichtet, müsste es ihn nicht rühren und überzeugen?“
„Nein“, sagte die Jüngste betrübt, „er würde es nicht sehen wollen. Du hast nicht jenen Traum gehabt: aus seinen Augen sprach eine Verachtung und Enttäuschung, die ihresgleichen nicht hat auf der Welt. Und vielleicht hätte ich auch so empfunden, wenn ich glauben müsste, so verraten worden zu sein. Nein, es nützt nichts; ich werde ihn niemals wiedersehen. Es bleibt mir nur die Erinnerung. Wir alle könnten nicht mehr zu ihnen zurückkehren, selbst wenn wir alle es wollten.“
„Und was soll ich tun?“, fragte die Königin. „Was hat mein Leben noch für einen Sinn?“
„Du musst über ein großes Land bestimmen, du hast eine Aufgabe und wirst gebraucht“, entgegnete ihre Schwester. „Du bist noch ziemlich jung, du könntest noch ein Kind bekommen, und so hättest du eine Freude im Alter. Du brauchst etwas, woran du dich festhalten kannst, liebe Schwester; du bist im Moment haltlos, und deshalb siehst du so unendlich erschöpft und traurig aus. Ja, du hast deine Verpflichtung ans Leben, aber das habe ich früher nicht erkennen wollen. Ich aber habe keine, und deswegen lass mir meine Kammer mit meiner Einsamkeit, meiner Sehnsucht und meinen Tränen.“
„Wie kommt es aber, dass du noch immer so aussiehst, als hättest du nie hartes Leid erfahren? Als wärst du noch immer das Kind, das damals im knisternden Ballkleid die Treppe hinunterstieg, um zum Tanzen mit dem Liebsten zu gehen?“
Die Prinzessin lächelte.
„Das macht meine Liebe“, sagte sie.

IV: Das Aufwachsen des jungen Prinzen

Unterdessen wuchs der verschollene Prinz in der unterirdischen Welt der verwunschenen Königskinder auf, behütet von den zwölf sprechenden Schwänen. Sie alle waren ihm liebe Gefährtinnen, und jeder Schwan begann alsbald, ihn in etwas zu unterweisen:
Einer lehrte ihn Lesen und Schreiben und lehrte ihn sodann Gedichte und Verse.
Ein zweiter brachte ihm das Zählen und Rechnen bei.
Ein dritter lehrte ihn die Namen und Eigenarten aller Pflanzen und Tiere, welche es in ihrer wundersamen Welt gab, und wie er mit bestimmten Pflanzen verfahren konnte, doch auch, wie er die Tiere verstehen und mit ihnen umgehen sollte.
Der vierte berichtete ihm von den Zuständen in der Welt, aus welcher der Prinz gekommen war, sodass er alles über die Geschichte der Länder erfuhr, ebenso wo sie lagen und wie sie beschaffen waren.
Der fünfte brachte ihm das Schwimmen und Klettern bei.
Der sechste Schwan lehrte ihn zu singen und selbst wunderbare Weisen auf einer kleinen Flöte zu spielen.
Der siebente lehrte ihn Schnitzen, Meißeln, Falten und Zeichnen.
Der achte unterwies ihn im Umgang mit hölzernen Stecken, die er alsbald wie einen Degen verwenden konnte.
Der neunte Schwan zeigte ihm, wie er sich zu verhalten hätte, wenn er unter seinesgleichen bei den Menschen sei.
Der zehnte lehrte ihn die Namen aller Gestirne, berichtete ihm von ihrem Lauf und lehrte ihn jede Sage, die es zu den leuchtenden Sternen gab.
Der große Schwan schließlich brachte ihm die Sprachen bei, welche in den verschiedenen Ländern gesprochen wurden.
Der kleine silberne Schwan aber lehrte den Prinzen die Freundschaft und zeigte ihm all die Wunder und Schönheiten, die in ihr zu entdecken waren; und von ihm erfuhr Prinz Felipe, warum Geben glücklicher macht als Nehmen, warum man die wahren Freunde im Unglück erkennt und wie wichtig ein Freund sein kann. Der Königssohn und das silberne Schwänlein waren fast immer beieinander, und der Schwan zeigte dem Freund eine Unzahl schöner Orte und kleiner Dinge, an welchen man sich erfreuen konnte.
So verging wahrlich viel Zeit. Stets ertönte die wundersame Musik aus dem erleuchteten Schloss, doch der Prinz wusste ihr zu widerstehen. Er wagte es auch nie, Fragen an seine weißgeflügelten Beschützerinnen zu richten; fast hatte er vergessen, was sie ihm an dem Tage gesagt hatten, da er zu ihnen gekommen war.
Schließlich aber hatte er eines Nachts einen seltsamen Traum, in dem er einen finsteren Turm sah. Es ging etwas so Bedrohliches von diesem Turme aus, dass er schweißgebadet aus dem Schlafe auffuhr; rings um ihn her war es jedoch nicht finster. Da ging ihm zum ersten Male auf, dass es in jener Welt nicht dunkelte. Die Sterne, von welchen ihm einer der Schwäne berichtet hatte, hatte er bisher nur auf blauem Papier gemalt gesehen. Er blickte hinüber zu dem Schloss. Die Musik war leiser als sonst, ihr Klang lockend und sanft. Seltsamerweise hatte der junge Prinz das Gefühl, dass er in dem Schloss die Antwort auf alle Fragen finden konnte.
Als seine zwölf Schwäne erwachten, sagte Prinz Felipe zu ihnen: „Ich möchte jetzt endlich wissen, was es mit dem Schloss und der Musik, mit euch und dieser Welt auf sich hat. Ich bin jetzt alt genug, es zu erfahren. Außerdem hatte ich einen düsteren Traum, und ich glaube, dass er etwas bedeutet. Also gebt mir endlich Antwort!“
Die Schwäne sahen einander traurig an und antworteten ihm schließlich: „Wohlan, es sind zwölf Jahre vergangen, seit du zu uns gekommen bist, und du bist kein kleiner Junge mehr, sondern ein wohlgewachsener Jüngling, vernünftig genug, alles zu begreifen. Aber wir wissen nicht, ob wir dir jetzt schon auf alles eine Antwort geben können. Was aber hast du geträumt?“
Als er es ihnen erzählt hatte, wurden sie alle sehr betrübt.
„Siehe“, sagten sie, „wir wissen wohl, wer in diesem Turm wohnt, nämlich ein altes Weib, von dem niemand viel weiß.“
„Aber was ist das für ein altes Weib?“
„Dieses alte Weib suchte einst einen Soldaten auf, welcher verwundet war und nicht mehr dienen konnte, und verriet ihm, wie er das Geheimnis der zwölf Königstöchter ergründen konnte, welche jeden Morgen zertanzte Schuhe hatten, doch niemand wusste, wie das zugegangen war.“
„Oh!“, rief der junge Prinz aus. „Wart ihr diese zwölf?“
„Nein, diese zwölf Prinzessinnen waren deine Mutter und ihre elf Schwestern. Und jener Soldat war dein Vater, der herausfand, dass die Königstöchter jede Nacht in diese Welt hier hinabstiegen, um mit zwölf verwunschenen Prinzen zu tanzen – mit unseren zwölf Brüdern. Wir haben sie oft beobachtet, und der Tag der Erlösung war schon nah. Doch der Soldat, durch jenes alte Weib beraten, verriet die zwölf Prinzessinnen, und der Eingang zu dieser Welt wurde verschüttet, die älteste Prinzessin aber dem Soldaten vermählt. Die Prinzen jedoch konnten nicht erlöst werden.“
„Aber das alte Weib muss doch gewusst haben, was geschehen würde! Warum hat es dem Soldaten ... meinem Vater geholfen? Und wieso sind eure Brüder verwünscht? Ja, wieso seid ihr denn verwunschen?“
Der Prinz schaute von einem Schwan zum anderen; all die Fragen, die er die Jahre über vergessen hatte, waren wieder da und plagten ihn.
Schließlich sprach der größte Schwan: „Ach! Es ist gar schrecklich zugegangen. Wisse, vor vielen, vielen Jahren lag ein blühendes Königreich genau an der Stelle, wo heute das deiner Eltern liegt. Dem König und der Königin waren viele Kinder geschenkt: zwölf kräftige Knaben und zwölf blühende Jungfrauen. Es geschah nun, dass die zwölf Mädchen zum Spielen an einen See gingen, an dem eine große Weide stand. Sie schlüpften zwischen die Zweige des mächtigen Baumes und spielten Verstecken; es war aber so, dass im seichten Wasser ein boshafter Wassermann lauerte. Er kam nun hervor, fasste die älteste und die jüngste Prinzessin um die Taille und wollte sie in sein feuchtes Reich entführen. Wie erschrocken die Mädchen da waren, kannst du dir wohl denken! Doch in dem Moment, da er die Prinzessinnen schon einige Schritt weit ins Wasser gezerrt hatte und ihre Schwestern schon den Mut aufgaben, sie noch erretten zu können, teilten sich die Fluten, und aus der Tiefe des Sees stieg eine Frau empor, schöner als alles, was die Mädchen bis dahin gesehen hatten. Sie trug ein langes dunkles Gewand, ihr Haar aber war hell und mit Seerosen bekränzt. In der Hand hielt sie einen schmalen Stab aus blauem Kristall. ‚Wehe!’, rief sie und trat dem Wassermann entgegen. ‚Lass ab von den Mägdlein! Du sollst sie nicht entführen.’
‚Wie willst du mir wehren?’, fragte der Wassermann höhnisch, die Frau aber versetzte: ‚Spotte meiner nicht, denn die Herrin dieses Sees bin ich, und du weißt wohl, dass meine Macht größer ist als die deine!’ Und sie richtete ihren blauen Stab auf ihn; da hob er furchtbar zu klagen an, ließ die Mädchen los und zog sich zurück in die Tiefen des Sees. Die Frau aber kam auf uns – denn wir waren diese zwölf Prinzessinnen – zu und sagte sanft, wir sollten uns nicht fürchten, denn sie wolle uns nichts Böses. Wir dankten ihr für ihre Hilfe, denn ohne sie hätte der Wassermann zumindest zwei von uns, vielleicht aber auch noch mehrere hinab in sein Reich verschleppt. Natürlich begehrten wir auch zu wissen, wer sie sei. Da erzählte sie uns folgendes:
‚Wisset! Am Ufer des Sees stand bis vor hundert Jahren eine Burg, deren Herrin bin ich gewesen, und viel Land nannte ich mein Eigen. Es kamen aber wilde Manne, und diese verwüsteten mein Land und brannten meine Burg nieder. Mich selbst wollten sie in die Gefangenschaft führen. Ich aber stürzte mich in den See, um mich ihren garstigen Zudringlichkeiten zu entziehen. Mir zum Gedenken pflanzten die Anführer meiner Feinde alsbald den großen Weidenbaum am Ufer, den ihr dort jetzt so groß und stolz seht, und ließen sich selbst am See nieder und siedelten sich um ihn herum an.
Mein Leichnam aber sank eben dort nieder, wo sich der Schatz eines versunkenen Königreiches befand, und ein Stab aus Aquamarin glitt in meine Hand und verwandelte mich in einen mächtigen Wassergeist, die Herrin des Sees. Meine Aufgabe ist es nun, den Schatz zu beschützen.
Aber ich bin auch die Schutzherrin aller bedrängten Mädchen. Dann und wann geschieht es, dass eine sich hier in den See stürzt, da ihr kein anderer Ausweg mehr bleibt; ich nehme sie in meinen Armen auf, trage sie in mein unterirdisches Haus, bewirte und beschenke sie, sodass sie wieder Lebensmut fasst; alsbald trage ich sie ans Ufer, küsse sie auf die Stirn, sodass sie alles vergisst, was sie bei mir erlebt, und lasse sie ziehen, und soviel ich weiß, haben alle Mädchen, die ich so gerettet, danach ihr Glück gemacht.’
Diese Geschichte gefiel uns wohl, und wir verstanden nun auch, warum die Herrin des Sees uns vor dem Wassermann gerettet hatte.“

