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Alles hat ein Ende ...

Seniors
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01.07.2006
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Alles hat ein Ende ...

Wir alle wissen, wie wichtig der erste Satz oder der erste Abschnitt eines erzählerischen Textes ist.

Wie aber ist es mit dem Ende, dem letzten Satz oder Abschnitt? Wie groß ist die Bedeutung des Endes für den ganzen Text? Bringt es uns dazu, die Geschichte nochmals zu lesen, weil es eine ganz andere Interpretation nahe legt? Wer sind die unter euch, die das Ende schon lesen, bevor sie mit einem Buch ganz durch sind? Muss es immer ein "richtiges" Ende geben, damit die Geschichte ein rundes Ganzes wird? Sehnen wir uns nicht alle im Grunde nach einem happy end, weil es nicht nur der Geschichte, sondern letztlich auch unserem Leben erst einen Sinn gibt, denn wenn wir nicht annehmen würden, dass alles gut ausgeht, wozu sollten wir eigentlich leben?

Dieser Thread soll eine Zitatsammlung von interessanten Enden sein, solchen halt, die einem besonders in Erinnerung sind. Aber es kann natürlich auch etwas zu den zitierten Textstellen gesagt bzw. darüber diskutiert werden.

 

Heimito von Doderer: Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre

"Glücklich ist nicht" (so hat der Amtsrat am Ende zusammengefaßt) wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist; so etwas kann überhaupt nur in einer Operette vorkommen. Eine derartige Auffassung würde nicht weniger wie ein Unterbleiben der Evidenz bedeuten, beziehungsweise als solches anzusehen sein. Glücklich ist vielmehr derjenige, dessen Bemessung seiner eigenen Ansprüche hinter einem diesfalls herabgelangten höheren Entscheid so weit zurückbleibt, daß dann naturgemäß ein erheblicher Übergenuß eintritt." Was soll man hier noch sagen? Und paßte es nicht wirklich auf den Majoren?

 

Der letzte Satz ist für mich fast noch wichtiger als der Einstieg.
Einen guten Einstieg zu finden ist machbar, den dann mit einem Unterbau an Folgesätzen anzufetten und im Idealfall auch interessant zu gestalten ist schon komplexer, doch einen ordentlichen, einen guten, einen passenden letzten, wirklich endgültig letzten Satz zu finden ist die Kunst.
Und er zeigt mir, wo die Prioritäten des Autoren liegen, denn der letzte Satz entlässt mich aus der Geschichte, er ist das Letzte, was ich von ihr mitnehme, ist damit präsenter als der Einstieg.
Das muss keine Pointe sein, kann aber, es muss auch keine Konklusion, Läuterung, Moral sein, kann aber. Er muss nicht literarisch üppig sein, oder auch nur lang, manchmal reicht ein Wort, manchmal ein Bandwurm, doch er muss halt stimmen, passen, das richtige Gefühl, Bild, Moment mitgeben bei dem Rückzug aus der Geschichte und dem Einfall der eigenen Realität aus der Literatur.

 

Es spricht ja niemand von "bedarf", ZP.
Und "versagen" finde ich ein zu großes Wort. Ein idealer Schluss rundet doch schließlich eine Geschichte ab. Insofern halte ich ihn nicht für überflüssig oder unwichtig, ihm die Last aufbürden, den Leser allein über den Schluss der Geschichte hinaus zu beschäftigen möchte ich ihm aber auch nicht.
Ich persönlich mag, wenn es passt, eher beiläufige Schlusssätze.
"Die Mitte der Welt" bspw. endet mit dem Satz: "Seltsam, aber ich vermisse Händel.".
Da bleibt Raum dafür, dass es weitergeht und für Fantasie. Immer passt es natürlich nicht.
Manchmal ist ein Fazit durchaus angebracht.

Lieben Gruß, sim

 

Ja, es stellt sich halt die Frage: Ist der letzte Satz gleichsam nur das letzte Puzzleteilchen, das das Bild vollständig macht, oder ist das Ganze, wenn der letzte Satz zu sehr passt, nicht schon zu sehr gesättigt? Kann man da noch was Neues reinbringen? Muss nicht noch ein unbekannter Rest übrig bleiben, und sollte nicht der letzte Satz genau das leisten: nämlich, den Sinn noch ein bisschen plastischer zu machen, im Sinn von erweitern, und nicht den Sinn allzu fest zementieren?

