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Copywrite Eine Vanessa-Geschichte

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10.10.2006
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Eine Vanessa-Geschichte

„Vanessa“, sagt er.
Vanessa. Immer Vanessa.
„Was war mit Vanessa?“
Vanessa?, frage ich.
„Vanessa.“
Ich frage ihn, ob er wisse, wie lächerlich das klinge. Wenn er immer wieder diesen einen Namen sage: Vanessa, Vanessa, Vanessa.
„Vanessa“, sagt er. „Was war noch gleich mit Vanessa?“
Ich weise ihn daraufhin, dass ich ihm mehrfach von Vanessa erzählt hätte. Mehrfach und vielfach und viel zu oft.
„Noch einmal“, sagt er. „Erzähl mir von ihr.“
Von Vanessa?, frage ich.
„Von Vanessa“, sagt er.
Da gäbe es nichts zu erzählen, sage ich.
„So“, sagt er. „Du willst also nicht.“
Von Wollen, sage ich, könne hier keine Rede sein. Ich erinnerte mich an keine Vanessa. Niemals hätte jemals eine so geheißen. Den Namen, sage ich, hätte er wohl soeben erfunden, nur um mich vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Eine nie verwendete Buchstabenkombination, sage ich. Dieses V und dann der Rest! Nicht einmal das Chinesische kenne sie, da sei ich mir sehr sicher.
„Vanessa“, sagt er.
Vanessa, sage ich.
„Sie war blond“, sagt er.
War?, frage ich.
„Erwischt.“
Ich frage ihn, ob er etwas wisse. Etwas Neues.
Und er grinst, wie nur er grinsen kann und sagt: „Nichts Neues, nur Altes.“
Ich nicke.
„Erzähl von ihr. Erzähl mir von Vanessa.“
Ich frage ihn, ob es etwas änderte. Ob das eine Art Buße sei oder ein Rätsel. Ob es erst zu Ende sei, wenn ich begriff.
„Es gibt nichts zu begreifen. Zum Begreifen musst du eine Etage höher.“
Also Vanessa, sage ich.
„Ja“, sagt er. „Vanessa.“
War das, frage ich, war das der Knackpunkt in meinem Leben? Diese Frau. Stand ich damals vor einem Aufzug und hatte die Wahl nach unten zu fahren oder nach oben, zum Begreifen. Und habe ich damals, frage ich, habe ich den falschen Knopf gedrückt?
„Antworten oben, Fragen hier“, sagt er. „Also: Was war noch gleich mit Vanessa?“
Nichts, sage ich. Gar nichts. Hätte mir nichts bedeutet. Bis eben vergessen. Nie mehr an sie gedacht. Seit Jahren nicht mehr. Eigentlich nie. Nicht mal damals.
„Tja“, sagt er und knatscht mit dem Mund, als würde er mit ihm ein Stück Fleisch nach Knorpeln durchsuchen. Dann schweigt er. Schweigt eine halbe Ewigkeit und dann noch weiter. Schaut mich nur an aus diesen Augen.
Ich sage, dass ich ihm nichts von Vanessa erzählen könne. Hätte alles vergessen.
„Erzähl mir von ihr“, sagt er.
Von wem?, frage ich.
„Von Vanessa.“
Da gäbe es nichts zu erzählen, sage ich.
„Gut“, sagt er. „Erzähl mir von ihr.“

 

was hat diese Geschichte mit dem Vorblid zu tun?
Es wird eben fast von Vanessa erzählt ;)

Hi Quinn,

jemand hat mal gesagt, alles unter 15k Zeichen ist eine doofe Pointengeschichte. Er hatte Recht.

Wieso du die Rede des Ichs nicht in " setzt, habe ich nicht verstanden.

Bruder Tserk

 

was hat diese Geschichte mit dem Vorblid zu tun?
Na ja, die Grundsituation ist die gleiche, ich habe nur den Fokus auf was anderes gelegt, und den Aspekt in flashbaks Geschichte mit der immer wieder auftretenden Frau, mit der der Held genervt wird und über die er nicht spricht, habe ich eben in den Mittelpunkt gerückt, auch um die Fege-Feuer-Situation zu verstärken (wobei man darüber streiten kann, ob es wirklich schlimmer ist als schlechtes Bier).


