Was ist neu

Überlebensgroß

Seniors
Beitritt
10.10.2006
Beiträge
2.638
Zuletzt bearbeitet:

Überlebensgroß

Ich schließe die Augen.
Um mich herum: Nichts. Blendendweißes Nichts. Schneeschaumweiches, jungfräuliches Nichts.
Schwarze Ziffern schweben heran, drehen sich noch in der Luft um die eigenen Achsen, verharren kurz, heften sich ans Nichts, gewinnen an Tiefe, werden zu einem Relief. Wie eingemeißelt.
Werden zu Grabsteinzahlen.
Neunzehnhundertdreiundachtzig.
Da bin ich geboren.
Zweitausendzwölf.
Bin jetzt neunundzwanzig.
Dreißig werd ich nicht mehr.
Kakteen zu meiner Linken. Wie Menschen. Zwei Arme, ein Rumpf. Eine von ihnen ist größer und grüner als die anderen. Und sie trägt einen Schmuck am Kopf des Rumpfs.
Eine einzelne rosafarbene Blüte im grünen Soldatenmeer. Als wäre es ein Rangabzeichen.
Ich stelle mir vor, wie ein Heuballen vor den Kakteen herumweht. Doch nichts. Nur die einzelne Blüte.
Zu meiner Rechten ein großer Baum. Dürre Äste. Muss schon Winter sein. Ein Kolkrabe im Geäst. Er putzt sich. Von den Ästen baumeln Kadaver in Eisenrüstungen.
Vor mir ein kleiner Hügel. Schneebedeckt. Ein Holzkreuz steht darauf.
Es riecht nach Winter, nach einem kalten Wintertag. Wenn es eigentlich zu kalt ist, um nach irgendwas zu riechen. Es riecht ein wenig nach Nichts.
Dann schwebt der Tod heran. Er ist ein riesiger Vogel mit Adlerfedern. Er ist ein dunkler Engel. Er ist der böse Mann. Er ist der schwarze Ritter. Er ist der Tod.
Sein Federgewand rauscht durch die Luft. Es wächst ihm aus dem Rücken. Ich kann jede einzelne Feder sehen.
Eine Sense klappert in seiner linken Hand.
Auf seinem Geierkopf sitzt ein schwarzer Schlapphut.
Er landet auf dem Hügel vor mir, greift sich mit der freien Hand an die Hutkrempe und lüftet den Hut kurz. Vielleicht will er mir Respekt zollen. Vielleicht will er sagen: Hast dich gut geschlagen, aber das war es nun.
Ich sehe an mir herunter. Und ich trage eine weiße Rüstung. Und ein Flammenschwert baumelt an meiner Hüfte.
Ich klappe das Visier hoch, ziehe das Flammenschwert und hebe es mit beiden Händen in die Höhe. Es ist ganz leicht und ich wirble es zweimal durch die Luft.
Der Tod schiebt sich einen Zigarillo in seinen Geierschnabel. Aber er kann ihn nicht rauchen. Er winkt mich mit seiner Sensenhand heran. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Meine Rüstung klappert.
Er spuckt den Zigarillo aus und wirft ihn auf den Boden. Dann greift er sich unter sein Schnabelkinn und reißt sich die Geiermaske vom Schädel und ich sehe den Skelettkopf. Aber der Hut sitzt immer noch darauf.
Ich renne los. Das Schwert hoch über mir.
Der Tod hebt seine Sense und tänzelt auf mich zu. Auf Zehenspitzen.
Ich lasse das Schwert hinuntersausen. Er blockt mit seiner Sense ab. Die Klingen treffen sich. Funken sprühen.
Ich öffne die Augen.
Mein Backenzahn schmerzt dumpf. Ein Mann in verwaschener Uniform steht neben zwei Männern in Lumpen. Die halten Gewehre hoch. Sie sind nah, aber weit weg. Ich kann sie nicht beschreiben.
Der Mann hebt seinen Gehstock. Meine Knie zittern und mein Schoß wird feucht und warm.
Er lässt den Stock sinken.

 

Hallo Quinn,

puh, wo fang ich an? Also erst Mal, die Kategorie passt sicher. Seltsam ist deine Geschichte auf jeden Fall.

Ich versuch einfach mal den Inhalt so zusammen zu fassen, wie ich ihn verstanden habe. Ein Mann wird im Jahre 2012 hingerichtet (so deute ich das Ende zumindest) Vorher beschreibst du seinen Todeskampf, vllt in einen Traum oder einer Halluzination, die Angst die er vor der Erschießung verspürt.

