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Das philosophische Forum

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17.10.2005
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Das philosophische Forum

Hallo! Ja, ich meine genau dich. Vielleicht wunderst du dich, dass ich durch das Veröffentlichen einer Kurzgeschichte auf einer Internetseite Kontakt zu dir aufnehme. Aber sobald du das Nachfolgende gelesen hast, wirst du mein Vorgehen sicherlich nachvollziehen können.
Du fragst dich, weswegen ich ahnen konnte, dass du gerade diese Geschichte lesen würdest? Nun, ich weiß mehr über dich und deinen Alltag, als der Papst über den Vatikan. Alle Gewohnheiten und Vorlieben bis hin zu den allerkleinsten schmutzigen Geheimnissen sind mir bekannt, was dich auch letztendlich in deine jetzige Situation gebracht hat.
Aber ich sollte nicht dem Ende vorauseilen, sondern alles der Reihe nach erzählen. Nach allem, was ich durchgemacht habe, wünsche ich mir nur noch eines: dass du die Hintergründe meiner Taten und deiner eigenen, misslichen Lage erfährst. Es dürfte dich überraschen, dass nicht nur ich über dein Privatleben so gut informiert bin, wie ein Profikiller, der sein Opfer wochenlang studiert hat, sondern dass auch du mich kennst. Wir beide hatten uns bereits einmal getroffen, sogar miteinander geredet und wir waren auch schon sehr intim miteinander, auch wenn du andere Worte dafür gebrauchen würdest. Weißt du nun, wer ich bin? Nein? Waren es zu viele? Dann will ich konkreter werden.

Es war vor etwa drei Jahren. Im Internet. Dort haben wir uns das erste Mal getroffen, falls man in einer solchen Situation überhaupt von Treffen sprechen beziehungsweise schreiben kann. Es war eines dieser philosophischen Foren, in denen man sich gegenseitig seine auf Halbwissen gegründete Meinung über Hume, Hegel und Kierkegaard mit größtmöglicher Eloquenz entgegenschmetterte. „Kant wird völlig überschätzt! Seine Erkenntnistheorie wurde durch Einsteins Relativitätstheorie widerlegt!“ - „Nietzsches Ewige Wiederkehr hat vor dem Hintergrund des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik keine Bedeutung mehr!“ – und so weiter und so weiter. Frischgebackene Studenten dachten in postpubertärer Selbstüberschätzung, sie wären die kommenden Plancks, Kissingers oder Satres, und aufgrund dieser großartigen Aussichteten erwarteten sie einen Anerkennungsvorschuss von sämtlichen anderen Mitgliedern des Forums.
Inmitten dieser balzenden Horde warst du für uns alle mit deinen treffsicheren und reifen Bemerkungen, deinen pointierten Repliken und selbstsicheren Erklärungen ein Granitfelsen der Orientierung. Als du anfingst, meinen Texten deine Aufmerksamkeit zu widmen, errötete ich vor Ehrfurcht. Bei jedem Zuspruch, jedem lobenden Zitat jauchzte ich vor Freude und war bei jeder kritischen Bemerkung niedergeschlagen, als hätte ich ein Ablehnungsschreiben von einem mächtigen Weltverlag erhalten. Während meiner Schulzeit waren meine Noten in Deutsch, Gemeinschaftskunde und Philosophie stets nur mittelmäßig gewesen. Wie könnte ich nicht von der Annerkennung fasziniert sein, die ich plötzlich von dir erfuhr? Damals verstand ich noch nicht, dass du mich nicht meines Intellektes wegen beachtetest, sondern schlicht aufgrund des Venussymbols vor meinem Nicknamen.
Als du nach drei Monaten des Kommentierens, Kritisierens und Redigierens ein Treffen in meiner Stadt vorschlugst, war mein anfängliches Zögern nur noch reine Formsache für dich und deine Überredungskünste. Keine zwei Tage später trafen wir uns in einem netten, kleinen Lokal, das ich vorher sorgfältig ausgesucht hatte. Rückblickend kann ich kaum mehr nachvollziehen, wie viele Stunden ich damit verbracht hatte, Stadtführer zu studieren und Ausgehtipps im Internet nachzuschlagen, nur um ein Künstlercafé zu finden, welches deinen Ansprüchen genügen sollte. Als wir uns dann endlich begegneten, war das Ambiente perfekt! Historische Jugendstil-Ausstellungsplakate schmückten die Wände und ein Jazztrio spielte Duke Ellington. Du schienst sehr angetan und hieltest einen langen Diskurs über Siegmund Freuds „Traumdeutung“, während ich an deinen Lippen hing wie ein Affenbaby an seiner Mutter. Nach vier Margaritas mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen ging deine Rechnung auf. Mein Über-Ich war in Alkohol ersäuft, mein Es diktierte seine Bedürfnisse und mein Ich folgte dir willenlos aufs Hotelzimmer.
Ich will ehrlich sein: Der Sex war fantastisch. Keiner hatte zuvor so zärtlich meine Bluse geöffnet und so lange meine Brust liebkost. Meine früheren Partner hatten immer zu schnell Besitz von mir ergreifen wollen, waren keuchend dem Ziel entgegengehastet. Du dagegen spürtest genau, wann ich bereit war, die eine oder andere Tür zu öffnen und dich einzulassen. Das Warten auf den richtigen Moment war deine zweite Natur. Unter deinem Bann ließ ich es in jener Nacht zu, dass du ungeschützt in mich eindrangst und mich infiziertest.

