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Schriftstellerische Moral versus menschliche Moral

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01.07.2006
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Schriftstellerische Moral versus menschliche Moral

Ich habe im Urlaub "Schönheit und Trauer" von Yasunari Kawabata gelesen (sehr zu empfehlen!). Darin geht es unter anderem auch um einen Schriftsteller, der seine Affäre mit einer 16jährigen in einem Roman verarbeitet und diesen dann auch noch von seiner Ehefrau ins Reine tippen lässt. Für mich haben sich da wieder einige Fragen aufgedrängt, die mich eh schon länger beschäftigen und die ich hier zur Diskussion stellen will:

Wie weit darf man sein Privatleben in einen literarischen Text einbringen? Es muss für die Angehörigen von Autoren und Autorinnen ja oft schwierig sein, wenn da sehr persönliche Dinge öffentlich gemacht werden.

Darf man Intimes, das noch lebende Personen vielleicht bloßstellt, öffentlich machen? Viele Leute haben mir schon sehr private Dinge erzählt bzw. habe ich schon viele arge Geschichten über andere Leute gehört. Selbst wenn ich die Identität derjenigen Personen in einer Geschichte unkenntlich mache, hab ich trotzdem moralisch das Recht sie literarisch zu verarbeiten und damit öffentlich zu machen?

Auf der anderen Seite, wenn ein Autor das Schreiben ernst nimmt, muss er ALLES verwenden dürfen! Geht es ihm nicht um eine höhere Wahrheit, die sich um persönliche Gefühle oder Verletzlichkeiten von anderen Personen nicht scheren darf?

Muss sich ein Autor nicht AUSSERHALB des Lebens stellen, gleichsam einen gottgleichen Beobachtungsposten einnehmen, damit er überhaupt schreiben kann? Auch das würde heißen, dass er persönliche Gefühle oder die von anderen nur als STOFF sieht und nichts anderes.

 

Hm, interessante Fragestellung ... also, es gibt so nen Woody Allen Film, dessen Name mir gerade nicht einfällt, ich glaub "Harry außer sich" oder so; da ist er ein Autor, der einfach die ganzen Probleme seiner Familie zu einem Buch verarbeitet hat, und das rächt sich dann ...

Na ja, meine persönliche Meinung ist: Solange niemand außer den Beteiligten es checkt, und vor allem sollten die das auch wissen, sonst geht gar nichts, ist es in Ordnung.

Das soweit von mir.

Yeahboyyy!

 

Ja, mit autobiografischen Details ist es so eine Sache: Vor kurzem wurde ich von jemandem, der "Fort" gelesen hat, in einer PM gefragt, ob mit meinem Freund und mir noch alles in Ordnung sei. Dabei gibt es in meiner Wohnung keine Sessel, Teewagen oder Geier; nur ein Orangen-Öl benutze ich regelmäßig. ;)
Und über die Lieblingsgeschichte meines Partners, der sich einschließlich Eifersucht auf ein Kissen so stimmig dargestellt und endlich verstanden fühlte, wurde mir rückgemeldet, dass Männer so nicht denken. *g*

Ich verwende viel Stoff aus meinem Umfeld, aber nie als Übersetzung eins zu eins; da kann aus der Rivalin "Elke" schon mal das Brüderchen "Eike" werden, mein früheres mit Wolken bemaltes Fahrrad wird in der einen Geschichte zur Wölkchen-Bettwäsche, in der anderen zum rosa Rad mit Muschelstickern beklebt.

In meinen alten Geschichten weiß ich auch nur noch diffus, wer und was dahintersteckt, und die Figuren stelle ich mir so intensiv vor, dass sie in meinem Gedächtnis so real sind wie andere Menschen aus meiner Erinnerung.

Ich verwende gern Namen (auch Paarungen) aus meinem Umfeld, die aber dann nicht die Vorlage für einen ähnlichen Charakter sind (aus einer Kollegin und ihrem Mann wurden Kinder der Prot) oder Charaktere von Familie und Bekannten, die sich dann aber in neuen Situationen wiederfinden.