V: Die Erzählung der Schwäne

Die Schwäne hielten kurz inne mit ihrer Erzählung; sie konnten wohl sehen, dass der junge Prinz ihnen voll Neugier lauschte und begierig war zu erfahren, was die Herrin des Sees denn nun mit der Verwünschung der zwölf Königstöchter und ihrer Brüder zu tun hätte. Endlich fuhren seine Freundinnen fort:
„Die schöne Frau hatte uns nun also ihre Geschichte erzählt. Wir dankten ihr noch einmal recht artig für ihre Hilfe, da sprach sie: ‚Ja, heute habe ich euch wohl vor dem garstigen Wassermann bewahren können, ich fürchte nur, er wird wohl wiederkommen, wenn ich nicht in der Nähe bin.’ Darüber machte sie uns allen viel Angst. ‚Könnt Ihr uns denn nicht helfen, werte Frau?’, sprachen wir. ‚Denn das Ufer des Sees ist unser liebster Platz zum Spielen, und wir mögen ihn nicht wegen eines Wassermannes aufgeben.’
Die Herrin des Sees überlegte und sagte schließlich: ‚Hört zu, ihr seid artige Mägdlein, daher will ich euch helfen. Ich werde jeder von euch einen silbernen Reif geben, den sollt ihr tragen, und so ihr ihn angelegt habt, wird kein böser Feind euch anrühren können.’ Und sie tauchte hinab in ihre Wasserwelt und kehrte kurz darauf mit dem versprochenen Geschmeide nieder. Wir legten es an, besahen uns im Wasser und dankten ihr vielmals für diesen Schutz. Sie aber sprach: ‚Ich helfe euch gerne; aber an das Tragen dieses Schmuckes ist eine Bedingung geknüpft, die mit dem Schatz dieses Sees und seiner Geschichte zu tun hat. Denn einst, als hier noch kein See, sondern ein Palast war, fürchtete der König sehr, kecke Diebe möchten ihm seinen Schatz stehlen; so ließ er sich denn zwölf Jünglinge kommen, die ihm den Schatz bewachten. Jeder der Jünglinge aber brachte seine junge Gemahlin mit, und diese traten vor den König und wollten auch ihre Aufgabe haben; da führte der König sie in seinen Garten, in dem ein Teich war, worin viele goldene Fische schwammen. Mit diesen Fischen war es etwas ganz Besonderes, denn ihre Schuppen waren aus purem Gold, und sie konnten fliegen und singen. Die zwölf Mägde erhielten jede einen silbernen Reif und begannen sich um die Fische zu kümmern. Es geschah nun aber, dass sie so eitel und putzsüchtig wurden über den Glanz des Goldes, der die ganze Zeit um sie herum war, dass sie ihre Aufgabe mehr und mehr vergaßen, den Fischen Schuppen auszupften und verkauften und den Tieren kein Futter mehr reichten. Als das geschah, wurden die Fische zornig und unwillig, und sie schlugen gar heftig mit ihren Schwänzen, dass der Teich überlief und alles untergehen ließ, das Schloss und alles, was darum war; denn der König hatte es geschworen, dass gut für sie gesorgt sein sollte. Weil er aber mit seiner Angst um den Schatz die Jünglinge gerufen und letztlich all das Unglück über sie gebracht hatte, verfluchten die Fische zuerst seinen Schatz. Er sollte für immer am Grund des Sees bleiben und nie geborgen werden dürfen. Dann verfluchten sie die zwölf Mägde und verwandelten sie in zwölf Stockenten, die quakend davon flatterten und später eine nach der anderen von einem listigen Fuchs gefressen wurden. Die zwölf Jünglinge konnten, bevor das Wasser sie ertränkte, ein Boot bauen und versuchten auch den König hineinzuziehen; er aber wollte noch etwas von seinem Schatze retten, der ihm lieber war als sein Leben. Da wurden die Fische noch erboster, und sie ließen das Boot mit den zwölf Jünglingen davon treiben, den König aber verwandelten sie in einen hässlichen Wassermann, der kein Gold sehen konnte. Nun, der übergelaufene Teich ist der See, den man noch heute sehen kann, die Fische aber leben noch immer darin. An diese zwölf Silberreife ist nun die Bedingung geknüpft, dass ihr euch besser um die Fische kümmern müsst als jene zwölf Mägde es einst getan haben; wo nicht, da wird ihr Fluch euch schlimmer treffen als sie. Solange ihr aber gut für sie sorgt, werdet ihr sehen können, wie die Fische wieder fliegen und singen, denn das haben sie seit langer Zeit nicht getan. Ihr dürft aber niemanden erzählen, womit ihr betraut seid, weniger noch, was ihr sehen dürft; brecht ihr das, so wird euch der Fluch genauso treffen.’
Das erschien uns ebenso schwer wie geheimnisvoll, doch reizte uns der Gedanke, und wir nahmen den Schmuck an. Die Herrin des Sees schaute uns besorgt an, mahnte uns noch einmal, dass niemand von diesem allen erfahren dürfte, und verschwand. Alsbald kamen jedoch viele goldschillernde Fische geschwommen. Wir zerbrachen das Brot, das wir als Wegzehrung dabeihatten, und warfen es ihnen in kleinen Brocken hinein; sie fraßen hungrig und waren’s zufrieden. Bald nun hoben sie ihre Köpfe aus dem Wasser und begannen zu singen, lieblich wie Engel, und darauf erhoben sie sich ganz aus dem Wasser und flogen umher wie Vögel. Du kannst dir wohl denken, wie sehr wir staunten. Die Fische sagten uns eine Vielzahl von Punkten, die wir beachten müssten, wollten wir gut für sie sorgen, und wir nahmen uns alles recht zu Herzen. Wir mussten für die Fische dreimal so lang sorgen, wie’s einst die zwölf Jungfrauen getan hatten; das war eine recht lange Zeit, doch gefiel es uns wohl.
Jeden Tag gingen wir nun an den See und kümmerten uns um die wundersamen goldenen Fische. Der Wassermann aber ließ sich wirklich nie wieder blicken. Solange es Sommer war, hatten wir keine Probleme, unsere Aufgabe zu erledigen; als es aber Herbst wurde, wurde es schwieriger, denn während die Herbststürme tobten, konnten wir schlecht vorgeben, dass wir am See spazieren gehen wollten. Doch noch immer konnte mindestens eine davon sich davonschleichen und zum See gehen, und die Fische freuten sich ob unserer Treue.
Bald nun aber wurde es Winter, und der See fror zu; wir aber taten uns warme Pelzmäntel an und holten uns Brot und was die Fische sonst noch mochten, und ehe es hell ward, gingen wir jeden Morgen hinab zum See, zerbrachen das Eis und kümmerten uns um die Fische. So ging das fast den ganzen Winter. Alle Zeit aber durften wir teilhaben am wunderbaren Gesang der Fische, der uns herrlicher schien als alle Weisen, welche wir kannten.
Nun verging lange Zeit so, und wir kamen bereits ins heiratsfähige Alter. Da erlebten wir, wie viele Nachbarländer ihre Prinzen und Fürstensöhne zu uns sandten, dass diese um uns warben. Wir fanden nun bald jede einen, der uns wohl gefiel, und es sollte bald die Verlobung sein.
Währenddessen war es aber wieder Winter geworden, und wie zuvor mussten wir uns in aller Herrgottsfrühe hinausschleichen und zum See gehen, um für die Fische zu sorgen.
Eines Morgens aber waren wir beim Fortgehen zu laut, und jemand folgte uns, als wir hinab zum See gingen; wir jedoch bemerkten es nicht, nicht eher jedenfalls, als bis wir heim ins Schloss kamen und alle schon wach und sehr aufgeregt waren.
„Wir wollen abreisen!“, sprachen die zwölf, mit denen wir uns hatten verloben sollen, erzürnt. „Denn ihr wart am See und habt Dämonisches getan – ihr seid widerliche Hexen und sollt verflucht sein!“
„Das ist nicht wahr!“, riefen wir, „wir taten nichts als die goldenen Fische zu füttern und uns an ihrem Gesang zu erfreuen!“
Wie wir aber das gesagt hatten, gab es einen gewaltigen Knall, und mit einem Schlag waren wir alle zwölf in Schwäne verwandelt. Vor uns aber stand die Herrin des Sees. ‚Wehe’, sprach sie, ‚und ich dachte, ihr würdet es vermögen, die Aufgabe zu bestehen. Der Schatz hätte dann geborgen werden und an die Armen verteilt werden können, der Wassermann wäre erlöst gewesen, die Fische aber hätten zurückgedurft in ihre Gefilde, aus denen man sie einst verbannte. Aber ihr habt euch verleiten lassen und alles verraten. Doch wenigstens sind eure Herzen rein, und so werdet ihr nicht in Enten oder Gänse verwendet, wie es jenen eitlen Mägden damals anstand, sondern in reine weiße Schwäne.“
So sprach sie und verschwand. Im Schloss aber herrschte großes Erschrecken. Die Freier, da sie nun sahen, wie alles zugegangen war, erzählten uns, dass unsere Brüder sie an den See geführt hätten, dort hätten sie alle uns belauscht, aber nicht genau gesehen, worum es ging; darauf hätten unsere Brüder gesagt, wir führten dort allerlei Hexenwerk durch und gäben den Wassergeistern die Gebeine kleiner Kinder. Nachdem sie uns das erzählt hatten, reisten sie ab, und wir sahen sie nie wieder. Unsere Brüder aber gaben zu, dass sie so getan hätten, weil sie selbst noch keine Bräute gehabt. Sie durften sich nämlich solche nicht suchen, ehe wir nicht verheiratet waren; sie hatten aber um ihr Erbe gefürchtet und hatten also lieber ihre Schwestern verleumdet.“


VI: Der Entschluss des jungen Prinzen

Der junge Prinz konnte kaum glauben, was die Schwäne ihm da erzählten.
„Was!“, rief er, „so schlecht sollten eure Brüder sein?“
Die weißen Vögel wiegten ihre Köpfe hin und her.
„Wir konnten es ebenso wenig glauben“, fuhren sie fort, „und noch viel weniger unsere Eltern. Unsere Mutter, wie sie die Worte ihrer Söhne hörte, wurde so zornig, dass sie aufsprang und eine laute Verwünschung ausstieß: ‚Wenn euch’, schrie sie, ‚unser Gold soviel bedeutet, dann bitte, sollt ihr es haben und in einer Welt aus Gold, Silber und Diamant leben! Doch mögt ihr an diese Welt gefesselt sein, bis ihr zwölf Mädchen findet, die euch trotzdem lieb gewinnen und die’, hier überlegte sie, und wir sahen wohl, wie wütend sie war, ‚und die tausend Nächte lang mit euch tanzen und blutige Füße und neugierige Fragen ertragen!’
Und sie warf ihre Arme in die Höhe. Es donnerte noch lauter, und alles, was da war, versank in der Erde, dorthin, wo es auch heute noch ist, nur dass alles ringsum zu Gold und Silber wurde, die Bäume, der Boden, ja selbst das Wasser. Unser Vater fiel vor lauter Schrecken tot zur Erde, unsere Mutter aber hatte ihre purpurnen Gewänder abgeworfen und stand in einem schwarzen Kleide vor uns.
‚Ja, ihr seht’, sprach sie, ‚ich bin keine einfache Königin, sondern eine mächtige Zauberin. Eigentlich wollte ich mich nie wieder der Magie bedienen. Durch die Falschheit eurer Brüder, eure Redseligkeit und meinen Jähzorn sind wir um alles gebracht, was wir hatten. Ach! Meine Töchter! Eins muss ich euch noch bekennen: Ich bin wohl eure Mutter, nicht aber die eurer Brüder. Sie entsprangen der ersten Ehe eures Vaters. Jetzt, wo ich sehe, an was ihr Herz zuerst denkt, kann ich nicht mehr mütterlich für sie empfinden, und ich hasse sie, weil sie euch so schändlich verleumdet haben. Für euch aber kann ich nichts tun. Ich werde fortgehen, und ihr mögt sehen, was aus euch wird. Lebt wohl.’ So sprach sie und verschwand, ähnlich wie kurz zuvor die Herrin des Sees.
Wir aber wurden von unseren Brüdern aus dem Schlosse gejagt, denn sie gaben uns umgekehrt die Schuld an allem, was da geschehen war.
Seither leben wir als Schwäne in dieser Welt, und wir wissen nicht, was uns erlösen könnte und ob wir überhaupt je erlöst werden können. Wir wissen aber, dass es unsere Mutter war, die den Soldaten beriet, denn sie wollte nicht, dass unsere Brüder erlöst werden. Nun weißt du also, warum wir und die zwölf Prinzen verwünscht sind. Die wundersame Musik aber, die du hören kannst, das ist der Gesang der Fische, die dort in einem kristallenen Becken umherschwimmen. So sahen wir es einst durch die Fenster, an denen wir vorüberflogen. Weiter hinein dürfen wir nicht; wir fürchten wohl, man möchte uns totschlagen, wenn wir uns wieder in das Schloss wagen.“
„Aber das sind eure Brüder, und es ist alles viele Jahre her. Sie können euch doch nicht töten.“
Doch die Schwäne zuckten nur traurig mit den Flügeln. Der Prinz betrachtete sie und fragte sich, ob es wirklich keine Möglichkeit gab, sie zu erlösen. Dann fiel ihm etwas anderes ein.
„Und warum bin ich jetzt hier? Warum muss ich seit zwölf Jahren hier unten leben? Ich möchte diese Zeit nicht missen, aber ihr habt mir selbst gesagt, dass es keinen Rückweg für mich gibt.“
„Es gibt ihn auch nicht“, sagten die Schwäne, „denn der Eingang ist verschüttet.“
„Warum haben eure Brüder sich nie zusammengetan und den Eingang freigeräumt? Sie hätten auch hinausgehen können.“
„Nein, das könnten sie nicht. Sie können nur im Schloss sein, oder aber in Booten auf dem See. Aber diesen Bereich können sie nicht verlassen. Und seit der Eingang verschüttet wurde, sind sie nie wieder auf den See hinausgefahren.“
„Warum also bin ich hier?“
„Lieber Prinz, das wissen wir nicht. Es war nicht unsere Macht, die dich hierher gebracht hat, sondern eine unbekannte. Wer es war, und warum, das musst du selbst herausfinden, und da unsere Mutter dir einen Traum geschickt hat..“
„Woher wollt ihr wissen, dass sie es war?“
„Es kann nur ihr Turm sein“, sprach der größte Schwan, „denn als wir Mädchen waren, hing in ihrem Gemach ein Bild von einem schwarzen Turme, sie wollte uns aber nie verraten, was das für ein Gemäuer sei. Aber da sie dir nun den Traum geschickt hat, wird es nichts anderes bedeuten, als dass deine Zeit gekommen ist. Du musst jetzt ins Schloss gehen. Wir haben dich alles gelehrt, was wir wussten, und dir alles gesagt, was wir dir sagen konnten. Das Weitere, Prinz Felipe, ist nun an dir.“
Der junge Prinz erhob sich und blickte sie nacheinander noch einmal an. Ihm war sehr seltsam zumute, und er fühlte sich wieder wie der kleine tollpatschige Junge, der er vor zwölf Jahren gewesen war. Er hatte keine Ahnung, was ihm bevorstand, und fühlte so etwas wie leise Furcht in sich aufkeimen. Doch hatte er eine Wahl? Es gab noch immer viele Fragen, auf die er eine Antwort haben musste, und vielleicht ging es sogar um die Erlösung seiner lieben Schwäne. Er strich ihnen nacheinander über den Kopf; als er aber bei dem kleinen Silberschwan ankam, seiner liebsten Freundin, gebot ihm diese Einhalt und wies ihn an, ein Geschenk aus ihrem samtenen Nest zu holen, welches seit einiger Zeit für ihn bereit lag.
„Jeden Tag“, sagte der Silberschwan, „habe ich mir eine Feder vom Leib gezupft, und im Laufe der Zeit habe ich dir einen Mantel daraus gemacht. Es ist kein Tarnmantel, wie ihn dein Vater besaß, als er ins Schloss kam, doch er ist schön und weich und wird dich wärmen. Niemand sonst hat einen Mantel aus Schwanenfedern.“
Da freute der Prinz sich sehr und küsste den Schwan auf den Kopf.
Dann setzte er sich auf das kleine Floß, das er sich vor ein paar Jahren gebaut hatte, und die zwölf Schwäne nahmen jeder eine daran befestigte Schnur in den Schnabel und zogen ihn rasch hinüber ans Ufer des Schlosses.
Lauter und lauter war jetzt die Musik von dort zu hören. Das Herz des Prinzen klopfte heftig, als er vom Floß ans Ufer sprang und sich ein letztes Mal nach seinen Freundinnen umsah. Diese erwiderten den Blick mit ihren schönen schwarzen Augen, breiteten dann ihre Flügel aus und flogen über den See davon, und Felipe sah nicht wohin. Er wandte sich wieder dem Schloss zu und dachte: ‚Genau so haben vor Jahren meine Mutter und ihre Schwestern hier gestanden, mit schmerzenden Füßen, aber bereit, eine ganze Nacht zu tanzen. Sie müssen die Prinzen geliebt haben, ansonsten hätten sie es nicht probiert. Oder haben sie auch nur an das Gold gedacht? Das kann ich nicht glauben. Sie sind selbst reich genug. Aber warum haben sie nie wieder probiert, etwas für die Prinzen zu tun? ... Und wie haben sie diese Welt eigentlich gefunden? Merkwürdig, dass mir die Schwäne davon nichts erzählt haben..’
Diesmal aber war er es, der vor dem Schloss stand.
Und er wurde von niemandem erwartet.
Oder doch?