Erst Monate später wurde die Krankheit bei einer Blutspende diagnostiziert. Das Menschliche Immunschwäche-Virus HIV. Ansteckend. Unheilbar. Tödlich. Mit einem vernichtenden Schlag waren meine Pläne und Wünsche, mein Lebensmut und meine Unbekümmertheit hinweggefegt. In meinen Kopf zogen Todesangst, Defätismus und Resignation ein, als wären sie die neuen Herren eines Hauses, welches zuvor von einer sorglosen Jugend heruntergewirtschaftet worden war. Über allem schwebte aber die eine Frage: Wo hatte ich mich angesteckt? Im Geiste durchlebte ich alle ehemaligen Liebschaften, alle zufälligen Berührungen, alle Injektionen, alle Blutspenden. In meiner Panik und Unwissenheit verdächtigte ich damals sogar meine Hauskatze, welche beim Herumtollen mit meinen Gästen und mir gelegentlich einen Kratzer hinterlassen hatte. Erst später erfuhr ich, wie blödsinnig dieser Verdacht war.
Irgendwann hatte ich mich so weit gefasst, dass ich bereit war, dir eine Mail zu schreiben. Ich berichtete von meiner Diagnose und schlug dir vorsichtig vor, dich ebenfalls testen zu lassen. Nach mehreren Tagen ohne Antwort keimte in mir die Befürchtung auf, du wolltest nun nichts mehr mit mir, der wandelnden Seuche, zu tun haben. Aber irgendwie passte das nicht zu dir. Ein Freigeist, ein Mann, der gesellschaftliche Ängste derart verachtete, sollte Furcht vor einem kleinen Virus haben? Berührungsängste bei einer Krankheit, die seit Anbeginn ihrer Erforschung nur durch Blut- und Geschlechtskontakt übertragen worden ist? Und vor allem: Wo war das Mitgefühl, die Empathie, die ich damals in deinen Augen gesehen hatte?
Etwas stimmte da nicht. Ich schrieb dir eine zweite Mail und dann eine dritte und dann eine vierte. Irgendwann erhielt ich die Antwort. Als ich sie las, war mir, als hätte mir der Leviathan von Thomas Hobbes persönlich in die Magengrube geschlagen. Deine Botschaft war kurz und sachlich. Ich werde sie nie vergessen. Einhundertzweiundsechzig Wörter, sechs Kommata und zwölf Punkte, ohne einen einzigen orthographischen oder grammatikalischen Fehler. Jedes einzelne Wort war in einer rhetorischen und stilistischen Perfektion ein Pflasterstein auf dem Pfad zum letzten Satz: „Nun, da auch du dazu gehörst, kannst du die wahre Bedeutung von Carpe Diem verstehen.“
Ja, ich verstand. Von Anfang an hattest du von deiner Krankheit gewusst. Vielleicht hattest du es nicht gewollt, dass ich mich ansteckte, aber du hattest meinen Tod billigend in Kauf genommen. Nun durchschaute ich dein scheinbares Feingefühl, deine heuchlerischen Plädoyers für die freie Entfaltung. Es war dir von Anfang an nur um die hedonistische Befriedigung deiner eigenen Triebe gegangen, bevor deine Zeit kommen würde, zu sterben. Es schien dir völlig egal zu sein, ob dabei ein anderes Leben mit ins Verderben gerissen wurde.

Ich las deine Zeilen immer und immer wieder. Wie eine wütende Glut brannten sie sich in meinem Gehirn ein und setzten dort alles in Flammen. Aus diesem Feuer entstieg wie ein strahlender Phönix eine unbeschreibliche Kraft, vertrieb die selbstmitleidigen, grauen Gedanken aus meinem Kopf und schaffte Platz für einen neuen Herrscher: den Rachedurst. Von jenem Moment an kannte ich nur noch ein Ziel und einen Lebensinhalt. Du solltest für deine Schandtat büßen wie vor dem jüngsten Gericht. Aber wie sollte ich das bewerkstelligen?
Hatte ich außerdem nicht genügend Probleme mit meinem eigenen, kümmerlichen Leben? Meine Ärzte konnten mir nicht sagen, wie lange ich noch zu leben hatte. Zehn Jahre, vielleicht fünfzehn, mit viel Glück sogar zwanzig. Ich musste täglich Medikamente schlucken, deren Nebenwirkungen bei anderen bereits ausgereicht hätte, um in Frührente zu gehen. Ein übelkeiterregender Cocktail aus Lopinavir, Ritonavir und Combivir musste zweimal am Tag, minutengenau, zu festgelegten Uhrzeiten eingenommen werden, wobei ich natürlich nicht von meinen Freunden und Mitstudenten beobachtet werden wollte. Beinahe täglich musste ich mich übergeben und mein Kopf wollte vor Schmerzen platzen.
Aber ich hielt durch! Wie ein Mantra wiederholte ich immer wieder die Sätze aus deiner Mail und schöpfte daraus die Wut zum Weitermachten. Rückblickend erscheint es mir, als hätte ich selbst im Schlaf fieberhaft überlegt, wie ich deiner habhaft werden konnte, um Vergeltung zu üben. Durch deine sorgfältigen Formulierungen enthielt deine Mail keinen belastenden Satz, der vor einem Gericht bestanden hätte. Rechtsweg ausgeschlossen.
Ich wusste, dass ich irgendwie deine Adresse oder deinen Nachnamen erfahren musste. Alles Flehen, Jammern und Anbiedern an den Webmaster des Forums half nichts. Er konnte oder wollte meine Beweggründe nicht verstehen, jedenfalls weigerte er sich strikt, mir deine Daten zu nennen. Damals stand ich kurz vor der Verzweiflung. Alle Wege schienen versperrt.
Wie die Griechen vor Troja in Homers Epos musste ich einsehen, dass alle konventionellen Möglichkeiten erschöpft waren. Etwas völlig Neues, etwas, dass du nicht erwarten würdest, musste konzipiert werden. In diesen Tagen ersann ich meinen Plan. Das Internet hatte mich damals dir ausgeliefert, nun war es an der Zeit, dass es seine Schuld abbezahlte, und sich mit mir verbündete.

