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Serie Orte - Frühsommer im Ort

Seniors
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31.07.2001
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Orte - Frühsommer im Ort

Die Wörter waren: Frühsommer, nachdenklich, Fallschirmspringen, Stahlschraube, Feuerwerk

Unser Ort – eine fürwahr schmeichelnde Umschreibung – feiert jedes Jahr im Frühsommer ein besonderes Fest.
Für dieses Ereignis, unser Frühsommerfest, gräbt eine jede der ansässigen Familien stets den Schmuck des Vorjahres aus, kombiniert ihn mit neuerem Kram und bringt damit die eigenen Mauern auf Vordermann.
Es ist sicherlich wahr, die wenigen Häuser hier, sie bieten nicht vielfältige Möglichkeiten, sich schmücken und herrichten zu lassen. Es sind simple Gebäude, eckig und plump. Und die Große Hauptstraße trennt diese Gebilde doch noch zu weit voneinander, als dass es möglich wäre, über ihr bunte Girlanden und ineinander verschlungenes Tannengrün zu spannen.
An den Häusern selbst jedoch gibt man sich nicht wenig Mühe und so entsteht, wenn sich alle Familien am Vorabend des Festes in trauter Einigkeit vor ihren Werken versammeln, ein Bild von vielen bunten und sanft beleuchteten Oasen, welche, von den grauen und staubigen Bändern der der wenigen Straßen getrennt, für sich allein in ihrer Pracht erstrahlen.
Wir Kinder kosten diesen Vorabend stets in vollen Zügen aus. In Trauben rennen wir von einer dieser Lichtinseln zur nächsten, werten die eine bunte Zugabe hoch, belächeln die nächste und sind dabei doch stets fasziniert von der Schönheit dieser Nacht. Was da an Kerzen, an Lampions, Lampen und Lämpchen, an bunten Papierchen, Mustern und Malereien, an würzigen Blumenarrangements und süßen Duften um uns herum auflebt! Was sich diese Leute – unsere staubigen Nachbarn, unsere alltäglichen Mitmenschen - für diese Feier einfallen lassen! Ja, es ist wahr, das Jahr über verfallen zumeist alle von ihnen ihrer stumpfen Eintönigkeit, durchleben Ernte, Winter und Frühling – scheinbar jedoch nur, um in dieser knappen Woche dem nächsten Jahr wiederholt seinen Sinn zu geben. Und sie tun es auf eine Weise, dass – ich bin sicher - ein jedes der hier aufwachsenden Kind nie wieder einen derartigen Sinnesrausch erleben wird. Den meisten ist dieser Vorabend sicher wertvoller in der Erinnerung, als das eigentliche Fest.
Bei mir ist es so.
Vor allen anderen Tagen ist es dieser eine seltsame, so viele Jahre ist es nun her. Immer steht er mir deutlich vor Augen, als wäre es gerade gestern geschehen:

Florin tanzt dort vor mir, umringt von all den Kindern unseres Ortes.
Nur kurz trifft mein Blick den ihren, dann wende ich mich eilig den anderen neben mir zu; den Kindern im äußeren Ring, denn nicht ganz trifft Florins bezauberndes Licht unsere Reihen hier und so kann ich mich wieder einmal verbergen.
Wir alle haben uns vor dem Zaun versammelt, welcher den Garten des alten Grünsteudel von dem Zweiten Nebenweg abgrenzt. Wir sind hier, um zu bewerten. Aber – wie wohl auch die vielen Jahre zuvor – hat der alte Mann sein Haus ungeschmückt gelassen. Ausgelassen tanzen wir vor der Pforte, rufen - wie, um uns Gerechtigkeit widerfahren zu lassen - unsere Spottlieder hinaus:

Alter Mann, nichts ist dran
Graue Maus, komm heraus
Tanze schön, lass dich sehn’
Weil wir denn sonst weitergehn’
Nimmer sehn’
Dich nimmer sehn’!
Nimmer sehn’
Ja, nimmer sehn’

So oder doch ähnlich klingen unsere Lieder über den Jägerzaun des alten Grünsteudel - und wie anmutig klingt der klare Sopran, in dem Florin den Chor führt! Hell leuchtet ihr lachendes Gesicht, das Rosa ihrer Wangen, das tiefe Grün ihrer Augen und wie leicht bewegt sie ihre Arme im Abendwind, leitet den Chor der fröhlichen Kinderstimmen, der für diesen Abend die Befehlsgewalt der Erwachsenen um uns herum für absurd erklärt und uns das Recht gibt, über ihre Art, ihr Leben zu führen, richten zu dürfen.
Grünsteudel verbirgt sich in seinem grauen Heim und lässt uns das Ritual, erträgt den Spott, schaut nicht einmal hinter seinen dunklen Vorhängen hervor und so gehen dann selbst Florin irgendwann die Strophen aus und wir ziehen wieder los, zurück auf die Große Hauptstraße und weiter, der nächsten Lichtoase entgegen.
Ich renne hinter der Meute her und werfe dabei einen schnellen Blick hinunter zum Hause meiner Eltern. Voll besetzt sind die Bänke in unserem Garten und Vater stemmt in diesem Moment lachend ein frisches Bierfass in die Höhe während meine Mutter bereits den Hammer schwingt, um den alten Zapfhahn in das Holz zu treiben. Ich muss lachen und spüre mein Herz aufgehen für diese beiden Menschen. Wie sehr ich sie liebe! Wie sehr unser Leben, das wir hier führen!
„Leander! He, Leander!“, ruft mich eine Stimme und gerade noch rechtzeitig wende ich mich in diese Richtung, um den Ball zu fangen, der, von Devins starken Armen geworfen, mich hart trifft. „Vorsichtig, junger Deschain!“, rufe ich lachend zurück und werfe den Ball weiter zu Jotan, der sich, kaum, dass er den Ball gefangen hat, mit Jonte darum balgt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Jonte gewinnen wird.
„Aufmerken, Jungs!“
Es sind nicht mit immenser Lautstärke gesprochene Worte, doch kann ich sie sehr wohl hören. Florin steht an der Gabelung, an welcher ein Weg von der Hauptstraße abweicht und in den Wald führt. Es ist die Mitte unseres Ortes, und ja, diese Bezeichnung – wie schon gesagt – sie schmeichelt den doch recht wenigen Häusern.
Mein Blick verfängt sich mit einem Schlag in Florins Erscheinung. Schon lange war mir, als würden alle Kinder ihr zumeist einen knappen Meter einräumen, in den nur Auserwählte treten dürfen. Einen Achtungsmeter, eine Bannmeile, welche normale Kinder von den besonderen unterscheidet. Eben noch, als sie den Chor vor dem Haus des alten Grünsteudel geführt hatte, da war dieser besondere Bereich verschwunden gewesen, von ihr weggezaubert und alle hatten sie umringt, schon beinahe belagert, doch nun ist er wieder zurück.
Und das deutlicher als zuvor.
Sie steht unter einer Laterne, die von einem Apfelbaum im Garten der Deans herabhängt. Diese Familie besitzt ein Haus direkt an der Gabelung und sie alle protzen Jahr für Jahr mit ihren bunten Lampions, welche aus recht teurem Stoff aus fernen Gegenden hergestellt sein sollen, wie Frau Dean nie vergisst zu erwähnen, wenn sie mit den anderen Frauen zusammensitzt. Allein aus diesem Grund wird ihr geschmücktes Heim von uns jedes Jahr gemieden, denn mit dieser unnötigen Angeberei können wir Kinder ärmerer Eltern nur wenig anfangen und wir strafen sie mit wiederkehrender Missachtung – auch wenn ich zugeben muss, dass es einzigartig fremde Bilder und Muster sind, die dort von den Kerzen im Inneren der leuchtenden Papierkugeln zu tanzendem Leben erweckt werden und auch habe ich allein sie im Geheimen schon mehr als einmal bestaunt.
„Dort links seht ihr den dunklen Wald.“
Florins Stimme schwingt sich über das leise Flüstern der Kindermenge, welche sich außerhalb ihrer Bannmeile versammelt hat und betäubt es. Ihr ausgestreckter Arm weist den Langen Weg hinab. Das Haus der Deans ist das letzte Gebäude in dieser Strasse und ihr Garten reicht noch ein gutes Stück den Weg hinab. Auf der anderen Seite erstreckt sich die weite Westwiese, auf der die Bauern in diesen warmen Monaten ihr Vieh halten. Beide Seiten des Weges verlieren sich in der Dunkelheit.
Florin hingegen steht in dem warmen Kreis aus Licht, dessen schattige Grenzen von den fremdartigen Mustern der Dean-Lampions geworfen werden. Hell scheint ihre Haut, ihr braunes Haar umrahmt mit seinen Locken anmutig ihr Gesicht und die eine, die sie an der Nase kitzelt, treibt sie mit einer schnellen Bewegung hinter ihr rechtes Ohr zurück. Es ist eine zauberhaft ungeduldige Geste und ich bemerke, wie Jonte mit einem entrückten Ausdruck auf seinem Gesicht den erkämpften Ball neben mir zu Boden fallen lässt.
„Links der Wald“, wiederholt sie und die Schar der Kinder erschaudert. Der Wald ist verboten, vor allem in der Nacht. Das wissen alle. Es gibt Sagen über die Wesen, die in diesem Wald hausen und in der Dunkelheit auf Jagd gehen. Die Alten erzählen sie uns, wenn wir abends zusammen sitzen. Wir Jungen lachen darüber, wenn wir unter uns sind und ein jeder spricht großspurig davon, alleine hinein zu gehen, um all diesem Unsinn zu widerstehen. Doch war sicher noch niemand von uns in diesem Wald gewesen, nachdem die Sonne hinter den mächtigen Bäumen untergegangen war - vielmehr waren mit Sicherheit wir alle bereits mehr als einmal verschreckt auf unserem Lager erwacht, während die Reste eines dunklen Traumes sich unter das schattige Blätterdach zurückzogen.
Florin lacht. „Ja, der dunkle Wald“, sagt sie. „Andererseits“, und sie zeigt mit dem anderen Arm die Hauptstraße hinauf, „andererseits wartet dort und überhaupt hier überall das bunte Treiben des Ortes.“ Wir Kinder senden einen Laut der Erleichterung und Freude in Florins Richtung. „Ja, der Ort“, wiederholt sie. „Der Hauptplatz und das Feuerwerk um Mittnacht.“
„Das Feuerwerk“, klingen unsere Stimmen gemeinsam durch die Nacht. Ein jeder von uns spürt die angenehme Woge freudiger Erregung, die bei diesen Worten durch die Menge geht.
Das Feuerwerk findet stets am Vorabend unseres Frühsommerfestes statt. Die größeren Kinder hatten seit jeher den kleineren, die es zum ersten Mal bewusst erleben würden, davon erzählt, immer begeistert geschwärmt, sodass diese schon Tage zuvor nicht mehr richtig schlafen konnten. Es ist eines der wenigen Besonderheiten unseres Ortes. Der Feuerwerker und sein Lehrjunge werden von den Bewohnern des Dorfes ernährt und man ehrt sie wohl und weiß ihr Können und ihre Geheimnisse zu schätzen. Oft kommen sogar Leute aus fremden Orten, um es zu sehen – und sie lassen Geld bei uns, wie wir von den Alten hören. Es ist eine wunderbare Pracht, eine Gabe, die dieses alte Geheimnis unseres Ortes uns so beschert. Der Gang von Haus zu Haus, den wir Kinder jedes Jahr unternehmen, um die Schönheit der beschmückten Gebäude unter uns zu bewerten, dieser Weg, um wahr zu sein, ist nicht mehr als das Totschlagen der Zeit, die zwischen uns und diesen prallen, blitzenden und donnernden Bildern am dunklen Nachthimmel steht.
„Ja, das Feuerwerk“, klingt Florins Stimme kräftig durch das Raunen. Eine Weile lässt sie ihren Blick durch die Runde schweifen und bevor ich von ihr lassen kann, hat sie mich mit ihm gefangen.
„Wer geht mit mir in den Wald?“
Erschrocken weicht die Menge zurück, eine Herde Schafe, in der ein Wolf den trügerischen Pelz mit diesen Worten abgeworfen hat. Es erscheint fast, als leuchtete der Dean-Lampion in diesem Moment heller, als werfe er schärfere Schatten und als wären diese fremdartiger als zuvor.
„Nun, wer?“, und ihre Frage schneidet beinahe schmerzhaft durch unsere Gruppe von Kindern und alle weichen noch einen Schritt weiter zurück.
Nur ich nicht.
Wahrscheinlich habe ich auf ihre Worte in diesem einen Moment überhaupt nicht richtig geachtet. Ihr Blick hält mich gefangen und ich sehe mich alleine neben dem Ball stehen, den Jonte neben mir hat fallen lassen. Auch er ist zurückgetreten.
„Du also“, sagt sie und sieht mich nachdenklich an.
„Er heißt Leander“, höre ich Devin kurz darauf hinter mir sagen. Die Arme, mit denen er erst den Ball zu mir geworfen hat, sie sind stark, aber zu mehr als zu diesem Verrat sieht er sich nicht imstande.
Florin reagiert nicht auf ihn. Sie streckt nur ihre Hand aus. „Gehen wir.“ Ich nehme ihre Hand und wir gehen.