Wer mich allerdings gut kennt, könnte einiges entschlüsseln. Ich glaube aber nicht, dass meine Freunde das wissen oder sich die Mühe machen.

 

Wir Schreibenden legen mit jeder Geschichte ein Stückchen von uns bloß, selbst wenn wir das nicht wollen - nur wenn man Sachbücher* schreibt, dürfte das anders sein. Das gleiche gilt auch für die Familie, Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen, d.h. für die ganze Umgebung, in der wir leben oder einmal gelebt haben, denn das alles ist Teil von uns und nicht von uns zu trennen. Unser Leben ist die Quelle unseres Schaffens, wer nichts oder wenig erlebt hat, hat kaum etwas zu erzählen, selbst wenn er sich Geschichten ganz aus den Fingern saugt, sein Personal muß glaubwürdig sein, d.h. so handeln wie wir es gewohnt sind, sonst erzeugt man keine Identifikation – nur Menschliches berührt uns.

Dion

* ich kenne einen Autor, der esoterischen Bücher am laufenden Band schreibt, obwohl er selbst kein Esoteriker ist und sein „Wissen“ aus anderen Büchern abkupfert. Meistens pickt er sich aus fremden oder seinen bisherigen Büchern ein Detail heraus und bauscht es zu einem eigenen Thema auf. Er googelt dann tagelang – er ist 2 Fremdsprachen mächtig - und komponiert das Gesammelte zu einem Buch, meistens ohne die Quellen zu nennen. Das macht er jetzt schon mindestens 10 Jahre und gilt auf dem Gebiet mittlerweile als Guru.

 

@Dion: Das sehe ich auch so. Schließlich wird ein Autor ja nicht eins mit einem allgemeinen Weltgeist, sobald er den Stift in die Hand nimmt. Ein Text ist immer externalisiertes und codiertes Inneres. Das Subjekt hat keine andere Wahl - es bringt sich (und somit natürlich die durch das Subjekt gespiegelte Umwelt) in eine Geschichte mit ein. Niemand kann über seine eigene Perspektive hinasuwachsen, auch wenn er es möchte. Somit ist jeder literarische Text bis zu einem gewissen Grad immer "autobiografisch".

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi miteinander!

@ Tserk:

Na ja, meine persönliche Meinung ist: Solange niemand außer den Beteiligten es checkt, und vor allem sollten die das auch wissen, sonst geht gar nichts, ist es in Ordnung.

Einige große Werke der Literatur wären wohl nicht entstanden, wenn sich ihre Schreiber immer an diese Prämisse gehalten hätten! Und einige Biographen würden sich einen anderen Job suchen! ;)

@Elisha:

Ja, mit autobiografischen Details ist es so eine Sache: Vor kurzem wurde ich von jemandem, der "Fort" gelesen hat, in einer PM gefragt, ob mit meinem Freund und mir noch alles in Ordnung sei. Dabei gibt es in meiner Wohnung keine Sessel, Teewagen oder Geier; nur ein Orangen-Öl benutze ich regelmäßig.
Und über die Lieblingsgeschichte meines Partners, der sich einschließlich Eifersucht auf ein Kissen so stimmig dargestellt und endlich verstanden fühlte, wurde mir rückgemeldet, dass Männer so nicht denken.

Jaja, NIEMALS darf man vom Erzähler einer Geschichte auf den Autor selbst rückschliessen, oder doch? Immerhin gibst du ja hier selbst zu, dass du erst eine Geschichte schreiben musstest, damit sich dein Partner "endlich" verstanden fühlte! :D

@ Dion:

Wir Schreibenden legen mit jeder Geschichte ein Stückchen von uns bloß, selbst wenn wir das nicht wollen - nur wenn man Sachbücher* schreibt, dürfte das anders sein. Das gleiche gilt auch für die Familie, Bekannten, Nachbarn und Arbeitskollegen, d.h. für die ganze Umgebung, in der wir leben oder einmal gelebt haben, denn das alles ist Teil von uns und nicht von uns zu trennen. Unser Leben ist die Quelle unseres Schaffens...