Es waren aber noch viele Hindernisse zu beseitigen, vor allem musste ich lernen mit meinem neuen Verbündeten, dem weltweiten Netz, angemessen umzugehen. Ich erkaufte mir die Bindung mit dem kostbarsten, das ich noch besaß: Zeit. Tage und Nächtelang verbrachte ich kaffeetrinkend vor meinem Röhrenbildschirm und wälzte Nachschlagewerke. Schritt für Schritt arbeitete ich mich einen Pfad entlang, der vorbei an IP-Adressen, serverseitig und browserseitig ausgeführten Skripte, Webspace und Datenbanken führte.
Bereits nach wenigen Tagen hatte ich meine erste Homepage, wobei ich diese zunächst nur per Knopfdruck mit einem kostenlosen Programm erstellt hatte. Anschließend fing ich an, durch Eingriffe in den HTML-Code einige Veränderungen vorzunehmen, welche nicht durch das Programm möglich gewesen wären. Als ich versuchte, interaktive Inhalte einzubetten, stieß ich bald an Grenzen, die offenbar mittels HTML nicht überwindbar waren.
Es war an der Zeit, mein armseliges Repertoire um die Kenntnis einer Skriptsprache zu erweitern. Anfängliche Experimente mit JavaScirpt erwiesen sich schnell als Sackgasse, da bei Anwendung dieser Technik, alle Inhalte meiner Homepage, auch die interaktiven Funktionen, für alle Außenstehenden sichtbar gewesen wären. Für meine Pläne wäre das genauso fatal, wie es für die Griechen als Katastrophe geendet hätte, falls sie sich entschieden hätten, ihr Pferd aus Glas zu bauen. Mein zweiter Ansatz, die Sprache PHP, war dagegen wesentlich geeigneter, da die Ausführungsskripte für alle Außenstehenden vorborgen blieben.
Nach mehreren Wochen, in denen meine Ernährung vorwiegend aus Pizza, Kaffee und Virenhemmer bestand, war das Werk vollendet: Ich hatte mein eigenes philosophisches Forum geschaffen. Äußerlich ähnelte es allen anderen Konkurrenzforen im Web, in seinem Kern aber lauerte ein wesentlicher Unterschied auf mein Opfer. Es dauerte nur kurze Zeit, bis sich die ersten Besucher als Mitglieder auf der Seite anmeldeten. Ich begrüßte jeden einzelnen förmlich, kommentierte eifrig ihre Beiträge, schlug Themen vor, veranstaltete Wettbewerbe und hatte damit binnen eines halben Jahres eine Seite aus dem Boden gestampft, die eine breite Anerkennung im Netz genoss. In der damals noch wesentlich schnelllebigeren Welt des Internets war das zwar keine einmalige, aber dennoch eine bemerkenswerte Leistung. Als dann mein Angebot durch Mundpropaganda in vielen der einschlägigen Chatrooms bekannt geworden war, geschah das lang ersehnte. Endlich meldetest du dich an!

Hast du dich jemals gefragt, was eigentlich passiert, wenn du in einem Forum auf das kleine, unschuldige Knöpfchen „Passwort ändern“ klickst? Überall wird dieser Service angeboten, so dass man seine automatisch zugewiesene, kryptische Zeichenfolge in ein Wort verwandeln kann, dass wesentlich besser zu merken ist. Aber was geschieht damit? Auf jeder ordentlichen Internetseite, die von einem gewissenhaften Administrator angelegt worden ist, wird das Wunschpasswort verschlüsselt, in einem unlesbaren Zustand abgespeichert. Niemand, auch nicht der gerissenste Hacker oder der Webmaster persönlich, ist in der Lage herauszufinden, wie es lautet. Bei meiner Homepage, in der ich die Regeln bestimmt hatte, bestand demgegenüber der kleine aber wichtige Unterschied, dass die geänderten Passwörter völlig unverschlüsselt abgespeichert wurden. Per Knopfdruck konnte ich diese dann später bequem auslesen.
Du fragst dich, was das bringen sollte? Der Zugang zu deinen Daten stünde mir als Eigentümer doch sowieso offen? Nun, das Entscheidende damals war, dass du wie fast alle Surfer im Netz den Aufwand scheutest, zu jedem Forum, zu jedem Onlineshop und zu jedem E-Mail-Konto ein gesondertes Passwort anzulegen und zu merken. Wie viel bequemer ist es doch, sich nur einen Begriff zu merken und diesen überall zu verwenden. Begreifst du nun, was passiert ist? Meine sorgfältig ausgelegte Falle hatte zugeschnappt und dich dazu gebracht, mir einen Schlüssel zu geben, mit dem ich alle Tore des Internets in deinem Namen öffnen konnte. Mit einem kleinen Tastendruck hattest Du mir das Portal zu deinen geheimsten Archiven geöffnet.

Da ich mich nicht der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen möchte, werde ich das Zauberwort an dieser Stelle nicht nennen. Zu leicht könnte man uns beide damit in Verbindung bringen. Es sei nur so viel verraten, dass mir damals dieser vulgäre Begriff sehr gut zu dir und deiner kranken Psyche zu passen schien.
Als ich das Wort zum ersten Mal las, spürte ich eine bleischwere Ohnmacht aus mir entweichen. Es war, als hätte ich ein magisches Schwert aus einem Felsen gezogen, mit dem ich auf die Jagd auf einen zuvor unüberwindbaren Drachen gehen könnte. Nur mühsam konnte ich meine Ungeduld bezähmen. Am liebsten hätte ich sofort versucht, dein E-Mail-Postfach mit meinem neuen Universalschlüssel zu öffnen. Doch ich wollte sorgsam vorgehen. Damit wir nicht zufällig gleichzeitig online wären, wartete ich bis tief in der Nacht. Dann suchte ich ein Internetcafé in einem entlegenen Stadtteil auf, um bloß keine Datenspuren zu hinterlassen. Außerdem ging ich, um wirklich ganz sicher zu gehen, einen digitalen Umweg über eine anonymisierende Webseite aus Südamerika, so dass ich auch jetzt, nach dieser Veröffentlichung, mit ruhigem Gewissen davon ausgehen kann, dass mich kein Mensch mit vernünftigem Aufwand zurückverfolgen kann.
Schweißgebadet saß ich vor dem Bildschirm. Zweimal vertippte ich mich mit meinen zittrigen Fingern, und war kurzzeitig vor dem Verzweifeln, als die Zugangsparameter als falsch zurückgewiesen wurden. Beim dritten Versuch aber öffnete sich das Portal und ich trat mit hüpfendem Herzen herein, als wäre ich Ali-Baba in der Schatzkammer der vierzig Räuber. In diesem Moment durchströmte ein Endorphinstoß meine Adern und ließ eine lang vergessene Wärme in meinen Körper fahren. Ich war in der Höhle des Löwen eingedrungen und konnte seelenruhig alles betrachten.
Doch ich sollte bald feststellen, dass dies nicht das Märchen der Sheherazade war und in deinen Töpfen nicht Gold und Silber warteten. Offenbar war ich nicht die einzige Frau gewesen, die du im Netz kennen gelernt und verführt hattest. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Ekel fand ich einen akkurat gepflegten Katalog deiner Korrespondenzen vor.