Die ersten Meter sind ein schwerer Gang.
Als wir den letzten Lampion im Garten der Deans passieren, merke ich, wie Florin an mir zerrt, damit ich mit ihr Schritt halte. Ich will meinen Gang beschleunigen, strauchle jedoch und Florin bewahrt mich nur mühsam davor, gänzlich hinzufallen.
„Herrgott, Leander, schläfst du eigentlich?“, schnaubt sie und hilft mir, mich wieder aufzurichten. Ich werfe einen kurzen, hoffentlich unbemerkten Blick über die Schulter während ich irgend etwas zur Antwort murmle.
Wir haben die schützende Glocke aus Licht, die über den Häusern des Ortes schwebt, verlassen. Die Kinderschar, zu welcher ich eben noch gehörte, steht an ihrem Rand und sie alle sehen uns hinterher. Einige von ihnen kann ich noch an ihrer Haltung erkennen; Jonte hat den Ball aufgehoben und hält ihn vor sich fest in den Händen. Neben ihm sehe ich Devin und Jotan – viel Zeit haben wir im täglichen Geschehen unseres ruhigen Ortes zusammen verbracht.
Mein Blick wandert weiter, fällt auf den hohen Rauchfang unseres Hauses. Dort, wo Vater und Mutter im Garten die Gäste bewirten und sich amüsieren. Werde ich sie wiedersehen? Sollte ich nicht besser umkehren?. Damit fortfahren, die Hauptstrasse und ihre Nebenwege entlang zu springen, den Ball hin und wieder zurück zu werfen, die bunten Lichter, das Feuerwerk und die Gemeinschaft in mich aufzunehmen, um morgen in wohliger Vorfreude auf das Fest im Hause meiner Eltern zu erwachen.
Doch ich wende mich dem dunklen Waldrand zu, umfasse Florins Hand fester und gehe mit ihr.

Florin geht mit forschen Schritten voran, Leanders Hand fest umschlossen.
Sie hatte gezittert, als sie in dem Licht des Lampions an der Gabelung gestanden und die entscheidende Frage gestellt hatte. Hatte gewusst, dass sie das, was von ihr verlangt wurde, nicht allein zu erreichen hoffen durfte und so einen Beistand auserkoren.
Innig hatte sie das Leiten des Chors vor des alten Grünsteudels Haus genossen. Hatte sich in dem kindlich unschuldigen Gespött verloren, verzweifelt nach immer neuen Strophen gesucht und das Hinabtauchen in diese wundervoll einfache Gefühlswelt körperlich empfunden.
Doch natürlich war es vergangen. Und schon das ganze vergangene Jahr hindurch war es für sie immer schwieriger geworden, die Welt durch die Augen eines Kindes zu sehen.
Jetzt, da der Abend, da die Stunde, welche ihr genannt worden war, gekommen ist und sie an der Seite Leanders auf den Waldrand zugeht, fühlt sie sich in eine andere, eine neue Welt hinabgedrückt. Es kommt ihr vor, als wäre sämtliches Vermögen, zu fühlen, von ihr abgefallen, als wäre ihr Bewusstsein auf rationale Entscheidungen reduziert worden.
Nein, sagt Florin sich im nächsten Moment. Das war falsch. Nicht lediglich rational. Sie fühlt Ärger über Leanders langsame und umständliche Art. Was sie dazu bringt, ihn mit giftigen Worten zu bedenken: „Herrgott, Leander, schläfst du eigentlich?“ Dieser Ärger birgt Energie und sie zerrt den Jungen hoch, bemerkt, wie er sich im Aufrichten umdreht und einen Blick zurück wirft. Will etwas sagen, unterlässt es dann aber. Es mag gut sein, ihm diesen letzen Eindruck zu belassen. So kann er abschließen – oder sich entscheiden, den Weg nicht weiter zu gehen. Besser hier als hinter den ersten Reihen der Bäume, auf die sie zugehen und sie kann die Spannung in ihm fühlen: Zwei Wege, von denen er nur einen wählen kann.
Er zögert nur kurz, dann fasst er ihre Hand fester und wirft keinen weiteren Blick zurück.


Der Waldrand steht dort vor uns in der Nacht. Die Lichter des Ortes reichen nicht mehr bis hierher und ich fröstle bei dem Anblick dieser Schwärze in der Dunkelheit.
Ich weiß, schon bei Tag sieht er unheimlich aus. Dicke, knorrige Äste reichen bis tief auf den Boden, bedecken das viele Unterholz, das lebendig grüne Gebüsch und lassen nur wenige Lücken, um in die schattige Welt dahinter zu schauen. Wir waren nie sehr weit auf den wenigen ausgetretenen Pfaden vorgedrungen. Die Angst vor einem frühzeitig einbrechenden Abend und die vielen Verzweigungen, die weiter darinnen vermehrt die Wege trennen, hatte uns immer davon abgehalten, tiefer in diese andere Welt, in diesen Ring, der unseren Ort beinahe zur Gänze umgab, einzudringen. Und auch von dem einen Weg, der von unserem Dorf weg durch den Wald zu ferneren Orten führt, auf welchem das fahrende Volk unterwegs ist, war nie jemand je weit in den Wald gewichen. Nicht einmal die Ältesten können sagen, was sich hinter diesem Wald verbirgt. Nicht einmal sie.
Und nun stehen Florin und ich an dieser Grenze. Überschreiten sie, ohne darüber ein Wort zu verlieren und finden uns wieder in dieser fremd-grünen Welt.
Es ist kühl, aber nicht kalt. Finster, aber nicht undurchdringbar. Seltsam, dass meine Augen etwas erkennen können. Es ist beinahe so, als würden die Gewächse des Waldes einen leichten Widerschein von sich geben, mein Herz klopft und ich umfasse die Hand Florins fester. Es ist so anders, gar nicht so, wie ich es mir in meinen Alpträumen vorgestellt habe.
Am Rande unseres Pfades leuchtet das Gras schwach und kalt, aber nicht unangenehm und weist uns die Windungen des Weges. Ich erkenne Pilze, die unter dem Schutz mächtiger Wurzeln und Gebüsche wachsen und ebenso schwach ihre Muster zeigen. Die Baumstämme hinauf winden sich Klettergewächse in eben diesem seltsamen Licht. Nur sehe ich keine Tiere.
Doch wäre es unwahr, zu sagen, kein Leben wäre zu sehen, denn dieser Wald, er ist am Leben. Er ist es in diesem kalten Licht, in den sich in den Boden wühlenden Wurzeln der mächtigen Stämme, in den kleineren, aber nicht weniger wilden Gewächsen, die sich zwischen den alten Bäumen durchschlagen. Nur gibt es kein lebendes Getier zu erspähen und auch in diesen Momenten, in denen meine Augen immer noch von der bezaubernden Schönheit Florins abgelenkt werden, auch jetzt finde ich keine zwei oder vier Pfoten, die sich langsam und – vielleicht von unserer Anwesenheit eingeschüchtert – vorsichtig durch dieses mächtige Holz schlagen. Es gibt nur uns auf diesem Weg, geleitet von diesem altehrwürdigen Wald.
Ich spüre weiterhin den leichten Zug, den Florin auf mich ausübt, doch ist auch sie nun vorsichtiger geworden.
Es ist ein ganz besonderer Anblick, ihren baren Füßen bei dem langsamen und vorsichtigen Vorausschreiten zuzusehen. Sie hat nie Sandalen getragen – nun, zumindest, soweit ich es bezeugen kann. Zwischen ihren Zehen drängt sich niedergetretenes Gras und erst spät bemerke ich den Lichtschein, der sich auf ihrer hellen Haut spiegelt.
Ich sehe auf.
Zwischen den mächtigen Stämmen erkenne ich ein prasselndes Feuer, frage mich, wieso ich es nicht vorher bemerkt habe und erinnere mich im nächsten Moment wieder an Florins Füße, welche mich in dem dunklen Nachtgrün des Grases in ihrem beständigen Auf und Ab gefangen haben; es selbst in ihrer bloßen Erinnerung noch tun.
Vorsichtig halte ich sie an ihrem Arm. „Florin, dort vorn ist -“
„Bleib ruhig, Leander. Nichts Böses erwartet uns dort. Nicht dort.“
Ihre Art – sie beruhigt. Und doch trifft sie meinen Stolz. Denn sollte nicht ich ihr dieses Gefühl geben? Hatte sie nicht um Beistand gebeten, dort an der Gabelung, an der sie ihre Frage gestellt? Hatte sie?
Wer geht mit mir in den Wald?
Das war ihre Frage gewesen. Es klingt nicht wirklich wie ein Flehen nach Beistand, tut es?
Nein.
Es klingt nicht so.
Es ist doch mehr eine Frage nach Begleitung auf einem schweren Weg. Und das bin ich.
Begleitung.
Und hoffentlich mehr, höre ich mein Herz bitten.