Wieso du die Rede des Ichs nicht in " setzt, habe ich nicht verstanden.
Das hat natürlich rhythmische Gründe. Ich mag den Wechsel von direkter und dieser gemogelten indirekt-direkten Rede sehr gerne, weil es einen eigenen Drive entwickelt. Aber es kann gut sein, dass das nur in meinen Ohren gut klingt und es sonst keiner mag.
Was auch erklärt, warum die Geschichte nicht ankommt.
Ach ja: Das ist keine Pointen-Geschichte, Tserk. Nicht immer denselben Satz copy'n pasten, auch wenn er zugegeben sehr gut ist. ;)

Gruß und Danke für eure Kommentare
Quinn

 

Hallo Quinn!

Der Teufel als Psychiater - auf diese Kurzformel könnte man die Geschichte bringen. Aber der Held ist noch immer uneinsichtig, er will sich nicht mehr mit Vanessa auseinandersetzen. Wenn man die Vorlage nicht kennen würde, würde man tatsächlich annehmen, dass es hier um ein therapeutisches Gespräch geht. Immer wieder an die eine Frau erinnert zu werden, das ist die Höllenqual, der sich dieser arme Sünder unterwerfen muss.

War das, frage ich, war das der Knackpunkt in meinem Leben? Diese Frau. Stand ich damals vor einem Aufzug und hatte die Wahl nach unten zu fahren oder nach oben, zum Begreifen. Und habe ich damals, frage ich, habe ich den falschen Knopf gedrückt?
„Antworten oben, Fragen hier“, sagt er. „Also: Was war noch gleich mit Vanessa?“
Nichts, sage ich. Gar nichts. Hätte mir nichts bedeutet. Bis eben vergessen. Nie mehr an sie gedacht. Seit Jahren nicht mehr. Eigentlich nie. Nicht mal damals.
Jo, der Typ scheint auch in der Hölle die typisch männliche Coolness nicht abgelegt zu haben. Will nicht zugeben, dass ihn eine Frau beschäftigt, obwohl er zuerst fragt, ob sie vielleicht der Knackpunkt in seinem Leben gewesen sei.

Obwohl dieser Text sehr kurz ist, ist er dennoch ermüdend: Schon der Beginn mit der oftmaligen Wiederholung des Namens Vanessa. Ich weiß schon, das ist ein Stilmittel, um das Quälende zu unterstreichen, genauso wie die ständige Verwendung von "fragen" und "sagen". Ein minimalistischer Text, der aber diesen Minimalismus nicht immer durchhält: Z.B. bei dem Einschub mit dem Chinesischen oder bei der sinnlichen Beobachtung, was für ein Gesicht der Teufel macht, als er "tja" sagt.

„Tja“, sagt er und knatscht mit dem Mund, als würde er mit ihm ein Stück Fleisch nach Knorpeln durchsuchen.
Das ist ein sehr bildhafter Vergleich, der mir gefällt, der aber irgendwie nicht zum übrigen Stil passt.

Du lässt absichtlich die ganze Hintergrundgeschichte im Dunkeln, das Gespräch bewegt sich im Kreis, kein Ausgang, keine Ausflucht möglich, es führt nirgendwo hin. Und diese Qual wird leider auch ein bisschen auf den Leser übertragen.

Ob es erst zu Ende sei, wenn ich begriff.
begriffe

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea und danke für deine Kritik,

du bringst es eigentlich auf den Punkt. Ich bemühe mich immer darum, eine Form zu finden, die den Inhalt möglichst gut trägt. Und das reduzierte fand ich hier passend, wobei ich dachte durch das Rhythmisierende des Dialogs die "Qual" und "Ermüdung" des Lesers auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
An einigen Stellen breche ich ja auch bewusst aus dem Muster aus - die Beschreibung findet ja statt, während der Teufel schweigt und dadurch ein wenig Freiraum gewährt wird. Aber offensichtlich hat es nicht dazu gereicht, die Geschichte zu "retten".
Obwohl ich sie als gelungen empfinde, zeigt das die Resonanz wohl sehr deutlich. Damit kämpfe ich schon länger, in wie weit man Kompromisse beim Lesegenuß in Kauf nehmen darf als Autor, wenn dadurch die Kongruenz von Form und Inhalt gefestigt wird. Das hab ich schon einige Male versucht und jedes Mal ging's schief. Ich werd's aber trotzdem weiter probieren. Oder ich wende mich nur noch Geschichten zu, deren Inhalt keine unangenehme Form erfordert.