Wie kleine Trophäen stapelten sich in dutzenden von Verzeichnissen die Schriftwechsel, fein säuberlich nach dem Namen deiner Opfer sortiert. Bei manchen warst du offenbar noch in der Verführungsphase, schriebst ihnen Zeilen des Lobes, hobst sie in den Himmel und versuchtest sie durch kleine Aufmerksamkeiten an dich zu binden. Bei anderen dagegen schienst du bereits zum Schuss gekommen zu sein, jedenfalls erhieltest du von ihnen entweder trotzige Schmähbriefe oder sie fragten mitleidig danach, was sie denn in der jeweiligen Nacht falsch gemacht hätten.
Erleichtert stellte ich fest, dass in keinen der Mails, außer natürlich in meinen, das Thema HIV angesprochen wurde. Dieser tückische Virus ist zwar unsichtbar und absolut tödlich, er lässt sich aber zum Glück nicht so leicht übertragen, wie man gemeinhin glaubt. Das Fehlen jeden Bezugs hierzu ließ mich hoffen, dass keine der anderen Frauen infiziert zu sein schien. Vielleicht war die Tatsache, dass du mit jeder von ihnen anscheinend immer nur genau ein einziges Mal ins Bett gegangen warst, eine Art der Rücksichtsnahme, um die Ansteckung so unwahrscheinlich wie möglich zu halten. Vielleicht war es aber auch nur ein makaberes Russisches Roulett, denn wer hätte dich davon abgehalten, ein Kondom zu benutzen? Ich habe mir häufig diese Fragen gestellt, aber niemals eine wirklich befriedigende Antwort gefunden. Ich denke, dass ich deine wahren Triebe und Gedanken wohl niemals nachvollziehen werde und es eigentlich auch nicht wirklich möchte.
Ich schrieb dies hier nieder, damit du meine Beweggründe dafür erfahren solltest, warum ich dich ins Gefängnis brachte. Als ich dein Postfach geöffnet hatte, damals nur um einen Hinweis auf deine Identität zu erhalten, prasselten die Schicksale all deiner Opfer wie ein Eisregen auf mich ein. Jedes einzelne schien mir zuzurufen „Räche mich!“ oder „Beschütze mich!“. Jeder andere hätte wahrscheinlich genau so gehandelt, um ein Monster wie dich aufzuhalten.
Mit einem Augenblick ging es nicht mehr um mein eigenes Schicksal. Durch das Überschreiten der Schwelle zu deinem Privatarchiv hatte ich mir die Verantwortung der Mitwisserschaft aufgebürdet und musste dich um meinen Seelenfrieden willen erlegen - und um das Leben der anderen zu beschützen. Im Gegensatz zu meinen Mitopfern verfügte ich als einzige über die Möglichkeit zu handeln, also musste ich es tun.

Aufgrund dieser Zeilen hast du dir sicherlich schon das Meiste zusammengereimt, was anschließend geschah. Ich werde es daher nur kurz zusammenfassen: Dein vermeintliches „Mordopfer“ war kein unschuldiger Mann. Ich hatte ihn sorgfältig ausgewählt, nachdem ich mehrere Mitglieder meiner Seite ausgespäht hatte. Er war ein pädophilier Kinderschänder. Seine Mails strotzten nur vor Bestätigungen abartiger Einkäufe im Ausland und seine regelmäßig gebuchten Flüge nach Thailand und Vietnam zeigten, dass er es nicht bei der Theorie belassen hatte.
Einen seiner Urlaube hatte ich dazu ausgenutzt, mit seinem Konto ein überhöhtes Gebot bei eBay abzugeben. Du warst der Verkäufer. Die Zahlung erfolgte über die Einzugsermächtigung und das Paket habe ich als zufällig im Treppenhaus anwesende „Nachbarin“ abgefangen. Der anschließende Streit zwischen euch beiden und somit das Mordmotiv war bei dem Betrag, um den es ging, vorprogrammiert.
Da ich aus deiner eifrig beobachteten Korrespondenz genauestens über deine häufigen Reisepläne in andere Städte informiert war, war es mit etwas Geschick und Übung ein Leichtes, eine Tatwaffe mit entsprechenden Fingerabdrücken aus deiner Küche und den am Tatort gefundenen „persönlichen Gegenstand“ (du weißt, was es war) zu entwenden und durch ähnlich aussehende Objekte zu ersetzen. Um dich zum rechten Zeitpunkt zum Tatort zu locken, bedurfte es nur noch eines kurzen Flirts unter falschem Namen in dem Forum, in dem wir uns erstmalig kennen gelernt hatten. Der Rest, von dem Auftauchen der Polizei über die Gerichtsverhandlung bis zum Urteilsspruch ist eine Geschichte, welche du sicherlich besser kennst als ich.