Und sie trägt einen Schmuck am Kopf des Rumpfs.
Ich würde schreiben "Und sie trägt Schmuck...
klingt flüssiger

Es riecht nach Winter, nach einem kalten Wintertag. Wenn es eigentlich zu kalt ist, um nach irgendwas zu riechen. Es riecht ein wenig nach Nichts.
Wintertag, Auch wenn ...
klingt ebenfalls besser.
Den letzten Satz finde ich störrend, würde ich streichen. Zudem klingt es unlosich. Erst riecht es nach Winter, dann nach nichts.

Kann dir ehrlich gesagt nicht wirklich sagen, wie ich deine Geschichte fand, das sie für mich schon sehr seltsam war. Wenn ich die Absicht, bzw den Inhalt richtig erkannt habe, so hätte ich mir es doch lieber in einer normalen Geschichte gelesen.

lg neukerchemer

 

Hi Quinn!

Deine Geschichte war mir zu skurril. Sehr schwierig nachzuvollziehen, was du aussagen willst.

Diese Kurzsätze am Anfang find ich auch irgendwie lästig. Ein künstlich verlängerter Einstieg.

Das Bild, das du in der Mitte deiner Geschichte entwirfst, ist sehr gut. Aber auch dort viele Kurzsätze, die stören.

Beim Ende bin ich raus, ein Erchießungskomando und die letzten Gedanken des Hinzurichtenden sind auch für mich die Interpretation.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hey ihr beiden,
vielen Dank für eure Kritik. Skurril ja, natürlich. Aber so unverständlich scheint es nicht gewesen zu sein, die Rahmenhandlung ist offenbar leicht zu erkennen.
Was ich damit aussagen wollte und ob ich das nicht in einer herkömmlichen Form besser hätte machen können? Ach na ja, "Aussage" ist so ne Sache, sicher nichts aufregendes. Und natürlich ist die Form immer Geschmackssache und man hätte das auch anders verpacken können, aber dann wäre es auch eine ganz andere Geschichte geworden.
Ich erzähl ja nicht um der Aussage willen.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn!

Aja, mal ganz was anderes! Oder doch nicht? ;)

Wenn ich alles richtig verstanden habe, geht es hier um einen Menschen, der knapp vor seiner Hinrichtung durch Angehörige irgendeiner obskuren Armee steht. Es gibt keinerlei Charakterisierung des Helden, selbst sein Geschlecht ist ungewiss. Weder erfährt man, wer er ist, noch wo die Geschichte spielt, noch wer die Soldaten sind, noch wie es zu dieser Konstellation der Hinrichtung gekommen ist. Das einzige gesicherte Faktum ist das Geburts- und Sterbejahr des Ich-Erzählers.

Ich kann sie nicht beschreiben.

Er zieht sich ganz auf sein Inneres zurück, die Außenwelt (die Soldaten) kann oder will er nicht mehr wirklich wahrnehmen.

Es gibt ja das Klischee, dass man knapp vor dem Tod noch einmal das Leben an sich vorüberziehen lässt. Dieser Mensch hier lässt die Todesbilder, die er kennt, an sich vorüberziehen. Und zwar Bilder aus der bildenden Kunst (Goya?), aus der Literatur und aus Filmen. Der Tod als schwarzer Vogel, Ritter, als Sensenmann, als nacktes Gerippe, Bilder aus Italo-Western und aus Star Wars werden da heraufbeschworen.
Das ist es, was diesen Mensch ausmacht? Auf der weißen Fläche, die sein Inneres darstellt, tauchen nur seine Lebensdaten und ein paar kulturelle Versatzstücke auf? Keine Erinnerung an ein persönliches Leben? Interessanter Gedanke!
Das Leitmotiv des Schwarz-Weiß-Kontrastes passt gut zum Thema!

Einen kleinen Widerspruch gibt es: Der Ich-Erzähler sagt ja, dass er die Soldaten nicht beschreiben kann, dennoch gibt er einen Satz vorher an, dass die Uniform des einen verwaschen, und die Kleidung der anderen nur noch Lumpen sind.

Bleibt noch der Titel, den kann ich nicht ganz einordnen, also lieg ich mit meiner Interpretation vielleicht doch daneben! :D

Wie eingemeißelt
Werden zu Grabsteinzahlen.
Da fehlt ein Punkt.

Ich finde den Text gelungen!

Gruß
Andrea

 

Hi Quinn,

Mein Backenzahn schmerzt dumpf. Ein Mann in verwaschener Uniform steht neben zwei Männern in Lumpen. Die halten Gewehre hoch. Sie sind nah, aber weit weg. Ich kann sie nicht beschreiben.
Der Mann hebt seinen Gehstock. Meine Knie zittern und mein Schoß wird feucht und warm.
Er lässt den Stock sinken.