VII: König und Königin

„Ich muss mit dir reden“, sagte der Soldatenkönig zu seiner Frau. Sie sah nicht einmal auf, sondern nickte nur leicht. Der König fuhr fort:
„So kann das doch nicht weitergehen. Wenn ich sterbe, werde ich keinen Erben haben. Wer soll dann das Land regieren? Deine jüngste Schwester? Wir können das Reich doch nicht in die Hände einer Verrückten legen.“
„Meine Schwester ist nicht verrückt“, antwortete die Königin und schaute ihn an. „Wage es nicht, das noch einmal zu behaupten. Sie ist unglücklich.“
„Meinetwegen“, erwiderte der König gereizt. „Und warum ist sie bitte schön unglücklich?“
„Weil sie liebt“, sagte die Königin und blickte wieder fort.
Ihr Gemahl begriff sie nicht. Wen, fuhr er fort in seiner Fragerei, sollte ihre Schwester denn lieben? Sie habe doch seit Jahren kein männliches Wesen mehr gesehen. Ja, sie sei doch in ihrem Leben noch nie einem Mann begegnet, der ihrer Liebe wert gewesen sei.
„Doch“, sagte seine Frau. „Sie liebt noch immer ihren Prinzen.“
„Welchen ... O mein Gott.“
Danach sagte der König eine ganze Weile nichts. Schließlich räusperte er sich.
„Daran habe ich nie gedacht.“
Seine Worte taten der Königin auf einmal weh. Eine Wut, die sich im Laufe der Jahre angestaut hatte, suchte sich ihren Weg nach oben, ausgelöst durch seine Engstirnigkeit und Gleichgültigkeit.
„Natürlich nicht!“, fuhr sie ihren Gatten an. „Du hast noch nie daran gedacht, nicht einmal damals! Dir war es nur wichtig, dass du König geworden bist und uns an Vater verraten hast, und du warst so selbstzufrieden, als man den Eingang zugeschüttet hat, aber du hast nie gefragt, was es denn für uns bedeutet hat! Obwohl du gesehen hast, wie es zugegangen ist zwischen uns und den Prinzen, das hast du doch gesehen, du warst doch drei Nächte lang dabei, und es ist dir nie in den Sinn gekommen, dass wir sie vielleicht lieben könnten? Dass es vielleicht besser wäre, wenn du dich unverrichteter Dinge davon machst, das Land verlässt, deine Tarnkappe für viel Geld verkaufst und ein gemachter Mann bist, oder was weiß ich! Nein, du hast es vorgezogen, alles auffliegen zu lassen, und deinetwegen hat die Geschichte kein gutes Ende gehabt. Gut, die meisten haben ihren Prinzen vergessen, aber meine jüngste Schwester hat es nicht vermocht. Sie liebt ihn noch heute, und sie wird ihn für den Rest ihres Lebens lieben, und du nennst das verrückt! Nennst du mich vielleicht auch verrückt?“
„Wieso sollte ich?“, fragte er verblüfft.
Sie erhob sich und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Weil ich den meinen auch noch liebe“, sagte sie angriffslustig, „und weil ich immer noch an ihn denke. Jeden Tag. Und ich wünschte, wir hätten es damals geschafft, die zwölf zu erlösen. Ich wünschte, es hätte dich nie gegeben!“
Sie sah, dass ihre Worte den König kränkten, und für einen Moment tat es ihr Leid. Dann aber sagte sie sich, dass sie lange genug Rücksicht genommen hatte, dass sie und auch ihre Schwester schon viel zu lange gelitten hatten. Warum noch länger Verstecken spielen? Er konnte es ruhig wissen, wenn er schon sonst immer alles wissen musste.
„O mein Gott“, sagte der König schließlich wieder. Etwas anderes fiel ihm nie ein, wenn er sprachlos war. „Aber ich dachte .. Nun ... Ihr wart alle junge Mädchen.“
Die Königin erinnerte sich an die Worte ihrer jüngsten Schwester. „Liebe kennt keine Jahre“, sagte sie, „und auch junge Seelen können Liebe empfinden.“
Er wandte sich von ihr ab und schwieg. Endlich fragte er: „Nun möchte ich aber wissen, wie ihr die Prinzen eigentlich gefunden habt. Sie war doch nicht immer da, die Falltür in eurem Zimmer.“
„Nein“, antwortete sie und dachte zurück an jene Zeit. „Natürlich war sie das nicht. Wir lagen eines Abends in unseren Betten, da ertönte plötzlich Musik, und sie war wunderschön. Wir glaubten, sie komme von draußen. Aber als wir ans Fenster traten, war von draußen nichts zu hören. Also legten wir uns wieder hin und vernahmen die liebliche Musik aufs Neue. Da endlich erkannten wir, dass sie aus dem Boden unter uns zu kommen schien. Aber dort gab es eigentlich nicht einmal einen Keller, denn die Kellergewölbe liegen ja im Südflügel, wie du weißt. Was also war das? Wir hockten uns alle auf den Boden, und ich fand schließlich ein loses Brett. Wir hoben es an und konnten auch zwei oder drei andere Bretter entfernen, sodass wir schließlich sahen, dass direkt unter unserem Zimmer eine Treppe nach unten führte. Und von dort unten kam die Musik her. Nun, wir hatten furchtbare Angst, aber wir waren auch neugierig. Und deshalb zogen wir unsere Pantoffeln und Morgenmäntel an und kletterten eine nach der anderen hinab in das Loch. Stufenzählend stiegen wir hinab. Wir wussten selber nicht, was wir zu finden erwarteten, aber als wir eine Tür aufstießen und plötzlich in einem prächtigen Baumgang standen, in dem alles golden und silbern glänzte, ... es war unglaublich! Und wie wir nun einmal waren, brachen wir hier und da einen Zweig ab, genau wie du es später getan hast. Auch bei uns ertönte jener Knall, und wir bekamen es mit der Angst zu tun. Dann aber hörten wir Gesang. Es waren junge Männerstimmen. Wir fassten einander bei den Händen und gingen weiter, schließlich kamen wir an einen See, und dort saßen sie in den Booten und sangen. ‚Seht, wer gekommen ist’, sagten sie zueinander und hießen uns willkommen. Zu uns aber sprachen sie: ‚Habt keine Angst, Prinzessinnen! Wir wollen euch nichts Böses. Wir sind von königlichem Geblüt, so wie ihr. Wir würden euch gerne in unser Schloss einladen. Fürchtet euch nicht. Es wird euch wohl gefallen.’
Wir dachten an die vielen Geschichten, in denen man eine Nacht in einer zauberhaften Welt verbringt und beim Heimkommen feststellt, dass hundert Jahre vergangen sind. Aber die Augen der Prinzen waren so freundlich, dass wir ihnen vertrauten. Jede von uns stieg zu einem von ihnen ins Boot. Sie ruderten uns über den See in ihr hell erleuchtetes Schloss ... du hast es ja selber gesehen. Und wir tanzten und feierten. Im Laufe des Abends ergab es sich, dass jede von uns einen der Prinzen als besonders lieben Gefährten fand. Und jeder der Prinzen erzählte einer von uns im Laufe der Nacht, dass sie verwunschen waren und dass nur die Liebe von Mädchen, welche gleichzeitig zu einer harten Probe bereit waren, sie erlösen könnte. Wir Mädchen berieten uns untereinander.“
„Und ihr entschiedet, es zu wagen.“
„Ja. Von da an kleideten wir uns jede Nacht festlich und stiegen die Treppe hinab, um mit unseren Prinzen zu tanzen. Je länger es so ging, desto lieber gewannen wir einander. Doch es wurde auch immer anstrengender. Unsere Schuhe waren jeden Morgen zertanzt und unsere Füße wund und blutig, sodass unser Vater verständlicherweise Verdacht schöpfte. Nur durften wir ihm nichts sagen, das war Teil der Probe.“
„Eure Prinzen aber sind jetzt weiter verwunschen?“
„Bis in alle Ewigkeit, wenn sich nicht wieder für jeden von ihnen ein williges Mädchen findet. Doch das ist sehr unwahrscheinlich. Außerdem scheint es, dass sie glauben, von uns verraten worden zu sein.“
In ihrer Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit. Sie setzte hinzu: „Bis heute frage ich mich, wie du das damals geschafft hast.“
„Ich bekam Rat“, sagte der Soldatenkönig. „Von einem alten Weiblein. Es hielt mich vor den Toren der Stadt an und verriet mir die Sache mit dem Wein. Außerdem gab es mir jene Tarnkappe.“
„Hast du es je wiedergesehen?“
„Unsinn! Wahrscheinlich ist es auch längst tot ...“ Der König begann zu grübeln. „Ich habe mich oft gefragt, wer diese alte Frau eigentlich war.“
„Und woher sie das alles wusste.“
„Vielleicht hatte ich eine gute Fee. Das soll vorkommen.“
„Ich weiß nicht.“ Die Königin wirkte auf einmal sehr müde. „Auf jeden Fall, meine Schwester kann ihren Prinzen nicht vergessen, aber zurück zu ihm kann sie auch nicht.“
Der König blickte sehr lange aus dem Fenster. Dann drehte er sich zu seiner Frau um.
„Wir könnten den Eingang wieder frei räumen lassen“, sagte er langsam. „Wir könnten hinab gehen und über den See fahren. Und wir könnten mit den Prinzen sprechen. Wir könnten im Land nach jungen Mädchen suchen, die es auf sich nehmen wollen, also nach elf jungen Mädchen, und deine Schwester könnte nach ihrem Prinzen suchen und ihn erlösen. Wir könnten Ärzte kommen lassen, die sich dann um ihre Füße kümmern.“ Er machte eine lange Pause. „Wir könnten auch nur zehn Mädchen suchen lassen“, fuhr er dann leise fort, „und auch du könntest nach deinem Prinzen suchen. Und wenn du ihn erlöst, könnte ich fortgehen.“ Er lächelte bitter: „Meine Tarnkappe für viel Geld verkaufen und ein gemachter Mann sein. Würde dir das nicht gefallen?“

VIII:Der gefangene Prinz

Genug gezögert.
Der Prinz begriff, dass er nun endlich eintreten musste.
Er stieß die schwere Tür auf, die ins Schloss führte, und machte einen Schritt hinein.
Unglaubliches Funkeln und Glitzern schlug ihm entgegen. Was musste das für ein Reichtum sein!
Er stand in einem gewaltigen Saal und konnte sich gar nicht satt sehen an all der Pracht ringsum. In der Mitte des Saales stand ein Kristallbecken, in dem schwammen goldene Fische und sangen leise vor sich hin:

„Junger Prinz! Hab nur gut Acht!
Was dir hier begegnen wird
Ist von unbekannter Macht,
Vielleicht, dass es zum Tode führt.“

„Könnt ihr mir denn sagen, was mich hier erwartet?“

„Dir zu helfen, dir zu raten
Ward uns leider untersagt;
Wir können hier nichts tun als warten,
Vielleicht, dass bald man um dich klagt.“

„Aber wer sollte mir nach dem Leben trachten?“

„Nein, wir dürfen nicht mehr sprechen!
Denn es bindet uns ein Eid
Und wir dürfen ihn nicht brechen,
Schweigen nun für lange Zeit.“

Und als sie das gesungen hatten, verstummten sie und schwammen im Wasser um her wie ganz normale Fische.
Der Prinz aber ging weiter. Er hatte keine Waffe dabei als einen festen Stock in der Hand, und das erschien ihm mit einem Mal recht wenig. Er durchquerte den großen Saal, in dem nun nichts mehr zu hören war als das Plätschern des Wassers, und kam in einen halbdunklen Gang.
‚Irgendwo’, dachte er, ‚müssen doch auch die Prinzen sein! Und sie können mir Rede und Antwort stehen. Oder hat ihnen die Mutter der Schwäne den Garaus gemacht? Aber das steht doch wohl nicht in ihrer Macht?’
Ratlos blieb er stehen, denn er wusste nicht, wohin er sich wenden sollte.
Da plötzlich hörte er ein Geräusch. Es klang wie ein Klagen, bald darauf wie Musik. Erstaunt blieb er stehen und lauschte, und jäh traten ihm die Tränen in die Augen. Es war wunderbar und erschreckend zugleich, aber er kannte diese Weise, doch woher nur? Deutlich vernahm er irgendwo unter sich eine klagende Stimme, die in einer einfachen Melodie vor sich hin sang:
„Wenn ich ein Vöglein wär
und auch zwei Flüglein hätt
Flög ich zu dir;
Weil’s aber nicht sein kann, weil’s aber nicht sein kann
Bleib ich halt hier.
Könnte ich bei dir sein
Dir in die Augen sehn
Selig wär ich!
Weil’s aber nicht sein kann, weil’s aber nicht sein kann
Bleib ich weinend hier.
Könntest du mir verzeihn
Wär ich bei dir von Neu’m
Alles wär schön!
Ach, doch es kann nicht sein, ach, doch es kann nicht sein
So bleib ich halt hier.“

Text und Melodie waren ihm vertraut, aber es war lange, sehr lange her, dass er sie zuletzt gehört hatte. Und woher drang das wundersame Lied? Er eilte den Gang entlang, bis er eine schwere Eisentür fand. Doch gleich daneben hing ein Schlüsselbund, und es dauerte nicht lange, so hatte er den rechten Schlüssel gefunden. Er öffnete die Tür und stieg die Treppen hinab. Das Lied verklang jetzt langsam, aber er hatte gehört, woher ungefähr es drang, und ahnte, dass er nur die Treppen hinab gehen musste, um den Sänger zu finden. Schließlich, nach einem sehr langen Abstieg, stand er vor einer weiteren Eisentür mit einem kleinen Gitter darin. Er probierte weitere Schlüssel aus, doch erst der dreizehnte und letzte passte ins Schloss. Dann stellte er fest, dass die Tür viel schwerer war als die, welche er zuerst geöffnet: er mochte an ihr drücken und ziehen, soviel er wollte, sie ging nicht auf, bis er zuletzt so zornig darob wurde, dass er sie fast aus ihren Angeln riss. Vorsichtig betrat er das Verlies.
In der hintersten Ecke des Kerkers saß ein sehr junger Mann, bestimmt nicht viel älter als er, mit Ketten an Händen und Füßen. Er war sehr blass und schmal, und er schien schon sehr lange hier zu sitzen. Seine Augen wurden groß, als er den Prinzen sah.
„Bei allen Heiligen!“, hauchte er und richtete sich ein wenig auf; seine Stimme war heiser, trotzdem erkannte Felipe die Stimme des Sängers wieder. „Wer seid Ihr?“
„Ich bin der Prinz Felipe“, entgegnete unser Königssohn, „aber ich glaube nicht, dass Euch das viel sagt. Und Ihr seid..“
Der Gefangene schaute ihn an, als wolle er sagen: Wie wollt ihr denn bitte schön wissen, wer ich bin? Genau wusste der Prinz das auch nicht, doch er hatte das unbestimmte Gefühl, dass das traurige Lied die Antwort auf jene Frage in sich barg. Immerhin kannte er es. Woher nur?
Er schaute den Gefangenen an und schlug sich plötzlich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Ich kenne das Lied, das Ihr eben gesungen habt“, sagte er, „denn meine Tante hat es oft gesungen, als ich noch sehr klein war. Ihr seid der jüngste der zwölf Prinzen, nicht wahr?“
Die Augen des Gefangenen wurden noch größer, und er seufzte.
„Ja – ja, das bin ich“, erwiderte er. „Ihr – seid der Sohn einer ihrer Schwestern? Wie seid Ihr hergekommen?“
„Das ist eine recht lange Geschichte. Ich bin der Sohn der ältesten Schwester, und ich bin als kleiner Junge hierher gekommen.“ Er kam auf den jüngsten Prinzen zu und kniete neben ihm nieder. „Aber wieso um alles in der Welt sitzt Ihr hier gefangen? Wer hat Euch eingesperrt, und wo sind Eure Brüder?“
„Langsam, Freund“, sagte der Prinz. „Ich muss das selbst einmal alles ordnen. Wieso ich hier bin? Auch das ist eine lange Geschichte. Und ich weiß selbst nicht so ganz, was genau hier vorgeht. Aber wenn ich es richtig vermute, so ist es kein gutes Zeichen, dass du – das darf ich doch sagen? – hier bist. Nein, es ist ganz und gar nicht gut.“
„Ich bin bei euren Schwestern aufgewachsen“, sagte Prinz Felipe.

