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Wer hält sich an all das?

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25.10.2005
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Wer hält sich an all das?

Hallo Zusammen,

was mir schon seit längerem auffällt und auch durch die Kritiken, die ich hier oft lese, sei es dass ich selbst kritisiert werde oder jemand anderes:
diese angeblichen "Handwerksregeln". Show don't tell (d.h. keinen Erklärstil), dass man eher weniger Fremdwörter einfließen lassen sollte, dass man die Sprache eher einfacher halten sollte etc. etc. etc. Aber wer hält sich von den Bestsellerautoren oder überhaupt von den Weltliteratur-Vertretern überhaupt daran? In den Büchern, die oft "hochgelobt" werden, sei es die Klassiker, irgendwas was um die Jahrhundertwende des letzten oder dieses Jahrhunderts geschrieben wurde, dass sich an die Handwerksregeln wirklich jemand hält, stelle ich selten fest.
Ich gebe nur mal Beispiele, wo mir die Missachtung der "angeblichen Handwerksregeln" ganz besonders auffällt:
Keith Ablows Bestseller, bei Kafka, bei Goethe, bei Knut Hamsun, bei Klaus-Erich Boerner ("Das unwandelbare Herz), bei Daphne Du Maurier, bei John Knittel, bei John Steinbeck, bei Richard North Patterson, Erica Strout, Penelope Williamson, Nicholas Sparks... das ist so alles querbeet und ich beziehe das jetzt auch rein auf Romane und Dramen. Aber ich habe auch des öfteren gelesen, dass dieses SDT auch bei den Romanen zum Tragen kommen soll. Aber der Roman lebt doch eigentlich gerade davon, dass man beschreibt, detailliert, erklärt, analysiert, interpretiert. Habe noch keinen Roman gelesen, der "REIN" auf Handlung ausgelegt ist. So einen Roman würde ich auch wahrscheinlich gar nicht lesen. ;-)
Dass sich Kurzgeschichten und Romane voneinander unterscheiden, ist mir klar, aber da habe ich auch viele erlebt, die meinen, man müsse sich beim Roman an SDT halten. :confused:
Ich möchte mal wissen, wie man einen Roman ohne jedwede Erklärung, Analyse etc. gestalten will.
Ich nehme als Beispiel mal meinen Roman "Spuren des Mobbings - wenn einer durchdreht" (Genre: Psychothriller). Es liegt doch beim Protagonisten, der sich willkürlich an anderen Menschen vergreift, klar auf der Hand, dass man im Verlaufe des Romans der Triebfeder für sein Handeln auf die Spur kommen möchte. Warum ist er so geworden, wie sah es in seiner Kindheit aus, was hatte er für Eltern, hatte er Freunde, wenn nein, warum keine etc.etc. etc. Dass man da zum Erklärstil greift, ist doch irgendwo naheliegend.
Muss zugeben, bin momentan recht verwirrt. :(
Gruß
Nadine_20

 

Hi nadine_20,

wie du es selbst schon andeutest, unterscheiden sich Kurzgeschichten und Romane erheblich.
Die von dir aufgeführten Autoren sind zum Teil ja nun auch nicht mehr ganz frisch und mögen zwar den Weg der literarischen Kunst geprägt haben, aber würden heutzutage oftmals durchfallen.
Trotzdem sollte man eines nicht vergessen: "Show don't tell" ist eine subjektive Empfehlung, keine Pflicht. Oftmals werden diese Bemerkungen noch mit sinnvollen Vorschlägen verbunden, so dass es nachvollziehbarer wird - einem anderen kritiker mag die Geschichte dann wieder genau so gefallen, wie sie da steht.
In erster Linie ist einfach wichtig, dass die Geschichte dem Autor selbst gefällt (was ich doch mal bei jedem hoffe. Wer schreibt schon etwas, das er selbst nicht lesen will?).

Wer sich an all die Regeln hält? Darum geht es fast gar nicht, denn dem Schreiber fällt dieses meist gar nicht so auf. Er hat die Bilder bereits im Kopf und versucht sie zu beschreiben, während der Leser aufgrund des Beschriebenen die Bilder vermittelt bekommt. Somit fallen dem Leser Unstimmigkeiten natürlich schneller auf.
Manch einem sind diese "Regeln" aber auch schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es einfach automatisch funktioniert.

Sieh jede ersthafte Kritik einfach als jemanden, der sich mit deiner Geschichte beschäftigt hat und der eine Antwort verdient, die sich entweder auf seine Fragen, seine Kommentare oder seine Aussage bezieht, und die es wert ist durchdacht zu werden.

Gruß, Zensur

 

Selbst bei KGs von bekannten Autoren merke ich das mir Dinge auffallen die ich hier kritisieren würde.

DAS ist dann allerdings eher ein Zeichen der Qualität HIER - denn was oftmals veröffentlicht wird hätte hier keine 2 Minuten Bestand gehabt.

Manche Texte stortzen vor Wortwiederholunge, Adjektiven, seltsamen Stilblüten ect.

