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Ich will doch gar nicht in den Himmel
„Name?“
„Heinz.“
„Heinz?“
„Ja.“
„Ja, und weiter?“
„Bülow.“
„Büüüloff. Ah, hier habe ich Sie.“
„Sagen Sie mal, wo bin ich hier eigentlich?“
„Das machen wir gleich. Woher kommen Sie?“
„Das frage ich mich auch gerade. Ich war doch eben noch bei mir zuhause im Sessel. Da lief diese Sendung mit der Sonja Krauss auf …“
„Sehr interessant, sehr interessant. Würden Sie sich dies hier bitte einmal anschauen? Sind die Angaben soweit korrekt?“
„Warum ist das hier alles so weiß? Bin ich in einem Krankenhaus?“
„Sie geben wirklich keine Ruhe, wie? Na schön. Also … Sie sind im Vorzimmer zum Himmel. Ich erledige hier den Papierkram und dann können Sie gleich da hinten durch die Tür gehen. Dort wird mit Ihnen ein kurzer Test gemacht, um Ihr Wolkenlevel zu bestimmen. Heiligenscheine gibt es dann auf der linken Seite, Harfenunterricht immer dienstags. Wenn Sie …“
„Himmel?“
„Ja. Schon einmal 'von gehört?“
„Ja, das schon, aber was mache ich hier? Heißt das, ich war ein guter Mensch?“
„Keine Ahnung. Wer weiß das schon? Wir haben hier so viel internes Hin und Her, Wetten zwischen Gott und dem Teufel und dann erst die Quotenregelung bei Politikern. Durchsteigen tut hier keiner mehr. Was meinen Sie denn, warum Gott für uns die Ewigkeit vorgesehen hat? Er hat einfach kein Vertrauen in die Bürokratie.“
„Sind das da auf meinem Rücken Flügel?“
„Sie haben sich noch nicht viele Gedanken um ein Leben nach dem Tod gemacht, oder? Mit Ihnen müssen wir ja ganz von vorne anfangen.
Kommen Sie einfach mit, ich habe eh gerade Mittagspause. Komme gerne mal von meinem Platz weg. Hier direkt am Eingangstor ist immer so ein Verkehr.“
„Ich bin mir immer noch nicht so ganz sicher, was das Ganze hier soll!?“
„Dazu kommen wir ja jetzt. Was wissen Sie denn hier über unseren himmlischen Hafen?“
„Also … na ja … eigentlich … wirklich wissen tue ich ja nicht viel. Bislang dachte ich immer, dass nach dem Tod Dunkelheit kommt. Nada. Finito. Würmerfraß.“
„Hmhm, mhm. Ja, also das haben wir wohl bereits hinter uns. Nicht wahr?“
„Ich weiß nicht. Bin ich denn schon tot?“
„Das steht jedenfalls auf Ihren Papieren.“
„Ich …“
„Sehen Sie?! Sie müssen nicht mehr atmen, nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, nicht mehr auf Toilette, nicht mehr mit Frauen …“
„Ich kann nicht mehr auf Toilette?“
„Das ist jawohl auch ganz vernünftig. Wie sähe das denn aus, wenn wir hier oben … Und wenn das dann unten auf die Erde … Also nein, wirklich nicht!