IX: Die Geschichte des Jüngsten

Die Augen des anderen Prinzen leuchteten auf. „Unsere lieben Schwestern! Wie geht es ihnen?“
Das überraschte Felipe nun doch einigermaßen – hatten die Schwäne es doch so dargestellt, als trachteten die Brüder ihnen nach dem Leben. Der andere Prinz sah die Überraschung in seinen Augen.
„Du weißt längst nicht alles“, sagte er leise, „nicht einmal meine Schwestern wissen alles, nicht einmal ich. Ich kann dir nur das sagen, was ich weiß. Sie werden dir gewiss erzählt haben, wieso sie in Schwäne verwandelt worden sind: weil wir sie verleumdet haben. Wahr ist aber, dass nicht alle von uns so gehandelt haben. Als sie eines Morgens zum See aufbrachen, weckten sie unseren ältesten Bruder, und er folgte ihnen mehrere Tage lang. Eines Morgens wachten wir auf, wie er eben aus dem Zimmer schleichen wollte, er hatte es sehr eilig und sprach zu uns, es gehe um etwas sehr Wichtiges; er brauche auch unsere Hilfe, da wir schon einmal wach seien, und er beschwor uns bei unser brüderlichen Liebe, ihn in einer Stunde nicht allein zu lassen und zu ihm zu stehen. Wir wussten zwar nicht, worauf er hinaus wollte, doch da es so war, dass wir ihn alle sehr liebten und bewunderten, sagten wir ihm gerne zu. Später erfuhren wir, was er getan hatte: die zwölf Freier unserer Schwestern hatte er hinaus zum See geführt und ihnen dort allerlei Schändliches erzählt. Zunächst aber waren wir ahnungslos und traten Schulter an Schulter mit ihm in den Saal, wo die Freier und unsere Eltern auf unsere Schwestern warteten, und was weiter geschehen ist, weißt du selbst. Wir hatten geschworen, unseren Bruder nicht zu verraten; das haben wir auch nicht getan, und so trugen wir alle gemeinsam die Verwünschung unserer Stiefmutter. Ich kann’s ihr ja nachfühlen.“
„Wer war eigentlich eure wirkliche Mutter?“
„Es wird dich amüsieren, das zu hören: eine unglückliche Prinzessin, die sich im See ertränken wollte, aber auf wundersame Weise gerettet und zu unserem Vater gebracht wurde. Du verstehst?“
„Ich verstehe“, sagte Prinz Felipe und musste grinsen. Es war seltsam, wie alles zusammenhing! Er begann, nacheinander die Schlüssel auszuprobieren, um die Ketten des anderen zu öffnen.
„Jetzt weiß ich aber noch immer nicht, wieso du hier sitzt.“
„Sag mir erst, was eigentlich damals geschehen ist. Es gab ein furchtbares Donnern – ich glaube, der Eingang ist zugeschüttet – und danach kamen sie nicht wieder. Aber was ist geschehen?“
Kurz berichtete Felipe ihm, was er selbst wusste.
Der andere Prinz seufzte erleichtert. „Ich hatte also Recht“, sagte er glücklich. „Sie haben uns also nicht verraten. Wenigstens nicht absichtlich. Jetzt will ich dir erzählen, was hier bei uns passiert ist. Wir hörten also jenes Donnern und waren sehr erschrocken, doch was sollten wir tun? Unser ältester Bruder sprach als erstes den Gedanken aus: ‚Sie haben uns verraten’, rief er, ‚sie werden nie wieder kommen!’ Und er wiederholte das so lange, bis alle es glaubten. Nur ich sprach: ‚Aber was, wenn sie selbst getäuscht worden sind?’
Da wurde er sehr zornig und sagte: ‚Du bist zu jung, um etwas davon zu verstehen. Nein, sie haben uns verraten, und dafür werden wir uns eines Tages rächen, wenn die Verwünschung von uns genommen ist. Jedenfalls werden ich und meine zehn liebsten Brüder das tun. Du etwa nicht?’
Nein, ich wollte nicht, und wir gerieten heftig in Streit darüber, weil ich noch immer an die Liebe meiner Prinzessin glaubte und auch die anderen davon überzeugen wollte, dass etwas Schreckliches geschehen war. Eines Abends nahm ich all meine Kraft zusammen. Ich wollte meiner Prinzessin im Traum erscheinen und ihr sagen, dass ich noch immer an sie dachte und ihr ewig die Treue halten würde, wenn es nötig sein sollte; dass ich eher für alle Zeiten verwunschen sein wollte als eine andere zu lieben. Ich war sicher, dass sie genauso fühlte. Aber als ich eingeschlafen war, fühlte ich einen heftigen Druck auf meiner Brust. Jemand saß auf mir, und irgendwann begriff ich: Jemand raubte meinen Traum. Er konnte ihn nicht aufhalten, denn dazu war der Traum zu stark, doch ich spürte, wie er ihn verfälschte, wie ich im Traum andere Sachen sagte und dachte, als ich wollte. Schweißgebadet wachte ich auf. Mein ältester Bruder war bei mir und hatte mich grob an der Kehle gepackt, sodass ich nicht schreien konnte. ‚Sehr schön’, sagte er, ‚nun werden sie gewiss nie wieder kommen. Dafür wollte ich nur sorgen, und zu mehr brauche ich dich nicht. Du würdest ohnehin nur Unheil anrichten.’ Daraufhin stülpte er mir einen Sack über den Kopf, zog ihn zu und schleppte mich hinab in diesen Kerker, wo er mich in Ketten legte. ‚Hier wirst du auf immer und ewig bleiben’, sagte er zu mir. ‚Du bist ein romantischer Idiot. Einen wie dich kann ich nicht gebrauchen. Und glaube nicht, dass du deine Liebste noch jemals in Träumen erreichen wirst: deine Kraft gehört jetzt mir. Und wenn du schreist oder jammerst, wird dich niemand hören, dessen sei sicher.’ Damit ließ er mich allein, und seitdem sitze ich hier. Ab und zu hat er mir etwas zu essen und zu trinken gebracht, denn er ist immerhin mein Bruder und kann mich nicht so einfach umbringen. Meine anderen Brüder aber, so sagte er wenigstens, wissen nicht, dass ich hier bin; aber frage nicht, mit was für Lügen er sie getäuscht hat.“
Prinz Felipe hatte während der Erzählung alle Schlüssel ausprobiert, doch er vermocht nicht, den gefangenen jüngsten Prinzen von seinen Ketten zu befreien.
„Dann kümmere dich nicht weiter um mich“, sagte ihm jener. „Geh und suche nach meinen Brüdern. Es hat seine Bedeutung, dass du hier bist, und du wirst bald wissen, was du zu tun hast, daran glaube ich. Und vielleicht bringst du uns alle der Erlösung näher als sonst jemand es vermag.“
Und er lehnte sich zurück an die kalte Wand, und Prinz Felipe sah, dass er wieder an seine Liebste dachte.
Nun jedoch stieg er die Treppen des Kerkers wieder hinauf. Immer noch herrschte überall Stille. Da schließlich trat unser Prinz auf einen schönen Innenhof hinaus, und dort saßen Seite an Seite am Rand eines schönen Brunnens zehn schwarz gekleidete Gestalten und starrten düster vor sich hin.
„Was tut ihr?“, fragte Prinz Felipe und trat vor sie hin.
Sie aber antworteten ihm nichts; da ging er auf den einen zu und schüttelte ihn an den Schultern, sodass jener aufblickte und ihn aus leeren Augen anschaute: „Wehe“, sagte er, „es wird uns keine Rettung mehr.“ Und er senkte seinen Blick. Genauso erging es Felipe mit den anderen Brüdern. Sie waren in völlige Apathie versunken, und er erkannte wohl, dass er von ihnen keine Hilfe zu erwarten hatte.
Doch irgendwo musste ja auch der letzte Bruder sein.
Suchend sah der Prinz sich um und gewahrte plötzlich eine schmale Treppe am anderen Ende des Innenhofes. Rasch schritt er auf sie zu und stieg die Stufen empor. Immer höher ging es hinauf, wohl in die höchsten Gemächer des Schlosses, doch noch immer war alles still und kein Laut zeugte von der Anwesenheit menschlichen Lebens.
Tausend Stufen zählte der Prinz. Dann endlich stand er vor einer schwarzen Tür. Er klopfte an, doch es ward ihm keine Antwort; so drückte er endlich die Klinke nieder und trat ein.
Er stand nun in einem kleinen kargen Zimmer, das wohl eher einer Burg anstand als einem Schlosse. Vom Prunk der anderen Säle war hier nichts zu sehen, alles war grau und einfach. Doch am Fenster entdeckte er einen schweren Schreibtisch, auf welchem sich Bücher und Papiere türmten. Das Licht aber, er gewahrte es mit Grauen, kam von einer Kerze, welche auf einen Schädel gesteckt war. Und hinter dem Schreibtisch saß der älteste Prinz, in dunkle Gewänder gehüllt, bleich von Antlitz, doch mit einem kalten Blick, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ.

