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Show don't tell - Segen oder Fluch?

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21.04.2004
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Show don't tell - Segen oder Fluch?

In den letzten Monaten habe ich mir öfters folgende Frage gestellt:

"Gehen wir mit dem heiligsten unserer Schreib-Grundsätze nicht etwas zu dogmatisch um?"

Sicher ist der heutige Leser mehr daran gewöhnt ist, dass ihm Beschreibungen und Personen direkt und unmittelbar präsentiert werden, meistens aus der Handlung heraus. Doch schreiben wir keine Filme, sondern Geschichten - sind Erzähler und nicht Kameramann. Mühselig versuchen wir wichtige Hintergrundinformationen in Dialogen oder Gedanken zu transportieren, anstatt einfach mal zwei, drei erklärende Sätze einzuflechten. Oft werden diese Infos einfach gestrichen, weil kein Platz (in der Handlung!) dafür da ist. Warum nicht? Kann man nicht Spannung dadurch erzeugen, dass man die Handlung an geeigneten Stellen aussetzt? Und diese Unterbrechungen nutzen, um die Tiefe einer Geschichte zu verstärken. Stoßen uns erzählende Passagen nur auf, weil wir alle peinlich darauf achten, sie selbst nicht zu produzieren, so als würde jemand äußern: "Rot ist eine böse Farbe!" Noch vor einem Jahrhundert waren erzählende Passagen, auch Einleitungen gang und gebe, im Handumdrehen findet man zahlreiche Beispiele dafür: "Effi Briest" von Fontane, um nur eins zu nennen. Muss alles immer so hektisch sein, unmittelbar rein, unmittelbar raus? Könnte man sich als Autor nicht mehr Zeit nehmen, seine Welt, seine Geschichte mit Details im Erzählstil abzurunden?

Ist unser "Show don´t Tell" ein Segen oder ein Fluch? Das möchte ich euch mal fragen.

Dante

 

Also bei Kurzgeschichten bin ich auf jeden Fall für:
"Show don´t Tell", weil ich als Leser ja nicht lange Zeit habe, mich in das Geschehen hineinzufinden und mich lange erklärende Passagen dann nerven.

In Romanen sieht das anders aus. Da habe ich nichts gegen Erläuterungen, im Gegenteil: Da stört es mich sogar manchmal, wenn die Autoren nicht einfach mit einigen wenigen Sätzen das Nötige erklären, sondern statt dessen ein ewig langes Gespräch darum bauen, das den Plot auch nicht weiter bringt.

 
Zuletzt bearbeitet:

In erster Linie ganz klar ein Segen.

Wenn man Infos elegant durch die Handlung vermitteln kann, dann sollte man das auch tun. Wenn die Story durch die Show künstlich aufgeblasen wirkt, sollte man es aber nicht auf Teufel komm raus betreiben. Das Hauptziel des "Shows" ist in meinen Augen, den Leser durch "Action" bei der Stange zu halten, während man ihm die Infos einbleut.

Bei Jynx' Beispiel ist es genau andersrum, glaube ich: Da wird über eine geschickte "Tell"-Passage eine Handlung impliziert. Ich hatte da jedenfalls im Kopf, wie der Prot (ein Seemann aus dem 18. Jahrhundert) vollkommen verzweifelt in einer schmuddeligen Kneipe bei Wodka und Absinth in einer Ecke liegt. Man erfährt also was, das über den puren Textinhalt hinausgeht. Das ist für mich kein Tell im Sinne vom statischen Erzählen. Statisches Erzählen wäre

Ich sah keinen Sinn mehr im Leben, seit sie fort war.
etc.

 

Könnte man sich als Autor nicht mehr Zeit nehmen, seine Welt, seine Geschichte mit Details im Erzählstil abzurunden?
Nein, das geht nicht. Keinesfalls. Niemals. Echt, vergiß es.
Wir sind hier schließlich nicht irgendsoein Huppifluppi-Verein, wo jeder machen kann, was er will, sondern wir sind kreative Autoren. Wo kämen wir denn da hin, wenn hier jeder plötzlich anfinge, sich selbst das geeignete Tempo für eine Geschichte vorzugeben?

 

Ich sehe "show, don't tell" als Regel, die man dann beruhigt brechen kann, wenn man sie versteht. Es gibt sicher viele Beispiele für gelungene "Tells", aber noch viel mehr von wirklich schlimmen "Tells". Das gleiche Problem zeigt sich doch bei den Adjektiven - gegen den vernünftigen Einsatz werden die wenigsten etwas sagen. Der muß aber gelernt werden, genauso wie ein guter Einsatz von "Tells".

In vielen von mir gelesenen Texten, die den SDT-Ansatz nicht anwendeten, fand ich die "Tells" einfach nur furchtbar. Nicht als Autor, der den Splitter im Auge seines Nächsten sieht, sondern als Leser. Grund: Sie waren einfach langweilig, machten teils aus der Geschichte ihre eigene Nacherzählung. Warum? Damit habe ich mich damals nicht beschäftigt, und ehrlich gesagt reizen mich die entsprechenden Geschichten viel zu wenig, um nochmals reinzuschauen.