Aus sicherer Quelle weiß ich, dass dir ein Freund regelmäßig Auszüge aus verschiedenen Foren ausdruckt und zu lesen mitbringt. Mit etwas Glück wird er auch dieses hier entdecken und dir zukommen lassen. Mach dir keine Mühe, nach mir zu suchen. Mein eigenes Forum ist längst gelöscht und mehr als meine Heimatstadt und meinen Vornamen wirst du nie über mich wissen. Zu gut habe ich gelernt, Spuren zu erkennen und das Notwendige zu unternehmen, sie gründlich zu verwischen. Ich werde auch nicht den Fehler machen, dir einen Brief zu schreiben, der womöglich gerichtlich entlastend wirken könnte. Daher habe ich diese Geschichte einem Bekannten anvertraut, der sie als „fiktive“ Belletristik unter seinem Namen veröffentlichen wird.

Lebewohl,

Deine Philosophin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mihai,

Deine Geschichte war spannend und gut zu lesen. Sicher gibt es einiges Sachen zu beanstanden, was Rechtschreibung etc. angeht, aber ich hab beim Lesen gar nicht darauf geachtet.

Gute und vielschichtige Geschichte, die sicher nicht nur in Spannung/Krimi passen würde!

Grüße, Rodion.

 

Hallo Rodion,

schönen Dank für dein Kommentar. Ich werde eine noch gründlichere Rechtschreibanalyse machen, sobald ich wieder drucken kann. Ich bin so verflixt Blind :sick: am Bildschirm.

Deine Geschichte war spannend und gut zu lesen.
Gute und vielschichtichtige Geschichte, ...
Das ist ein schönes Lob. Danke!

... die sicher nicht nur in Spannung/Krimi passen würde!
Ich konnte es nicht wonaders posten, weil meine Bekannte mir ausdrücklich gesagt hat... *hüstel* ich meine, äh ... vielleicht hätte es auch unter "Seltsam" oder "Experimente" gehört, aber in diesem Forum sind viele Werke im Grunde Experimente und im Kern ist es ein Krimi.

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hi Mihai,

ich hab Dir nun noch ein paar Fehlerchen rausgesucht. Hab für so viel Text echt wenig gefunden.

Vielleicht wunderst du dich, dass derart ungewöhnlich, durch das Veröffentlichen einer Kurzgeschichte auf einer Internetseite, Kontakt zu dir aufnehme.
Ich glaube hier fehlt gleich zu Beginn ein "ich". ("...dass ich derart ungewöhnlich")

Unter deinem Bann ließ ich es in jener Nacht zu, dass du ungeschützt in mich eindrangst und mich infiziertest.

Erst Monate später, wurde die Krankheit bei einer Blutspende diagnostiziert.
Ich glaube, dass das Komma hier überflüssig ist.

Aus diesem Feuer entstieg wie ein strahlenden Phönix eine unbeschreibliche Kraft, vertrieb die selbstmitleidigen, grauen Gedanken aus meinem Kopf und schafften Platz für einen neuen Herrscher: den Rachedurst.
-strahlender
-schaffte

Schritt für Schritt arbeitete ich mich einen Pfad entlang, der vorbei an IP-Adressen, serverseitig und browserseitig ausgeführte Skripte, Webspace und Datenbanken führte.
ausgeführten Skripten

Den Zugang zu deinen Daten stünde mir als Eigentümer doch sowieso offen?
Der

Mein eigenes Forum ist längst gelöscht und mehr als meine Heimatstadt und meinem Vornamen wirst du nie über mich wissen.
meinen

Ok, mach's gut, Rodion.

 

Hi Rodion,

vielen Dank für die Mühe! Ein Fehler gleich im zweiten Satz ist wirklich peinlich :sealed:
Vielleicht ist das der Grund, dass außer dir noch keiner etwas kommentiert hat. Was die Klickzahl angeht, scheint die Story ja doch recht oft geöffnet worden zu sein.

Wie auch immer, ich habe zwar immer noch keinen funktionierenden Drucker, aber ich habe alle Deine Bemerkungen umgesetzt und noch ein paar weitere Schnitzer am Bildschirm herausgesucht und beseitigt.

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hallo Mihai,

ich habe deine Geschichte bereits vor ein paar Tagen gelesen. Dass sie bisher so wenig kommentiert wurde, liegt wahrscheinlich nicht an einem kleinen Tipper im zweiten Satz. Ich denke eher, dass es der Stil des ersten Abschnitts ist. Dadurch habe ich zunächst auch etwas anderes erwartet. Bei dem Anfang habe ich gedacht: Och nee, nicht schon wieder eine Teenie-zerbrochene-Internetliebe-Geschichte, bei der der Autor durch die gewählte Perspektive und die direkte Ansprache des Lesers krampfhaft um Leserschaft bemüht ist. :shy: Solche Geschichten gibt es nämlich viele.

Nun kann man natürlich berechtigterweise fragen, ob deine Geschichte etwas für meine Leseerfahrungen kann. Natürlich nicht. Sie hat mich dann auch sehr positiv überrascht. Du rollst ein schwieriges Thema auf, ohne mit Macht auf die Tränendrüse drücken zu wollen. Dabei gelingt es dir, deine Protagonistin recht authentisch agieren zu lassen. Der Typ bleibt sehr blass, man weiß und versteht nicht, was ihn zu seinem Tun veranlasst, aber aus meiner Sicht kann man das hier auch ruhig vernachlässigen. Bei der von dir gewählten Perspektive könnte man seine Erfahrungen und seine Sicht der Dinge eh nicht vernünftig einbinden.

Nun kann man natürlich darüber streiten, ob die Perspektive glücklich gewählt ist, ob nicht ein Blick von außen besser gepasst hätte. Ich denke aber, dass du dich richtig entschieden hast. Denn obwohl unglaublich viel erzählt und geschildert wird und direkte Aktion Mangelware ist, ist der Leser doch sehr nah dran. Und das Ende - die Rache über das Medium, mit dem alles seinen Anfang nahm - lässt auch kaum eine andere Perspektive zu und schließt sehr schön den Kreis. Insgesamt ist die Geschichte also rund. Dinge, die dem Leser zunächst überflüssig oder beliebig erscheinen, ergeben später einen Sinn oder erfüllen eine Funktion.