X: Die Geschichte des Ältesten

„Sieh an“, sagte der älteste Prinz schließlich und erhob sich. Auf seinen Zügen lag ein spöttisches Lächeln. „Da bist du nun endlich gekommen. Es freut mich sehr.“
Seine Stimme aber klang kalt und tonlos. Nur Hohn schwang in ihr mit. Diesen Mann, dachte Prinz Felipe, soll meine Mutter einst geliebt haben?
„Was geht hier vor?“, fragte er den Ältesten der zwölf verwunschenen Prinzen. „Du bist mir eine Erklärung schuldig. Warum machst du deine Brüder glauben, meine Mutter und ihre Schwestern hätten sie betrogen? Warum hast du mich hierher geholt? Was hast du deinem Bruder angetan? Und wieso hast du einst deine Schwestern so grausam verleumdet? Ich kann in all dem keinen Sinn sehen.“
„Sicher kannst du das nicht“, erwiderte ihm der Prinz grinsend, „denn siehe, es gibt vieles, was du noch nicht weißt. Wenn du aber gerne willst, mein junger Freund, so werde ich es dir erzählen. Und nur ich weiß bisher die ganze Wahrheit.
Es waren einmal zwei Schwestern, die waren Töchter eines Zauberers und sollten gleichfalls in der Magie erzogen werden. Sie taten sich hierin durch großes Geschick hervor und erwarben bald viel Ruhm und Ansehen in ihren Kreisen. Nun geschah es aber, dass sie, wie sie einmal nach Kräutern suchten, einem Reiter begegneten, dessen Gestalt und Antlitz sie so sehr fesselten, dass sie beide von heftiger Neigung zu ihm ergriffen wurden. Sie näherten sich dem Reiter, und es stellte sich heraus, dass es ein junger König war. Auch ihm gefielen die beiden Mägde wohl, und von jenem Tage an trafen sie einander öfter. Dies blieb aber den anderen Magiern und Hexen nicht verborgen; sie riefen also die beiden Mädchen vor ein Tribunal und sagten ihnen, die Liebe sei ihnen untersagt, wenn sie jene Macht erlangen wollten, die ihnen zugänglich war, sie müssten also einem von beiden - der Macht oder der Liebe - entsagen. Sie entschieden sich aber beide für die Liebe, und das Tribunal schickte sie fort. Jetzt aber war es an dem Reiter, zwischen ihnen zu wählen. Er sah ihnen ins Antlitz und wählte die Schönere der beiden; dies aber betrübte die andere, die ihn noch heftiger liebte, so sehr, dass sie fortging und sich im See vor dem Palast des Königs ertränken wollte. Wie durch ein Wunder ward sie aber gerettet und zur Pflege ins Schloss gebracht. Sie wollte aber nicht wieder zu Bewusstsein kommen; da schließlich trat der junge König an ihr Lager und strich ihr übers Haar, da schlug sie die Augen auf. ‚Mein Leben, Herr König’, sprach sie, ‚gilt mir nichts ohne Euch, so lasst mich lieber sterben, wenn Ihr meine Schwester zur Frau nehmt.’ Er aber erkannte nun, welche die Rechte für ihn war, und gewann sie wohl ebenso lieb als sie ihn, und das Verlöbnis mit der anderen Schwester ward gelöst. Jene ging fort und verschrieb sich wieder der Magie. Ihre Schwester aber ward Königin und schenkte dem König zwölf Söhne, denen sie eine zärtliche Mutter war.
Ihre Schwester aber missgönnte ihr das Glück, welches sie genoss, von Tag zu Tag und von Jahr zu Jahr mehr. Und schließlich konnte sie’s nicht länger ertragen und besuchte ihre Schwester und deren Gatten, brachte köstliche Geschenke: dem König einen roten Siegelring, der Königin aber ein herrliches Gewand. Doch jenes war ein Gifttuch, und als die Königin es anlegte, fraß sich das Gift in ihren Körper und tötete sie. Der Siegelring aber legte einen Bann um des Königs Herz, und er vergaß von Stund an, was er für seine erste Frau empfunden, und wandte sich ihrer Schwester zu, welche frohlockend seine Gemahlin wurde, sobald die Trauerzeit vergangen war. Wie ihre Schwester zwölf Knaben geboren hatte, so brachte sie zwölf Mädchen zur Welt, die sie liebte und behütete wie ihre Augäpfel, für die Knaben aber hatte sie selten ein Wort.
Nun geschah es, dass ich als Ältester klüger und aufgeweckter war als meine Brüder, auch floss in meinen Adern magisches Blut; wie meine Mutter Magierin hätte werden können, so fühlte auch ich die Gabe dazu in mir. Jene Gabe nun enthüllte mir das Geschehene in einem Alter, da andere Kinder sich noch an zarten Legenden und lieben Märchen erfreuten. Ich aber erstarkte durch solch grausiges Wissen schon sehr früh, und mein Weg schien mir klar. Meine Mutter musste ich rächen und ein Zauberer werden. Eines Tages landete eine Krähe auf meinem Fensterbrett, der Bote des Zauberrates, und verkündete mir, meine Fähigkeiten seien dem Rate nicht unbekannt, und ich könnte in ihn aufgenommen werden wie jeder anderer Junge, der dem rechten Geblüt entstammte. Nun schlich ich mich jede Vollmondnacht aus dem Schloss bis zu einem geheimen Orte, wo ich meine ersten Lektionen erlernte. Bald bekam ich Bücher und Schriften, die ich mit heim nahm, um in verborgenen Kammern zu lernen. Ich war ein so guter Schüler, dass ich sehr bald alle Altersgenossen überflügelte. Ja, mein Wissen reichte rasch an das eines ziemlich mächtigen Magiers heran. Mein Traum aber war es, in den Düsteren Rat aufgenommen zu werden: eine Auslese der Besten unter den Besten. Wer diesem Rate angehören darf, hat nahezu unbeschränkte Macht. Und ich wusste wohl: nur als Mitglied jenen Rates würde ich die Kraft haben, meiner Stiefmutter entgegen zu treten. So bewarb ich mich und bat um Aufnahme. Die dreizehn Mitglieder des Rates lachten und höhnten wohl, war ich doch nichts weiter als ein Jüngling, fast noch ein Knabe. Ich aber forderte sie zum Duell, ein magisches Duell wohlgemerkt. Sechs der dreizehn stellten sich mir: ich besiegte jeden einzelnen. Da ließen mir die anderen sieben sagen: In den Rat aufgenommen könnte ich wohl werden, doch die Würden und Fähigkeiten, nach denen ich strebte, könnte ich nur mit viel Gold und Geld erkaufen. Und sie nannten mir den Preis. Es war dies weit mehr als mein Erbteil, und lange dachte ich, wie ich jene Summe beschaffen könnte.
Währenddessen hatten meine Schwestern sich Freier herangelockt, ich aber, der ich als Ältester dafür verantwortlich gewesen wäre, hatte noch keine adligen Töchter im Nachbarland ausgemacht, um die meine Brüder und ich hätten werben können, zu beschäftigt war ich gewesen. Da wurde mir klar, dass meine Stiefmutter dafür sorgen würde, dass alles oder ein großer Teil ihren Töchtern zufiele: denn, so glaubte ich, sie ahnte sehr wohl, was vorging, und würde es zu verhindern suchen. So musste nun aber auch ich die Hochzeit, ja am besten die Verlobung meiner Schwestern verhindern. Dass und wie ich’s getan, weißt du ja, und dass meine Stiefmutter daraufhin jenen Fluch ausstieß: wohl, auch das ist dir bekannt. So gerieten wir zwölf in diese Welt. Der gesamte Schatz unserer Familie aber kam zutage, an den Bäumen und überall siehst du ihn. Da war ich sehr froh, denn dies, so sagte ich mir, war mehr als genug, mir zu erkaufen, was ich brauchte. In meinen Büchern suchte ich nach einem Weg, den Fluch allein zu heben. Ich fand aber keinen, der die Bestimmung meiner Stiefmutter umgangen hätte. Zum Glück aber bemerkte ich alsbald, dass dort, wo einst unser Schloss gestanden, ein anderes errichtet worden war, ebenso schön und prächtig, und dass jenem Könige ebenfalls zwölf Töchter geschenkt waren. Was lag näher, als dass ich mir die Musik der verdammten Fische zunutze machte? Ich ließ sie singen, und Sirenen gleich lockten sie die zwölf Mägde an. Meine Brüder machte ich glauben, ein geheimes Zeichen habe mir Rettung verheißen, und so ruderten wir über den See, alles, was zu tun blieb, war, die zwölf jungen Prinzessinnen zu bezirzen, was uns auch bestens gelang, auch wenn meine Brüder’s nicht wissentlich taten, denn die Mädchen gefielen ihnen aufrichtig wohl. Ja, ich gebe zu, auch die meine hatte ein hübsches Gesicht und hätte mich wohl gereizt, doch anders als meine Mutter und Stiefmutter hatt’ ich der Liebe entsagt und wollte sie nicht. Denn sie macht das Herz weich und den Verstand schwach, der Mensch wird ein Narr mit ihr, weise aber wollte ich sein. Trotzdem, um erlöst zu werden, wollte ich mich gerne der zwölf Mädchen bedienen. Eine Heilsalbe rührte ich an, die strich ich mir und meinen Brüdern auf die Füße, sodass sie nicht schmerzten, und auch die der Mägdlein benetzten wir dann und wann, wenn sie vom vielen Tanzen allzu sehr bluteten. Anders hätten sie’s wohl nicht so lange ertragen. Und fast nahte der Tag der Erlösung, da sandte unsere Stiefmutter jenen Soldaten, der alles zunichte machte. Wie wütend war ich da! Schlimmer aber noch war es, dass meine Stiefmutter mir offenbarte, sie selbst sei im Düsteren Rate, ich aber werde auf ewig in dieser verwunschenen Welt festsitzen. Denn, so sagte sie, ließe ich mich von meiner Prinzessin erlösen, bräche ich damit den Eid, den ich dem Zauberrate gegenüber abgelegt, nämlich, der Liebe zu entsagen; denn damit der Fluch, den sie über mich gelegt, von mir genommen werde, müsste ich meine Erlöserin ehelichen, dies aber sei mir laut Eid verboten, und ich bräche ihn mit einer Heirat, selbst wenn ich nicht liebte. All meiner magischen Kräfte und Gaben würd ich verlustig werden, höhnte sie. Ich hätte also zwischen einem machtvollen Leben hier unten und einem schrecklichen Leben dort oben zu wählen. Wahrscheinlicher aber war letzteres, denn meine Brüder hätten ihre Tänzerinnen gern wiedergehabt. Ich wusst’ sie nur so zu beruhigen, dass ich sie glauben machte, wir seien betrogen worden, und du siehst ja, dies stürzte sie zuletzt in tiefste Trauer. Diese Narren! Aber eben darum lass ich die Liebe an mich nicht heran!“
Mit Grausen und Spannung war Prinz Felipe der Geschichte gefolgt.
„Was aber“, sprach er, „willst du von mir?“
„Du“, sagte der Prinz, „bist der Schlüssel zu meiner Freiheit. Denn ich habe es vor nunmehr über zwölf Jahren in einem alten Buche gefunden: Wer so verflucht ist, wie ich es bin, der kann auch erlöst werden, wenn er von der Liebe, welcher er entsagt, ein Kind empfängt und opfert, sobald’s siebzehn Jahre zählt. Er muss nur die Hände mit dem Blut seines Kindes benetzen, schon wird er aller Verwünschungen ledig sein.“
Prinz Felipe wich zurück.
„Aber ich bin nicht dein Kind“, sagte er erschrocken.
„Das meinst du wohl“, erwiderte ihm der Prinz hohnlachend. „Denn noch in der letzten Nacht hatt ich mich mit deiner Mutter davongestohlen, in ein dunkles Gehölz, und in jener Nacht hat sie dich empfangen, auch wenn sie recht furchtsam war. Mag der Soldat glauben, dass er dein Vater ist; stimmen tut es nicht. Bis zu deinem fünften Lebensjahr vermochte ich auch nicht, dich in meine Gewalt zu bringen, denn du warst noch zu klein, um allein im Schloss umherzulaufen; aber an deinem fünften Geburtstage ist es mir ja geglückt, dich herzulocken, und da meine lieben Schwestern zwölf Jahre lang für dich gesorgt haben, kann ich nun mein Werk vollbringen und mich erlösen.“
Und er hob ein Messer, welches auf dem Tische bereit lag.

XI: Kampf und Erlösung

Prinz Felipe jedoch riss seinen Stecken hoch und ließ ihn auf den Angreifer niedersausen; der warf das Messer nach ihm, es traf ihn aber nicht. Da ergriff der Zauberprinz seinerseits einen festen Stecken, und sie huben an damit zu fechten; unser Königssohn wusste aber wohl, dass es sein Leben galt. Doch Schritt für Schritt drängte sein Vater ihn näher zur Wand hin – zum Fenster heran. In seinen Augen funkelte es irr. Schon stieß Felipe gegen die kalte Mauer, nur mit Mühe wehrte er noch die Schläge seines Kontrahenten ab. Angst übermannte ihn. Er dachte daran, wie er einst in diese Welt gekommen war, sah seine Freundinnen, die Schwäne, vor sich und wünschte, er könnte von ihnen Abschied nehmen, denn es war ihm gewiss, dass es keine Rettung mehr für ihn gab. Da fuhr ihm der feindliche Stecken so heftig über den Kopf, dass er benommen zu Boden sank.
In jenem Moment aber ward die Tür aufgestoßen: der Zauberprinz fuhr herum und vermochte seinen Augen kaum zu trauen. Auf der Schwelle stand eine verhärmte, aber immer noch starke Frau. Mit wenigen Blicken begriff sie, was vor sich ging.
„Verfluchter!“, rief sie entsetzt und sprang auf ihn zu. „Lass ab von meinem Sohn!“
„Oh!“, sagte der Zauberprinz – „du vermagst hier nichts mehr zu ändern, Hurenweib!“ Und er hieb heftig nach ihr, dass sie zu Boden ging, und hob seinen Stock, sie damit endgültig zu erschlagen. Aber ein Degen fuhr ihm dazwischen: „Rühr meine Frau nicht an!“, sprach der Soldat entschlossen, „wenn du ihr ein Leids tun willst, musst du mich töten!“
„Alter Tor!“, zischte der Zauberprinz nur, wich ein paar Schritte zurück und ergriff Felipe, der eben zu sich kam, „sieh, was ich mit ‚eurem’ Sohne tue!“
Und er stieß den Prinzen aus dem Fenster.
Der Soldat aber drang heftig mit dem Degen auf ihn ein. Der Zauberprinz wehrte sich erbittert mit seinem Stecken, doch was sollte er tun gegen einen, der das Kriegshandwerk so gut verstand, als es eben nur ein Soldat kann? Jäh ging er zu Boden und hatte die feindliche Klinge an der Kehle.
„Meinen Sohn hast du getötet, meiner Frau wolltest du selbiges tun“, sprach der Soldatenkönig. „Wenn ich dir jetzt Gnade zeigen sollte, so wird’s auf Wunsch meines Weibes sein, falls sie es will.“
„Ich kann erst richten, wenn ich alles weiß“, sagte die Königin. „Gib mir den Degen, dass ich ihn bedrohe, du aber leg ihn in Fesseln. Danach aber will ich meinen Sohn betrauern.“
Und der Soldat band den Zauberprinzen, wie seine Frau es ihm befohlen hatte.
Als er sich aber davon aufrichtete, erklang von draußen eine fröhliche Stimme: „Vater! Mutter!“
Und wie sie aufsahen, was gewahrten sie? Felipe, der braunlockige Jüngling, der eben wieder zum Fenster hineinkletterte! War er nicht in der Tiefe am Boden zerschellt? Auf die verwunderten Blicke hin zeigte er ihnen seinen Mantel: „Als ich fiel“, erklärte er, „breiteten sich auf einmal zwei schöne Schwanenflügel aus und trugen mich sanft durch die Lüfte, ja, wieder nach hier oben hin! Das ist das Geschenk meiner lieben Freundin, des Silberschwans!“
Was war das für ein Jubel, als König und Königin ihren wiedergefundenen Sohn in die Arme schlossen!
„Wie kommt es?“, fragte der Prinz eifrig. „Wie kann es sein, dass ihr hier seid?“
„Die alte Geschichte zu Ende zu bringen, darum sind wir gekommen“, sagte seine Mutter. „Denn wir ließen im Land zehn tapfere Mädchen suchen, die bereit wären, dasselbe zu wagen, was wir einst wagten; und wir fanden sie. Und wir suchten auch starke Männer, bereit, den Eingang frei zu räumen; und wir fanden sie. So kamen wir her, dein Vater, deine jüngste Tante, die zehn Jungfrauen und ich. Wir fanden ein Floß, und zwölf liebreiche Schwäne zogen uns über den See. Nun durchsuchten wir das Schloss, fanden die Treppe und stiegen hinauf; eben noch zur rechten Zeit.“
„Wie herrlich ist das!“, rief Felipe aus. „So wird wohl doch noch alles zu einem guten Ende kommen!“
Und er sprang die Treppe hinunter. Im Innenhof blieb er stehen: da saßen die zehn Prinzen, doch vor jedem stand ein Mädchen. Nicht alle waren sie schön, doch Klugheit und Tugend leuchtete ihnen aus den Augen. Und der Prinz sah, wie jedes Mädchen einem der Verwunschenen übers Haar strich und sanft mit ihm sprach.
„Es scheint“, sagte der Soldatenkönig, der hinter ihm hinabgekommen war, „sie haben alle eine vertraute Seele gefunden.“
„Ja“, erwiderte Felipe, „die Liebe zu einer verwandten Seele ist ja doch die schönste!“
„Vielleicht...“, sagte die Königin leise, „aber es mag wohl auch Verwandtschaften von Seelen und Herzen geben, die im Laufe der Zeit wachsen; und glaube mir, sie sind nicht minder schön.“ Bei diesen Worten ergriff sie zaghaft die Hand ihres Gemahls.
„Und meine Tante?“, fragte der Prinz Felipe, „wo ist sie?“
„Das weiß ich nicht“, erwiderte seine Mutter, „ich sah sie zuletzt in diesem Hof.“

Dort war die jüngste der zwölf Prinzessinnen auch gewesen. Als sie aber ihren Liebsten nicht unter den zehn Prinzen entdeckt hatte, war sie traurig zurückgeblieben und hatte jenes traurige Lied angestimmt, das sie zu singen pflegte:
„Wenn ich ein Vöglein wär..“
Wie erstaunt aber war sie, als ihr aus den Tiefen des Gemäuers eine Antwort entgegen zu klingen schien! Eine sanfte Stimme, die dieselbe Melodie sang, und ebensoviel Sehnsucht und Trauer schwangen darin mit! Die Prinzessin eilte zurück ins Schloss, der fernen Stimme folgend, und sang selbst, wenn jene verklang; und sobald sie wieder ertönte, folgte sie ihr, Gang um Gang, Treppe um Treppe, und zuletzt stand sie vor der geöffneten Kerkertüre und fand dort in der hintersten Ecke ihren Prinzen sitzend, in Ketten, bleich und mager, doch er war es!
Man mag sich wohl vorstellen, wie das Wiedersehen der Liebenden nach so langer Zeit ausfiel. Sie lachten und weinten und fielen sich in die Arme, und sie küssten und kosten sich, machten tausend Liebesschwüre und Entschuldigungen auf einmal und erzählten sich gegenseitig, wie es ihnen ergangen war und dass sie einander nie vergessen hatten, sich zuletzt schluchzend in den Armen lagen, nicht glauben könnend, dass sie endlich wieder beisammen waren. Wie aber die Tränen der Prinzessin auf die Ketten des Prinzen fielen, schmolzen jene dahin, und er war frei. An ihrer Seite konnte er den Kerker verlassen und hinaus ins Licht treten, wo ihnen zehn Paare entgegenkamen: seine Brüder und die mutigen Mädchen, die bereit waren, tausend Nächte mit ihnen zu tanzen.
„So wollen auch wir es wagen“, sagte die jüngste Prinzessin und küsste ihren Prinzen.
„Das müsst ihr nicht“, ertönte da eine Stimme. Sie wandten sich um und sahen ein altes Weib vor sich stehen. „Wahre Liebe will ich nicht scheiden. Genug habt ihr gelitten. Du, mein Sohn, bist von dem Fluch befreit, der eigentlich nur auf deinen ältesten Bruder hätte fallen sollen; doch ich war einst in Zorn und konnte nicht zurück nehmen, was ich gesagt. Außerdem soll Liebe langsam wachsen: ihr zehn Paare werdet im Verlauf der tausend Nächte schon sehen, dass ihr füreinander bestimmt seid. Euch wünsch ich keinen Fluch mehr. Euer Ältester aber ist soeben verdammt worden. Er hat sich als so boshaft und grausam erwiesen, dass der Zauberrat vor ihm erschauerte. Auch Zauberinnen und Magier haben ihre Tugenden. Er hat sich ihrer nicht würdig erwiesen; so wird er in diesen Sekunden vom Teufel daselbst in die Hölle geführt, mag es ihm da gefallen oder nicht!“
Sie vernahmen alle ein furchtbares Donnern. Die Alte aber lächelte dem Soldaten zu, welcher sie wohl erkannte, und wandte sich zum Gehen.