Davon gibt es natürlich Ausnahmen, wo die "Tells" gut waren, sich in die Geschichte einfügten und sie bereicherten. Ich denke, "Tells" sind nicht per se schlecht, sondern der falsche Umgang mit ihnen - welcher aber schnell passieren kann.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja, das stimmt. Es würde bei der Geschichte wahrscheinlich albern wirken, eine Handlung im Sinne von "Action" einzuführen, nur damit man "Show, don't tell" anwenden kann. Aber statisch ist das Erzählte nicht, und ich denke gerade das will man vermeiden, wenn man "Show, don't tell" benutzt.
Hier stimme ich bg zu: Wenn man die Regel versteht, kann man sie beruhigt brechen. Andere Autoren konnten vielleicht auch ohne "Show, don't tell" von Anfang an lebendig erzählen, aber zu denen gehöre ich nicht. Ich kann da natürlich nur von mir sprechen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich denke, dass bei diesem Diskussionspunkt (wie bei so vielen anderen im Leben auch), das Fazit irgendwo bei dem Gedanken landet, wie wichtig es doch ist, die Dinge nicht über einen Kamm zu scheren. Regeln sind gut, Anleitungen sind hilfreich, Grundsätze sind wichtig - aber niemand kann und sollte eine Allgemeingültigkeit garantieren wollen. Das starre Festbeißen an markigen Sätzen wie "Show don't tell" nimmt uns die Flexibilität unserer ganz persönlichen kreativen Ader und schadet unseren Zähnen! ;) Was in einem Fall ein fürchterlicher Fauxpas ist, kann in einem anderen Fall ein Stilmittel sein, je nachdem, in welcher Qualität es eingesetzt wird.

Klar gelten bei Kurzgeschichten etwas andere Prioritäten als bei Romanen, da wir ja hier auf relativ begrenztem Raum agieren und uns deshalb immer fragen: 'Was muss rein und was braucht nicht?'

Von daher, Danke Dante, dass du uns mit diesem Thread mal wieder veranlasst, unseren Verstand ein paar Lockerungsübungen zu unterziehen. ;)

Und ... äh ... ich staune, dass der Thread von dir kommt, der du doch einer unserer großen Oberprofishower bist. Wann hat dich denn das letzte Mal jemand des zu ausführlichen Tellings bezichtigt? :naughty: :D

 

:lol: Ja, sicher. Aber hin und wieder ist das ein schreckliches Gefummel, hier mal ein Beispiel aus einer neuen Passage von "Life Rescue":

»War recht dünn, was die Sitte da zusammengetragen hat.« Treloy holte sein Bluecom hervor und räusperte sich. »Also, das Unternehmen existiert seit knapp zwei Jahren. Panorama-Anzeigen, verschiedene Commercials im 5-Sense-Television, danach reger Zulauf von unseren müden, armen, kauernden Massen.«

Und das nur, damit ich BLOOOSS nichts erzähle, da denke ich mir doch auch: Muss das denn sein? :schiel:

 

Muss das denn sein?

Äh ... rethorische Frage, oder? Um das kompetent zu beantworten, müsst ich schon den ganzen Text gelesen haben.

No fear. Du schaffst das schon! :)

 

Nein, nein - nichts Konkretes bitte. Ich stelle halt die generelle Frage, ob ich/wir das nicht ein wenig engstirnig sehe/n. *mikrofon abgeb*

 

@Dante
ICh hab die Version jetzt noch nicht vollständig gesehen. Wollt aber nur mal anmerken, dass Telling Tellling bleibt, auch wenn man Hochkommatas drumsetzt :D Und jetzt haut mich! :aua: Hehe

@Thema
Hier wurde schon vieles Richtige gesagt, deshlab schließ ich mich jetzt nur noch bg an und rufe in die Welt: "Findet den Weg der Mitte und ihr findet das Glück!"
2,5 Tausend Jahre alter Spruch, der sich auf alles und jeden anwenden lässt und wahrscheinlich die einzige unumstößlich Wahrheit im Leben eines Menschen darstellt.
Extreme sind immer krank. Nur Showing halte ich für gar nicht umsetzbar und nur Telling (mit dem heute modernen Lesegeschmack hinter meiner Stirn ) für nicht lesbar.

 

Hallo!

Der Ansatz, etwas zu zeigen, ist für mich nur eine überlegenswerte Alternative zum unverblümten, ‚Sagen’.
Wenn es zu oft vorkommt, nervt das ‚Sagen’ besonders bei Personenbeschreibungen, es sei denn, die genaue Kenntnis der Kleidung, des Aussehens einer Person ist für die Handlung unabdingbar.

Tschüß... Woltochinon

 

Morsche,

Doch schreiben wir keine Filme, sondern Geschichten - sind Erzähler und nicht Kameramann.

Um mal zu übertreiben: Unter meinen Geschichten finden sich viele Kommentare, die sagen, dass man praktisch einen Film vorm Auge hatte.

Von daher, Dante, mach dir mal keinen Kopp, nicht wahr? ;)

 

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