Ungefähr im Mittelteil habe ich mich einmal gefragt, warum sie ihm alles so haarklein erzählen muss, schließlich war er ja dabei. Später löst sich aber auch das auf, weil er so viele "Liebschaften" hat - oft ja mehrere gleichzeitig in unterschiedlichen Entwicklungsstadien -, dass er da sicherlich den Überblick verliert.

Ich wollte dir eigentlich den Tipp geben, den Einstieg zu überarbeiten. Nachdem ich aber die ganze Geschichte kenne und ihn noch einmal gelesen habe, fügt er sich gut in die Story ein. Wie schon erwähnt hatte ich zunächst einen "billigen Trick" dahinter vermutet. Vielleicht denken auch andere so und klicken wieder weg. Das ist natürlich kein Fehler deiner Geschichte, vielleicht einfach nur eine Erklärung für die wenigen Kommentare.

Noch eine Stelle, die mir besonders gut gefallen hat:

Mein Über-Ich war in Alkohol ersäuft, mein Es diktierte seine Bedürfnisse und mein Ich folgte dir willenlos aufs Hotelzimmer.
:thumbsup:


Fazit: Eine Geschichte, die mich nach anfänglichen Zweifeln positiv überraschte. Schwierige Thematik, die spannend umgesetzt wurde. Allerdings stellt sich die Spannung erst ab dem dritten großen Abschnitt ein. Streckenweise sehr viel "Tell" und sehr wenig "Show". Insgesamt aber eine gelungene und gute Geschichte. :)

 

Hallo Mihai,

da ist dir eine schöne Geschichte gelungen. Fängt recht harmlos an, wiegt den Leser in Sicherheit und dann … aber hallo! Eine perfide Rache. Ein schöne, schwarze Story. Nur um deine Bekannte tat‘s mir natürlich leid. Was wieder einmal zeigt, selbst wenn Frau keine Gummibärchen mag, sollte sie nicht vergessen, dass ihrem Bärchen ein Gummi durchaus gut tun kann.
Dann bin ich mal gespannt, was du als nächstes planst.

Gruß von F. P.

 

Hallo,

zu dem fehlenden Drucker gesellt sich nun das Problem, unterwegs zu sein und kein Internet zu haben. Habe mir ein Internetcafé gesucht und mich mächtig über die Resonanz gefreut.

@katzano:

Das Wichtigste aus deinem Kommentar vorneweg:

Bei dem Anfang habe ich gedacht: Och nee, nicht schon wieder eine Teenie-zerbrochene-Internetliebe-Geschichte, bei der der Autor durch die gewählte Perspektive und die direkte Ansprache des Lesers krampfhaft um Leserschaft bemüht ist. Solche Geschichten gibt es nämlich viele.
Das ist für mich genauso ernüchternd wie lehrreich. Ich hatte gehofft, einen attraktiven Einstieg zu haben und muss wohl einsehen, dass ich eher das Gegenteil erreicht habe. :(
Ich bin sehr froh, diesen Hinweis erhalten zu haben.

Fazit: Eine Geschichte, die mich nach anfänglichen Zweifeln positiv überraschte. Schwierige Thematik, die spannend umgesetzt wurde. Allerdings stellt sich die Spannung erst ab dem dritten großen Abschnitt ein. Streckenweise sehr viel "Tell" und sehr wenig "Show". Insgesamt aber eine gelungene und gute Geschichte.
Vielen Dank für das viele Lob in diesem Zitat und auch im restlichen Post. Es bedeutet mir sehr viel. :shy:

Der Mangel an "Show" war ein wenig das Verschulden der gewählten Perspektive und Aufmachung der Geschichte. Es erschien mir beim Schreiben stellenweise nicht authentisch, die Gefühle des Prots zu sehr auszuschmücken. Vielleicht geht da aber noch mehr.
Ich denke, dass ich mich an eine (vorsichtige) Überarbeitung wagen werde, die auch den Einstieg betreffen wird.

@Fugalee Page

da ist dir eine schöne Geschichte gelungen. Fängt recht harmlos an, wiegt den Leser in Sicherheit und dann … aber hallo! Eine perfide Rache. Ein schöne, schwarze Story.
Kurz und knapp: Danke!
Was wieder einmal zeigt, selbst wenn Frau keine Gummibärchen mag, sollte sie nicht vergessen, dass ihrem Bärchen ein Gummi durchaus gut tun kann.
Sicher hast du recht, aber das wirf bei mir eine Frage auf. Ich hoffe, dass die Geschichte nicht als moralinübersäuert empfunden wird. Habe da traumatische Erfahrungen aus meinen anderen Stories :sick:.

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hallo Mihai,

Daher habe ich diese Geschichte einem Bekannten anvertraut, der sie als „fiktive“ Belletristik unter seinem Namen veröffentlichen wird.

Ich habe überlegt wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese Geschichte vom richtigen Adressaten gelesen wird.

Dann habe ich überlegt, warum der Bekannte (Autor) nicht den Absender preisgeben soll? Ein gewiefter Anwalt könnte von ihm verlangen den Ghostwriter bekannt zu machen, da man sonst dem Autor Verschleierung einer Straftat anlasten könnte.

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

ich finde es schön, dass sich jemand nach der ganzen Zeit nochmal vertiefte Gedanken, um den Plot gemacht hat.

Ich habe überlegt wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass diese Geschichte vom richtigen Adressaten gelesen wird.
Je nach Gewohnheit des Opfers sehr unwahrscheinlich bis todsicher. Aber du hast schon Recht: Der ganze Rahmen wäre in einer Anthologie oder in einer Zeitschrift wesentlich glaubwürdiger.