Diese Passage scheint der einzige Teil zu sein, der sich wenigstens teilweise in der Realität abspielt. Der Schmerz des Backenzahns ist sozusagen das Bindeglied zwischen den Erlebnisebenen des Protagonisten. So kann es natürlich sein, dass in der Realität Traumsequenzen oder Erinnerungen aus der Vergangenheit als real empfunden werden, weil sie dorthin übertragen werden. Der Protagonist nässt sich ein, aus Furcht, er könnte hingerichtet werden. Die Gewehre(Eine Erinnerung)der Gehstock (reales Abbild) werden von einem verwirrten Geist verknüfpt.
Ich hätte gerne gewusst warum der Geist verwirrt ist. In mir drängt sich das Bild auf, dass der Prot in einer Anstalt ist.

LG
Goldene Dame

 

Hey Andrea,

Andrea H. schrieb:
Aja, mal ganz was anderes! Oder doch nicht? ;)
Ja, ich hoffe doch mal. Mir wurde ja -ganz zu Recht- eine gewisse Ähnlichkeit innerhalb der letzten Geschichte vorgeworfen. :)

Und zwar Bilder aus der bildenden Kunst (Goya?), aus der Literatur und aus Filmen. Der Tod als schwarzer Vogel, Ritter, als Sensenmann, als nacktes Gerippe, Bilder aus Italo-Western und aus Star Wars werden da heraufbeschworen.
Der "schwarze Vogel" ist aus dem Münchhausen Film. Italo-Western ja, aber Star Wars? Was zum Geier?

Das ist es, was diesen Mensch ausmacht? Auf der weißen Fläche, die sein Inneres darstellt, tauchen nur seine Lebensdaten und ein paar kulturelle Versatzstücke auf? Keine Erinnerung an ein persönliches Leben? Interessanter Gedanke!
Ich glaube es ist der Kontrast zwischen dem "sinnhaften" Kampf des Helden gegen den Tod wie wir ihn aus eben diesen zitierten Geschichten kennen und der Banalität des eigenen Todes. (Daher "Überlebensgroß" -die Fiktion ist larger than life sozusagen):

Schön, dass du wieder eine meiner Geschichten gelesen und kommentiert hast. Vielen Dank

Hallo Goldene Dame

Der Schmerz des Backenzahns ist sozusagen das Bindeglied zwischen den Erlebnisebenen des Protagonisten.
Jau, so war es gedacht.
In einer Anstalt war der Protagonist in meiner Absicht zwar nicht, aber man kann es sicher so lesen und die Bilder sehen vielleicht wirklich verrückter aus als ich dachte.

Auch dir vielen Dank für deinen Kommentar
Quinn

 

Italo-Western ja, aber Star Wars? Was zum Geier?

Naja, wegen des Schwarz-Weiß-Kontrastes (der dunkle Ritter ist ja der Böse) und wegen des Flammenschwertes? Aber so gut kenn ich Star Wars nicht...:D

 

tag,

fazit: kurze sätze gut. ("funken sprühen." etc). verbverzicht als programm.

lg
trapp

 

Hi Quinn,

schon die zweite Geschichte von dir heute, die mir gefallen hat. Ich hatte sie vor einiger Zeit schon gelesen und jetzt für Copywrite noch einmal.

Die Bilder wirken auf mich, besonders das blendendweiße Nichts und der sich verändernde Tod. Beim ersten Lesen habe ich das, glaube ich, für etwas dicke gehalten (schwarzer Vogel, Sense, Skelett); das sind so gehaltvolle Symbole, und das ist an der Grenze, sie so zusammenzupacken. Aber heute hat mir das Morphen gefallen. ;)

Gruß, Elisha

 

Elisha schrieb:
Aber heute hat mir das Morphen gefallen. ;)
Hallo Elisha,
es ist zwar narzistisch, aber ich mag die Geschichte um so lieber je öfter ich sie lese. :)
Ist ganz komisch -und geht bei mir bei längst nicht allen meiner Texte so- aber ich hab sie jetzt für Copywrite auch noch ein, zweimal gelesen und da ist mir das aufgefallen. Ist so eine seltsam morbide MTV-Ästhetik.

Gruß
Quinn

 

Hi Quinn!

ich finde das alles gar nicht so seltsam: Der Mann mit schmerzendem Backenzahn – das ist sein kleineres problem – hat vor Stress, Angst und Schmerz wirre Gedanken, hier vermischen sich Erlebnisse mit - ich nenn es mal Visionen.

Ist halt schade, dass der Text inhaltlich nicht so viel hergibt, die apokalyptischen Bilder allein sind mir nicht genug.

- Pol

 

Polaris schrieb:
Ist halt schade, dass der Text inhaltlich nicht so viel hergibt, die apokalyptischen Bilder allein sind mir nicht genug.