Manchmal haben wir ein paar ganz unbelehrbare Neuankömmlinge, die sich einfach nicht umgewöhnen können. Das vertuschen wir dann meistens mit Flugzeugtoiletten. Manchmal auch mit Kometeneinschlägen. Aber hier oben nennen wir das dann Fäkalbomben.“
„Ich kann also nicht mehr …“
„Genau, ist das nicht prima?“
„Aber ich mag das Gefühl. Nicht dieses Drücken, sondern den Akt der Befreiung.“
„Na danke. Haben Sie sich dabei schon einmal beobachtet? Scheinbar müssen Menschen ja bei allem was ihnen Spaß macht das Gesicht verziehen. Sex, Stuhlgang, Rülpsen … Finden Sie sich nicht selbst ein bisschen widerlich?“
„Hey, ihr habt mich hierher geholt.“
„Ja, ja, Schwamm drüber.“
„Sex ist also auch nicht mehr?“
„Nö.“
„Alkohol?“
„Nein.“
„Was gibt es denn hier?“
„Nun. Wie ich schon sagte. Wir haben eine Harfenabteilung …“
„Scheiß auf die Harfen. Ohne meinen morgendlichen Abgang fühle ich mich einfach nicht gut.“
„Jetzt werden Sie, glaube ich, anfangen mich nicht mehr zu mögen. Wie schon gesagt, Engel schlafen nicht.“
„Und?“
„Kein Schlaf. Kein Aufstehen. Kein zu Bett gehen.“
„Und?“
„Sie sind ab jetzt einfach durchgehend wach.“
„Bis zum jüngsten Gericht?“
„Jetzt haben Sie es!“
„Wann ist denn das?“
„Das ist der Punkt, an dem Sie mich vermutlich anfangen zu hassen.“
„Versuchen wir es. Schlimmer kann es doch nicht mehr kommen, oder?“
„Nun … was sagt ‚Ewigkeit’ wohl aus? Wäre es nicht paradox ein Datum für einen unendlich fernen Zeitpunkt zu setzen?“
„Das ist jetzt nicht wahr, oder?“
„Schauen Sie mich an. Ich bin ein Engel. Ich kann nicht lügen.“
„Also, ich habe das richtig verstanden, ja? Das so genannte Paradies, wo ich jetzt ungefragt herbestellt wurde, ist eigentlich ein Ort, an dem es keinen Spaß gibt? Kann ich in die Hölle wechseln?“
„Klar können Sie nach unten. Und dann?“
„Ich will lieber Schmerzen leiden, als gar nix zu tun.“
„Haben Sie mal Wasser gekocht?“
„Ja.“
„Schon einmal versucht den Wasserdampf zu verprügeln oder zu quälen?“
„Was ist das denn für eine blödsinnige Frage? Natürlich nicht. Warum auch?“
„Sehen Sie? Deshalb macht es keinen Sinn in die Hölle zu gehen. Die warten da unten auch bloß und haben nichts zu tun. Wir hier oben haben aber immer noch die …“
„Wenn Sie jetzt von den Harfen anfangen, dann …“
„Eigentlich meinte ich die Aussicht. Aber was wollen Sie denn machen?“
„Hmm, wie steht es denn mit den großen Köpfen der Weltgeschichte? Kann man sich nicht mit denen die Zeit vertreiben? Mit Plato philosophieren, mit Goethe dichten, mit Beethoven über die wundervollen Klänge seiner …“
„Können Sie griechisch?“
„Nicht so direkt. Sind hier im Himmel denn nicht alle gleich?“
„Gleich durchsichtig. Kam es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass über meinem Schalter ein Schild mit der Aufschrift ‚Deutsch’ hängt?“
„Also eigentlich …“
„Beethoven ist taub.“
„Immer noch?“
„Wie schon gesagt. Richtig los geht’s erst ab dem jüngsten Gericht.“
„Gibt es hier denn wenigstens Sport?“
„Wir schätzen Regentropfen.“
„Ich will weinen!“
„Das wird schon wieder. Jetzt gehen Sie erstmal zu dem Test. Ich muss weiter machen.“
„Schön, dass Sie hier sind, Herr Bülow. Ein bisschen spät, aber wir haben ja noch eine ganze Ewigkeit Zeit.“
„Witzig. Wirklich.“
„Halten wir fest ‚Völlig humorlos’!“
„Das war der erste Test?“
„Stört Sie das?“
„Natürlich. Sie haben mir keine Chance gelassen, verdammt. Ich habe einen sehr guten Humor!“
„Zudem aggressiv.“
„Ich? Nein!“
„Selbstverdrängung!“
„Also .. das … ich … das …“
„Beschränktes Sprachvermögen. Was ist ‚malve’?“
„Äh …“
„Nun gut. Gehen Sie bitte links durch die Tür …“