XII: Das Ende

„Ein letztes!“, sprach Felipe da. „Was ist mit meinen lieben Freundinnen, den Schwänen? Wie können sie erlöst werden?“
Da blickten sich alle sehr ratlos an.
Plötzlich aber rauschte es in der Luft. Zwölf Schwäne kamen heran.
„Nie, lieber Prinz Felipe“, sagte der kleine Silberschwan betrübt. „Wir müssen bis an unser Lebensende Schwäne bleiben. Nur dürfen wir frei hinfliegen, wo wir hinwollen, weil wir an dir ein gutes Werk getan haben. So sind wir gekommen, um Abschied zu nehmen.“
„Ihr wollt mich verlassen?“, rief der Prinz erschrocken. „Aber was tu ich ohne euch?“
„Deine Familie hast du“, sagte der größte Schwan.
„Eine Gemahlin wirst du wohl bald finden“, setzte der kleinste hinzu, und es klang betrübt. Prinz Felipe aber kniete vor dem Vogel nieder, strich ihm übers Gefieder und klagte: „Aber wo werd ich unter den Menschen jemanden wie dich finden?“
„Ebenso wenig wirst du mich unter den Menschen finden, wie ich dich unter den Schwänen finden werde.“
„Das kann nicht sein! Zauberin! Ist das wahr? Kann ihnen nimmermehr Erlösung werden?“
„Nein, lieber Prinz. Könnte ich’s, ich würde die Verwünschung von ihnen nehmen, selbst wenn es nicht meine lieben Töchter wären. Doch ich habe böse Taten vollbracht: meine Schwester getötet und meinen Eid, keine Magie mehr zu nutzen, mutwillig gebrochen. Jedes Recht auf weitere Kraft hab ich damit verwirkt, nur wenig ist mir geblieben. Aber ich vermag nicht, meine Töchter zu erlösen, und niemand vermag dies.“
„Aber Ihr seid im Düsteren Rate..“
„Wohl war ich das, doch nur für eine Frist, und diese ist lange um. Jetzt ist es Zeit für mich, in meinen Turm zurückzukehren. Vielleicht, dass ich meinen Frieden finde. Euch aber wünsch ich alles Gute. Lebt wohl.“
Der Prinz aber fiel ihr zu Füßen.
„Nein, geht nicht!“, flehte er, und flüsterte ihr ebenso flehentlich etwas zu. Das Gesicht der Zauberin wurde noch ernster.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du das willst, junger Prinz“, sprach sie.
„Ich will es“, sagte der Prinz. „Bitte erfüllt mir meine Bitte. Wo nicht, da werd ich vor Herzeleid sterben.“
Und die Zauberin blickte in seine Augen und sah, dass er nicht log.
„So, bitte“, sagte sie seufzend und hob die Arme, „dies ist die letzte magische Tat, die ich vollbringe, möge sie die beste von allen sein und wenigstens einmal eine, die glücklich macht.“
Und sie sprach eine Zauberformel.
Dort, wo eben noch Prinz Felipe gestanden hatte, saß ein prächtiger weißer Schwan. Der Vogel wandte sich kurz dorthin um, wo seine Mutter und der Soldatenkönig standen.
„Vergib mir, Mutter“, sagte er, „aber ich könnte nicht wie meine Tante Jahre um meine Liebe trauern, ich muss sie leben und daher handeln. Mir bleibt keine andere Wahl, und glaub mir: ich bin glücklich so!“
„Das hoffe ich für dich!“, antwortete die Königin mit zitternder Stimme. Er aber erhob sich in die Lüfte und ließ eine Feder über ihr zu Boden fallen – „dies sei ein Andenken an mich, eine Locke kann ich dir nimmer geben“, rief er lachend, dann erhob sich der kleine Silberschwan in die Lüfte und flog zu ihm hin, die anderen elf Schwäne aber folgten. Und das Rauschen ihrer herrlichen Flügel erfüllte die Luft, als sie ein letztes Mal über die Köpfe aller Anwesenden hinwegflogen, um sich zu verabschieden. Dann aber entschwanden sie durch die Fenster des Schlosses.
In diesem Moment aber begannen die goldenen Fische wieder zu singen, und diesmal war es, das erste Mal seit langem, eine fröhliche Weise. Die zehn verwunschenen Prinzen baten die zehn Mädchen zum Tanz, der jüngste Prinz tat es ihnen mit seiner Prinzessin gleich, denn zu schön war ihnen die Erinnerung an jene Zeit. Zuletzt aber gaben sich der Soldatenkönig und die Königin die Hände und begannen sich zur Musik zu drehen.
„Du scheinst um Jahre jünger“, sagte der Soldatenkönig staunend und sah seiner Frau in die Augen, „was ist mit dir geschehn?“
Da lächelte sie ihn an.
„Das macht meine Liebe“, sagte sie.

 

So, nachdem der PC meine erste Nachricht gefressen hat, gleich nochmal.
Den Text habe ich in den Tiefen meines Computers gefunden. Meine persönliche Auseinandersetzung mit einem Märchen, dessen Ende mich immer unbefriedigt zurückgelassen hat; normalerweise bin ich nicht der Ansicht, dass Märchen einer Fortsetzung bedürfen, aber hier war es eben anders.
Ich weiß, der Text ist sehr lang und ... hüstel ... etwas verworren in Bezug auf die Handlungsstränge. Man kann da bestimmt noch eine Menge machen (kürzen? verbessern?) oder zu dem Schluss kommen, ihn am besten ganz vom Antlitz der Erde zu tilgen. Also, falls sich jemand die Lektüre antun will, ich wäre dankbar und freue mich über jede Kritik (und sei sie auch noch so vernichtend :lol: ).
Liebe Grüße
danke
Malinche

 

Hallo Malinche,

um es kurz zu sagen, ich habe NICHT die ganze Stunde gebraucht, um deine Geschichte zu lesen, ich war in der Badewanne ;)

Der Text hat mir sehr gut gefallen. Ein langes, klassisches Märchen, das so, wie es da steht, auch aus jedem Märchenbuch hätte kommen können. Zuerst hat die Länge der Geschichte mich abgeschreckt, aber dann hab ich sie doch in einem Rutsch durchgelesen.

Ortographisch ist mir ein einziger Fehler aufgefallen, welcher, sage ich nicht - viel Spaß beim Suchen :D Das einzige Problem der Geschichte liegt meiner Meinung nach im Verhalten des "bösen" Prinzen und im Verhalten der ältesten Tochter. Wenn er so böse war, wie kann es dann sein, dass sie sich in ihn verliebt hat und trotzdem der Meinung ist, dass das unsterbliche Liebe wäre? Das Dilemma des bösen Prinzen und die Szene, in der sie dem Soldaten ihre Meinung ins Gesicht sagt, finde ich dagegen wunderbar gelungen (wobei - was hat eigentlich Ehe mit Liebe zu tun?)

Von mir gibts für den Text ein dickes :thumbsup:

gruß
vita
:bounce:

 

Hallo Malinche!

Ich versuche mal, wie weit ich komme (das Ende habe ich schon mal gelesen, um zu wissen, obs gut ausgeht - sonst häte ich mir nämlich die Mühe wohl nicht gemacht)

Der alte König hatte sie hart über ihren Starrsinn tadeln lassen, war sie doch ein schönes und kluges Mädchen. Doch wollte sie nichts von den Vergnügungen der Jugend wissen. Tagein, tagaus saß sie in ihrer Kammer und kannte nur drei Zerstreuungen: sie webte, dichtete und starrte sehnsuchtsvoll ins Leere, wobei niemand zu sagen wusste, woran sie denken mochte.
Das ist sehr verwirend. Wieso hat er sie tadeln lassen und von wem? Und was hat das damit zu tun, dass sie schön und klug war? Als König wäre ich eigentlich ganz froh, wenn meine Tochter so klug ist, dass sie nichts von den Vergnpügungen der Jugend wissen will, aber vielleicht denke ich da auch zu sehr in die falsche Richtung. Weben und Dichten können Zerstreuungen sein, aber das sehnsuchstsvoll ins Leere starren? Da regt sich gleich der Pychologe in mir.

im nächsten Absatz wirds dann klarer, aber es wird auch immer deutlicher, dass man das vorangegangene Märchen kennen muß (vielleicht ein kleiner Hinweis, wo man es findet?)

Auf dem Schoße hielt sie ein feines weißes Tüchlein, an dem sie bis eben gewebt;
ich dachte immer, zum Weben braucht's einen Webstuhl. Und das gewebte Tuch kann man auch nicht so einfach abnehmen. Meisnt Du wirklich Weben?

unseren Männern so liebevolle Gemahle gefunden, dass es unser Herz nicht mehr
Gemahle ist recht ungebräuchlich - es unser Herz wenn du mit dem es einen Märchensprachstil erreichen willst mag es bleiben, aber unsere Herzen wäre vielleicht besser.

und in deiner Jugend glaubst du an die ewige Liebe
glaubst du noch oder glaubtest du oder glaubt sie immer noch obwohl sie ausd er Jugend herausgewachsen sein müßte?. Diese Stelle scheint mir sehr wichtig - Die Träume der Jugend gegen die Pflichten der Erwachsenen, der Abschied von den Träumen und nur ein bedauern bleibt zurück.

Schließlich sagten sie einander: „Sie ist wohl verrückt geworden.“
Angesichts dieser Herausforderung muß eine Erwachsenen-Lösung gefunden werden, die beruhigt und erklärt. Verrückt geworden ist mir da einerseits zu nichtssagend und andererseits zu hart. Ich würde es weiter ausformulieren: sie hat sich in ihren Träumen verloren oder je nach deiner Intention.

von unter welcher ihm gedämpfte Musik, lieblicher als alles, was er je gehört, entgegenzudringen schien.
Er wurde nicht mehr gesehen.
Da ist zunächst irgendetwas durcheinandergeraten, ich verstehe,w as du meinst, aber so kann man das nicht sagen. Und dann wúrde er nicht mehr gesehen. Wieos nicht? Öffnete er die Falltür? Verschwand er einfach, von einer unbekannten Macht herabgezogen?

O.K. im nächsten Teil kommt die Auflösung, aber muss diese Ouvertüre sein? Wenn, würde ich sie in die Überschrift packen - Das Verschwinden des Königssohns und die 12 Schwäne (schreckliches Deutsch)

Der kleine braungelockte Prinz
Es ist ja ganz gut, einen Menschen näher zu ebschreiben, aber wenn das erst nach länegrer Zeit geschieht, frage ich mich automatisch: Warum wird das jetzt gesagt? Hat das eine Bedeutung, daß er braune gelockte Haare hat?

Da beschloss er, um den See herumzulaufen, denn dieser schien ihm nicht allzu groß zu sein; weitaus größer wohl als der Schlossteich bei ihm daheim, doch natürlich um vieles kleiner als das Meer, das er auf einer Ferienreise zu seiner ältesten Tante gesehen hatte, denn sie war mit dem Küstenkönig verheiratet.
Kann man dieses Ungetüm nicht ein wenig zerhacken und mit Punkten garnieren?

Zweige und Blätter waren wirklich ganz aus Silber, der Stamm klobig, die Blätter dünn und filigran,
Für einen fünfjährigen Königssohn schon eine reife Leistung, diese Beschreibung.

und kurz darauf war er eingeschlafen.
Das Geräusch flatternder Flügel weckte ihn bald darauf.
Zweimal darauf.

„Guten Tag, liebe Schwäne“, sagte der Königssohn, denn er war ein wohlerzogenes Kind.
Aber neugierig glücklicherweise trotzdem. Ich finde diesen Satz irngendwie schön, obwohl Schwäne eigentlich eher mit Vorsicht zu genießen sind.

Fisch und Brot und Milch und Eier
Eien Kaufmann scheintes ja zu geben und ich hoffe sehr, dass die Schwäne auch einen Herd hatten, denn roher Fisch und rohe Eier ...

ein vom Leid gezeichnetes Weib
jedes Lächelns verlustig
Au! Es kann für den Inhalt eines Märchens hilfreich sein, eine leicht altertümelnde Sprache zu gebrauchen, aber Übertreibungen und ungewohnte Wndungen solltest du vermeiden. Der Gesamteindruck leidet nur darunter.

Dieser war ein ruhiger und vernünftiger Mann, deutlich geprägt vom Soldatenleben, das er einst geführt; es war gewiss nichts Boshaftes in seinem Wesen, doch neben den Umständen, unter denen sie seine Frau geworden war, wog noch besonders schwer, dass er nun einfach nicht der Mann war, den sie hätte lieben können und mit dem sie ihr Leben hätte verbringen wollen.
Zu lang und zu umständlich. Ihr Konflikt kam doch sbereits zuzr Sprache, ich denke diese Wiederholung ist unnötig.

wie gern er ein weiteres Kind mit ihr gehabt hätte
das gehabt ist nach dem Folgenden eindeutig falsch.

kühl und tot
Wohl kaum tot, da sie ja dann und wann bzw. von Zeit zu Zeit miteinander reden (streiten)

Nach diesem Satz würde ich einen Absatz setzen, denn jetzt kommen die Schwestern.

nahm sie in den Arm, was sie zuletzt getan hatte, noch bevor die Prinzen in ihr Leben getreten waren; beide waren sie da noch Kinder gewesen.
Stilistisch schlecht. Ich würde zwei Sätze bilden.

Du bist noch ziemlich jung
Das ziemlich passt gar nicht. Du bist doch (noch) jung ...

Ich weiß nicht, ob du die jünste wirklich so weltklug und weise darstellen solltest. Du brauchst diese Klugkeit wohl für die GEschichte, aber ich würde sie anders verpacken, etwa in Fragesäzen - Wäre es nicht beser, ein Kind zu bekommen ...

Also gebt mir endlich Antwort!“
Auch ein Stilbruch, der Satz ist wohl unnötig.

zwölf kräftige Knaben und zwölf blühende Jungfrauen
Mich läßt jetzt die Frage nicht mehr los, ob das jeweils Zwöflinge waren? Nach den Auffassungen der damaligen Zeit, war eine blühende Jungfrau etwa zwischen zwölf und sechzehn Jahren alt - dann wurde sie zur alten Jungefer. Aber man sollte an Märchen nicht mit rationalen Überlegungen herangehen.

Dennoch: ist die Herrn des Sees manchmal aushäusig? Oder wieso kann der Wassermann ab und zu junge Mädchen zu sich hinabziehen?

Hier fängt deine Geschichte langsam an, auszuufern. Die verschiedenen Königreiche auseinanderzuhalten, erfordert schon eine Zeichnung.

Und damit beende ich den ersten Teil meiner Anmerkungen, ich muß neue Kraft schöpfen.