 

Ich finde letzte Sätze bzw. Absätze gut, die noch einmal so richtig reinhauen, die u. U. dem ganzen noch eine Wendung geben. Oder wenn er speziell bei tragischen Geschichten das Elend zusammenfasst. Wenn eigentlich alles schon klar ist und die/der Autor/in dann noch eins draufsetzt, dann wird es oft anstrengend. Eine gute Geschichte hört genau dann auf, wenn sie aufhören muss. Aber ich glaube schon, dass das genau dann der Fall ist, wenn etwas offen bleibt. - Bei meinen "Lieblingsschlüssen" ist genau das der Fall:

"Yes", I said. "Isn't it pretty to think so." (Hemingway, The sun also rises)

Outside the building, she started to walk west to Lexington to catch the bus. Between Third and Lexington, she reached into her coat pocket for her purse and found the sandwich half. She took it out and started to bring her arm down, to drop the sandwich into the street, but instead she put it back into her pocket. A few years before, it had taken her three days to dispose of the Easter chick she had found dead on the sawdust in the bottom of her wastebasket. (Salinger, Just before the war withe the eskimos)

Und hier ganz groß:

Kein Geistlicher hat ihn begleitet. (JWG, Werther)

Bei dem Goethesatz friert es mich jedesmal, wenn ich ihn lese.

 

Ich denke auch, wie C. Seltsem, daß jede Geschichte ihren individuellen, passenden Schlußsatz braucht. Allgemein festlegen, welche Funktion ein Schlußsatz haben soll, würde ich mich da auch nicht, sondern immer nach der Geschichte selbst richten, was mir mein Gefühl sagt, daß sie braucht.

Mein liebster Schluß (-Satz alleine wäre hier zu wenig):

Christiane Rochefort: "Zum Glück gehts dem Sommer entgegen" schrieb:
Ein Geschöpf von undefinierbarem Geschlecht schritt ganz allein einer Polizeidienststelle entgegen. Seine Jeans waren zerrissen, sein Pullover voller Löcher, seine Haare, in denen Blumen steckten, hingen bis auf die Hüften herab und seine Füße waren nackt. Es war übermenschlich schön und stolz und sein Gesicht hatte den Ausdruck einer sehr heiteren Herausforderung.
Ein respektvolles Schweigen entstand, als es vorüberging. Manche verneigten sich.
Ein Kind.
Der Dienststellenleiter, den man herbeigerufen hatte, stellte sich mit einem großen Marmeladenbrot auf die Türschwelle. Drinnen rief der Sekretär eilig die Zentralbehörden an, um zu fragen, was zu tun sei, ob man es nehmen oder der Natur zurückgeben solle.

 

Beim meinen Geschichten weiß ich immer zuerst, wie sie enden werden, und erst wenn ich im Kopf die Geschichte fertig habe, also weiß, wie ich dahin kommen werde, schreibe ich den ersten Satz, der Rest ist Arbeit.

Der erste Satz ist m.E. für die Geschichte selbst weniger wichtig, weil er aber als Blick- oder Leserfang dient bzw. dienen muß, wird er von Autoren maßlos überschätzt.

Übrigens, Platoniker, ohne mir dessen bewußt zu sein, habe ich in meiner Geschichte „Das weiße Kleid“ einen ähnlichen Schlußsatz gewählt wie Goethe in seinem Werther – ist wohl thementypisch und daher nichts Besonderes. :D

 

Ich denke, die Intensität, die ein Schlußsatz braucht, hängt von der Thematik ab. Je ernster das Thema, desto überlegter sollte (wäre es wünschenswert, wenn) der Schlußsatz sein, damit der Leser nicht so alleine mit dem Ende ist.

Bei einem Roman ist mir das aber viel wichtiger. Ich brauche das als "Bonbon", um mich von dem Buch lösen zu können.

 

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