Manche Romane fangen erst mal mit 50 Seiten Erklärung an - die möchte ich dem Autoren dann am liebsten um die Ohren hauen. Manche KGs in Anthologgien sind reine blah blubber Erzählungen sowas von öde und langweilig ...

Mittlerweile denke ich:

Wenn man weis worauf es ankommt, wenn man meint seine Geschichte wäre so gut wie sie ist dann kann man es hier auch begründen oder man bekommt hier Anregungen es Anders zu machen.

DIESEN Vorteil haben renommierte Autoren nicht da die meist nur EINEN Lektor haben, wenn der denen nicht sagt: Ähm du laberst da aber ein bisschen viel herum, dann wird das Zeug eben mit Gelaber gedruckt.

(Um die Ohren haue ich die Bücher den Leuten dann im Amazon als Rezi :D )

 

Hi nadine_20,

aus Deinem Posting werde ich nicht so ganz schlau: Du scheinst unter "Show don't tell" etwas anderes zu verstehen als ich.

SDT besagt ja im Wesentlichen nur, dass man den Leser nicht mit vorgekauten Sinneseindrücken langweilen soll, sondern ihm ein Gefühl der Szenerie plastisch zeigen soll.
Also nicht einfach: "Da war er sehr traurig." (Das ist Telling.)
Sondern die ganze Bandbreite der Empfindungen: "Es tat sich in ihm eine Dunkelheit auf, die sein ganzes Denken und Fühlen an sich zog wie ein titanischer Mahlstrom." usw.

Ob der Protagonist danach in einem seitenlangen inneren Monolog über seine verkorkste Kindheit nachdenkt, ist eine andere Ebene. Man bedenke aber, dass auch ein solcher Monolog durch eine plastische Rückblende ersetzt werden kann.

Und wer hält sich daran? Fast alle, zumindest im Bereich der Unterhaltung.
Wenn ein Schriftsteller erstmal dieses Handwerkszeug beherrscht, kann er sich sicher an "Kunst" wagen, so wie ein Maler erstmal naturalistische Stillleben können sollte, bevor er die Konventionen bricht. (Ich weiß selbst, dass sich manche nicht daran halten.)

 

"Show, don´t tell" ist meiner Meinung nach unbedingt notwendig, wenn man eine gute Geschichte schreiben will.
Es gibt unzählige berühmte Autoren, die meiner Meinung nach den absoluten Tand produzieren.
Auf den Horrorbereich bezogen macht hier auch King keine Ausnahme, da er sehr zum schwadronieren und erklären neigt. So zieht sich die an für sich simple Beschreibung eines Raumes gelegentlich über mehrere Seiten hin. Letztlich ist es seine tolle Phantasie, die ihn rettet.

Anderes Beispiel: Javier Marias. Egal ob "Mein Herz so weiß", oder "Morgen in der Schlacht denk an mich". Der Mann verwertet eigentlich interessante philosophische Gedanken immer und immer wieder, lässt sie durchs ganze Buch lang ausbluten, bis man es irgendwann einfach nicht mehr lesen kann. Hinzu kommt seine unsägliche Beschreibungswut. Jede Nebenfigur, jeder Kerzenständer auf dem Tisch, wird in unzähligen Sätzen bis ins kleinste Detail hinein beschrieben. Das ist nicht nur öde, sondern nimmt mir als Leser auch jegliches Vorstellungsvermögen ab.

Kg.de ist ein Ort für private Autoren, und es sind bei Gott eine Menge Talente dabei.
Es ist ein wenig wie mit der Musikbranche. Nur, weil sich viele Chartstürmer nicht an die Grundsätze für gute Musik halten, heißt das nicht, dass Independent Musiker keine Ahnung haben.
Im Gegenteil.

Warum nicht was Neues probieren, von dem Einheitsbrei wegkommen, der einem im Laden als Bestseller anlächelt.
Es gibt hier viele Geschichten, die eine Veröffentlichung mehr verdient hätten, als einige Sachen namhafter Autoren.

 

Man kann auch einfach drauflos schreiben. Wie Benjamin Lebert mit seinem Crazy-Roman (mit 17 vor 6 Jahren geschrieben, bisher in 33 Sprachen übersetzt). Doch auch er mußte sich dem Lektor beugen, auch jetzt bei seinem 3. Buch. Dazu ein Zitat aus einem Interview (Crismon.de):

"Ich kann nicht anders als schreiben. Dennoch habe ich Angst vor jeder Veröffentlichung. Gerade jetzt geht es mir wieder so. Vor zwei Wochen habe ich meinen neuen Roman zu Ende geschrieben. Und heute Vormittag war ich im Lektorat und sah die ganzen roten Striche. Das tut weh. "

Die Regeln sind dafür da, auch mal übertreten zu werden. Nur so kann Neues, noch nie Dagewesenes überhaupt entstehen.

Dion

 

Ist nicht aber gerade "Show don´t tell" Sprache zerstörender Einheitsbrei?
Ehrlicherweise mache ich mir über diese Regeln beim Schreiben überhaupt keine Gedanken.