„Ja, ich weiß. Da sind die Heiligenscheine.“
„Genau. An denen gehen Sie bitte direkt vorbei!“
„Was soll das denn heißen?“
„Das heißt, dass Sie den schlechtesten Wolkenlevel haben, den ich je sah. Und ich bin schon wirklich lange dabei.“
„Und was mache ich jetzt hier?“
„Also, weshalb man Sie nach hier oben geholt hat, weiß ich auch nicht. Vielleicht aus Mitleid? Jedenfalls würde ich Ihnen weder Harfe noch Heiligenschein geben. Keine Chance.“
„Ja, aber …“
„Psssst.“
„Wie?“
„Hilfe!“
„Ach, Herr Bülow. Sie? Wieder hier? Was ist denn passiert?“
„Ich muss hier weg!“
„Man hat Sie weggeschickt?“
„Nein, ich will hier weg. Man ist gemein zu mir.“
„Aber, aber. Sind Sie da jetzt nicht ein bisschen kindisch?“
„Der wollte mir keinen Heiligenschein geben. Und 'ne Harfe krieg’ ich auch nicht. Und was anderes kann man in diesem Scheißhimmel ja nicht machen!“
„Jetzt beruhigen Sie sich erstmal. Ich sehe schon, das ist 'was für die Beschwerdeabteilung. Ich bringe Sie zu Petrus.“
„Petrus, dem Torwächter?“
„War er mal. Jetzt hat er sich darauf spezialisiert die Leute hier oben zu behalten. Rein wollen die meisten eh.“
„Aber ich nicht.“
„Ja, ja, klar, klar.“
„Heinz Bülow?“
„Ja, das bin ich.“
„Wo liegt das Problem?“
„Nun, ich will mich ja nicht aufspielen, aber eigentlich reden wir hier von mehr als einem.“
„Und?“
„Also, da wäre zuerst einmal: Warum bin ich überhaupt hier?“
„Praktisch oder theoretisch?“
„Ist mir gleich!“
„Nicht aufregen. Kein Grund zu schreien. Du bist deshalb hier, weil du daheim ganz friedlich an einem Hühnerunterschenkel erstickt bist. Und exakt ‚hier’ bist du, weil du das Glück hatten zu den statistischen fünfzig Prozent zu gehören. Zufrieden?“
„Nein, natürlich nicht. Ich will zurück.“
„Gott hat ein einziges Mal nachgegeben und seinen eigenen Sohn noch einmal auf die Erde gelassen. Welche Beziehung hast du denn zum Herrn, dass du denkst, das ginge so einfach?“
„Warum behandeln mich hier alle so schlecht? Was ist mit Gottes Gnade? Liebe deinen nächsten?“
„Wir haben hier oben viel Zeit. Da kommt man auf blöde Ideen. Aber hey, du bist mir sympathisch. Sag mir einfach, wo dein Problem liegt und ich kümmere mich darum.“
„Ich will einen Heiligenschein.“
„Für wen willst du denn Schutzpatron sein?“
„Hä?“
„Na ja, einen Heiligenschein bekommen allgemein nur Heilige.“
„Ja, aber … der Engel am Empfang hat … und der beim Test …“
„Ich sagte doch: Wir haben hier zu viel Zeit.“
„Und die Harfe gibt’s auch nicht einfach so?“
„Doch, die kann ich dir geben! Aber keine Soli! Kein Angus Young. Kein Gehüpfe, kein Ploioioing, kein Geschrebbel!“
„Ja, schon gut.“
„Sonst noch etwas?“
„Eine Frage hätte ich noch. Warum habe ich hier oben noch keine einzige Frau gesehen?“
„War irgendwie klar, dass die Frage ausgerechnet von dir kommt. Schon einmal Gedanken darüber gemacht, warum die Frauen ihre Tage bekommen? Die Erbschuld! Warum sie Schmerzen bei der Geburt leiden? Die Erbschuld! Warum Sie sich schminken müssen, um den Männern zu gefallen? Das war eine Laune von ihm. Aber im Ernst, er mag Frauen nicht besonders. Gibt wenig Ausnahmen hier oben.“
„Ach. Und wen?“
„Zum Beispiel Maria Magdalena.“
„Ja, von der habe ich neulich noch gelesen. Sie war die Frau von Jesus und der dreizehnte Apostel, richtig?“
„Zweitausend Jahre lang habt ihr die Bibel. Und wenn jemand einen Roman auf den Markt wirft, schmeißt ihr alles über den Haufen. Nein, sie war nicht Jesus’ Frau. Sie war die größte Hure der Geschichte. Und ich meine nicht körperlich.“
„Und was macht sie dann im Himmel?“
„Gott war beeindruckt.“