Eine gute Nacht

Jo

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo vita und Jo!
Erst einmal vielen Dank an euch beide, dass ihr euch die Geschichte ganz oder teilweise angetan habt.
@vita
Kriege ich wenigstens einen Tipp, in welchem der 12 (!) Kapitel der Fehler steckt?? :crying:
Es freut mich auf jeden Fall, dass es dir gefallen hat und dass du sie „in einem Rutsch durchgelesen“ hast. Das mit der Liebe der ältesten Königstochter zum ältesten Prinzen ist mir auch aufgefallen. Ich habe jetzt den einen Satz mit der Zwillingsseele herausgenommen, weil der zu sehr impliziert, dass ihre Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte. Vielleicht schaffe ich es, noch mehr herauszuarbeiten, dass sie (die Prinzessin) sich da in etwas verrannt hat. Aber generell denke ich schon, dass man sich in einem Menschen sehr täuschen kann. Ehe hat zu dieser Zeit natürlich gar nichts mit Liebe zu tun und diese doch sehr moderne Sicht auf die Dinge sollte ich vielleicht noch abschwächen.

@ Jo
Darf ich Adlerauge zu dir sagen? :D Wow, danke für deine detaillierte Auflistung.

Zitat:

Das ist sehr verwirend. Wieso hat er sie tadeln lassen und von wem? Und was hat das damit zu tun, dass sie schön und klug war? Als König wäre ich eigentlich ganz froh, wenn meine Tochter so klug ist, dass sie nichts von den Vergnpügungen der Jugend wissen will, aber vielleicht denke ich da auch zu sehr in die falsche Richtung. Weben und Dichten können Zerstreuungen sein, aber das sehnsuchstsvoll ins Leere starren? Da regt sich gleich der Pychologe in mir.

Gut, das habe ich ein bisschen geändert und hoffe, es ist jetzt klarer. Die Vergnügungen der Jugend sind weg. Ich denke schon, dass man sich auch mit „sehnsuchtsvollem Ins-Leere-Starren“ zerstreuen kann, mache ich nämlich selbst manchmal. ;-)
Das vorangegangene Märchen ist eigentlich in diesem Absatz mehr oder weniger zusammengefasst:

Das Glück ihres Lebens hatte sie vor Jahren in den Augen ihres verwunschenen Prinzen gesehen. Mit Freuden hatte sie das Blut an ihren Füßen auf sich genommen, um ihn nach tausend Nächten erlöst zu haben. Der Soldat aber war just in der vorletzten dieser tausend Nächte zum König gegangen und hatte sie allesamt verraten, sodass der Eingang zu der unterirdischen Welt zugeschüttet worden war und die zwölf Prinzen wieder auf ewige Zeit verwunschen.
Aber ich suche trotzdem mal einen Link, wo man das Original nachlesen kann. Ich hatte nur eigentlich Bedenken, dass in diesem Text der erste Teil des Märchens viel zu oft erwähnt und resümiert wird.
Zitat:
ich dachte immer, zum Weben braucht's einen Webstuhl. Und das gewebte Tuch kann man auch nicht so einfach abnehmen. Meisnt Du wirklich Weben?
Hehe … da werde ich wohl auch noch mal was ändern müssen. :D

und in deiner Jugend glaubst du an die ewige Liebe
glaubst du noch oder glaubtest du oder glaubt sie immer noch obwohl sie aus der Jugend herausgewachsen sein müßte?. Diese Stelle scheint mir sehr wichtig - Die Träume der Jugend gegen die Pflichten der Erwachsenen, der Abschied von den Träumen und nur ein bedauern bleibt zurück.
Ich habe es geändert, „glaubst du noch“.
Zitat:
Schließlich sagten sie einander: „Sie ist wohl verrückt geworden.“
Angesichts dieser Herausforderung muß eine Erwachsenen-Lösung gefunden werden, die beruhigt und erklärt. Verrückt geworden ist mir da einerseits zu nichtssagend und andererseits zu hart.
„Sie ist wohl verrückt geworden über ihre Träumereien.“ Besser?

Zitat:
Da beschloss er, um den See herumzulaufen, denn dieser schien ihm nicht allzu groß zu sein; weitaus größer wohl als der Schlossteich bei ihm daheim, doch natürlich um vieles kleiner als das Meer, das er auf einer Ferienreise zu seiner ältesten Tante gesehen hatte, denn sie war mit dem Küstenkönig verheiratet.
Kann man dieses Ungetüm nicht ein wenig zerhacken und mit Punkten garnieren?
Oh ja, Schachtelsatzungetüme, meine liebsten Haustiere … ich kann’s einfach nicht lassen. Der Satz ist in drei Teile zerpflückt worden.

Für einen fünfjährigen Königssohn schon eine reife Leistung, diese Beschreibung.
Ja, er hat gute Erzieher … Nein, im Ernst, fällt das so sehr heraus?

Fisch und Brot und Milch und Eier
Eien Kaufmann scheintes ja zu geben und ich hoffe sehr, dass die Schwäne auch einen Herd hatten, denn roher Fisch und rohe Eier ...
:lol: Es gäbe vielleicht andere Lösungen, die Nahrung irgendwie plausibel zu machen, aber ich war radikal und habe den Königssohn auf Diät gesetzt. Kein Fisch und kein Brot mehr. Rohe Eier? Daran muss er sich gewöhnen.

Dieser war ein ruhiger und vernünftiger Mann, deutlich geprägt vom Soldatenleben, das er einst geführt; es war gewiss nichts Boshaftes in seinem Wesen, doch neben den Umständen, unter denen sie seine Frau geworden war, wog noch besonders schwer, dass er nun einfach nicht der Mann war, den sie hätte lieben können und mit dem sie ihr Leben hätte verbringen wollen.
Zu lang und zu umständlich. Ihr Konflikt kam doch sbereits zuzr Sprache, ich denke diese Wiederholung ist unnötig.
Stimmt. Gekürzt.

nahm sie in den Arm, was sie zuletzt getan hatte, noch bevor die Prinzen in ihr Leben getreten waren; beide waren sie da noch Kinder gewesen.
Stilistisch schlecht. Ich würde zwei Sätze bilden.
Jetzt sind es sogar drei. Was sagst du? :D

Ich weiß nicht, ob du die jüngste wirklich so weltklug und weise darstellen solltest. Du brauchst diese Klugkeit wohl für die Geschichte, aber ich würde sie anders verpacken, etwa in Fragesätzen - Wäre es nicht besser, ein Kind zu bekommen ...
Habe ich jetzt mal versucht …

Dennoch: ist die Herrn des Sees manchmal aushäusig? Oder wieso kann der Wassermann ab und zu junge Mädchen zu sich hinabziehen?

Wo steht denn, dass er das öfter macht?

Hier fängt deine Geschichte langsam an, auszuufern. Die verschiedenen Königreiche auseinander zu halten, erfordert schon eine Zeichnung.

Ja, ich weiß. Das ist das große Problem an dieser Geschichte, von dem ich noch nicht weiß, ob und wie ich es lösen kann / soll / werde. Und eins sage ich dir: Es wird noch schlimmer :D
Und damit beende ich den ersten Teil meiner Anmerkungen, ich muß neue Kraft schöpfen.

Das kann ich mir vorstellen! :lol: Vielen Dank, dass du dir die Mühe gemacht hast!

Liebe Grüße
Ciao
Malinche

P.S. Hier der versprochene Link: http://gutenberg.spiegel.de/grimm/maerchen/schuhe.htm

 

Hallo Malinche!

Weiter gehts:

es war aber so, dass im seichten Wasser ein boshafter Wassermann lauerte, der mit Vorliebe junge Mädchen hinab in seine Gefilde zog.
daraus habe ich geschlossen, dass der Wsssermann sch schon eine Sammlung zugelegt hat.
Die Erzählung der Schwäne
Die Schwäne hielten kurz inne mit ihrer Erzählung; sie konnten wohl sehen, dass der junge Prinz ihnen voll Neugier lauschte und begierig war zu erfahren, was die Herrin des Sees denn nun mit der Verwünschung der zwölf Königstöchter und ihrer Brüder zu tun hätte. Endlich fuhren seine Freundinnen fort:
Eine schöne Überleitung, um auch die Begierde solcher Dauerleser wie vita am Leben zu erhalten (ich hab leider keinen Computer an der Badewanne und Papiere ertrinken bei mir)

Ja, heute habe ich euch wohl vor dem garstigen Wassermann bewahren können, ich fürchte nur, er wird wohl wiederkommen,
zweimal wohl ansonsten ist meine Frage damit ja beantwortet.

Die schöne Frau spricht in direkter Rede, die Prinzessinnen nicht - das ließe sich stilistisch vielleicht verbessern. Da es sich ja ohnehin um Geschichten in einer Geschichte gandelt (eon kleines 1001 Nacht) denke ich du könntest diesen ganzen Teil in direkter Rede schreiben. Könnte der Spannung gut tun.

verwandelten sie in zwölf Stockenten, die quakend davon flatterten und später eine nach der anderen von einem listigen Fuchs gefressen wurden.
ein schönes kurzes Märchen im Märchen. Dass den Stockenten nichts aufgefallen ist - aber sie waren ja schon als Mägde offensichtlich nicht sehr klug.

und versuchten auch den König hineinzuziehen; er aber versuchte noch etwas von seinem Schatze zu retten,

Sein Sohn ist es, dem ihr heute begegnet seid.
Und wer ist die Mutter???

Vielleicht ein wenig langatmig erklärt. ich frage mich, ob man das nicht kürzer und spannender gestalten kann.

Doch noch immer konnte mindestens eine davon sich davonschleichen
von uns

Was hat die Schwierigkeit der Aufgabe und das Davonschleichen mit dem einsetzenden HErbst zu tun? Durften die Zwölf bei kaltem Wetter nicht raus aus dem Schloß?

‚und ich dachte, ihr würdet es vermögen, die Aufgabe zu bestehen.

Fische aber hätten zurückgedurft in ihre Gefilde, aus denen man sie einst verbannte
noch ein Märchen?

Als sie uns das erzählt hatten, reisten sie ab
Nachdem sie uns das erzählt ... Ich würde sagen, die Prinzen waren sowieso nichts wert, sow ie sie sich verhalten haben.

Kleine logiasche Anmerkung: Wieso sind die Prinzen nicht losgezogen, sich Bräute zu suchen?

eine mächtige Zauberin
Aber nicht mächtig genug, den Zauber wieder rückgängi zu machen. Aber das ist ein anderes Thema.

„Es kann nur ihr Turm sein“, sprach der größte Schwan, „denn als wir Mädchen waren, hing in ihrem Gemach ein Bild von einem schwarzen Turme, sie wollte uns aber nie verraten, was das für ein Gemäuer sei.
nicht logisch - es könnte ja auch z.B. der Turm der Lehrerin der Königin sein oder die magische Universität, und das Bild war in Wirklichkeit das Hexendiplom oder ...

ausgelöst durch seine Primitivität und Gleichgültigkeit.
das passt nicht, a) weil es ein Fremdwort ist und b), weil der Soldatenkönig nicht primitv ist, er ist vielleicht engstirnig und unbeweglich.

hat ihnen die Mutter der Schwäne den Gar ausgemacht?
:lol: Garaus gemacht

Er begann mit den Schlüsseln an den Schlössern des anderen Prinzen herumzuprobieren.
Ich habe den Satz erst völlig mißverstanden, was du meinst ist doch: er versuchte mit den Schlüsseln die Fesseln des anderen Prinzen zu lösen.

sie müssten also dem einen, der Macht oder der Liebe, entsagen.
dem einen streichen oder einem von beiden.

für die Knaben aber hatte sie selten ein weniges Wort
Das weniges solltest du streichen.

Denn sie macht das Herz weich und den Verstand schwach, der Mensch wird ein Narr mit ihr, weise aber wollte ich sein.
'Endlich' kommt das Märchen zu Kernaussagen.

aber sie redeten so wirr durcheinander, dass sie einander nicht verstanden
das passt nicht so recht in diese senrimentale Szene, verstanden haben sei einander schon, ohne sich zuzuhören.

vom Teufel daselbst
höchstselbst ?

So, packen wir das Adlerauge mal wieder ein.

Manchmal wars mir schon eine arge Quälerei (vielleicht war ich zu müde), aber zum Schluß hin wurde dein Märchen doch sehr spannend. Es braucht halt viel Erklärungen und manchmal sind sie mir zu sehr erklärend und zu wenig dargestellt. Ich frage mich, ob man die ganze Folge nicht tatsächlich wie eine Matroschka darstellen könnte: Im Märchen ist noch ein Märchen versteckt und dann wieder eins und so weiter.
In Michael Endes unendlicher Geschichte gibt es ja auch den Raum mit den vielen Türen. Auch bei Dir gibt es immer wieder Möglichkeiten wo und wie es weitergehen könnte und manchmal ist mir nicht deutlich genug, warums denn jetzt in diese Richtung geht - erst zum Ende hin wird manches klar. Das allerdinmgs möglicherweise nicht alle Prinzen liebreizend waren, den Verdacht hatte ich schon sehr bald und da ja nur der älteste und der jüngste aus der Anonymität heraustraten, war mir eigentlich kalr, dass einer von den beiden ein falsches Spiel spielt - und da hatte ich dann durchaus den Ältesten in Verdacht.

Also eine schöne Fortsetzung der zertanzten Schuhe, ein Happy End für alle Beteiligten. Vielleicht läßt es sich hier und da noch einwenig straffen und kürzen, aber sonst - tilgen würde ich das Märchen nicht. Vielleicht solltest du mal in den Tiefen deines Computers nachforschen, ob sich da noch mehr verborgen hält.

Lieben Gruß

Jo

 

Hallo Jo!
Danke, die Wassermannstelle habe ich nämlich zuerst irgendwie nicht mehr gefunden. Jetzt ist er kein Sammler mehr.

Eine schöne Überleitung, um auch die Begierde solcher Dauerleser wie vita am Leben zu erhalten
Hurra!
Die schöne Frau spricht in direkter Rede, die Prinzessinnen nicht - das ließe sich stilistisch vielleicht verbessern.
Habe ich jetzt versucht … Die Prinzessinnen reden jetzt an ein paar Stellen auch direkt und die Herrin des Sees erzählt ihre Geschichte ebenfalls selbst.
Dass den Stockenten nichts aufgefallen ist - aber sie waren ja schon als Mägde offensichtlich nicht sehr klug.
:D Genau
Ich würde sagen, die Prinzen waren sowieso nichts wert, sow ie sie sich verhalten haben
Ja, so kommt’s raus.