 

Hallo,

was mit SDT gemeint ist, weiß ich durchaus - nur dass es halt schwer umsetzbar ist...
Was ist denn mit den Gedanken und den Gefühlen? Muss man die nicht zwangsläufig beschreiben? Angenommen ich mag jemanden nicht und stehe gerade nicht in Interaktion zu ihm - aber was soll man dann anderes schreiben, als dass ich ihn nicht mag? Das nur mal so als Beispiel...

Bei den Autoren, die ich genannt habe, sind auch aber Zeitgenossen dabei. Williamson, Patterson, Sparks, Strout...
Gruß Nadine_20

 

nadine: Hmm zu deinem Beispiel - kommt drauf an wie sehr man jemanden nicht mag - zB. wäre es durchaus bildlicher zu schreiben: Wenn ich an XY denke könnte ich kotzen, auch jetzt kommt mir mal wieder die Galle hoch und brennt mir im Hals, auch ein Schluck Bier befreit mich nicht von dem Klumpen im Magen, verschlimmert die Sache eher noch ...

So oder so ähnlich...

Man kann doch schreiben wie der Prot. sich fühlt ohne nur das Gefühl hinzuschreiben.

 

Hallo Nadine20,
wenn man jemanden nicht mag, kann das viele Gründe haben.

"Ich mag jemanden nicht"

"Sein vieles Gerede geht mir auf die Nerven"
"Ich mag ihn ja, aber nur, wenn er schläft"
"Er könnte sich ruhig mal öfter waschen"
"von dem kriegt man ja Sehnervenkrebs"
"Ich hasse aufdringliche Menschen"
"Von dicken Leuten wird mir schlecht"
"Wenn ich sein verpickeltes Gesicht nur sehe, wird mir schlecht"
"Wenn ich an ihn denke, kommt mir alles hoch!"

Unendlich viele Methoden, das zu sagen, und alle sind sie plastischer und anschaulicher als eine einfache Beschreibung.

 

Gerade Gedanken oder Gefühle kannst du aber über Aktionen, die durch sie veranlasst werden meistens recht gut ausdrücken.
Dein Beispiel war etwas unglücklich, denn warum sollte sich ein Prot überhaupt Gedanken machen, ob er jemanden mag, wenn er gerade nicht in Interaktion mit ihm steht?
Entweder dieser Jemand wird Gegenstand eines Gesprächs. Dann ist das Nichtmögen Teil des Dialogs oder aber die nächste Interaktion steht an, dann kann man es durch fluchen erledigen. "Ausgerechnet mit ihm muss ich zusammenarbeiten. Einen schlimmeren Partner hätte mir XY nicht zur Seite stellen können."

 

Wie schon Ogilvy gesagt hat:"You have to know the rules to break them."

Regeln helfen gerade am Anfang, wenn man als Autor meistens mehr mit dem Inhalt als der schriftlichen Form beschaeftigt ist, eine gute Idee nicht in schlechtem Stil untergehen zu lassen.

Bei Javier Marias hab ich mich bis jetzt auch durch jedes Buch quaelen muessen, war aber hinterher froh, es gelesen zu haben. Es hat mich trotz der Endlossaetze und seitenlangen Beschreibungen beruehrt. Das ist fuer mich das Kriterium fuer einen guten Schriftsteller, nicht die Regeln, die er befolgt oder nicht befolgt.

SDT spielt gerade bei Gefuehlen eine grosse Rolle.
"Peter war zornig." ruft lange nicht die gleiche Reaktion beim Leser hervor wie "Peter ballte die Faeuste, bis seine Knoechel weiss hervortraten. Das Blut schoss ihm ins Gesicht, und seine Zaehne knirschten hoerbar. "

Das ist natuerlich ein uebertriebens Beispiel, aber ich hoffe, du verstehst, was ich meine.

Ausserdem wirkt einfache Sprache intelligenter, und das ist wissenschaftlich bewiesen ;-)

 

Hallo,

vielen Dank für Eure vielen Antworten. Ihr habt mit Euren Antworten wieder Licht in mein vorübergehendes Dunkel gebracht.
Ich habe gerade mal den Artikel aus dem Wissenschaftsressort von Spiegel-online gelesen und dabei festgestellt, dass ich selbst eben auch mehr der Fan von "Komplexität" bin. Kant-Sätze, Thomas Mann Formulierungen (natürlich nicht durchgängig), zu viele Fremdwörter...
Aber ich denke mal, gerade in meinem Alter ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. ;-)

Also, nochmals Danke,

Gruß Nadine_20

 

Da fällt mir gerade noch ein "Das Glück am Wege" finde ich rein vom Handwerklichen und der Sprache her grottig. ;-)

 

Lese momentan "Das Genie und die Göttin" von Aldous Huxley. Der Roman lebt nur vom Dialog bzw. ist auch mehr novellenartig...
So etwas würde sich wohl heute auch nicht mehr vermarkten lassen...

 

Wieso eigentlich nicht? Es gibt auch heute noch Romane/Novellen/was auch immer, die vorwiegend aus Dialogen bestehen.

 

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