Dann habe ich überlegt, warum der Bekannte (Autor) nicht den Absender preisgeben soll? Ein gewiefter Anwalt könnte von ihm verlangen den Ghostwriter bekannt zu machen, da man sonst dem Autor Verschleierung einer Straftat anlasten könnte.
Fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie das praktisch vor sich gehen soll. Kann man Thomas Harris gerichtlich dazu zwingen, den wahren Aufenthaltsort von Hannibal Lector preiszugeben, wenn er doch behauptet, es sein nur eine erfundene Figur?
Wenn man bei einem konkreten Verdacht den Autor als möglichen Zeugen vorläd, dann vielleicht ... habe aber schon erlebt, dass Leute mit Bezug auf ihr "Ehrenwort" einfach keine Aussage gemacht haben. ;)

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hallo Mihai

ich finde es schön, dass sich jemand nach der ganzen Zeit nochmal vertiefte Gedanken, um den Plot gemacht hat.

Die Geschichte ist innovativ in ihrer Entwicklung, denn statt in Opferposition zu verharren, (übliche Betroffenheitsprosa) entwickelt die Protagonistin sich zur Täterin, folgt ihren Rachegelüsten. Das hast du authentisch rübergebracht und so finde ich es schade, wenn die Auflösung hinkt.
Rache kann erst richtig ausgelebt werden, wenn man ihr nachkommt. Ist das Ziel erreicht, verspüren die Rächer oft nicht den erhofften Frieden. Daher wollen sie sich im Prinzip zu erkennen geben. Logisch natürlich, dass sie nicht erwischt werden wollen. Vielleicht schreibt sie diesen Brief und sendet ihn nach Jahren erst an den Adressaten. z.B. kurz vor seinem Aids Tod im Gefängnis.

Lieben Gruß, Goldene Dame

 

Hallo Goldene Dame,

Vielleicht schreibt sie diesen Brief und sendet ihn nach Jahren erst an den Adressaten. z.B. kurz vor seinem Aids Tod im Gefängnis.
Stimmt, das hatte ich auch einmal überlegt. Und es wäre sicher eine funktionierende Alternative. Auch ein Besuch im Gefängnis, bei dem alles haarklein erzählt wird, wäre denkbar. Ich habe mich aber aus mehreren Gründen dagegen entschieden.

Ich hatte weiter oben schon geschrieben, dass ich gerade mit der Form des direkten Anschreibens den Leser schnell binden wollte. Der Plan ist vielleicht nur eingeschränkt aufgegangen.
Der Aufbau ergab sich somit weniger aus dem Zwang der Handlung, war vielmehr ein Stilmittel. Ich hielt es außerdem für eine nette Idee, die Grenze zwischen Realität und Fiktion etwas stärker zu verwischen als durch die reine "Ich"-Perspektive.
Noch ein Aspekt war, dass ich einen ungewöhnlichen Charakter haben wollte. Das Auftstehen aus der stereotypen Opferrolle hattest du bereits erwähnt, aber auch der Racheplan sollte etwas Besonderes sein und das gleiche galt für die Rachebotschaft. Einfach nur ein Brief sollte es halt nicht sein.

Aber abgesehen davon: Was soll denn das Opfer noch machen? Einziger Ansprechpartner ist der Autor. Der kann jederzeit auf "fiktiv" pochen und ohne Wahrheitsdrogen ist da nichts herauszubekommen. Soooo wackelig erscheint mir das nicht.

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hallo Mihai!

Mihai schrieb:
Nach mehreren Wochen, in denen meine Ernährung vorwiegend auf Pizza, Kaffee und Virenhemmer bestand

=aus

Mir hat die Geschichte auch gut gefallen :) Ich habe zuerst was vollkommen anderes erwartet (nämlich die moralische Keule) und war dann doch positiv überrascht, dass sich das Ganze zu einem recht spannenden Krimi gewandelt hat.
Eine Kleinigkeit, die mir nicht so gut gefallen hat, war der pädophile Kinderschänder. Bei solchen Leuten wird immer Thailand erwähnt und obwohl das natürlich naheliegend ist, würde ich mir etwas anderes wünschen, das seine Perversion ausdrückt.

Grüße,
Federnspiel

 

Hallo Federnspiel,

Mir hat die Geschichte auch gut gefallen
Freut mich.

Danke für den Hinweis. Ich werde es ausbessern, sobald ich wieder daheim bin. Muss erstmal schauen, wie Deutschland gegen Ecuador spielt :D

Ich habe zuerst was vollkommen anderes erwartet (nämlich die moralische Keule) und war dann doch positiv überrascht ...
Jaja, ich und die Moral ... :hmm:
Wie bereits erwähnt, habe ich mich bei der Geschichte bemüht, keinen moralischen Zeigefinger zu heben. Ich bin in meinen vorherigen Stories zu oft darauf angesprochen worden. Es freut mich ganz ehrlich, dass die Absicht, eine spannende Geschichte zu schreiben, rübergekommen ist.

... dass sich das Ganze zu einem recht spannenden Krimi gewandelt hat.
Ansonsten wäre es wohl die falsche Rubrik. ;)

Eine Kleinigkeit, die mir nicht so gut gefallen hat, war der pädophile Kinderschänder. Bei solchen Leuten wird immer Thailand erwähnt und obwohl das natürlich naheliegend ist, würde ich mir etwas anderes wünschen, das seine Perversion ausdrückt.
Da ist was dran, Thailand Ist ziemlich stereotyp. Ich glaube, ich könnte mir noch etwas einfallen lassen.

Vielen Dank fürs Kritisieren und Kommentieren.

Liebe Grüße,

Mihai

 

Hallo Wölfin,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Das Lob kam gerade recht, um mich aus einer "verdammt-ich-schreibe-ja-doch-nur-Bockmist-Phase" herauszureißen. Manchmal braucht man das. :shy:

Finde ich klasse, dich gut unterhalten zu haben. Vom Gath werde ich berichten ... falls ich das Chaos überlebe. :sealed:

Liebe Grüße,

Mihai

 

Einhundertzweiundsechzig Wörter, sechs Kommata und zwölf Punkte, ohne einen einzigen orthographischen oder grammatikalischen Fehler.
gut
"Nun, da auch du dazu gehörst, kannst du die wahre Bedeutung von Carpe Diem verstehen."
sehr gut

Hi Mihai,

wow, das hat mich wirklich über knapp sieben Seiten lang gefesselt und nicht mehr losgelassen.
Nebenbei, ich sollte mal mein kg.de-Passwort ändern ...