Kleine logische Anmerkung: Wieso sind die Prinzen nicht losgezogen, sich Bräute zu suchen?
Gute Frage. Ich denke, die „böse Stiefmutter“ hat damit was zu tun. Da habe ich noch einen kurzen Satz eingebaut, um das zu erklären.
eine mächtige Zauberin
Aber nicht mächtig genug, den Zauber wieder rückgängig zu machen. Aber das ist ein anderes Thema.
Genau, wird auch später noch erklärt.
Es kann nur ihr Turm sein“, sprach der größte Schwan, „denn als wir Mädchen waren, hing in ihrem Gemach ein Bild von einem schwarzen Turme, sie wollte uns aber nie verraten, was das für ein Gemäuer sei.
nicht logisch - es könnte ja auch z.B. der Turm der Lehrerin der Königin sein oder die magische Universität, und das Bild war in Wirklichkeit das Hexendiplom oder ...
:lol: Ach Jo, aber als Tochter einer Hexe WEISS man so was einfach … ;-)
für die Knaben aber hatte sie selten ein weniges Wort
:rotfl: wie bin ich denn auf den Satz gekommen
vom Teufel daselbst
höchstselbst ?
Daselbst gefällt mir besser. Das kennt sogar Word. Obwohl das nichts heißen muss :D

So! Wortwiederholungen u.ä. sind beseitigt und hoffentlich auch ein paar Logikfehler. Wenn ich die Ruhe habe, gehe ich noch mal drüber und schaue, wie und wo ich straffen und spannender machen könnte. Das Hauptproblem wird nur halt wirklich bleiben, dass sich alles eben erst am Ende aufklären kann. Also muss es so spannend werden, dass niemand mehr vorher wegklickt … Nichts leichter als das :hmm: … Vielleicht kann ich den Anfang straffen.

Also eine schöne Fortsetzung der zertanzten Schuhe
Danke für diesen Satz! :)
Gut … dann nochmals vielen Dank, dass du dich trotz Müdigkeit durch die ganze Matroschkakönigreiche gekämpft hast.
Liebe Grüße
Ciao
Malinche

 

Hallo Malinche,

wie schon angekündigt, hier mein kurzer Beitrag zu den zertanzten Schuhen.
Was das Verkosten längerer Geschichten angeht, scheine ich eine ähnliche Vorgehensweise wie vita zu bevorzugen. Für dieses Epos wurde erst mal die Papierkassette gefüllt, dann ausgedruckt, und ab ging's mit Bleistift bewaffnet in die Badewanne.
War schon eine Weile her, dass ich mein letztes Märchen gelesen hatte. Als erstes musste ich mich an die altertümliche Ausdrucksweise gewöhnen. Doch bereits nach kurzer Zeit hatte ich mich eingelesen und wanderte gelassen durch die Zeilen. Es gab es nur einzelne Stellen, an denen ich gestrauchelt bin. Da hatte sich dann das "Bauchgefühl" gemeldet. Du kannst ja selbst für dich entscheiden, ob du einzelne Vorschläge verwerten kannst.

"Die zertanzten Schuhe" ist sicher keine Geschichte, die man nebenher so schnell mal durchliest. Denn was so harmlos anfängt, entwickelt sich schnell zu einem durchdachten Konstrukt, einem Geflecht von Handlungen, Orten und Verwandtschaftsverhältnissen, welches die ganze Aufmerksamkeit erfordert. Wenn man sich jedoch auf deine Geschichte "einlässt", wird man alles andere als enttäuscht.
Das du ein spezielles Faible für die Zahl "zwölf" hast, und einer deiner Lieblingsfilme vermutlich "12 Uhr Mittags" heißt, vermute ich jetzt einfach mal. :Pfeif:
In die Geschichte konnte ich sehr gut eintauchen, somit störte ich mich auch nicht an der Seitenzahl. Hätte ich das Badewasser nicht mehrmals nachfüllen müssen, da Gefahr bestand den Schniedel abzufrieren, hätte ich sicher alles ohne Pause durchgelesen.

Durch die verflochtenen Handlungen sind Erklärungen unbedingt nötig; in denen du aber auch wieder falsche Spuren legst, die erst zum Schluss in der "Geschichte des Ältesten" ihre Auflösung finden. Hat man sich an diese Erzählweise gewöhnt, funktioniert es auch mit dem Verständnis. Hier sollte man einfach ein wenig Geduld haben.
Da ich selbst gern Geschichten lese oder schreib, in denen man die eine oder andere graue Zelle bemühen muss, war's für mich OK. So fand ich's auch nicht tragisch, an einer Stelle noch mal nachzuschlagen.
Du spielst gern mit den Emotionen des Lesers. Hatte man vorher noch Sympathie für jemanden empfunden, wandelt sich diese später in Abneigung und umgekehrt. Wie im Beispiel des ältesten Prinzen, oder beim Soldatenkönig.
Auch beschreibst du gut und ausführlich das Seelenleben der beteiligten Personen, was im Kapitel VII: König und Königin, besonders gut zur Geltung kommt.
An manchen Stellen war die Geschichte so rührend geschrieben, dass selbst ein Testosteron-Bulle wie ich, einen Kloß im Hals hatte. So war ich doch froh, als die Sache schließlich gut ausging.
Stellenweise wollte man in die Handlung hineinspringen und die unglückliche Prinzessin in den Arm nehmen, oder am Schluss Felipe bei seinem Kampf beistehen. Doch als er im VI. Kapitel den Mantel aus Schwanenfedern erhielt, vermutete ich schon, dass dieser noch für irgendwas gut sein müsste. Als Felipe dann aus dem Fenster stürzte, dachte ich mir, dass der bestimmt nicht weit kommt ääh, fällt! :)

Als ich dann zum Schluss kam, stellte ich fest, dass Einstein mit seiner Theorie rechtbehalten hatte. Da mich die Geschichte sehr "bewegte", war die Zeit für mich langsamer vergangen, als für den Rest der Menschheit. Wäre ich nicht völlig aufgeweicht und verschrumpelt der Wanne entstiegen, hätte ich mich erst kurze Zeit in den Fluten gewähnt.


Ein paar Einzelheiten:
Gleich zu Beginn hab ich kurz gestutzt.

Zitat:
welcher dem König einst die nächtlichen Aktivitäten seiner Töchter entdeckt hatte und zum Lohne mit der Ältesten verheiratet worden war.

Trotz der altertümlichen Sprache, liest das Bauchgefühl lieber:
welcher einst dem König die nächtlichen Aktivitäten seiner Töchter verraten hatte.

oder, falls du auf die Entdeckung bestehst:

welcher einst die nächtlichen Aktivitäten der Töchter entdeckt und sie dem König verraten hatte.

Zitat:
Wie oft wolltet ihr nicht den stundenlangen Tanz gegen erquickenden Schlaf, das Werk der Erlösung gegen feine enge Schuhe eintauschen, wie wir sie mit unseren zerschundenen Füßen nicht mehr tragen konnten!

Mein Bauchgefühl meldete:
Wie oft wolltet ihr nicht den stundenlangen Tanz, jenes Werk der Erlösung, eintauschen, gegen den erquickenden Schlaf, da ihr mit euren zerschundenen Füßen die feinen engen Schuhe kaum mehr tragen konntet.

Beide Teile des Satzes vorwurfsvoll an die älteren Schwestern gerichtet.

oder vielleicht besser:

Wie oft wolltet ihr nicht den stundenlangen Tanz, jenes Werk der Erlösung, eintauschen, gegen den erquickenden Schlaf, da wir mit unseren zerschundenen Füßen die feinen engen Schuhe kaum mehr tragen konnten.

Durch den zweiten Teil distanziert sich die Jüngste noch deutlicher, da sie zu verstehen gibt, sie habe auch starke Schmerzen erlitten; dennoch hielt sie aus Liebe zu ihrem Prinzen durch. (seufz).

Zitat:
Einst waren wir zwölf Prinzessinnen, so wie es auch deine Mutter und ihre elf Schwestern waren und sind, und wir hatten zwölf schöne Brüder.

Bauch meldete: vielleicht ist's besser…
Wie deine Mutter und ihre elf Schwestern, waren auch wir einst zwölf Prinzessinnen und hatten zwölf schöne Brüder.

Zitat:
Da ging ihm zum ersten Male auf, dass es in jener Welt nicht dunkelte. Die Sterne, von welchen ihm einer der Schwäne berichtet hatte, hatte er bisher nur auf blauem Papier gemalt gesehen. Er blickte hinüber zu dem Schloss. Die Musik war leiser als sonst, ihr Klang lockend und sanft. Seltsamerweise hatte der junge Prinz das Gefühl, dass er in dem Schloss die Antwort auf alle Fragen finden konnte.
Als seine zwölf Schwäne erwachten, sagte Prinz Felipe zu ihnen: „Ich möchte jetzt endlich wissen, was es mit dem Schloss und der Musik, mit euch und dieser Welt auf sich hat. Ich bin jetzt alt genug, es zu erfahren. Außerdem hatte ich einen düsteren Traum, und ich glaube, dass er etwas bedeutet. Also gebt mir endlich Antwort!“
Die Schwäne sahen einander traurig an und antworteten ihm schließlich: „Wohlan, es sind zwölf Jahre vergangen,

An dieser Stelle bin ich ein bisschen gestolpert. Zwar sollte im Märchen Phantasie nie mit penibler Logik vergrault werden, aber hier kam ich doch etwas ins Schleudern. Du hattest zuvor schön erzählt, wie die Schwäne ihn (Felipe) unterrichtet hatten. Auch erschien mir schon zuvor Felipe ein recht aufgewecktes und neugieriges Kerlchen zu sein. Irgendwie konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass er zwölf Jahre nicht gemerkt haben sollte, dass es keine Nacht im "Falltür-Königreiche" gab. Ich dachte erst, dies spiele vielleicht im Verlauf der weiteren Geschichte noch eine größere Rolle, doch du könntest dies durchaus weglassen. Es würde der Handlung und Atmosphäre nichts nehmen.

Zitat:
Ihr Gemahl begriff sie nicht. Wen, fuhr er fort in seiner Fragerei, sollte ihre Schwester denn lieben? Sie habe doch seit Jahren kein männliches Wesen mehr gesehen. Ja, sie sei doch in ihrem Leben noch nie einem begegnet, das ihre Liebe wert sei.

,der ihrer Liebe wert gewesen sei

Zitat:
Schließlich, nach einem sehr langen Abstieg, stand er vor einer weiteren Eisentür mit einem kleinen Gitter darin. Er probierte weitere Schlüssel aus, doch erst der dreizehnte und letzte passte (Hier ward ich überrascht, dass es nicht der zwölfte gewesen :) ) ins Schloss.

Zitat:
„Wer seid Ihr?“
„Ich bin der Prinz Felipe“, entgegnete unser Königssohn, „aber ich glaube nicht, dass Euch das viel sagt. Und Ihr seid..“
Der Gefangene schaute ihn an, als wolle er sagen: Wie wollt ihr denn bitte schön wissen, wer ich bin? Genau das fragte der Prinz sich auch,

Bauch sagt: Dieser Abschnitt hört sich etwas seltsam verdreht an.

Zitat:
„Wer war eigentlich eure wirkliche Mutter?“
„Es wird dich amüsieren, das zu hören: eine unglückliche Prinzessin, die sich im See ertränken wollte, aber auf wundersame Weise gerettet und zu unserem Vater gebracht wurde. Du verstehst?“

Nein, da musste ich nachschauen. Ich dachte an die Prinzessin, die später zur Herrin des Sees geworden war. Aus: IV Das Aufwachsen des jungen Prinzen)


Zitat:
Aber als ich eingeschlafen war, fühlte ich einen heftigen Druck auf meiner Brust. Jemand saß auf mir, und irgendwann begriff ich: Jemand raubte meinen Traum. Er konnte ihn nicht aufhalten, denn dazu war der Traum zu stark, doch ich spürte, wie er ihn verfälschte, wie ich im Traum andere Sachen sagte und dachte, als ich wollte.

(Eine wunderschöne, fantasiereiche Erklärung)


Zitat:
XII: Das Ende

„Ein letztes!“, sprach Felipe da. „Was ist mit meinen lieben Freundinnen, den Schwänen? Wie kann ihnen Erlösung werden?“

Wie kann ihnen Erlösung zuteil werden?

Zitat:
„Ebenso wenig wirst du mich unter den Menschen finden, wie ich dich unter den Schwänen finden werde.“

(seufz, Kloß im Hals)

Zitat:
Da lächelte sie ihn an.
„Das macht meine Liebe“, sagte sie.

(Spätestens an dieser Stelle war's, als liefe mir ein Tropfen über die Wange. Dies lag natürlich an dem Wasser, welches mir vom nassen Haupte rann. Doch schien es mir auch seltsam, da der Tropfen leicht salzig schmeckte.)


Alles in allem eine wunderschöne Geschichte.
Nach deinem Kommentar zu "Flimm Flamm", hatte ich eigentlich gedacht, du bevorzugst eher die Praline, statt einer ganzen Tafel Schokolade. Doch wie ich sehen konnte, liegt dir auch die etwas ausschweifendere Erzählung am Herzen.

So, nach diesem Mega-Posting hab ich nun kein so schlechtes Gewissen mehr, da ich halt nicht so aktiv im Kommentare schreiben bin.
Mögen dir in Zukunft noch viele Ideen für neue Märchen oder andere fantastische Geschichten einfallen. Und solltest du wegen einer Schreibblockade mal in ein tiefes Loch fallen, wünsch ich dir einen Umhang aus Schwanenfedern. :)

Bis dann

LG von F. P.

 

Hallo Fugalee Page,
wow!!! Was für ein Posting! Danke, danke, danke!!! Alles ausgedruckt … Da hab ich jetzt aber ordentlich Wald auf dem Gewissen ;)

Wenn man sich jedoch auf deine Geschichte "einlässt", wird man alles andere als enttäuscht.
:) ohhhhhh das tut gut …
Dass du ein spezielles Faible für die Zahl "zwölf" hast, und einer deiner Lieblingsfilme vermutlich "12 Uhr Mittags" heißt, vermute ich jetzt einfach mal.
:lol: Ja, da habe ich wieder gekonnt eine falsche Fährte gelegt.
An manchen Stellen war die Geschichte so rührend geschrieben, dass selbst ein Testosteron-Bulle wie ich, einen Kloß im Hals hatte.
Wo ist der superstolze Smiley? Der steht jetzt hier …
Als ich dann zum Schluss kam, stellte ich fest, dass Einstein mit seiner Theorie rechtbehalten hatte. Da mich die Geschichte sehr "bewegte", war die Zeit für mich langsamer vergangen, als für den Rest der Menschheit. Wäre ich nicht völlig aufgeweicht und verschrumpelt der Wanne entstiegen, hätte ich mich erst kurze Zeit in den Fluten gewähnt.
Ich habe natürlich ein schlechtes Gewissen, dass du verschrumpelt aus dem eiskalten Badewasser gekommen bist, aber ich muss zugeben, es macht mich verdammt stolz, dass meine Geschichte so eine Wirkung erzielen kann.

Danke auch an dich und deinen Bauch für die Liste. Ich gehe noch mal gründlich über den Text und werde in einigen Fällen sicherlich auf deinen Bauch hören. Danke – du hast ein paar Sachen rausgepickt, die ich jetzt auch unlogisch finde und nicht mehr weiß, warum ich sie so geschrieben habe.

Bin wirklich ganz platt, dass du dir nicht nur die ganze Mühe gemacht hast, die Geschichte zu lesen (und viel Badewasser dafür zu verschwenden ;) ), sondern dass dann sogar noch so ein Riesenkommentar zurückkommt. Und das Beste: dass da soviel Lob drinsteht. Danke!!! Du baust mich auf :)
Und den Schwanenumhang gegen Schreibblockaden könnte ich wirklich gut gebrauchen …
Danke und liebe Grüße
Ciao
Malinche (hochmotiviert im Überarbeitungsfieber)

 

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