„Bleib ruhig, Leander. Nichts Böses erwartet uns dort. Nicht dort.“
Florin hatte gespürt, dass er diese warmen Worte brauchte, hatte jedoch die Zeit abgewartet, bis er den Feuerschein bemerkt hatte.
Sie weiß, wer sie dort erwartet.
Ja, sie war verwirrt von ihrer eigenen Tat gewesen. Der alte Mann hatte damals davon geredet, dass allein sie auserwählt wäre. Und gerade dieser übermächtige, dieser dunkle Gedanke hatte all die vielen schweren Nächte zur Folge gehabt. Hatte ihre trotzige Reaktion herausgefordert, in der sie eines der anderen Kinder zur Begleitung gezwungen hatte. Und nun ist Leander derjenige, der vielleicht – wie auch sie selbst – nicht mehr zurückkehren würde.
„Es ist ein Freund.“
Leander nickt und drückt ihre Hand.
Gemeinsam gehen sie auf das flackernde Feuer in der Mitte der Lichtung zu.

Der alte Mann hockt auf seinen Knien und sieht unbewegt in die Flammen. Neben ihm liegt ein Haufen kleiner und größerer Äste, das Gras um ihn herum ist niedergedrückt; sein Schatten tanzt auf dem Boden, bis hin zu den Wurzeln der ersten Bäume.
„Florin, ist das nicht -“
„Grünsteudel, ja. Wen sonst hast du erwartet?“, entgegnet sie mir und wirkt wieder ungeduldig. Zieht mich weiter vorwärts.
Zu diesem Zeitpunkt – das kann ich versichern – habe ich nicht viel mehr damit gerechnet, diesem alten Mann hier zu begegnen als vielleicht Jonte oder auch Devin. Sie jedoch scheint es als die einzig logische Abfolge der Dinge zu betrachten, Grünsteudel hier auf uns warten zu sehen.
Gut. Ich folge ihr weiter.
Anhand der sehr wenigen Begegnungen, die wir im Ort bisher hatten, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, wie alt er wirklich sein mag. Sehr alt definitiv, denn schon meine Eltern kennen ihn als alten Menschen – ich hatte sie einmal nach ihm befragt - und bereits vor ihnen hatten die Alten ihn alt genannt. So wurde es jedenfalls gesagt.
Allen Kindern ist er stets unheimlich vorgekommen. Hatte durch seine seltsame, eigenbrötlerische Art nie viele Freunde gefunden und sicher auch nie welche gesucht. Ist einfach immer da gewesen, ohne, dass irgendwer einen Grund für oder gegen ihn hatte anbringen können.
Jetzt stehe ich ihm gegenüber und seine alte, knorrige Hand weist mir einen Platz jenseits des Feuers zu. Florin gibt mir einen leichten Stoß und ich setze mich auf den mir zugewiesenen. Das Gras ist kühl. Grünsteudel stützt sich auf seine Hände und wechselt in den Schneidersitz und auch Florin lässt sich nieder. Was immer folgen mag, ich hoffe, dass dieser alte Mann das Geschehen etwas aufhellt – und mein aufgeregt schlagendes Herz etwas zur Ruhe bringt.
„Florin, du warst scheinbar nicht ganz bei meinen Worten, als ich dir von all dem erzählte“, eröffnet Grünsteudel das Gespräch.
„Nein, Michael, ich habe dich wohl gehört und es mir in einem ganzen langen Jahr zu Herzen genommen.“ Ihre Betonung ist kaum notwendig, auch ohne sie hätte ein jeder verstanden, dass sie eine schwere Zeit hinter sich hat, welche ihren Ursprung in etwas findet, das in seiner Verantwortung liegen muss. Und sie nennt ihn Michael! Wir anderen Kinder müssen sehr schlecht gesehen haben oder Florin hat sich sehr gut verstellt.
„Jedoch“, fährt sie fort, „erschien es mir sinnvoll, einen Begleiter zu haben, denn ich -„
„Denn du hast Angst.“
Florin stemmt sich auf, ihre Schultern strecken sich und in ihren funkelnden Augen spiegeln sich die Flammen des Feuers in unserer Mitte. Unvermittelt fahre ich zurück – so urplötzlich ihre Bewegung gewesen ist, so erschreckend mächtig wirkt sie in diesem Moment auf mich. Sie zittert, als könne sie sich – oder etwas in sich – nur schwer im Zaum halten.
Gleich darauf jedoch lässt sie sich bereits zurück sinken und in dem flackernden Licht sehe ich, wie sich ihre Armmuskulatur entspannt.
„Ja“, erwidert sie. „Natürlich habe ich Angst.“ Sie sah mich an. „Ich-„
„Herr Grünsteudel, ich habe sie aus freien Stücken begleitet, das alles ist -“
„Halt den Mund, Kind“, fährt er mir in die Worte. „Rede nicht von Dingen, die du nicht begreifen kannst.“
„Aber es -„
„Schweig! Florin, wenn du ihn schon mit dir nimmst, dann bring ihn wenigstens zur Ruhe!“ Mit diesen – nicht gebrüllten, aber sehr eindeutigen Worten beendet der alte Grünsteudel meine aktive Teilnahme an diesem Wortwechsel. Florin sieht mich kurz an: „Er wird schweigen.“ Sie muss nicht mehr tun, um mir den Mund zu verbieten.
Um ehrlich zu sein: In diesem Moment komme ich mir doch recht dämlich vor. Vom Esel getreten sagen wir im Ort zueinander. Einer der Ausdrücke, die – wenn es nach mir ginge - nie auf mich zutreffen sollten. Ich erinnere mich an Jonte, der, als wir den Vater Jotans in der einen Gasse sahen, in welcher kein Vater gesehen werden möchte, Jotan vorschlug, schnell der Mutter Bescheid zu geben. Wie lange war er von uns allen von dem Esel getreten worden!
Ich schweige. Will nicht getreten werden – und sei es nur von ihr und diesem alten Mann. In diesem Moment sehne ich mich zurück nach der Einfachheit unseres Ortes. Wenn überhaupt, dann bin ich dort stets einer derjenigen gewesen, die treten.
Und auch das nur widerwillig.

Zuerst war es ihr lächerlich erschienen. Der Weg durch den Wald war wirklich kurz gewesen. Es war nicht einmal ein schrecklicher, lediglich ein spannender Gang und jetzt sitzt sie hier, Leander ihr gegenüber, der alte Mann rechts davon. Leander zurechtgewiesen, sprachlos und – genau in diesem Moment spricht ihr Herz zu ihr – überflüssig.
„Er wird schweigen.“ Sie wirft Leander einen Blick zu und erkennt im selben Moment, dass sie diese Tatsache nicht einmal in Worte hätte fassen müssen.
Er sieht aus wie das, was er ist: ein Kind. Ein nicht einmal fünfzehn Jahre alter Junge, der in sie verliebt ist und versucht, dies sich selbst gegenüber zu beweisen. Und zugleich mit seinem Stolz zu kämpfen hat.
„Er hat mich lediglich auf meinem Weg durch den Wald begleitet, auch wenn ich dachte, dass es -„
„Dass es für eine längere Zeit sein könnte?“, setzt Grünsteudel den Satz fort.
„Nein, dass es nicht richtig wäre, wenn ich allein diese Aufgabe bewältigen müsste, die du mir auferlegst.“
„Aber Kind!“, ruft Michael Grünsteudel und er scheint wirklich überrascht, „habe ich nicht deutlich genug gesagt, dass es mein Wunsch wäre, dich nicht fortschicken zu müssen? Nur liegt es nicht bei mir.“ Er hält kurz inne, fährt dann aber fort: „Und du wirst nicht allein sein. Du wirst Begleiter finden.“
Florin nickt ihn ab. „Aber wird es unter all diesen ... Begleitern auch jemanden geben, dem ich so vertrauen könnte wie ihm?“
Eine sinnlose Frage. Leander ist verliebt. Und er würde ihr in diesem Moment überall hin folgen. Er ist gefüllt mit einer Macht, die ein Gesandter wie Grünsteudel nicht kennt. Eine Jugendliebe und sie beide werden später in ihrem Leben erfahren, dass es nie etwas Mächtigeres geben wird als diese Energie, welche in solchen Momenten verzweifelter Jugend erweckt wird. Es wieder und wieder erfahren - und nein, Grünsteudel wird es nicht verstehen. Denn er ist einer der Gesandten, die geschickt wurden, um diejenigen zusammenzurufen, die letztendlich eine Streitmacht bilden werden. Eine Macht, die vielleicht der Zersetzung Einhalt gebieten kann. Er hat nie Zeit für Liebe erhalten.
„Florin, du wirst Freunde finden, wenn du erst einmal den Weg hinausgefunden hast. Du musst nun einfach loslassen, die Dinge gehen lassen, die nicht helfen und nicht schützen können. Die Leute ihr Leben führen lassen. Diesen kleinen Ort vergessen.“
Florin sieht Grünsteudel lange an und nickt dann. Sie spürt, wie mit der Gewissheit Ruhe über sie kommt. Wie Wind, der sich zwischen den Bäumen legt und den Tanz der Äste und Zweige in den vielen Kronen beendet. Dies ist nicht ihr Ort, nicht die Welt, die ihr beschieden ist.
Sie weiß, dass sie leben lassen und vergessen muss.
Fühlt, dass es richtig ist.

Ich verstehe nichts von dem, was die beiden hier zu bereden haben.
Es klingt unheimlich, es klingt ... fremd.
Florin erscheint mir in diesem Moment noch seltsamer als der alte Mann. Doch kann ich fühlen, wie sich etwas in ihr geändert hat, wie etwas hervorgekommen ist. Nachdem sie Grünsteudel lange angesehen hat, sagt sie jetzt: „Das werde ich, Michael.“ Im nächsten Moment lächelt sie und dieses Lächeln lässt ihr Gesicht erstrahlen: „Ort jedoch ist wirklich geschmeichelt für die wenigen Häuser und das wirst du sicher wissen, bei all dem, was du gesehen haben musst“, sagt sie und lacht.
Der alte Mann nickt lächelnd.
„Es ist das, was ihr kennt“, sagt er und zeigt auf jeweils einen von uns. „Du Leander, wirst es weiterhin als das in deinem Herzen tragen, was es ist: deine Heimat. Der Ort im Kreise des Waldes. Doch du“, und er wendet sich wieder an Florin, „für dich muss ein Durchgang geöffnet werden und ich kann das tun. Wenn du hindurch bist, wirst du hoffentlich irgendwo etwas anderes finden, das du auf diese Art in deinem Herzen halten kannst.“
Florin sieht ihn an und nickt noch einmal. Dann wendet sie sich mir zu, hebt ihre Hände und hält sanft meine Wangen. Fährt vorsichtig über die Rundungen von Kinn und Wangenknochen und sieht mich lächelnd an. Ihr gegenüber komme ich mir in diesem Augenblick wie ein kleines Kind vor, aber es ist kein unangenehmes Gefühl. Ihr Lächeln ist schwer von zauberhaftem Bedauern.
Erfüllt von einem Verständnis, das meines bei weitem übersteigt.
„Leander, ich habe mich geirrt. Leider.“
Ich will etwas sagen, doch sie schüttelt nur den Kopf. „Ich hätte mir gewünscht, dass du mich begleiten könntest.“ Dann beugt sie sich vor und küsst mich auf den Mund.
Dieser Kuss lässt mich etwas von dem schmecken, das sie in sich trägt.
Sie ist so sehr besonders. Sie ist mehr als Devin, mehr als Jonte und ich, meine Eltern oder irgendwer sonst hier in unserem Ort. Diese Berührung erfasst mich auf eine seltene Weise, ist viel wert und wird – dieses Wissen dämmert herauf, während ich ihre Lippen warm auf meinen spüre – neben dem Ort immer einen Platz in meinem Herzen haben.

Eine kurze Zeitlosigkeit später löst sie sich von mir und steht auf, bedenkt mich mit einem letzten lieben Blick und wendet sich dann auf immer von mir ab.
„Wenn du drüben bist, pass auf dich auf“, sagt Grünsteudel. Gemeinsam entfernen sie sich langsam vom Feuer, ich kann ihre Schritte hören, habe meine Augen wieder geschlossen. Versuche das, was eben geschehen ist, irgendwie zu speichern.
Es ist mein erster richtiger Kuss gewesen.
„Und sag ihnen, dass ich hier bleibe“, fährt er fort. Seine Stimme, die Schritte werden leiser, undeutlicher. „Dass ich erfüllt habe, was mir aufgetragen wurde. Ich will nichts weiter davon wissen, egal, was letztendlich wird.“ Grünsteudels nächste Worte kann ich nicht mehr verstehen.
Das Gesagte vereint sich mit dem Gefühl und dem Geschmack von Florins Lippen, ein Bild all meiner Sinne, und ich lege es in eine Ecke meines Verstandes, die stets den Duft des verbrennenden Holzes tragen und von den tanzenden Schatten auf den Bäumen am Rande dieser Lichtung umgeben sein wird.
Ich lasse meine Augen geschlossen bis ich irgendwann die Hand des alten Mannes auf meiner Schulter spüre.

„Ich wollte ihr sagen, dass ich mitgegangen wäre.“
Grünsteudel geht neben mir. Um uns herum leuchtet das Gras nach wie vor in seinem matten silbernen Glanz. Der Wald hatte für mich viel von seinem Schrecken verloren, ich empfinde nun vielmehr ein Gefühl von Ehrfurcht, wie die Alten wohl sagen würden; mir selbst fällt nur ein schwammiger und für mich schwer greifbarer Begriff ein: heilig.
„Ich glaube, sie wollte es überhaupt nicht hören.“
„Das wollte sie tatsächlich nicht“, bestätigt er mir. „Nicht mehr.“
Florins Gesicht steht mir vor Augen, ihre Augen sprühen, ein beinahe zu lebendiges Bild und plötzlich muss ich an all die Kinder denken, die um sie herum getanzt haben - und die uns haben gehen sehen. „Was werden die anderen sagen, wenn wir ohne sie zurück kommen?“
Er winkt mit einer Hand ab. „Sie werden sich jetzt bereits kaum an sie erinnern, keiner von ihnen. Denn Florin ist nicht für diese Welt bestimmt gewesen.“
Ich denke kurz darüber nach und kann es mir doch nur schwer vorstellen.
„Wohin ist sie dann gegangen, Herr Grünsteudel?“
Er lächelt mich an: „Wenn du magst, Leander, nenne mich ruhig Michael. Das würde mich freuen.“ Ich nicke, etwas unsicher, wie ich gerne zugebe.
„Wo sie hin ist?“, fährt er fort. „Nun, Leander, welches Bild steht dir vor Augen, wenn du das Wort ‚Heimat’ hörst?“
Ich schließe meine Augen und lasse das Wort durch meinen Kopf kreisen und Gedanken auflesen.
Ich sehe die bunte Lichtoasen der geschmückten Häuser des Ortes.
Sehe die Kinderschar, die uns am Ende des Langen Weges nachgeschaut hat. Meine Eltern im Kreise ihrer Gäste vor unserem Haus stehen und lachen.
Sehe die prallen, bunten und lauten Bilder des Feuerwerks am dunklen Himmel erstrahlen, sehe sie vergehen, um wieder zu erstehen.
Noch nie habe ich so eindringlich gefühlt, wo ich hingehöre. Florin werde ich nie vergessen, aber ich spüre, dass sie für mich nicht mehr der Traum sein wird, den ich sicher haben werde, wenn mich Kommendes von Zeit zu Zeit erschrecken wird. Der mir Mut machen wird. Da werden andere Menschen kommen.
Ich lächle und wende mich zu dem alten Mann, um es ihm zu sagen, doch Grünsteudel lacht, noch bevor ich etwas sagen kann. „Siehst du - wie ich es gesagt habe. Du gehörst in diese Welt. Florin hat eine Aufgabe, muss um das kämpfen, was du für dich hier hast.“ Kurz schweigt er. „Und vielleicht“, fährt er dann fort, „wird sie dadurch ihre Antwort auf diese Frage finden. Zu dieser Antwort ist sie jedenfalls unterwegs.“
Wir gehen eine Weile schweigend den Weg entlang. Bald kann ich zwischen den Bäumen die ersten Lichter sehen.
„Ich selbst habe lange gebraucht, um die Antwort zu finden.“ Er sieht nicht mich an, sieht starr auf die hellen Häuser vor uns. „Wahrlich, lange hat es gedauert, doch jetzt – nachdem diese Aufgabe hinter mir liegt – weiß ich es. Nur eins vermisse ich. Eine Sache hätte ich furchtbar gerne noch einmal gemacht.“ Er lacht leise und legt mir die Hand auf die Schulter. „Das Fallschirmspringen. Leander, kannst du dir vorstellen, was das für ein Gefühl ist?“
Das kann ich beim besten Willen nicht, denn ich kenne dieses Wort nicht einmal. Er fängt an, es mir zu erklären und lacht, als ich ihn ungläubig ansehe. „Sie ... du bist vom Himmel auf die Erde gesprungen? An einem Tuch?“
„Ja, fürwahr. Menschen, Leander“, sagte er, wie, um das Thema abzuschließen, „Menschen suchen immer danach, Ballast abzuwerfen, suchen nach Ventilen. Ich habe es im Springen gefunden - und das hat mir auch zwei Stahlschrauben in den Knochen eingebracht. Nun, immerhin wurde mir damals klar, dass ich dann auch das hier schaffen kann.“
Damit bin ich mir sicher, dass er mich veräppeln, mich vom Esel treten lassen will. „Schrauben in den Knochen?“, frage ich und dann treten wir durch die letzte Baumreihe hindurch auf den Langen Weg.
„Vergiss es, Leander, vielleicht erzähle ich dir später einmal mehr davon – wenn du magst. Jetzt lass uns heimgehen. Bald ist Mittnacht und der Feuerwerker wird schon alles vorbereitet haben.“
Damit hat er Recht und ich schiebe diese Gedanken und seltsamen Geschichten von mir. Gleich werden wir den Ort erreicht haben und dann ist keine Stunde bis zu dem großen Feuerwerk mehr.
Noch einmal denke ich an Florin. Sie scheint nach etwas, nach einer Grenze zu suchen. Eine, die Michael Grünsteudel scheinbar bereits einmal erreicht hat und vor welcher ich wohl nie stehen werde.
Eigentlich bin ich ganz froh darüber. Meine Grenzen werden etwas einfacher sein – vielleicht fange ich einfach damit an, Jonte einmal den Ball abzunehmen.
Um diesen dann auch einmal zu halten.


Zum Serienthread

 

aus der Wörterbörse für 14 Tage verschoben nach Fantasy. Bitte am 29.07 zurück nach Wörterbörse Serien.

 

Hallo baddax,
schön, dass die Geschichte hierher geschoben wurde. Ich habe sie sehr gern gelesen. Teilweise erscheint mir die Sprache zu reif für das Alter des Protagonisten, aber vielleicht liegt es auch an der gewählten Erzählebene, es ist ja ein Rückblick.
Die Sprache und das Dorf sind sehr bildhaft und lebendig, du hast die Fremdheit deiner Antagonistin gut eingefangen. Nur der kleine Einschub aus ihrer Perspektive stört mich - irgendwie zerreißt er die Geschichte, und als ich irgendwas von einem Ereignis, das ihr "ihre Jugend nahm" oder so gelesen habe, dachte ich gleich wieder an Vergewaltigung.

Das Ende wirkt ein bisschen gequetscht, mit dem Fallschirm und den Schrauben. Aber das musste wohl so sein, um die Wörter unterzubringen :D Schöner hätte ich eine Rückkehr in die Normalität des Dorflebens gefunden, anstatt in die "Fremdheit" der eigenen Welt. Aber das bleibt dir überlassen. Ich hab den Text sehr gern gelesen.

gruß
vita
:bounce:

 

Hi vita,

vielen Dank fürs Lesen, Loben und Kommentieren! :)

Über die Sprache habe ich mir zwischendurch auch meine Gedanken gemacht; mir hat gefallen, wie sie so über der Geschichte liegt und der ganzen Umgebung so einen urtümlichen Style gibt. Für die Kinder erschien sie mir auch erst etwas zu reif, aber beim weiteren Schreiben gefiel mir dann der Gedanke, dass einfach alle Bewohner des Dorfes so reden und es für die Kinder eben einfach die Alltagssprache ist, immer mehr und mehr und jetzt mag ich ihn richtig. ;)

Nur der kleine Einschub aus ihrer Perspektive stört mich
Welchen von denen meinst Du? Es geht ja immer abwechselnd, es gibt also mehrere Teile aus ihrer Perspektive. Meinst Du den Rückblick auf das letzte Jahr (der kursive Teil)? Wenn er etwas zerreisst, dann muss ich da noch mal genauer schauen.

Und ja: Fallschirm und Schrauben waren tatsächlich nervig. :D Von Vorteil ist jetzt aber, dass ich dieses Motiv in der zweiten Geschichte aufgreife - dort wird erzählt, wie Grünsteudels Vergangenheit war, wie dazu gekommen ist, hier diese Aufgabe zu übernehmen. Insofern stimmt es aber, es wirkt leider etwas gequetscht... ist halt so eine Art Überleitung zum nächsten Teil. :shy:

Was meinst Du mit "Fremdheit der eigenen Welt"? Leander und Grünsteudel kehren doch am Ende in das Dorfleben zurück - oder meinst Du was anderes?

Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat. Motiviert, in der Serie voranzukommen!

Liebe Grüße,
baddax

 

hey baddax,
was ich mit "Fremdheit in der eigenen Welt" meine, ist der Kontrast zwischen dem, was Grünsteudel dem Jungen erzählt. Anstatt den Kreis zu schließen und die beiden ins Dorfleben zurückkehren zu lassen, öffnest du eine neue Welt voller Möglichkeiten, was ich ein bisschen schade finde.

Den Einschub, der das Ganze zerreißt, damit meine ich diese Rückblende, in der ihre Begegnung mit G. geschildert wird. Weder erklärst du damit etwas, das für die Geschichte relevant wäre, noch bin ich hinterher klüger als vorher. Ich weiß nur, dass er irgendetwas mit ihr getan hat, was ihre Jugend beendet hat. Da denke ich als Leser unwillkürlich an schmutzige Dinge.
Der Einschub hat zwei Auswirkungen. Erstens bin ich als Leser nicht mehr überrascht, wenn das Mädchen sich im Wald mit G. trifft, weil ich den Grund dafür kenne, beziehungsweise, erahnen kann - aus irgendeinem obskuren Grund hat er sie da hinbestellt und sie kommt. Die Auflösung dieser Situation kommt erst ganz am Schluss, sodass ich den Grund seines Daseins auch erkennen kann, wenn ich den Einschub nicht gelesen habe.
Auswirkung Nummer 2 ist, dass er mich aus Leanders Perspektive reißt, was ich schade finde. Du hast sie die ganze Zeit so konsequent durchgezogen... wenn du eine zweite Erzählebene willst, warum schmeißt du dann nicht das Mädel raus und baust eine Rahmenhandlung ein?

gruß
vita
:bounce:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi vita,

danke für die Antwort!
Das mit dem Einschub leuchtet mir ein, ich hab ihn rausgenommen und die Stelle etwas gekittet. Deine Argumente waren einfach nicht widerlegbar, mit jeder Zeile wurde mir der Absatz unsympathischer. :D
Ein paar Kleinigkeiten hab ich nebenher auch noch geändert, mehr so Ausdruckssachen.

"Fremdheit in der eigenen Welt": Okay, jetzt weiß ich, wie Du es meinst.
Ich möchte halt dadurch, dass er von dem erzählt, was sozusagen jenseits dieser beschaulichen Welt liegt, den Gesamtkontext ankratzen (und darauf hinweisen, dass die Gesamtstory gerade erst begonnen hat): Leander kann ahnen, dass es da viel mehr und viel wichtigeres gibt: Florin verschwindet irgendwo hin, Grünsteudel kam von irgendwo her und reisst diese Sache im Gespräch auf dem Weg nach Hause an. Aber dann sagt er ja: „Vergiss es, Leander, vielleicht erzähle ich dir später einmal mehr davon – wenn du magst. Jetzt lass uns heimgehen. Bald ist Mittnacht und der Feuerwerker wird schon alles vorbereitet haben.“ Somit schließt sich der Kreis irgendwie ja doch (oder? :shy: ), denn der Kontext dieser Welt wird wieder auf das wirklich wichtige reduziert: das beschauliche Leben, das Feuerwerk und das Frühsommerfest, dass für beide, die hier hier zu Hause sind, das Highlight des Jahres ist. Was im Gesamtkontext noch geschehen wird, interessiert hier nicht mehr (ausser, alle Welten werden irgendwie ausgelöscht... :D).

Liebe Grüße, baddax

 

Heya,

meine Wörter :shy:

Und ich hab die Geschichte erst jetzt gefunden, muss ich mich ja schämen.

Die Sprache fand ich zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, sehr nachdenklich, reflektierend, tatsächlich für einen Jugendlichen fast ein bisschen unpassend, aber dafür vermittelt sie sehr schön einen Eindruck von der Welt, die du dir gebaut hast (oder bauen willst). Zu meiner größten Freude scheint es sich nicht um die übliche 0/8/15-Fantasywelt zu handeln. Sie hat etwas sehr schön düsteres, trauriges.

Florin fand ich sehr gelungen, ihre Anderartigkeit mit subtilen Andeutungen über den ganzen Text verstreut, und dennoch ihre Angst und Unsicherheit. Man nimmt ihr durchaus ab, dass sie glaubte, Begleitung zu brauchen.

Atmosphärisch gefällt mir der Text gnz außerordentlich. Handlungstechnisch vielleicht ein bisschen wenig Substanz für die langen Schilderungen, aber ich bin eigentlich niemand, der so etwas verurteilen sollte ;)

Und schlussendlich fand ich den Wechsel der Erzählperspektive von Erster auf dritte Person echt originell. Hat mich sehr beeindruckt. Die Übergänge speziell fand ich sehr schön, mit den Sätzen, die aus beiden Perspektiven widerholt werden.

So, das war jetzt ganz viel langweiliges Lob. Ich freu mich schon auf Fortsetzungen :)

Liebe Grüße,

Ronja

:cat:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi,

ja, die Wörter waren anregend. ;)

Mensch, so viel langweiliges Lob, ich bin ja beinahe weggenickt :D - nein, super, dass Dir soweit alles gefällt und die Atmosphäre zieht, denn handlungstechnisch stimmts, sie gehen ja eigentlich nur in den Wald und wieder raus... :shy:
Was mich besonders freut ist, dass Dir die Perspektivwechsel gefallen (so, wie sie sind), da war ich mir nicht immer so ganz sicher, ob's passt.
Vielen Dank fürs Lesen und Loben, jetzt freu ich mich auch drauf, die weiteren Fortsetzungen zu schreiben. :)

Liebe Grüße,

baddax

 

Lieber baddax!

Hier kommt das wie üblich verspätete Geburtstagspäckchen, womit ich Dir noch einmal alles Gute für Dein neues Lebensjahr wünsche! :)

Die Geschichte an sich gefällt mir ganz gut, obwohl ich natürlich unten ein paar Kritikpunkte angebracht hab. Aber jetzt bin ich wirklich auch schon sehr gespannt darauf, mehr zu erfahren über das Geheimnis, das hinter allem steht. Dadurch, daß Michael hier ja gleich ein paar Generationen älter zu sein scheint, als in »Zacharias fällt«, muß es sich ja um etwas sehr Langfristiges – und damit wirklich Großes – handeln.

Der Anfang ist mir ein bisschen zu lang und irgendwie hatte ich zumindest während der ersten Hälfte ein eher verschwommenes Bild. Wobei es vermutlich schon reichen würde, einige stilistische Kürzungen und Vereinfachungen vorzunehmen, um das Bild klarer und den Anfang etwas kürzer zu machen. – Ein paar Vorschläge dazu findest Du unten in der berüchtigten Liste ;)

Mein zweiter Kritikpunkt ist die Stimmung: Damit die besser rüber kommt, solltest Du glaub ich noch was tun, denn zumindest bei mir kam sie nicht so recht an – weder die Ausgelassenheit der Kinder, noch die Verliebtheit des Protagonisten (was ja der eigentliche Grund ist, warum er mitgeht) oder die Spannung im Wald wirkten so richtig. Der Grund dafür liegt meiner Meinung nach vor allem in den Perspektivwechseln, wodurch Du nicht nahe genug an einem Protagonisten bist und so alles mehr nacherzählt als erlebt klingt.
In »Zacharias fällt« verwendest Du manchmal so kursive Gedanken wie »Da war nichts gewesen.«, vielleicht solltest Du das hier auch in der Art probieren? Zwar hast Du in »Zacharias fällt« am Schluß auch einen Perspektivwechsel, aber da stört er nicht, da er nicht so mitten drin ist. Und ich glaube, Du bräuchtest bei dieser Geschichte überhaupt keinen Perspektivwechsel, die Informationen, zum Beispiel von ihrem Gespräch mit dem Alten könnte Florin Leander ruhig auch im Wald erzählen – ganz ohne Perspektivwechsel –, zum Beispiel da, wo sie das Feuer erblicken; er würde wohl trotzdem nicht umdrehen, denn er ist verliebt und wäre ein Feigling, wenn er sie daraufhin allein weitergehen lassen würde, und es würde an dieser Stelle bestimmt die Spannung erhöhen.
Ihre eigene Aufregung, das Zittern, als sie die Frage stellt, wer mit ihr kommt, kannst Du Leander ruhig bemerken lassen, es könnte ja seine Entscheidung, mitzukommen, sogar bekräftigen.

So, aber jetzt wird seziert: :D

»Unser Ort – eine fürwahr schmeichelnde Umschreibung – feiert jedes Jahr im Frühsommer ein besonderes Fest.
Für dieses Ereignis, und wir nennen es der Einfachheit halber das ‚Frühsommerfest’, gräbt eine jede der ansässigen Familien stets den Schmuck des Vorjahres aus, kombiniert ihn mit dem neuen Kram, welchen zumeist die Kinder in der Vorschule herstellen, und bringt dann – nicht ohne dabei viele Stunden und manch hitziges Streitgespräch durchzustehen – die eigenen Mauern auf Vordermann.«
– Kürzungsvorschlag: »Für dieses „Frühsommerfest …“« statt »Für dieses Ereignis, und wir nennen es der Einfachheit halber«;
daß die Familien jedes Jahr den Schmuck vom Vorjahr ausgraben, ist eigentlich nicht so wichtig, und daß die Familien im Ort ansässig sind, nimmt man ohnehin an, Vorschlag: »… bringt jede Familie die eigenen Mauern mit traditionellem und von den Kindern neu gebasteltem Schmuck auf Vordermann.«

»Es ist sicherlich wahr, die wenigen Häuser, die hier zusammengedrängt in der Marsch stehen, sie bieten nicht vielfältige Möglichkeiten, sich schmücken und herrichten zu lassen. Es sind simple Gebäude, eckig und plump. Und die Große Hauptstrasse, welche, wie ich ebenfalls versichern kann, gar nicht so immens ist, wie ihr Name sie erscheinen lassen mag, diese Strasse trennt diese Gebilde doch noch zu weit voneinander, als dass es möglich wäre, über ihr bunte Girlanden und ineinander verschlungenes Tannengrün zu spannen.«
– Die Ausführung über die Straße ist eigentlich nebensächlich, zumindest » wie ich ebenfalls versichern kann« würde ich streichen und stattdessen die Freude der Menschen mehr in den Vordergrund stellen.
– Außerdem: Hauptstraße, Straße; wenn Du gar nicht erwähnst, daß es die »Große« Hauptstraße ist, mußt Du nachher auch nicht erklären, daß sie so groß gar nicht ist – eine »Hauptstraße« stellt man sich ohnehin ein bisschen größer vor. ;-)

»An den Häusern selbst jedoch gibt man sich nicht wenig Mühe und insofern entsteht,«
– »nicht wenig« = »viel«
– statt »insofern« wäre ich für ein kurzes »so«

»welche, von den grauen und staubigen Bändern der einen Haupt- und der wenigen Nebenstrassen getrennt, für sich allein in ihrer Pracht erstrahlen.«
– Vorschlag: »… Bändern der wenigen Straßen getrennt, …«

»Wir Kinder kosten von diesem Vorabend stets in vollen Zügen.«
– hier vermischt Du zwei Redewendungen: entweder »genießen diesen Vorabend stets in vollen Zügen« oder »kosten diesen Vorabend stets in vollen Zügen aus«

»Und sie tun es auf eine Weise, dass – ich bin sicher - ein jeder, ein jedes Kind, welches in diesem Orte groß geworden ist, nie wieder eine derartige Verköstigung der – zugegeben, dann noch jungen – Sinne erleben wird.«
– Vorschlag: dass jedes Kind, welches in diesem Ort groß geworden ist, nie wieder eine derartige Verköstigung der Sinne erleben wird. – Wobei ich die »Verköstigung der Sinne« etwas seltsam finde.