- Pol

Hey Polaris,
nein, das, was ich eigentlich mit dem Text thematisieren wollte, lese wohl nur ich aus dem Text (ist auch ziemlich krude und banal, fürchte ich), für den Rest bleiben die Bilder, die wären mir an deiner Stelle auch zu wenig.

Gruß
Quinn

 

Hi Quinn,

wenn einer vor dem Erschießungskommando steht, eilen seine Gedanken panikartig herum. Das hast Du gut beschrieben. Die Metapher: Tod mit Geierkopf war für meinen Geschmack zu dick aufgetragen. Trotzdem ein guter Text!

Fritz

 

Hallo Quinn

Kann mich der Masse anschließen, also Andrea. :D :p
Weiß- unschuldig, gut und jungfräulich
Schwarz- böse, Tod und Star Wars :D

Du hast den Kontrast gut dargestellt. Aber ich weiß so wenig über den Prot, warum soll er nicht der Bösewicht sein. vllt sieht er in den anderen das böse, obwohl er es ist. Warum soll weiß immer gut sein.;)

Ich schließe die Augen.
okay, jetzt fängt es an. er will also das nicht mehr sehen, was sich vor seinen augen abspielt.
Der Anfang klingt wie eine Vision. eine Zukunftsvision vermischt mit der düsteren Gegenwart.
Bin jetzt neunundzwanzig.
Jetzt beschreibst du also sein Todestag oder auch jahr. (?)
Vor mir ein kleiner Hügel. Schneebedeckt. Ein Holzkreuz steht darauf.
Es riecht nach Winter, nach einem kalten Wintertag. Wenn es eigentlich zu kalt ist, um nach irgendwas zu riechen. Es riecht ein wenig nach Nichts.
Ich weiß nicht warum, aber diese Passage erinnert mich an ein Krankenhaus. :lol: Vllt liegt das am 'Holzkreuz' und dem Geruch. Und mit Winter verbinde ich halt auch weiß.
Dann schwebt der Tod heran. Er ist ein riesiger Vogel mit Adlerfedern. Er ist ein dunkler Engel. Er ist der böse Mann. Er ist der schwarze Ritter. Er ist der Tod.
Nach '... Tod heran.' würde ich ein Absatz machen, dann wirkt die Anapher noch stärker.

Insgesamt hat sie mir ganu jut gefallen. Eine gelungene seltsame Geschichte.


Cu J:baddevil:

 

Hey ihr beiden,

freut mich, dass euch die Geschichte gefallen hat. Ist ein kurzer surrealer Bildersturm, einige Metaphern (Flammenschwert, Geierkopf-Tod) sind sicher ein wenig dick aufgetragen. Ich geb's ja zu.

Vielen Dank für eure Kritik
Quinn

 

Hey Tinker,

freut mich, wenn dir die kleine Geschichte gefallen hat.

Gruß
Quinn

 

Ich kann mit diesem Text wirklich nichts anfangen. Da stimmt so ziemlich nichts: das Klischee, vor dem Tod läuft vor dem inneren Auge noch einmal das ganze Leben ab, die sterile Umwelt (eine psychiatrische Klinik?), der ganze sterile Protagonist. Da ist eine der Geschichten, die einerseits im Science fiction und Horror wurzeln, andererseits im Unvermögen, eine Story zu bauen. Stilistisch muss ich bemängeln, dass du dich auf den Hackstil festgelegt hast. Ein guter Text ist eine ausgewogene Mischung aus langen, mittellangen und kurzen Sätzen. Hier aber hackt es nur. Ich hatte auch mal so eine Periode, in der ich glaubte, ich würde mit den kurzen Sätzen Betroffenheit beim Leser erzielen. Aber glaub mir, Quinn, die Betroffenheit hält sich in Grenzen. Man stutzt höchstens über das Unvermögen des Autors, mit Wörtern zu spielen. Wie gesagt, eine dürftige Story.
Dass du den Text in der Rubrik "Seltsam" gepostet hast,
scheint mir das einzige Vernünftige an diesem Text zu sein.

Liebe Grüße
Estrel

 

Hallo Estrel,

schön, dass du mir einen Gegenbesuch abstattest. :)

Deine Kritik bezüglich des Stils kann ich sehr nachvollziehen -wobei ich nicht glaube, dass eine "gute" Geschichte immer aus einer Mischung bestehen muss, aber der Hack-Stil ist hier wohl wirklich zu viel.
An welcher Stelle du das "ganze Leben" ablaufen siehst, ist mir allerdings ein wenig ein Rätsel. Sterile Umwelt - na ja, ich würde sie eher artifiziell nennen. Steriler Protagonist - ja, gut.
An meinem "Unvermögen, eine Story zu basteln" werde ich noch arbeiten. Versprochen.

Vielen Dank für deine Kritik
Quinn

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom