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Es gibt keine experimentellen Geschichten …

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18.04.2002
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Es gibt keine experimentellen Geschichten …

… oder sind alle Geschichten experimentell?

Um diese Frage zu entscheiden, ist es angebracht festzulegen, was eine experimentelle Geschichte *) ist bzw. worin der experimentelle Aspekt einer Geschichte besteht.

Geht man von dem Begriff ‚Experiment’ (‚Versuch’; ‚In Erfahrung bringen’) aus, kann man zwei Arten von Experimenten **) unterscheiden:

1) Das Bestätigungsexperiment

Man arrangiert die Versuchsbedingungen so, dass eine Hypothese möglichst bestätigt wird (geschieht dies nicht, ist dies auch ein Erkenntnisgewinn, nach Popper sind nur Falzifizierungen aussagekräftig).

2) Das Offene Experiment

Man überprüft, was unter bestimmten Bedingungen passiert, leitet gegebenenfalls daraus Hypothesen ab. ***)

Diese Ansätze kann man auf das Schreiben von Geschichten anwenden. Die Versuchshypothese lautet dann z.B.

  • Ich kann einen Text schreiben, in dem alle Wörter mit ‚E’ beginnen (Fall 1. Die Literaturgruppe Oulipo bzw. Ou-X-Po nennt solch ein Vorgehen ‚contrainte’, eine kreative Beschränkung).
  • Oder: Ich probiere aus was passiert, wenn ich alle Satzaussagen in einem gegebenen Text wegstreiche (in diesem Fall - der Nr. 2 entspricht - ergibt sich ein starker Zufallseffekt).

Sind nicht alle Geschichten (nicht nur die, die ein Experiment sein sollen) ‚Versuche’? Ein Autor macht gewisse inhaltliche oder stilistische Annahmen, man versucht dann einen (mehr oder weniger) passablen Text zu schreiben. Wenn jegliches Schreiben einen ‚Versuch’ darstellt, was rechtfertigt dann die Klassifizierung ‚Experimentelle Geschichte’? Positiv ausgedrückt bedeutet dies: Wie vollzieht ein Autor den Sprung von der ‚normalen’ Geschichte zur experimentellen?

Außerdem: Leider beziehen sich die meisten Experimente hier in der Rubrik auf die Form, nur selten findet man inhaltliche Experimente. Wenn man eine Geschichte schreiben will, deren Wörter nur mit ‚E’ beginnen, hat dies sicherlich Einfluss auf den Inhalt des Textes (das ist ein Beispiel für eine Mischform eines Experiments). Doch es ist auch möglich inhaltliche Experimente durchzuführen, die von der Form unabhängig sind (z.B. wenn ein Text aus Bruchstücken verschiedener Werke besteht). Vielleicht können wir weitere Möglichkeiten inhaltlicher Experimente diskutieren?


*) Die Vorgabe ‚experimentelle Geschichte’ schränkt einerseits die schriftstellerischen Möglichkeiten ein, andererseits bewahrt sie vor einem zu schnellen Abdriften ins Unsinnige.

**) Natürlich ist dies nur eine grobe Einteilung. Induktion, Deduktion, logisches Schließen, spielen hier auch eine Rolle.

***)Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Experiment zieht man aus literarischen keine Schlussfolgerungen, allgemein gültige Aussagen werden nicht abgeleitet (obwohl dies im Einzelfall eines Experimenttyps denkbar ist).

 

Ich habe es bislang nicht gewagt, meine Experimente, als experimentelle Geschichte zu klassifizieren.
Ich weiß nur, dass ich meistens ein Bestätigungsexperiment starte. Also stilistische und auch inhaltliche Mittel anwende und dann die Wirkung (anhand des Feedback) überprüfe. Ich variere auch die Versuchsbedingungen. Den Sprung von "Normal" ins Experiment wage ich nicht, weil das was ich probiere meist ein rein persönlicher Erkenntnisgewinn ist.

 

Hallo Goldene Dame,

du schreibst:

"Ich habe es bislang nicht gewagt, meine Experimente, als experimentelle Geschichte zu klassifizieren"

Eigentlich ist es doch gut, wenn ein Text ein gewisses Wagnis darstellt. Darum geht es auch einer einer meiner Fragen: Wie gewagt (oder durch andere Kriterien bestimmt) muss ein Text sein, dass er ein Experiment ist, die Argumentation, dass alle Texte ein Experiment sind, wegfällt.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

gute Frage, welche du hier mit akademischer Durchschlagskraft angehst. Ich verstehe zwar nach mehrmaligem Durchlesen deiner erkenntnistheoretischen Abhandlung immer noch nicht so rechtvollständig, welche Fragestellung du hier eigentlich in die Allgemeinheit werfen willst, tue aber einfach mal so es wäre es die Frage, ob es experimentelle Geschichten an sich gibt oder nicht.

Mit dem Wiederholungsexperiment bin ich nicht einverstanden, weil keine wirkliche Wiederholung im wissenschaftlichen Sinne vorliegt, entweder die Geschichten sind nicht gleich oder die lesenden Versuchspersonen. Damit sind die Experimente von Goldene Dame keine echten "Wiederholungsexperperimente".

Offenes Experimentieren zum Erkenntnisgewinn? Schon eher, aber auch recht schwammige Versuchsbedingungen.

Insgesamt bin ich der Meinung, die angesprochenne Kategorien sind nicht so recht auf das Thema Schreiben von Geschichten anwendbar.

Wie wäre es also folglich mit folgender Alternativbetrachtung:

Das Problem jeder/jedes ernsthaft Schreibenden ist die Rezeption, oder anders formuliert: "Was passiert beim Leser, wenn er diese meine Zeilen liest/gelesen hat?" Das ist die experimentelle Rückseite des Themas.

Aber: Geschichten sind unterschiedlich, Testleser auch. Ein geschliffenes Meisterwerk voller subtilster Andeutungen, welche Gigabyteweises Vorwissen erfordern, um sie zu verstehen und zu genießen, vor das typische Kritikerklientel geworfen ... und gute Nacht Marie.

Also haben wir bei der Rezeption immer das Prinzip der Resonanz zu beachten oder die Frage, auf welchen fruchtbaren Boden fallen die Worte. Auch hier aus wissenschaflticher Sicht unkontrollierbare Bedingungen für Experimente.

Bleibt noch ein letzter Punkt, ein wesentlicher allerdings. Die Stilfrage. Es gibt einen allgemein akzeptierten Kanon von Stilformen, der beginnt mit der gemeinsamen Kenntnis der verwendeten Worte, setzt sich mit Rechtschreibung fort, geht über Zeichensetzung und optische Gliederung schließlich zu Grammatik. Am Ende kommen die Inhaltlichen Anforderung des Lesers, die sich in der Sehnsucht nach einem Sinnzusammenhang der einzelnen Sätze bis schließlich zum dem Bedürfnis nach unterhaltsamer Lektüre oder zu Spannung zieht. Da dies in Summe doch eine ganze Reihe von Beschränkungen ist, fällt es relativ leicht sich über einzelne Forderungen hinwegzusetzen und dann sind wir z.B. beim Formexperiment.

Und noch eine Betrachtungsweise nachgeschoben, diesmal die psychologische: Ich glaube Woltchinons Frage wurzelt in der Urangst des Autors "Wie kommt meine Geschichte an?". Diese Ansgst entsthet aus schlcihter Unwissenheit. Werden sie mich verstehen? Werden sie das, was ich ihnen mit der Geschichte sagen werde, auch wahrnehmen? Werde sie mein Werk zu schätzen wissen? Die Fragenliste ließe sich fortsetzen.

Wie bekommt man eine Antwort auf diese Fragen? Naja, da hilft nur ausprobieren und hier schließt sich der Kreis, wir sind beim Experiment, das eigentlich gar keines ist.

In diesem Sinne fröhliches weiterphilosophieren,

N

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Nicole,

danke für deine ausführliche und interessante Anmerkung!

Du fragst
„welche Fragestellung du hier eigentlich in die Allgemeinheit werfen willst“

Es geht um die zwei genannten:

- Wie vollzieht ein Autor den Sprung von der ‚normalen’ Geschichte zur experimentellen?


- Doch es ist auch möglich inhaltliche Experimente durchzuführen, die von der Form unabhängig sind
Vielleicht … weitere Möglichkeiten … diskutieren.

Mit „Wiederholungsexperiment“ meinst du wahrscheinlich das, was ich `Bestätigungsexperiment´ nenne.
Deine Argumentation ist richtig: „keine wirkliche Wiederholung im wissenschaftlichen Sinne vorliegt, entweder die Geschichten sind nicht gleich oder die lesenden Versuchspersonen.“
Du beschreibst damit aber eine höhere Ebene, nämlich das Wirken einer fertigen Geschichte, ich meine hingegen, dass sich der Autor seine eigene experimentelle Vorgabe bestätigt, indem er es schafft eine Geschichte mit seiner Vorgabe zu schreiben. (Ihm gelingt es, eine Geschichte zu schreiben, bei der alle Wörter mit`E´beginnen).

„Insgesamt bin ich der Meinung, die angesprochenne Kategorien sind nicht so recht auf das Thema Schreiben von Geschichten anwendbar.“

Ich denke, auf das Schreiben schon, bei deiner „Alternativbetrachtung“ geht es auch um Rezeption, nicht Kreation.
Du sagst das treffend: „"Was passiert beim Leser, wenn er diese meine Zeilen liest/gelesen hat?" Das ist die experimentelle Rückseite des Themas.“

Die Wirkung auf den Leser ist der zweite Schritt, wir kennen das auch aus dem Forum, der Leser fragt - wo ist das Experiment?


„Ein geschliffenes Meisterwerk voller subtilster Andeutungen, welche Gigabyteweises Vorwissen erfordern, um sie zu verstehen und zu genießen, vor das typische Kritikerklientel geworfen ... und gute Nacht Marie.“

D`accord - das trifft nicht nur auf Experimentelles zu. (Kryptologisch unlogisch- versteht ihr das?


„Bleibt noch ein letzter Punkt, ein wesentlicher allerdings. Die Stilfrage

fällt es relativ leicht sich über einzelne Forderungen hinwegzusetzen und dann sind wir z.B. beim Formexperiment.“

Man könnte also eine Liste von Stilelementen der Reihe nach durch weglassen oder verändern `abarbeiten´, um zu Experimenten zu gelangen.

Eine gute Idee, dieser psychologische Aspekt. Wenn ich ihn auf die von mir gemeinte Ebene des Entstehens der Geschichte beziehe, denke ich an folgende Ängste:

Führt meine Idee wirklich zu einem Experiment? Ist es Selbstzweck? Ist es abgedroschen?
Und dann kämen die von dir angeführten weiteren Bedenken …

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

jetzt verstehen wir uns ... ist doch schön, wenn man drüber reden kann.

Wie vollzieht ein Autor den Sprung von der ‚normalen’ Geschichte zur experimentellen?

Ich schlage mich gerade mit der Autobiografie Karl Poppers herum, welcher schon ziemlich zu Anfang die Missverständlichkeit von Worten als zentrales Problem darstellt ... hierzu später.

Ich habe nach deiner letzten Antwort begriffen, dass es dir um die Autorenseite des Problems geht. AutorIn startet Selbstversuch, ob es möglich ist, eine Geschichte nach bestimmten Kriterien zu schreiben. Wann ist die Grenze zum Experimentellen überschritten?

(Bitte aufschreien, wenn ich es immer noch nicht kapiert habe.)

Hast du schon mal versucht, eine Woche lang einbeinig stehend Zähne zu putzen? Das war meine erste Assoziation ...

Bist du zufällig Mathematiker? Mein Vorurteil diesen gegenüber ist, dass sie sofort glücklich sind, wenn sie Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung bewiesen haben. Sie ausrechnen? Das ist doch bestenfalls etwas für die Physiker oder Ingenieure ...

Also, langer Rede kurzer Sinn. Ich halte die Fragestellung einer rigorosen Kategorisierung für irgendwie müßig. Ganz im Sinne Karl Poppers würde/müsste man wertvolle Energie mit einer ewigen Diskussion zu folgenden Punkten verschwenden:

-Welche Rechtschreibung hat Gültigkeit?
-Welche Formalien Kriteria sind einzuhalten?

-Was ist eine Geschichte?

-Welche Worte dürfen verwendet werden?
+gibt es Unworte?
+gibt es Worte, die aus politischen Gründen nicht verwendet werden sollten? *)
+wann und welche Worte dürfen aus Fremdsprachen entlehnt/entnommen werden
+welche Arten von Wortneuschöpfungen sind zulässig

-Welche Komplexität ist erlaubt
-Gibt es eine präzise/verbindliche Grammatik?
-Ist die deutsche Hochsprache eindeutig?

...

Die Liste ließe sich beliebig erweitern, dir fallen sicherlich auch noch jede Menge Punkte ein, die man vorab klären müsste bis man "eine allgemein gültige Norm" festgeklopft hat und danach das Problem der Kategorisierung angehen könnte.

Also bevor es uferlos wird, den gesunden Menschverstand ausgepackt. Ich denke, wenn du dir zuviele Vorgaben machst (Ansprüche festlegst) wirst du irgendwann feststellen, dass du keine Geschichte mehr hinbekommst. Das Analogon wäre Zähneputzen, auf einem Bein stehen, Luft anhalten und mit der anderen Hand 3 rote und 2 gelbe Basketbälle jonglieren.

Ist soetwas prinzipell unmöglich? Vielleicht mit etwas Training schon, aber einen wasserdichten Existenzbeweis werden wir wohl nicht hinbekommen.

Wenn du von deinen Vorgaben her in einem Bereich bleibst, wo Chancen bestehen, dass hinten soetwas herauskommt wie eine Geschichte, könnten wir deinen Begriff des "Bestätigungsexperimentes" heranziehen. Du könntest in mehreren Versuchen bestätigen, dass du in der Lage bist, diesen bestimmten Typus von Geschichte zu schreiben. Wenn man allerdings überlegt, welchen schweren Stand Verhaltensforscher gegenüber ihren Kollegen in den "härteren Disziplinen" der Naturwissenschaften zu kämpfen haben ... vielleicht würde ja eine großangelegte Versuchsreihe ergeben, dass du nur zwischen morgens 10 bis 11 in Höchsform bist und du unter sonst gleichen Versuchsbedingungen zu späterer Uhrzeit eine schlechtere Erfolgsquote hast ...

Wie auch immer, genug gelabert. Unter den gegebenen Voraussetzungen halte ich es prinzipiell für möglich, den Typus einer experimentellen Geschichte zu definieren. Im Sinne eines o.g. Experimentes kann man von mir auch versuchen, experimentelle Geschichten zu schreiben. Aufgrund eines bei weitem nicht verbindlichen Kriterienkatalog hat aber jeder Autor (zum Glück) andere Vorstellungen, wie eine normale Geschichte auszusehen hat.

Darf ich an die unselige Diskussion, die sim seit längerem zum Thema poppen führt ... und hier geht es nur um die Frage, was ist eine Geschichte.

Es wird also darauf hinauslaufen, dass experimentell, ebenso wie gut und schlecht, tiefgründig oder flach, abgeschmackt oder originell im Ermessensspielraum des Autors liegt ... das Leben ist bunt und wie meinte doch mal ein Psychiater: "Normal ist leichter Schwachsinn!"

Tja und dein zweiter Punkt, Inhaltliche Experimente:

Führt zu der Frage was soll/muss der Inhalt einer Geschichte sein ... naja wir haben ja hoffentlich noch ein paar Jährchen vor uns, bis uns Frau Alzheimer die Tastatur unter den Fingern wegzieht ...

LG, Frotsetzung folgt,

N


*) Habe gerüchteweise gehört, dass z.B. die Süddeutsche Zeitung das Wort Durchführung nicht verwendet, wg. NS-Bezügen

 

Hallo Nicole,

„Bist du zufällig Mathematiker? Mein Vorurteil diesen gegenüber ist, dass sie sofort glücklich sind, wenn sie Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung bewiesen haben. Sie ausrechnen? Das ist doch bestenfalls etwas für die Physiker oder Ingenieure ...“


(Nein).
Ob sich das mit den Mathematikern so verhält, wage ich zu bezweifeln, aber Näheres würde zu weit führen (zahlentheoretische Überlegungen z.B. spielen bei der Verschlüsselung von Daten eine Rolle). Ich verstehe schon, was du damit sagen willst (so hoffe ich zumindest), aber ich will schon zu für Autoren relevanten Ergebnissen kommen.