»als es das eigentliche Fest ist.«
– kürzer: »als das eigentliche Fest« – oder ohne »eigentlich«: »als das Fest selbst.«

»Vor allen anderen Tagen ist es dieser eine seltsame, so viele Jahre alt.«
– finde das »alt« nicht ganz passend, vielleicht »so viele Jahre ist er schon her« oder mit Nennung der Anzahl der Jahre »x Jahre ist er schon her«?

»Aber – wie auch die vielen erzählten Jahre zuvor«
– »erzählten« würde ich streichen

»rufen - wie, um uns Gerechtigkeit widerfahren zu lassen - unsere Spottlieder heraus:«
– hinaus
– hier hast Du kurze Gedankenstriche, sonst verwendest Du meistens die langen –.

»Wir feiern und wie anmutig klingt der klare Sopran,«
– »Wir feiern und« könntest Du streichen

»die rosigen Äpfel ihrer Wangen,«
– ähm, die Wangen haben rosige Äpfel? Oder wirken sie bzw. sehen sie aus, wie rosige Äpfel? Vorschlag: »ihre Wangen wie rosige Äpfel«

»zurück auf die Große Hauptstrasse«
– Hauptstraße

»Ich renne hinter der Meute her und werfe dabei einen schnellen Blick den Dritten Nebenweg zum Hause meiner Eltern hinunter.«
– kürzer: »werfe dabei einen schnellen Blick zum Haus meiner Eltern«. – Ich glaube, es war hier, als ich zu überlegen begann, ob die genaue Erwähnung und Benennung der Straßen und Wege vielleicht wichtig sein könnte und ob ich mir vielleicht einen Plan zeichnen sollte, damit ich eine eventuell darauf ausgelegte Pointe nicht verpasse. Aber sie sind eigentlich nicht so wichtig wie es scheint, daher würde ich das allgemein reduzieren.

»Voll besetzt sind die Bänke, die sie in unserem Garten aufgestellt haben und Vater stemmt in diesem Moment lachend ein frisches Bierfass auf den Schultern während«
– kürzer: »sind die Bänke in unserem Garten und …«
– »stemmt … auf den Schultern« klingt nicht ganz richtig – stemmt man nicht mit den Armen? Und hat er es tatsächlich »auf den Schultern«, also hinterm Kopf, oder doch auf nur einer Schulter?

»Wie sehr unser Leben, dass wir hier führen!«
– das

»„Leander! He, Leander“, ruft mich eine Stimme und noch gerade rechtzeitig wende ich mich in diese Richtung, um den Ball zu fangen, der, von Devins starken Armen geworfen, mich wohl hart trifft.«
– wenn die Stimme ruft, würde ich ein Rufzeichen machen; »noch gerade« würde ich umdrehen auf »gerade noch«; und das »wohl« würde ich streichen, der Erzähler weiß es ja und vermutet es nicht bloß.

»Es sind nicht mit immenser Lautstärke gesprochene Worte,«
– »nicht mit immenser Lautstärke« = »leise«

»Florin steht an der Gabelung, an welcher der Lange Weg von der Großen Hauptstrasse abweicht«
– die Straßenbezeichnungen lesen sich auch seltsam, da es lauter groß geschriebene Adjektive sind. Wenn Du, wie ich vorhin meinte, die Bezeichnungen der Wege und Straßen wegläßt, würde sich hier »der lange Weg« viel besser lesen.
– Hauptstraße

»welche normale Kinder von den Besonderen unterscheidet.«
besonderen

»alle hatten sie umringt, rechtgehend belagert, doch nun ist er wieder zurück.«
richtiggehend

»Das Haus der Deans ist das erste und letzte Gebäude in dieser Strasse«
– Straße
– »das erste und letzte Gebäude« = »das einzige Gebäude«

»Der Wald ist verboten, vor allem des Nachts.«
– einfacher: vor allem nachts.

»Es gibt Gerüchte über die Wesen, die in diesem Wald hausen und in der Dunkelheit auf Jagd gehen. Die Alten erzählen sie uns, wenn wir abends zusammen sitzen. Wir Jungen lachen darüber, wenn wir unter uns sind und ein jeder spricht großspurig davon, alleine hinein zu gehen, um all diesem Unsinn zu widerstehen. Doch war sicher noch niemand von uns in diesem Wald gewesen, nachdem die Sonne hinter den mächtigen Bäumen untergegangen war - vielmehr waren mit Sicherheit wir alle bereits mehr als einmal verschreckt auf unserem Lager erwacht, während die Reste eines dunklen Traumes sich unter das schattige Blätterdach zurückzogen.«
– wieder ein zu kurzer Gedankenstrich
– hier würde ich ein bisschen mehr ins Detail gehen, entweder die Erzählungen der Alten oder die Träume näher ausführen.

»„Ja, der dunkle Wald.“, sagt sie. „Andererseits“, und sie zeigt mit dem anderen Arm die Große Hauptstrasse hinauf, „andererseits wartet …«
– keinen Punkt nach »Wald«
– würde das so machen: »„Andererseits …“ Sie zeigt mit dem anderen Arm die Hauptstraße hinauf. „Andererseits wartet …«

»Das Feuerwerk wird stets am Vorabend unseres Frühsommerfestes begangen.«
– ein Feuerwerk findet eher statt, als daß es »begangen« wird.

»Der Feuerwerker ist stets ein Mann, welcher allein lebt, der die Geheimnisse der bunten Lichter und Explosionen an nur einen Menschen verrät, denn er hat stets einen Lehrjungen, und weiß, ihren Dienst«
– Wiederholung »stets«
– ohne Beistrich nach »weiß«
– die genaue Ausführung über den Feuerwerker hier und in den nächsten Sätzen ist eigentlich auch nicht wirklich relevant für die Geschichte.

»Eine
Weile lässt sie ihren Blick durch die Runde schweifen und bevor ich von ihr lassen kann, hat sie mich so gefangen.«
– falscher Zeilenumbruch
– das »so« wirkt komisch, Vorschlag: »hat sie mich mit ihm eingefangen« (es ist ja vom Blick die Rede)

»„Er heißt Leander“, lässt sich Devin kurz darauf leise hinter mir vernehmen.«
– die Formulierung »lässt sich … vernehmen« finde ich hier seltsam, Vorschlag: »höre ich Devin kurz darauf hinter mir sagen.«

»Wir haben die schützende Glocke aus Licht, die über den Häusern des Ortes schwebt verlassen.«
– schwebt, verlassen.

»Dort, wo Vater und Mutter im Garten die Gäste bewirten und amüsieren. Ob ich sie wiedersehen werde, das frage ich mich.«
– vor »amüsieren« würde ich noch ein »sich« geben
– statt »das frage ich mich« könntest Du auch einfach ein Fragezeichen machen.

»das Hinabtauchen in diese wundervoll einfache Gefühlswelt beinahe körperlich empfunden.«
– »beinahe« bedeutet ja, daß es nur fast, also nicht so war; richtiger wäre vielleicht »sogar körperlich empfunden«; oder könntest Du die die körperliche Empfindung beschreiben?

»Jetzt, da der Abend, da die Stunde, welche ihr genannt worden war, schließlich gekommen ist«
– »schließlich« würde ich streichen

»Es kommt ihr vor, als wäre sämtliches Vermögen, zu fühlen von ihr abgefallen,«
– Vermögen, zu fühlen, von

»Diese Ärger birgt Energie und sie zerrt den Jungen hoch,«
– Dieser Ärger

»Dicke, knorrige Äste reichen bis tief auf den Boden, decken das viele Unterholz,«
bedecken

»Wir waren nie sehr weit auf den wenigen ausgetretenen Pfaden vorgedrungen, die Angst vor einem frühzeitig einbrechenden Abend und den vielen Verzweigungen, die weiter darinnen vermehrt die Wege trennen, sie hatte uns immer davon abgehalten,«
– würde nach »vorgedrungen« einen Punkt machen
– und vor den vielen Verzweigungen
– »sie« würde ich streichen (= »die Angst … hatte« statt »die Angst … sie hatte«)

»Und auch von dem einen Weg, der von unserem Dorf weg durch den Wald zu ferneren Orten führt, auf welchem das fahrende Volk unterwegs ist, auch von ihm ist nie jemand je weit in den Wald gewichen.«
– »auch von ihm« könntest Du ebenfalls streichen, »je« auch.

»Es gibt nur uns auf diesem Weg, geleitet von diesem altehrwürdigem Wald.«
– diesem altehrwürdigen Wald

»in ihrem beständigen Auf und Ab gefangen haben; es
selbst in ihrer bloßen Erinnerung noch tun.«
– falscher Zeilenumbruch

»„Florin, dort vorn ist -“«
– Leertaste: ist_-“

»„Bleib ruhig, Leander. Nichts Böses erwartet uns dort. Nicht dort.“
Ihre Art – sie beruhigt.«
– Hier könnte sie ihm von dem Gespräch mit Michael erzählen.

»„Florin, ist das nicht -“«
– nicht_-“

»Florin gibt mir einen leichten Stoß und ich setze mich auf den angegebene Platz.«
– den angegebenen Platz – oder vielleicht »den mir zugewiesenen Platz«?

»„erschien es mir sinnvoll, einen Begleiter zu haben, denn ich-„«
»Sie sah mich an. „Ich-„«
– ich -“

»„Herr Grünsteudel, ich habe sie aus freien Stücken begleitet, das alles ist-“«
Sie
– ist -“

»„Rede nicht von Dingen, die du nicht greifen kannst.“«
– wäre da für begreifen

»„Aber es-„«
– es -“

»Um wahr zu sein:«
– hab ich so noch nie gehört, würde schreiben: »Um ehrlich zu sein:«

»Einer der Ausdrücke, die – wenn es nach mir ginge - nie auf mich zutreffen sollten.«
– ginge nie

»durch den Wald begleitet, auch wenn ich dachte, dass es-„«
– es -“

»„Nein, dass es richtig wäre, wenn ich nicht allein wäre, um die Aufgabe zu bewältigen, die du mir auferlegst.“«
– Wiederholung »wäre«, Vorschlag: »dass es richtig wäre, nicht allein zu sein beim Bewältigen der Aufgabe, die …«

»„Aber Kind“, ruft Michael Grünsteudel und er scheint wirklich überrascht, „habe ich nicht deutlich genug gesagt, dass es mein Wunsch wäre, dich nicht fortschicken zu müssen!«
– „Aber Kind! Michael … überrascht. „Habe ich nicht … müssen?“ (es ist eigentlich eine Frage)

»Florin nickt ihn ab.«
– den Ausdruck, jemanden abnicken, habe ich noch nie gehört … *inDudenschau* … da steht »ugs. für [diskussionslos] genehmigen«, ich glaube, so hast Du das nicht gemeint, oder?