Das ist ganz sicher so, aber was ich eigentlich meinte, ist, dass wir erst dann über etwas schreiben können, wenn wir einen gewissen Abstand dazu gewonnen haben. Und meiner Meinung nach geht das nur, wenn ich meine Gefühle und das, was ich erlebt habe mit einer gewissen "Kälte" betrachten kann. Was auch mit einschließt, dass mir dann persönliche Verletzlichkeiten anderer egal sein müssen.

@ MrPotato

Niemand kann über seine eigene Perspektive hinasuwachsen, auch wenn er es möchte

Ich bin eher der Meinung, dass ich das Schreiben aufgeben sollte, wenn ich nicht über meine Perspektive hinauswachse. Ich muss vom Subjektiven, das sicher eine der wesentlichen Voraussetzungen fürs Schreiben ist, nämlich ganz bei sich zu sein, zu einem Allgemeinen kommen, sonst kann ich mich gar nicht mitteilen. Ich muss meine persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, zu einer neuen Welt, zu einem neuen Ganzen machen. Und da wird mir meine persönliche Erfahrung allein nicht genügen. Ich muss es in eine FORM bringen, ich muss einen "Kunstwillen" zeigen. Und ich muss Phantasie haben. Wozu würde ich die brauchen, wenn ich NUR über Persönliches schreiben würde?

Heimito von Doderer bringt das mit dem Zeitbegriff in Verbindung.

Denn was dem erzählerischen Zustand zugrunde liegt, ist nichts geringeres als der Tod einer Sache, nämlich der jeweils in Rede stehenden, die ganz gestorben, voll vergessen und vergangen sein muß, um wiederauferstehen zu können. [...] Die Gegenwart des Schriftstellers ist seine wiedergekehrte Vergangenheit; er ist ein Aug´, dem erst sehenswert erscheint, was spontan in die historische Distanz rückt. [...] Das durch sein Sterben aus der Zeit und ihrem ständig sich verändernden Wandelteppich hinausgeratene Objekt ist immobil und überschaubar geworden. Erst das Überschaubare kann erzählt werden, auch in der ganzen Zahl seiner Einzelheiten, mit aller Ausführlichkeit [...].

Mit einem Wort: Ich muss eine zu erzählende Sache in seiner Ganzheit sehen, aus einem zeitlichen Abstand heraus, sonst kann ich nicht darüber schreiben. In ähnlicher Weise ist wohl auch Schiller zu verstehen, der meint, dass man nicht aus dem Affekt heraus über eben diesen Affekt schreiben kann oder soll.

Vielleicht bin ich jetzt damit ja ein bisserl vom Ausgangspunkt abgewichen...

Danke fürs Antworten und Grüße von
Andrea

 

Andrea H. schrieb:
Ich muss vom Subjektiven, das sicher eine der wesentlichen Voraussetzungen fürs Schreiben ist, nämlich ganz bei sich zu sein, zu einem Allgemeinen kommen, sonst kann ich mich gar nicht mitteilen. Ich muss meine persönlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, zu einer neuen Welt, zu einem neuen Ganzen machen. Und da wird mir meine persönliche Erfahrung allein nicht genügen. Ich muss es in eine FORM bringen, ich muss einen "Kunstwillen" zeigen. Und ich muss Phantasie haben. Wozu würde ich die brauchen, wenn ich NUR über Persönliches schreiben würde?

Das meinte ich damit ja auch gar nicht. Ich wollte nur sagen, dass man als Autor (oder Mensch allgemein) in seiner eigenen Perspektive gefangen ist. Man hat keinen Zugriff auf eine subjektunabhängige Wahrheit, Ralität, Objektivität, keinen Zugriff auf die Perspektiven anderer Individuen. Alles, was man erschafft, kommt aus dem eigenen Geist und der lässt sich nun mal nicht überwinden.

 

Zu diesem Thema habe ich diesen Artikel von Anja Ohmer gefunden.

Dazu ist nachzutragen: Das Bundesverfassungsgericht wird in der ersten Hälfte dieses Jahres entscheiden, ob es den Fall „Esra“ zur Verhandlung annehmen wird. Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof entschieden, daß der Roman Esra von Maxim Biller nicht mehr vertrieben werden darf, da er, obgleich Kunst, nicht hinzunehmende Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen (Ex-Geliebte von Biller und ihre Mutter) enthalte.