Nochmal vielen Dank für deine Kritik
Quinn

 

Hallo Quinn,

ich habe ein Faible für Monotonie, Rhythmik, Loops. Das hat mir beim - wiederholten - lesen Deines Textes geholfen, den ich nicht unbedingt eine Geschichte nennen will, dafür ist er zu stilisiert, zu reduziert. Was ihn für mich jedoch interessant, reizvoll macht, er ist mehr ein Experiment denn eine klassische oder moderne Geschichte.
Und ich kann mich Andrea anschliessen, das Bild mit dem Knorpelknirschen ist seltsam konkret im Vergleich zum fast lautmalerischen Repetum Mobile Vanessa. Und damit für mich ein stärkerer Bruch als die fehlenden eingesparten Anführungszeichen.

Kurz oder lang, ich finde ihn interessant, den Vanessa-Text.
Wenngleich sprachliche Experimente immer im Vergleich zu gut erzählten handwerklich sauberen Geschichten nur den zweiten, bisweilen auch den dritten Sieger abgeben.


Da gäbe es nichts zu erzählen, sage ich.
„Gut“, sagt er. „Erzähl mir von ihr.“
Finde ich übrigens einen optimalen Abschluss, da wird meine Ader für absurde Seichtsinnigkeit bedient.

Nicht großartig, doch interessant. Immerhin, und nicht weniger !
Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo C. Seltsem,
freut mich, dass du der Geschichte was abgewinnen konntest.
Ich tue mich gerade bei diesen Geschichten mit einer Reflexion immer schwer, weil sie mir wirklich gefallen, allein vom Drive her. ;) Vielleicht hab ich da einfach eine ganz andere Ader.

Das Knatschen hast du auch angemerkt, wie gesagt, es war so gedacht, dass in dieser Zeitspanne, wenn ihm der andere nicht so auf den Pelz rückt, auch andere Gedanken möglich sind, er durch die "Stille" aber gezwungen wird, den Worten des anderen - und seinen eigenen Gedanken - nachzulauschen.

So eine ähnliche Folter wie diese Geschichte mit der Augenbrillen und dem weißen Rauschen auf den Ohren, nur eben ohne Rauschen und dafür mit diesen Gedanken. Das war so die Grundidee.

Na ja, du hast sicher recht, dass eine "handwerklich gut gemachte Geschichte" das schon aussticht, wobei ich finde, dass das dann wieder in verschiedene Kategorien fällt. Ach, was soll ich sagen. Ich als Autor mag sie halt lieber als der Leser. ;)

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn ... endlich!

„Antworten oben, Fragen hier“
Diese Formulierung habe ich mal in mein kleines Notizbuch für nützliche Sätze aufgenommen. Großartige Formulierung, kann mir nicht helfen.

So, lange hat's ja gedauert, bis ich zur Kopie meiner Geschichte eine Kritik verfasse. Beim ersten Lesen habe ich mich gefragt: "Was zum Henker soll das sein? Verflucht, ich geh' ins Bett!" Beim zweiten Lesen hatte ich die Geschichte immer noch nicht geknackt und mir vorgenommen eine Weile Abstand zu gewinnen, um sie mir dann noch einmal, vielleicht etwas unvoreingenommener, zu Gemüte zu führen. Nun, es hat funktioniert.
Mir gefällt der Text in seiner Stilistik sehr und macht ihn auf unangenehme Weise interessant. Ich schließe mich hierbei Andrea H. an, wenn sie schreibt, dass die Qual des sich im Kreis bewegenden Gesprächs auch auf den Leser übertragen wird. Die Einschübe, die vom Rhythmus des Textes abweichen fand ich daher als entspannende Abwechslung.
Den Abschluss fand ich, ganz im Gegensatz zu Herrn Seltsem, weniger gelungen obwohl konsequent.
Tja, diese KG scheint wie guter Käse zu sein - sie muss reifen.
Hat mir also gut gefallen.


LG
flash

 

Hey Flashback,

freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ich kann auch nachvollziehen, dass man dafür mehrere Anläufe braucht.
Ist halt der Nachteil, wenn man diese "Qual" abbilden möchte. Aber na jo, es hat gefallen, das ist das Wichtigste. ;)

Gruß
Quinn

 

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