»dass es nie etwas Mächtigeres geben wird als diese Energie, welche in diesen Momenten verzweifelter Jugend erweckt wird.«
– Wiederholung »diese«, Vorschlag: »jene Energie, welche in solchen Momenten«

»Es wieder und wieder erfahren - und nein,«
– erfahren und (langer Gedankenstrich)

»Doch gewiss kann ich fühlen, wie sich etwas in ihr geändert hat, wie etwas hervorgekommen ist. Nachdem sie Grünsteudel lange angesehen hat, sagt sie jetzt:«
– »Doch gewiss« meint, er sei sich nicht sicher, ob er das fühlen kann? Vorschlag: »Ich kann fühlen, wie …« oder »Ich fühle, wie …«
– »jetzt« kannst Du streichen

»als das in deinem Herzen tragen, was es ist: Deine Heimat.«
– klein weiter, wenn hinterm Doppelpunkt kein ganzer Satz folgt: deine Heimat.

»Denn ihr Lächeln ist schwer von zauberhaftem Bedauern.«
– würde das »Denn« streichen

»Erfüllt von einem Verständnis, dass meines bei weitem übersteigt.«
– das

»Sie ist sehr besonders.«
– wäre da für »Sie ist etwas (sehr) Besonderes.«

»„Wenn du drüben bist, passt du auf dich auf“, sagt Grünsteudel.«
– schöner: »pass auf dich auf«

»fährt er fort und seine Stimme, die Schritte werden leiser, undeutlicher.«
– würde nach »fort« einen Punkt machen und das »und« streichen

»Das Gesagte vereint sich mit dem Gefühl und Geschmack von Florins Lippen, ein Bild all meiner Sinne und ich lege es«
– »mit dem Gefühl und dem Geschmack« oder »mit Gefühl und Geschmack«
– Sinne,

»dass sie für mich nicht mehr der Traum sein wird, den ich sicher haben werden, wenn mich Kommendes von Zeit zu Zeit zu sehr erschrecken wird.«
– den ich sicher haben werde (ohne -n)
– die Wiederholung des »zu« gefällt mir nicht, würde das zweite streichen, evtl. auch das »sehr«

»„Ja, fürwahr. Menschen, Leander“, sagte er – wie, um das Thema abzuschließen,«
– würde statt dem Gedankenstrich einen Beistrich machen

»Eigentlich – um wahr zu sein – bin ich ganz froh darüber.«
– hier noch einmal »um wahr zu sein« – würde das hier ganz streichen: »Eigentlich bin ich ganz froh darüber.«


Alles Liebe,
Susi :)

 

Hi Susi,

erst einmal zu Beginn wiederum vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. :) Und hinterher das Sorry - hat lange gedauert, bis meine Reaktion kommt.
Nun zur Liste (der Mutter aller Listen :D) - wie immer, was ungenannt bleibt, wird dankend übernommen!

... ähhh, ja, zu früh geklickt, bin gerade dabei :shy: ...

 

...so, fertig!

Allgemein wollte ich noch sagen, dass ich durch die manchmal etwas ausschweifende Sprache gerade einen Teil der antiken, etwas althergebrachten Atmosphäre kreieren wollte (ist bei vita und Ronja ja auch ganz gut angekommen ist, wenn ich beide richtig verstanden habe). Daher muss ich an mancher Stelle, um diesen Stil durchzuhalten, manche Verkürzungen, die ansonsten in jedem Fall sinnvoll sind, ablehnen. :shy:


1) jo, den Anfang hab ich schon etwas gekürzt
2) das "nicht wenig" ist eines dieser Beispiele, das aufzeigt, wie ich durch umständlichere Schreibweise das Althergebrachte darstellen wollte. Ich weiß nicht, mir klingt es irgendwie gut in den Ohren. Das "insofern" dagegen klingt echt nicht so gut, tausch ich durch.
3) Stimmt, »Verköstigung der Sinne«fliegt raus.... Klingt echt seltsam.
4) "hier hast Du kurze Gedankenstriche, sonst verwendest Du meistens die langen" - Stimmt, ich hab noch nicht herausbekommen, nach welchen Regeln Word lange oder kurze Striche verwendet... :shy: Weißt Du, was Word wann macht?
5) "die Wangen haben rosige Äpfel?" .....ähm - ja, ich denke, ich nehme "das Rosa ihrer Wangen"...
6) "ob die genaue Erwähnung und Benennung der Straßen und Wege vielleicht wichtig sein könnte" - Im Nachhinein muss ich Dir Recht geben: Wichtig sind sie eigentlich nicht. Ich hatte die so 'allgemein' gehaltene Benennung der Straßen mit reingebracht, weil sie für mich die Kleinheit des Ortes hervorbrachten (nach dem Motto: "Wir haben so wenig Straßen, wir brauchen ihnen nicht einmal richtige Namen zu geben, Nummern langen." :D ) Aber eigentlich wird die Kleinheit des Ortes auch so deutlich - ich schau mal im weiteren Verlauf, das weiter rauszunehmen.
7) "stemmt man nicht mit den Armen? " - ich lass es ihn mal in die Höhe stemmen.
8) "und das »wohl« würde ich streichen, der Erzähler weiß es ja und vermutet es nicht bloß." Mit dem wohl meinte ich so etwas wie fürwahr - ist mir das falsche Wort durch die Tasten gerutscht... aber ich nehm es einfach ganz raus, ist da nicht weiter interessant.
9) »nicht mit immenser Lautstärke« - wieder eine Wortwahl, die ich zu Beginn erwähnt habe...ich lass es stehen, es gefällt mir so gut. ;)
10) "»welche normale Kinder von den Besonderen unterscheidet.«" Die Regel hab ich immer noch nicht begriffen: Ist 'Besonders' hier nicht ein Rückbezug ohne folgendes Nomen und muss ich es nicht daher großschreiben? Ich ändere es schon einmal. :D
11) "hier würde ich ein bisschen mehr ins Detail gehen, entweder die Erzählungen der Alten oder die Träume näher ausführen." Mir gefällt hier eher der Gedanke, dass diese Erzählungen (aus denen die Träume resultieren) eben nur schemenhafte, überlieferte Erzählungen sind, die an die nächste Generation weitergegeben werden - ohne, dass sie sich je in irgendeiner Weise bestätigt hätten. Ich tausche mal "Gerüchte" in "Sagen", da Gerüchte so aktuell klingt.
12) "»„Andererseits …“ Sie zeigt mit dem anderen Arm die Hauptstraße hinauf. „Andererseits wartet …«" - Hier gefällt mir meine Version besser - oder ist sie falsch?
13) "»„Florin, dort vorn ist -“«" - Da ist doch ein Leerzeichen - oder meinst Du etwas anderes?
14) " Hier könnte sie ihm von dem Gespräch mit Michael erzählen." - Ich weiß nicht: Meiner Meinung nach hat sie nicht die Zeit, um ihm von dem Gespräch zu erzählen, sie müssten anhalten, sie müsste ihm all das Erzählte erklären; aber sie ist ja heiß darauf, zu erfahren, was der alte Mann ihr erzählen wird. Daher denke ich, ist es sinniger, wenn sie ihm nicht erzählt worum es geht - ihre Neugier und ihre forsche Art widersprechen dem.
15) "»„Herr Grünsteudel, ich habe sie aus freien Stücken begleitet, das alles ist-“«" - Das 'sie' muss klein sein, denn Leander redet von Florin.
16) "den Ausdruck, jemanden abnicken, habe ich noch nie gehört … *inDudenschau* … da steht »ugs. für [diskussionslos] genehmigen«, ich glaube, so hast Du das nicht gemeint, oder?" - Doch, eigentlich habe ich es so gemeint - Sie akzeptiert, dass er es so sieht; da sie in sich selbst bereits weiß, dass sie gehen wird, interessiert sie weniger, ob er es gerne mächte oder nicht. Daher bezieht sich ihre nächste Frage auch auf das, was kommen wird.
17) "– erfahren – und (langer Gedankenstrich)" ... wie mach ich den denn bloß? Ich finds einfach nicht raus. *verzweifle*
18) "gewiss" - Krass, ich dachte, dass bedeutet, sich gewiss, sicher sein...aber der Duden sagt es tatsächlich anders... ;) *änder*
19) " wäre da für »Sie ist etwas (sehr) Besonderes.«
" - Nehme "Sie ist so sehr besonders." - das gefällt mir gut.

So, wie gesagt, all die anderen Punkte nehme ich dankend an - und bin immer wieder erstaunt, wie viel man übersieht oder auch einfach nicht weiß. Teilweise sind es sogar diese Sachen wie "gewiss", die in meinem Kopf vorher eine ganz andere Bedeutung hatten... :shy: ... dafür lernt man ja.

Was mir für meinen Teil (und Ronja hat es ja auch geschrieben) an der Geschichte gefallen hat, sind gerade diese Perspektivwechsel. Abgesehen davon, dass es natürlich ein Experiment ist, machen die für mich einen Teil der Geschichte mit aus und ich würde gern erst einmal schauen, ob noch mehreren Leuten diese Wechsel zu schaffen machen (falls noch wer das liest). Dass die Gefühlswelt und das Empfinden beider Seiten drinne ist, hat mir beim Schreiben gerade so viel Spaß gemacht und ich hatte das Gefühl, dadurch einen recht guten Einblick in beide Seiten zu bringen.

Letztendlich fällt mir wieder einmal auf, wie Du immer genau die richtigen Stellen rauspickst, die sprachlich besser sein können (manche Sachen werde ich wohl nie lernen...) - dafür - und natürlich fürs Lesen - vielen Dank. :)

LG, baddax

 

Hallo baddax!

So, jetzt hab ich mir endlich noch einmal Deine Geschichte vorgenommen. :)

durch die manchmal etwas ausschweifende Sprache gerade einen Teil der antiken, etwas althergebrachten Atmosphäre kreieren wollte
Hm, dann würde ich aber auch einige alte Ausdrücke unterbringen. Umständliche Formulierungen (»nicht wenig« usw.) sind nicht unbedingt und schon gar nicht alleiniges Kennzeichen althergebrachter Sprache – mir ist das beim Lesen überhaupt nicht aufgefallen, daß das solche stilistischen Hintergründe haben soll. Bei der Möglichkeitsform läßt sich Deine Ansicht, umständlich = alt, leicht widerlegen, waren doch früher Ausdrücke ohne »würde« viel gebräuchlicher als heute (z. B. »er flöhe« statt »er würde fliehen«, »sie sänge« statt »sie würde singen«). Auch für andere Ausdrücke hatte man früher ein Wort, wo heute zwei gebräuchlicher sind (hier mag ich jetzt über kein Beispiel nachdenken, aber es gibt sie). – Was leicht veraltete Ausdrücke betrifft, sind sicher einige von Rainers Geschichten eine Fundgrube. ;)
Zudem würde ich besonders darauf achten, keine ans Englische angelehnten Formulierungen zu verwenden (ich hab die Geschichte jetzt nicht dahingehend überprüft).

»1) jo, den Anfang hab ich schon etwas gekürzt«
– liest sich jetzt gut. Ich hab zwar jetzt nicht geschaut, was genau Du gekürzt hast, aber es las sich jetzt nicht zu lang. :)

»4) "hier hast Du kurze Gedankenstriche, sonst verwendest Du meistens die langen" - Stimmt, ich hab noch nicht herausbekommen, nach welchen Regeln Word lange oder kurze Striche verwendet... Weißt Du, was Word wann macht?«
– also voreingestellt ist es beim Word glaub ich so, daß sich der von selbst verändert, wenn Du nach einem »-« ein Wort schreibst und auf die Leertaste drückst. Bei mir hab ich es so eingestellt, daß es mir mit Strg + - einen langen Gedankenstrich macht. Das geht über »Einfügen« - »Symbol«, die richtige Schrift auswählen, das Zeichen suchen und anklicken, auf »Tastenkombination« klicken, Deine gewünschte Tastenkombination eingeben und auf »Übernehmen« klicken.