Dein Einwand mit der „ewigen Diskussion“ ist erstens: schlau, zweitens: fruchtbar.
Bei näherer Betrachtung kam ich zu dem Schluss, dass es keiner „rigorosen Kategorisierung“ bedarf. (Man könnte sich natürlich erst mal aus der Affäre ziehen, indem man auf die Normierung – Kategorisierung - durch Duden und Grammatik beruft).
Wenn man die Norm nicht festlegen könnte, wie kämen wir dazu, von einem Experiment zu sprechen?
Ich denke, es ist dann der Fall, wenn wir eine bewusste Entscheidung feststellen, gegen einen speziellen Teil der Gesamtnorm zu verstoßen. Dieser Teil ist definierbar: Ich muss mich also als Autor nicht um die Frage „Welche Rechtschreibung hat Gültigkeit?“ kümmern, wenn mein Experiment die Rechtschreibung nicht betrifft. (Da gibt es natürlich auch kulturelle Grenzen).

Besteht der Schwerpunkt einer Geschichte aus einem Aspekt der gegen unsere Schreib- bzw. Lesenormalität verstößt, empfinden wir die Geschichte als Experiment.

(Bei solchen Diskussionen wie `Was ist eine Geschichte´ oder über das Kryptische hat man schon gesehen, wie schwer hier Bestimmungen sind (sind eher nicht konkret, mehr Fuzzy Logic). Aber selbst die Erkenntnis der Unbestimmbarkeit ist wertvoll, wenn sie die Folge von einem gedanklichen Prozess ist. Es stimmt: „aber einen wasserdichten Existenzbeweis werden wir wohl nicht hinbekommen.“ Es geht halt nicht um strenge (Natur-)wissenschaft. Aber wenn man mit `experimenteller´`Literatur´ schon eine Art Crossover macht (schließlich ist experimentelle Literatur eine direkte Reaktion auf die erfolgreichen experimentellen Methoden der Naturwissenschaft), sollte es auch interessant sein, verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen. Viel zu oft haben die Geschichten in der Experimente-Rubrik vom Prinzip her ähnliche Aufhänger. Mit meiner Fragestellung will ich halt das Bewusstsein für Probleme und schriftstellerische Möglichkeiten/Grenzen schärfen.)


„Ich denke, wenn du dir zuviele Vorgaben machst (Ansprüche festlegst) wirst du irgendwann feststellen, dass du keine Geschichte mehr hinbekommst.“

Das ist richtig, deshalb ändern Autoren meist nur einen Parameter - und trotzdem sind die Texte oft keine Geschichten… Spannend wird es, wenn die experimentelle “Vorgabe“ darin besteht, eine Geschichte zu schreiben, die kein Merkmal einer Geschichte aufweist…


„Also bevor es uferlos wird, den gesunden Menschverstand ausgepackt“

Mit dem „gesunden Menschenverstand habe ich Probleme“, er ist so eine individuelle Gesundheit, dass er immer wieder Krankheiten bei der Allgemeinheit hervorruft…

„Du könntest in mehreren Versuchen bestätigen, dass du in der Lage bist, diesen bestimmten Typus von Geschichte zu schreiben.“

Hier ist mir nicht klar, warum du meinst, man müsste induktiv vorgehen. Der Autor will im Normalfall sein Experiment durchführen, er muss nicht zeigen, dass das Experiment allgemeingültige Konsequenzen hat. (Hier gibt es ein schönes Beispiel im Forum).

„das Leben ist bunt“ - schön gesagt, ich vertrete nur die (einsame?) Ansicht, dass es durch solche Überlegungen bunter wird.


„Tja und dein zweiter Punkt, Inhaltliche Experimente:

Führt zu der Frage was soll/muss der Inhalt einer Geschichte sein“

Auch hier würde ich den Normenbruch (oder Konsensbruch, wenn wir nicht so technisch sein wollen), als maßgeblich ansehen. Die Normen sind hier genauso zeit- und kulturgebunden, wie bei den oben erwähnten.

Die Frage ist:

Was schreibt man?

Die Thematik kann z.B. Religion in einer Weise beinhalten, die einen Normenbruch darstellt.

Wie vermittelt man den Inhalt?

Bleibt man bei der Logik? Der Einheit von Ort und Zeit? Usw.


„wir haben ja hoffentlich noch ein paar Jährchen vor uns, bis uns Frau Alzheimer die Tastatur unter den Fingern wegzieht ...“


O ja …


Vielen Dank für deine Anregungen,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

vielleicht noch ein Schlusswörchten zu dieser ausufernden Privatdiskussion ...

"Besteht der Schwerpunkt einer Geschichte aus einem Aspekt der gegen unsere Schreib- bzw. Lesenormalität verstößt, empfinden wir die Geschichte als Experiment."

Das erscheint mir als recht vernünftige Definition. Einen kleinen Nachsatz kann ich mir aber nicht verkneifen: Mit dem nett formulierten "wir" versuchst du Autoren + Leserseite gleichzeitig zu erschlagen, das hat Eleganz. Was mir fehlt ist der Zeitbezug. Schreib- und Lesenormalität sind beständig im Fluss, um mit Claudius zu sprechen, wenn ich mich recht erinnere "Was dieser heute baut, reisst jener morgen ein ..." Ein Experiment mit Verfallsdatum? Der Alptraum der Naturwissenschaft, aber wir sind ja (zum Glück bei der Literatur)

Tja und noch eine Schlussbemerkung zum Thema Normenbruch ... Muss sagen, nach einigen Wochen kg.de bin ich etwas desillusionert, was meine eigenen Experimente betrifft und was ich so an positiven und negativen Kommentaren in anderen Geschichten gelesen habe. Ich glaube, es existiert eine recht festgeklopfte implizite Norm, was gut oder populär ist. Hier spielt auch zu gewissem Anteil das Ansehen des verfassenden Autors mit hinein. Die von dir geschilderte gesteigerte Buntheit aufrund experimenteller Aktivitäten ... in der praktischen Umsetzung naja. Da muss ich doch an ein Buch über Entwicklungsmanagement denken, in welchem ich einmal den lächerlichen geringen Anteil an Erfolgsprodukten im Verhältnis zu schriftlich fixierten Produktideen gelesen (+ wieder vergessen) habe.

Aber man kann ja mal sein Fähnchen oben halten ... schönen Tach noch,

LG,

N

 

Spannend wird es, wenn die experimentelle “Vorgabe“ darin besteht, eine Geschichte zu schreiben, die kein Merkmal einer Geschichte aufweist…

Das hast du sicher eher als Gag gemeint, aber was ist, wenn sich die Frage wirklich stellt?

Auch wenn ich noch nie in die Vesuchung geraten bin, eine experimentelle Story zu schreiben, finde ich eure Diskusion interessant, weil es auch um die Interaktion Autor/Leser geht.

- Pol

 

Hallo Nicole,


ja, schade, dass es eine „Privatdiskussion“ ist, aber immerhin ist es eine gute.

„Mit dem nett formulierten "wir" versuchst du Autoren + Leserseite gleichzeitig zu erschlagen“

Genau, wobei der Autor auch Leser ist.

„Was mir fehlt ist der Zeitbezug. Schreib- und Lesenormalität sind beständig im Fluss“

Den Zeit- und Kulturaspekt hatten wir mal gestreift, ich denke, er ist durch „unsere“ abgedeckt.


„Muss sagen, nach einigen Wochen kg.de bin ich etwas desillusionert, was meine eigenen Experimente betrifft und was ich so an positiven und negativen Kommentaren in anderen Geschichten gelesen habe. Ich glaube, es existiert eine recht festgeklopfte implizite Norm, was gut oder populär ist. Hier spielt auch zu gewissem Anteil das Ansehen des verfassenden Autors mit hinein. Die von dir geschilderte gesteigerte Buntheit aufrund experimenteller Aktivitäten ... in der praktischen Umsetzung naja.“

Da ist was dran, ist natürlich ein anderes Thema. Ich kann da manches auch nicht nachvollziehen. Trotzdem - weiterhin viel Spaß beim Schreiben, vielen Dank für deine aufmerksamen Anmerkungen.

L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Polaris,

bei solchen Selbstbezügen ergibt sich natürlich leicht ein Paradox. Ich würde das ganz pragmatisch angehen:

Man kann nur erkennen, was erkennbar ist.

