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Was ist eigentlich "Show Don't Tell"?

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01.06.2005
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Was ist eigentlich "Show Don't Tell"?

Hallo Allerseits,

kürzlich bemängelte jemand (zurecht) an einem unfertigen Entwurf von mir, ich würde nicht genügend "Show Don't Tell" betreiben. Bei der Gelegenheit fiel mir auf, dass es irgendwie geringfügig unterschiedliche Auffassungen gibt, was dieses schöne englische Schlagwort besagen soll.

Ich möchte in diesem Thread also ein paar Ansätze zusammentragen, und beginne gleich mit meiner Sicht:

1. Erkläre etwas nicht explizit, wenn es sich auch aus der Handlung ergeben kann! Anstatt zu schreiben: "Die Morlocks waren seit Generationen die Feinde der Eloi." ist es sicher schöner, eine Szene einzubauen, die genau dies verdeutlicht. In einer Kurzgeschichte ist das manchmal schwierig, daher kommt man manchmal nicht umhin, doch noch die eine oder andere halbe Erklärung stehenzulassen, also einen Kompromiss wie: "Nach dem Kampf wurde ihm klar, dass die Morlocks schon seit langer Zeit Feinde der Eloi sein mussten."

Das führt mich zur zweiten Auffassung, die ich so sogar in englischsprachigen Anleitungen zum Schreiben gefunden habe. "Show Don't Tell" im engeren Sinne ist also:

2. Behaupte niemals eine Emotion, zeige sie! Anstatt: "Sally war traurig." besser: "Warme Tränen liefen über Sallys Gesicht. Sie senkte den Blick und schniefte leise." Hach! Viel schöner!

Da ich nicht ausschließen will, dass andere Leute noch andere Aspekte dieses Themas sehen, fordere ich nun weitere Regeln. :) Und nicht vergessen: Regeln sind dazu da, auch manchmal gebrochen zu werden: Show don´t Tell - Segen oder Fluch?

 

Philo,

ich glaube, gbwolf wollte sich lediglich als diejenige outen, die es wagte, mich zu kritisieren. ;) Daher das Zitat. Und jetzt mal zurück zum Thema!

 

Nachdem ich mich ja jetzt schon einige Zeit auf dieser Seite tummle, bin ich zu der Ansicht gelangt, dass der "SdT"-Grundsatz hier von manchen viel zu dogmatisch verstanden wird.

Sicher, grundsätzlich ist es eine gute Idee, besonders als Anfänger nah bei seinen Figuren zu bleiben; eben genau, wie ich oben geschrieben habe, Emotionen nicht zu behaupten, sondern sie zu zeigen.

Allerdings führt das einige Kritiker hier zu der Folgerung, dass man in einer Geschichte nirgends einen Satz wie "Er nahm Milch aus dem Kühlschrank, die er gestern gekauft hatte." schreiben dürfe, sondern stattdessen eine Szene einbauen müsse, die zeigt, wie er die Milch kauft! Das ist einfach höherer Schwachsinn, denn ein anderer Grundsatz guten Schreibens besagt schließlich, dass man sich gefälligst auf die Aspekte zu konzentrieren habe, die die Geschichte voranbringen.

Mein Fazit lautet also nach fast zwei Jahren: Lasst Euch nicht von den "Show dont't Tell"-Fetischisten verunsichern. Die SdT-Regel ist gut und wichtig, aber ein Allheil-Dogma ist sie nicht.

 

stattdessen eine Szene einbauen müsse, die zeigt, wie er die Milch kauft! Das ist einfach höherer Schwachsinn, denn ein anderer Grundsatz guten Schreibens besagt schließlich, dass man sich gefälligst auf die Aspekte zu konzentrieren habe, die die Geschichte voranbringen.

Das ist doch Quatsch, kein Kritiker wird für diese Szene SdT fordern, wenn nicht auch eine Emotion damit aufgezeigt werden soll, die mit Milch aus dem Kühlschrank, die gestern gekauft wurde, assoziert werden soll.

Wenn aber Milchtrinken ein Ritual ist, das z.B. Trost spenden soll, (als Kind gab die Mutter immer Kekse und Milch, wenn ich mir Knie aufgeschlagen habe)ist die Szene sinnvoll eingebaut.

 

Das ist doch Quatsch, kein Kritiker wird für diese Szene SdT fordern, wenn nicht auch eine Emotion damit aufgezeigt werden soll, die mit Milch aus dem Kühlschrank, die gestern gekauft wurde, assoziert werden soll.
Natürlich ist das Quatsch, aber solche Dinge wurden tatsächlich schon gefordert. Und ja, ich habe mit dem fiktiven Beispiel absichtlich etwas übertrieben. Ich wollte auch nur mal thematisieren, dass SdT für manche Autoren/Kritiker so etwas wie ein Fetisch geworden zu sein scheint und sie die Verwendung gar nicht mehr reflektieren.

 

Naut schrieb:
Ich wollte auch nur mal thematisieren, dass SdT für manche Autoren/Kritiker so etwas wie ein Fetisch geworden zu sein scheint und sie die Verwendung gar nicht mehr reflektieren.

Die Verwendung ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, gerade weil die Geschichten dadurch "gemalt" werden und der Leser frei assozieren kann. SdT kann ohne Reflexion nicht funktionieren. Denn der Leser soll reflektieren, was er assoziert und der Autor soll es dem Leser vor Auge führen.

 

Jynx schrieb:
Das ist nicht so sehr eine Frage des Stils, sondern eine Frage der Erzählhierarchien.
Jynx schrieb:
Also: ich würde nach..äh.. zumindest einigen Jahren hier sagen, dass man diese Leitlinien im Kopf haben kann und darf, aber sie nicht helfen, wenn man eine eigene Stimme finden will. Diese eigene Schreibstimme findet man erst hinter dem eigentlichen Handwerk. Nur bis zu dem Punkt muss man sich notgedrungen erstmal da durchwühlen, also schreiben. Und dabei diese Regeln ausprobieren, Fehler machen, verwerfen und neu anfangen. Dafür sind sie also gut, um sich dran abzuarbeiten...

*Unterschreib* Das hast du sehr schön gesagt und ich habe etwas wichtiges dazu gelernt:)

 

Oh ja, das ist super auf den Punkt gebracht worden, liebe Jynx.
Auch, dass du auf den Ursprung der Regel und ihre unterschiedliche Verwertbarkeit hinweist. So hab ich es vorher noch nie gesehen.

 

Das Problem bei SdT ist mAn. dass hier eben das Gefuehl (also die Identifikation) des Lesers angesprochen werden soll.
Da ich aber auf den Intellekt ziele und mir die Identifikation des Lesers mit meinen Figuren herzlich egal ist, wuerde sich ein ausgepraegtes Showelement in meinen Storys kotraproduktiv auswirken (womit ich nicht den ansonsten maessigen Sil meiner Storys relativieren will).
Ausserdem sei darauf verwiesen, dass schon Schiller seinen "tell" hatte.
Proxi

 

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