»5) "die Wangen haben rosige Äpfel?" .....ähm - ja, ich denke, ich nehme "das Rosa ihrer Wangen"«
– ja, ist besser. :-)

»6) "ob die genaue Erwähnung und Benennung der Straßen und Wege vielleicht wichtig sein könnte" - Im Nachhinein muss ich Dir Recht geben: Wichtig sind sie eigentlich nicht. Ich hatte die so 'allgemein' gehaltene Benennung der Straßen mit reingebracht, weil sie für mich die Kleinheit des Ortes hervorbrachten (nach dem Motto: "Wir haben so wenig Straßen, wir brauchen ihnen nicht einmal richtige Namen zu geben, Nummern langen." :D ) Aber eigentlich wird die Kleinheit des Ortes auch so deutlich - ich schau mal im weiteren Verlauf, das weiter rauszunehmen.«
– Ich denke, da hast Du ausreichend dezimiert, jedenfalls hat mich da auch nichts mehr gestört. :-)

»8) "und das »wohl« würde ich streichen, der Erzähler weiß es ja und vermutet es nicht bloß." Mit dem wohl meinte ich so etwas wie fürwahr - ist mir das falsche Wort durch die Tasten gerutscht... aber ich nehm es einfach ganz raus, ist da nicht weiter interessant.«
– »fürwahr« wäre ja eigentlich gar kein schlechtes Wort für die von Dir gewollte, altertümliche Darstellung.

»9) »nicht mit immenser Lautstärke« - wieder eine Wortwahl, die ich zu Beginn erwähnt habe...ich lass es stehen, es gefällt mir so gut.«
– das hat zum Beispiel mit alt überhaupt nichts zu tun. Aber Du kannst es natürlich trotzdem stehen lassen, es ist Deine Geschichte. ;-)

»10) "»welche normale Kinder von den Besonderen unterscheidet.«" Die Regel hab ich immer noch nicht begriffen: Ist 'Besonders' hier nicht ein Rückbezug ohne folgendes Nomen und muss ich es nicht daher großschreiben?«
– Erklären kann ich nicht … :lol: Also, in dem Fall ist es so, daß hinter »besonderen« ebensogut noch einmal »Kindern« stehen könnte: welche normale Kinder von den besonderen Kindern unterscheidet. Auch, wenn »Kindern« hier weggelassen wird, ist »besonderen« ein Adjektiv.

»11) "hier würde ich ein bisschen mehr ins Detail gehen, entweder die Erzählungen der Alten oder die Träume näher ausführen." Mir gefällt hier eher der Gedanke, dass diese Erzählungen (aus denen die Träume resultieren) eben nur schemenhafte, überlieferte Erzählungen sind, die an die nächste Generation weitergegeben werden - ohne, dass sie sich je in irgendeiner Weise bestätigt hätten. Ich tausche mal "Gerüchte" in "Sagen", da Gerüchte so aktuell klingt.«
– ja, »Sagen« statt »Gerüchte« ist auf jeden Fall gut. Vielleicht gibt es aber auch noch einen älteren Ausdruck, der es besser trifft? So ein Duden wäre halt gut, in dem alte Ausdrücke gesammelt sind. Sollte man direkt anregen…

»12) "»„Andererseits …“ Sie zeigt mit dem anderen Arm die Hauptstraße hinauf. „Andererseits wartet …«" - Hier gefällt mir meine Version besser - oder ist sie falsch?«
– naja, »und sie zeigt« ist halt kein »sagte« oder Ähnliches, das sich auf die direkte Rede bezieht, daher ist es eigentlich falsch.

»13) "»„Florin, dort vorn ist -“«" - Da ist doch ein Leerzeichen - oder meinst Du etwas anderes?«
– ähm, dann hat es wohl nur in meinem Word oder auf meinem Ausdruck so ausgesehen, als wäre da keins. ;-)

»14) " Hier könnte sie ihm von dem Gespräch mit Michael erzählen." - Ich weiß nicht: Meiner Meinung nach hat sie nicht die Zeit, um ihm von dem Gespräch zu erzählen, sie müssten anhalten, sie müsste ihm all das Erzählte erklären; aber sie ist ja heiß darauf, zu erfahren, was der alte Mann ihr erzählen wird. Daher denke ich, ist es sinniger, wenn sie ihm nicht erzählt worum es geht - ihre Neugier und ihre forsche Art widersprechen dem.«
– mhm, gut.

»15) "»„Herr Grünsteudel, ich habe sie aus freien Stücken begleitet, das alles ist-“«" - Das 'sie' muss klein sein, denn Leander redet von Florin.«
– Ah ja. Das kommt, wenn ich mir die Fehler am Ausdruck anzeichne und dann nur die betreffenden Sätze aus der Geschichte suche. Dann steht da nachher ein Satz ohne Zusammenhang und ich schreib Dir was ganz Falsches dazu. :shy: Also auf ein Neues: würde das »sie« durch »Florin« tauschen.

»18) "gewiss" - Krass, ich dachte, dass bedeutet, sich gewiss, sicher sein...aber der Duden sagt es tatsächlich anders... *änder*«
– ja, Deutsch ist nicht immer einfach. ;-)

»19) " wäre da für »Sie ist etwas (sehr) Besonderes.«
" - Nehme "Sie ist so sehr besonders." - das gefällt mir gut.«
– ja, gefällt mir auch.

»bin immer wieder erstaunt, wie viel man übersieht«
– ja, und deshalb unten der Rest, den ich beim neuerlichen Lesen gefunden habe ;-)

»diese Perspektivwechsel. … machen die für mich einen Teil der Geschichte mit aus und ich würde gern erst einmal schauen, ob noch mehreren Leuten diese Wechsel zu schaffen machen (falls noch wer das liest). Dass die Gefühlswelt und das Empfinden beider Seiten drinne ist, hat mir beim Schreiben gerade so viel Spaß gemacht und ich hatte das Gefühl, dadurch einen recht guten Einblick in beide Seiten zu bringen.«
– Beim neuerlichen Lesen haben sie mich auch nicht gestört. Es ist halt für Kurzgeschichten eher unüblich, aber macht ja nichts. Wobei ich nicht das Gefühl habe, in beide einen gleich guten Einblick zu haben, Leander überwiegt.

Und noch eine Frage: Wann kommt denn Teil drei?

Also noch die restlichen Anmerkungen:

»gräbt eine jede der ansässigen Familien stets den Schmuck des Vorjahres aus,«
– würde ich immer noch ohne »eine« schreiben, aber wenn Du meinst, daß es den Stil tatsächlich auf alt macht, dann laß es ruhig drin.

»von den grauen und staubigen Bändern der der wenigen Straßen getrennt,«
– ein »der« zuviel

»ein jedes der hier aufwachsenden Kind nie wieder einen derartigen Sinnesrausch erleben wird.«
– jedes der hier aufwachsenden Kinder[/b[
– fände besser: keines der hier aufwachsenden Kinder je wieder einen …

»Vater stemmt in diesem Moment lachend ein frisches Bierfass in die Höhe während meine Mutter bereits den Hammer schwingt,«
– Höhe, während

»Das Haus der Deans ist das letzte Gebäude in dieser Strasse«
– Straße

»Ein jeder von uns spürt die angenehme Woge freudiger Erregung, die bei diesen Worten durch die Menge geht.«
– statt »Ein jeder« könntest Du doch zum Beispiel auch »Jeder einzelne von uns« schreiben

»„Nun, wer?“, und ihre Frage schneidet beinahe schmerzhaft durch unsere Gruppe von Kindern«
– wer?“ Ihre Frage …

»Die Arme, mit denen er erst den Ball zu mir geworfen hat, sie sind stark, aber zu mehr als zu diesem Verrat sieht er sich nicht imstande.«
– würde das »sie« streichen, evtl. »sind zwar stark« schreiben

»Die ersten Meter sind ein schwerer Gang.
Als wir den letzten Lampion im Garten der Deans passieren, merke ich, wie Florin an mir zerrt, damit ich mit ihr Schritt halte. Ich will meinen Gang beschleunigen,«
– zweimal »Gang«, würde entweder statt dem ersten schreiben »sind ein schwerer Weg«, oder statt dem zweiten: »wie Florin an mir zerrt, damit ich mich ihrer Geschwindigkeit anpasse. Ich will mit ihr Schritt halten, …«

»hoffentlich unbemerkten Blick über die Schulter während ich irgend etwas zur Antwort murmle.«
– Schulter, während

»Sollte ich nicht besser umkehren?.«
– der Punkt ist zuviel

»Damit fortfahren, die Hauptstrasse und ihre Nebenwege entlang zu springen, den Ball hin und wieder zurück zu werfen,«
– Hauptstraße
– zusammen: entlangzuspringen, zurückzuwerfen

»Nein, sagt Florin sich im nächsten Moment. Das war falsch.«
– nach »Moment« würde ich nur einen Beistrich machen

»und sie kann die Spannung in ihm fühlen: Zwei Wege, von denen er nur einen wählen kann.«
– da nach dem Doppelpunkt kein ganzer Satz folgt, klein weiter: zwei Wege, …

»Und auch von dem einen Weg, der von unserem Dorf weg durch den Wald zu ferneren Orten führt, auf welchem das fahrende Volk unterwegs ist, war nie jemand je weit in den Wald gewichen.«
– »war nie jemand je weit« klingt falsch, besser: »war niemand je weit …« oder »war niemals jemand weit«

»Doch wäre es unwahr, zu sagen, kein Leben wäre zu sehen, denn dieser Wald, er ist am Leben. Er ist es in diesem kalten Licht,«
– nicht nur weil es unnötig umständlich formuliert ist (weil es meiner Meinung nach zu dem Zweck, alt zu wirken, nichts beiträgt), auch wegen der Wiederholung würde ich ich hier schreiben »dieser Wald ist am Leben«

»Jetzt stehe ich ihm gegenüber und seine alte, knorrige Hand weist mir einen Platz jenseits des Feuers zu. Florin gibt mir einen leichten Stoß und ich setze mich auf den mir zugewiesenen.«
– würde »auf den mir zugewiesenen« streichen

»„Florin, du wirst Freunde finden, wenn du erst einmal den Weg hinausgefunden hast.«
– auseinander: hinaus gefunden, da es ja um den »Weg hinaus« geht, und nicht darum, daß jemand »etwas herausgefunden« hat


Das wars. :)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hi Susi,
vielen Dank fuer die Antwort - ich bin gerade fuer gute drei Wochen in Amerika, daher kann ich erst nach der Rueckkehr antworten (ebenso auf Gefuehlsding, was ich nicht vergessen habe... ;)

Vielel Gruesse,
baddax

 

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