Zurück zur Geschichte:
Die Idee, die Rache so zu bewerkstelligen finde ich sehr gut und ebenso beschrieben!
Strenggenommen ist das hier ja ein Brief, aber der geschichtliche Charakter ist nicht von der Hand zu weisen.

Zum Ende: Wäre das nicht Grund genug, dich nach der Freundin zu fragen? Also, wenn er jetzt wirklich diesen Auszug beköme und der Polizei zeigt? ....

Tserk!
P.S: Fehlerliste kommt per PN.
P.S.S: Man sieht sich beim Gath!!! :)

 

Hi Tserk,

vielen Dank fürs Lesen und für die Müher der Fehlerliste. Deine wachen Augen sind ein echter Segen.

Zum Ende: Wäre das nicht Grund genug, dich nach der Freundin zu fragen? Also, wenn er jetzt wirklich diesen Auszug beköme und der Polizei zeigt? ....
Naja, fragen kann man immer. Dann erfährt die Polizei von Schriftsteller, es sei alles eine Erfindung. Wenn mich tatsächlich ein Polizist morgen anspräche, würde ich ihm genau das sagen. Und dann?
wow, das hat mich wirklich über knapp sieben Seiten lang gefesselt und nicht mehr losgelassen.
Schön dich unterhalten zu haben. Und was das Passwort angeht. Mirko hat es bestimmt schon notiert :baddevil:

Liebe Grüße,

Mihai

P.S. Irgendwie ist das komisch, Dir zu antworten, während ich vermute, dass Du schon in Heidelberg auf dem Gath bist und ich Dich eh in ein paar Stunden sehe. Egal, es wäre unhöflich, einen Komentar unbeantwortet zu lassen!

 

Hallo Mihai,

ich denke, ich habe schon früher etwas von dir gelesen, aber eher nicht in der Spannungsrubrik, da bin ich selten. Wenn dann aber ein Titel mit `Philosophischem Forum´ auftaucht, da muss ich doch mal schauen.
Ich bin nicht enttäuscht worden, Abschnitte wie dieser sind treffend und prägnant geschrieben:

„Inmitten dieser balzenden Horde warst du für uns alle mit deinen treffsicheren und reifen Bemerkungen, deinen pointierten Repliken und selbstsicheren Erklärungen ein Granitfelsen der Orientierung. Als du anfingst, meinen Texten deine Aufmerksamkeit zu widmen, errötete ich vor Ehrfurcht. Bei jedem Zuspruch, jedem lobenden Zitat jauchzte ich vor Freude und war bei jeder kritischen Bemerkung niedergeschlagen, als hätte ich ein Ablehnungsschreiben von einem mächtigen Weltverlag erhalten.“


Das kommt in den Metaphernthread:

„Etwas stimmte da nicht. Ich schrieb dir eine zweite Mail und dann eine dritte und dann eine vierte. Irgendwann erhielt ich die Antwort. Als ich sie las, war mir, als hätte mir der Leviathan von Thomas Hobbes persönlich in die Magengrube geschlagen. Deine Botschaft war kurz und sachlich. Ich werde sie nie vergessen. Einhundertzweiundsechzig Wörter, sechs Kommata und zwölf Punkte, ohne einen einzigen orthographischen oder grammatikalischen Fehler. Jedes einzelne Wort war in einer rhetorischen und stilistischen Perfektion ein Pflasterstein auf dem Pfad zum letzten Satz: „Nun, da auch du dazu gehörst, kannst du die wahre Bedeutung von Carpe Diem verstehen.“
Ja, ich verstand. Von Anfang an hattest du von deiner Krankheit gewusst.“

Sehr gut, wie du „nie vergessen“ plastisch darstellst, die Intensität des desillusionierenden Augenblicks beschreibst: Jedes Wort wurde gezählt, jeder Punkt interpretiert – und dann dieses gemeine Carpe Diem!

Auch die kleinen Einflechtungen, kleine Türen durch die die Assoziationen des Lesers schlüpfen können, zeigen, dass du an deiner Geschichte gut gearbeitet hast. Ich meine:

„Griechen

Sheherazade

Leviathan“

usw

„auch wenn du andere Worte dafür gebrauchen würdest. Weißt du nun, wer ich bin? Nein? Waren es zu viele?“

- Auf was bezieht sich „Waren es zu viele?“ auf die Worte? Eher nicht.

„Nicknamen“

- Die englisch-deutsche Kombination kommt mir seltsam vor, vielleicht Pseudonym, Deckname?


Noch eine Kleinigkeit: Vielleicht könnte man durch einen (kurzen) Dialog etwas mehr stilistische Abwechslung schaffen.

Habe es gern gelesen.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Mihai,

von mir nur eine kurze Rückmeldung, dass es mir sehr gefallen hat. Rachestories, insbesondere mittels Internet, kenne ich eine Menge, aber Deine ist wohlbalanciert: Gut recherchiert, in sorgfältige Worte & Bilder gefasst und schließlich sogar - trotz aller distanzierten Beschreibung - spannend.

Gut!

:) Naut

 

Hallo Woltochinon und Naut,

schön, dass ihr die Story ausgekramt habt und dass ihr unterhalten wurdet. Vielen Dank fürs Feedback! Ich habe mich riesig gefreut. :schiel:

Noch eine Kleinigkeit: Vielleicht könnte man durch einen (kurzen) Dialog etwas mehr stilistische Abwechslung schaffen.
Was den Sprachstil der Story angeht bin ich mittlerweile generell etwas zufriden. Insbesondere empfinde ich die permanente Verwendung der zweiten Person als ziemlich sperrig (hattest gingest sagtest, schriebst :( ). Ich glaube, dass ich das heute anders machen würde, auch wenn ein Teil der Pointe dabei verloren ginge.

Ahja: Und natürlich wäre "Pseudonym" wesentlich besser gewesen als "Nickname". Ich werd's notieren.

Liebe Grüße,

Mihai

 

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