 

Kurzgeschichten schildern fiktive Realität. Der Leser weiß also, im Gegensatz zu einer Reportage nie, wie der Autor zu seinen Inhalten kommt. Aber - wie schon gesagt – allein die Auswahl der Themen eines Autors sagt schon etwas über ihn aus, wobei man nicht weiß, ob der direkte Eindruck oder das Gegenteil davon der Person des Schreibers näher kommt.
Was den moralischen Aspekt betrifft: Ich würde nie aktiv versuchen einen Autoren über seine Geschichten zu charakterisieren und

ich würde nie Schicksalsschläge aus meinem Bekanntenkreis zu einer Geschichte verarbeiten, wenn die Möglichkeit besteht, dass jemand einen Bezug zum realen Geschehen herstellen kann.

Hier mehr zum Thema:

http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=179

 

Ich möchte die Fragestellung um eine Schattierung erweitern:
Gerade folgte ich einem Link und stieß auf das Stern-Titelbild "Die Geschichte der RAF", die u.a. die Schleyer- und Landshutentführungen und ein riesiges RAF-Logo zeigt. Da kam mir die - naheliegende, und mäßig kreative - Idee, eine Geschichte über die RAF zu schreiben. Ebenfalls naheliegend wäre es hier, eine neue Generation zu schaffen, die sich um die Gegenwart "kümmert". Der Herr Klar liefert ja schon die passende Rethorik, man müßte das nur noch literarisch umsetzen. Was würden diese neuen Klars also machen? Klare Sache: Ackermann erschießen. Oder gleich Frau Merkel. Oder die Globalisierer aus EU und USA.

Auf jeden Fall drängt sich die Frage auf: Was darf die Literatur mit Personen der Gegenwart machen? Darf ich Josef Ackermann literarisch umbringen? Nicht satirisch, humoristisch, anti-globalisierungs-polemisch, sondern ernsthaft, brutal, mit allen Details.

Ich meine, man darf das - trotzdem würde ich es nicht machen. Mir würde sehr unwohl sein, wenn ich läse, daß ich in einer Geschichte ermordert werde.

Wie würdet ihr euch fühlen? Würdet ihr sowas schreiben (oder habt ihr schon?) Ist es moralisch fraglich?

 

Jenseits meiner eigenen Schamgrenze dabei, Tötungsfantasien hat schließlich jeder mal und wo kann man sie ungefährlicher ausleben, als in der Kunst, würde ich bei solch einer Geschichte befürchten, Ärger zu bekommen, wenn jemand meinen fantasierten Plot doch in die Tat umsetzen sollte.
Vielleicht steckt dahinter auch die Diskussion, die ebenfalls zur Zeit der RAF stattfand und die kritische Literaten als geistige Brandstifter verunglimpfte.

 

Ärger zu bekommen, wenn jemand meinen fantasierten Plot doch in die Tat umsetzen sollte.
Vielleicht steckt dahinter auch die Diskussion, die ebenfalls zur Zeit der RAF stattfand und die kritische Literaten als geistige Brandstifter verunglimpfte
Es gab doch in den Siebzigern sogar so einen Fall, wo ein Autor den Mord an einem Industriellen (oder wars doch ein Politiker, keine Ahnung) beschrieb, der dann zwei Jahre später oder so tatsächlich ausgeführt wurde.
Namen hab ich leider keine und ob es für den Autor ein Nachspiel hatte, weiß ich auch nicht, ich war noch recht jung. ;) Wo ich mir ziemlich sicher bin, ist, daß es in Italien war. Und ungefähr zur selben Zeit wie die damaligen Aktivitäten der RAF.