D.h. ich weiß bei meiner Beurteilung nicht, warum ein Text keine Geschichte ist, ob der Autor unfähig war oder viel Arbeit investiert hat, eine Geschichte zu `degeschichtieren´. Der Leser orientiert sich nur am Ergebnis, nicht am Prozess, nur am Sichtbaren. Man weiß also auch nicht (immer), nicht nur bei Experimenten, welche Effekte Zufalleffekte sind, welche durch ein Experiment verursacht wurden. (Kann z.B. auch bei Seltsam-Geschichten unentscheidbar sein).

L G,

tschüß Woltochinon

 

Der Leser orientiert sich nur am Ergebnis, nicht am Prozess, nur am Sichtbaren. Man weiß also auch nicht (immer), nicht nur bei Experimenten, welche Effekte Zufalleffekte sind, welche durch ein Experiment verursacht wurden. (Kann z.B. auch bei Seltsam-Geschichten unentscheidbar sein).

Ich habe es mir angewöhnt, als Leser auch den Prozess dahinter zu vermuten. Wenn ich ein Experiment starte, ist es auch zum Teil Nachahmung fremder Prozesse, die ich wiederhole.

Also: um den chemischen Prozess einer Redoxreaktion zu wiederholen, kann ich das Experiment mit anderen Stoffen wiederholen. Der Prozess ist dergleiche, aber das Ergebnis nicht dasselbe. Statt NaCl habe ich KCl bekommen :D

Übetrage ich diesen Versuch auf Geschichten, versuche ich also im Experiment den Prozess gleichlaufen zulassen. Das Ergebnis ist vom Prinzip her, wenn ich sauber gearbeitet habe, narrensicher. Leider ist aber das saubere Arbeiten das Problem. Wer weiß, ob meine Zutaten chemisch rein waren. War die Kalilauge vielleicht verunreinigt? Oder war die Flasche mit der Salzsäure falsch etikettiert? Ich lerne hier auf KG.de, wie man schreibt und ich kann nicht hundertprozentig sicher sein, dass User A mir reine Salzsäure vorgegeben hat und das User B die Kalilauge vielleicht unwissentlichselbst mit Natronlauge verwechselt hat.

Also versuche ich dahinter zukommen, falls das Ergebnis nicht das Erwartete ist. Und das ist (wieder) ein Experiment in potenzierter Potenz , oder so ;)

 

Hallo Goldene Dame,


Du schreibst:

„Ich habe es mir angewöhnt, als Leser auch den Prozess dahinter zu vermuten“

Das sehe ich auch so, hier im Forum hat man zusätzlich die Möglichkeit, die Vermutung Gewissheit werden zu lassen, indem man mit dem Autor kommuniziert.

Wenn man meine Aussage „Der Leser orientiert sich nur am Ergebnis, nicht am Prozess, nur am Sichtbaren“ nicht nur im Bezug auf den genannten Fall („wenn die experimentelle “Vorgabe“ darin besteht, eine Geschichte zu schreiben, die kein Merkmal einer Geschichte aufweist…“) beziehen will, muss man die Aussage einschränken.


Vielleicht so:

„Der Leser orientiert sich unter Umständen nur am Ergebnis, nicht am Prozess, nur am Sichtbaren“

Du schreibst:

„Also: um den chemischen Prozess einer Redoxreaktion zu wiederholen, kann ich das Experiment mit anderen Stoffen wiederholen. Der Prozess ist dergleiche, aber das Ergebnis nicht dasselbe. Statt NaCl habe ich KCl bekommen :D

- Genau, das wäre so, als ob ein Autor eine Geschichte mit Wörtern mit `A´ am Anfang schreibt, andere Autoren grasen dann das Alphabet weiter ab.


„„ich kann nicht hundertprozentig sicher sein, dass User A mir reine Salzsäure vorgegeben hat und das User B die Kalilauge vielleicht unwissentlichselbst mit Natronlauge verwechselt hat.“

Also versuche ich dahinter zukommen, falls das Ergebnis nicht das Erwartete ist. Und das ist (wieder) ein Experiment in potenzierter Potenz , oder so ;)

- Das beschreibt die Angelegenheit treffend und ist vielleicht auch die Aufforderung komplizierte Prozesse auszuprobieren, oder?

Danke für deine Hinweise!

L G,

Woltochinon

 

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