 

Es gab mal einen Fall vor drei Jahren, als ein Buch "Das Ende des Kanzlers - Der Finale Rettungsschuss" hieß. Gerhard Schröder hat dagegen geklagt, weil ihm wohl das Cover missfiel, am Inhalt wurde aber nichts beanstandet.
Wobei die Figur im Buch wohl auch nur Ähnlichkeiten mit Schröder hatte.
Hier ist der Link dazu:
http://www.netzeitung.de/entertainment/people/281877.html
Und hier ein Link zu anderen Romanen oder Büchern, die juristische "Probleme" haben/hatten:
http://www.cras-legam.de/HHZ05AB.htm

Andreas Eingangsfrage behandelt ein sehr komplexes Phänomen meiner Ansicht nach. Den Vampirismus des Künstlers, über den eigentlich fast immer geschwiegen wird bzw. der verleugnet wird. Extrembeispiel war Maxim Billers "Esra", ein Roman in dem sich eine Ex-Freundin des Autors und dessen Mutter wiedererkannten.
Ich glaube schlußendlich hat der Autor kaum eine andere Wahl als diesem Vampirismus ein Stück weit zu frönen. Er wird ja oft genug aus seinem Erfahrungsschatz schreiben, aus seinem Leben, und dazu gehören natürlich auch Personen, die ihm einmal nahegestanden haben/noch stehen. In wie weit das zu vermeiden ist, ist ein Stück weit auch eine Frage des Genres und des Stils. Aber irgendwas wird immer durchschimmern.

Gruß
Quinn

 

Das wäre nicht nur Zensur sondern ein Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit - und die ist eben nicht immer nett, sondern oft einfach nur hässlich.
Dem würde ich zustimmen, wenn es hier um eine allgemeine Diskussion ginge, aber Du kannst nicht von Wirklichkeit sprechen, wenn Du einem lebenden Menschen etwas zuschreibst, was er tun wird oder was mit ihm passieren wird. Da wäre es meiner Meinung nach schon besser, eine fiktive Person zu erfinden, mithilfe der man die Kritik (warum sonst sollte man sich einem ganz bestimmten Menschen annehmen wollen) ebenso rüberbringen kann. Wenn man es gut macht, kennt sich der Leser dann schon aus.

 

Zerbrösel-Pistole schrieb:
Ich bin immer noch der Meinung, man solle über alles schreiben können, was es faktisch oder latent gibt. Ich fände es entsetzlich, wenn ein Phänomen oder auch eine Möglichkeit, die die Welt uns bietet, nicht in Worten beschrieben werden dürfte. Das wäre nicht nur Zensur sondern ein Verschließen der Augen vor der Wirklichkeit - und die ist eben nicht immer nett, sondern oft einfach nur hässlich.

Z-P

Es ist diffizil, dein Bild geht natürlich von hohem moralischen Standpunkt des Künstlers aus. Aber eine "literarische" Abrechnung mit einer Ex-Freundin und deren Familie unterscheidet sich nicht sonderlich vom Einstellen von Nacktfotos der Freundin ins Netz.
Mit der Begründung, die du anführst, ließe sich natürlich alles erklären und letztlich müsste die Freiheit des Künstlers dann auch über die Verfassung gestellt werden, die bestimmte, vor allem sehr "braune" Formen der Meinungsäußerung ja bewusst verfolgt und beschneidet.
Wobei es ja eigentlich darum in diesem Thread nicht gehen sollte, so wie ich das verstanden habe, sondern um das Einfließen von persönlichen Erlebnisse ins Schreiben und in wie weit das für den "Dargestellten" auch unangenehm werden kann. Es gibt eine Kurzgeschichte bzw. ein Prosa-Stück von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt "Thomas Wolfe in Berlin", dort beschreibt der Autor den Besuch Thomas Wolfes im Nazi-Deutschland. Wolfe ließ seine Eindrücke später in einen literarischen Text einfließen, in dem sich Ledig-Rowohlt wiedererkannte und der Effekt von einem begnadeten Autor literarisch bis auf die Socken ausgezogen zu werden, ist - wie sich wahrscheinlich jeder vorstellen kann - sehr ... einmalig.

 

Kann man überhaupt etwas schreiben, das frei von gemachten Bekanntschaften oder Erfahrungen ist? Ich selbst sehe mich als das Resultat vieler Wahrnehmungen und Erfahrungen und wenn ich irgendetwas schreibe, so ist es vielleicht nicht eine direkte Wiedergabe des „Erlebten“, allemal jedoch davon beeinflusst. So gesehen ist jedes Schreiben ein „Verrat“ am persönlichen Umfeld.
Entscheidend ist mE lediglich der Unkenntlichkeits-Faktor. Wenn ich aus dem Nachbar Josef Müller aus Frankfurt in meiner Geschichte einen Hr. M. aus F. mache und er sich darin wiedererkennt (egal, ob positiv oder negativ), habe ich etwas falsch gemacht. Denn meiner Meinung nach sollte die Privatsphäre des „Opfers“ höchste Priorität besitzen. Man kann die „höhere Wahrheit“ schreiben, ALLES verwenden, ohne die betreffende Person bloßzustellen - wenn man will.

Das moralische Recht etwas zu schreiben, was man denkt, hat man, solange es nicht personalisiert wird.

Eher stirnrunzelnd sehe ich die Frage: „Darf man Intimes, das noch lebende Personen vielleicht bloßstellt, öffentlich machen?“ Das impliziert mE., dass das bei toten Personen okay ist – aus deiner Sicht. Dem kann ich gar nicht zustimmen. Da bin der Meinung dass ich den Toten mindestens den gleichen Respekt entgegenbringen sollte, wie den Lebenden. Das „mindestens den gleichen“ deshalb, weil die Toten sich nicht mehr rechtfertigen, wehren können.

 

Vor gar nicht langer Zeit habe ich gehört, dass irgendein Gericht irgendeiner Klage einer Frau stattgegeben hat, die ihren Ex-Freund oder so verklagt hat, weil sie sich in seinem Buch und in intimen Beschreibungen darin wiedererkannt und ihre menschliche Würde verletzt gesehen hat. Ich weiß leider nicht mehr wie Autor und Titel des Buches waren.

Ich denke es ist eine absolute Streitfrage, wie weit man dabei gehen kann, sein Privatleben und vor allem anderer Leute Privatleben in eine Geschichte einzubauen. Ich glaube das ist okay, solange man die Personen die beschrieben werden irgendwie verfremdet und vlt. nur bestimmte Macken/Eigenschaften/Angewohnheiten oder was auch immer einbezieht. Vielleicht sollte man denjenigen aber auch vorher um Erlaubnis bitten, bevor man ihn als Inspirationsquelle nutzt. In der Hinsicht kann ich die Klage der Frau verstehen, auch wenn ich das Buch nicht gelesen habe. ;)

 

Hallo Apfelstrudel, ich glaube du meinst den Fall Maxim Biller und sein Roman "Esra". Wiess aber auch nicht mehr darueber, da ich den Roman natuerlich nicht gelesen habe :)
Ich kann die Frau aber verstehen, wer weiss, was da Unschmeichelhaftes drinsteht.... Kunst hin oder her...

gruss, sammamish

 
Zuletzt bearbeitet:

Na ja, die Frau outet sich ja, wenn sie ihren Ex-Freund (oder wie auch immer er zu ihr steht) öffentlich anklagt bzw. die ganze Sache vor Gericht bringt. So weiß jeder, daß sie in dem Roman vorkommt (wohl negativ, sonst hätte sie sich wohl eher geschmeichelt gefühlt). Hätte sie die Klappe gehalten, wärs wohl nie bekannt geworden. :D

In dieser Beziehung bin ich für künstlerische Freiheit: Wozu nicht Bekanntes in Geschichten einbauen? Was spricht dagegen? Sonst dürfte ja niemand mehr seine Autobiographie herausbringen.

 

@sammamish: Ja genau das wars ;)

@stephy:

So weiß jeder, daß sie in dem Roman vorkommt (wohl negativ, sonst hätte sie sich wohl eher geschmeichelt gefühlt). Hätte sie die Klappe gehalten, wärs wohl nie bekannt geworden.
Deswegen ist das Buch ja verboten worden. Was aber die Leute schlussendlich nicht am Lesen hindern wird, deswegen hast du wohl Recht.

 

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