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Niklas mit den Messerhänden

Seniors
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10.10.2006
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Niklas mit den Messerhänden

Weil er Angst hatte, im Schlaf zu reden, schlief er gar nicht. Nichts konnte natürlicher sein. Statt dessen lag Niklas Frost wach und lauschte dem Atem seiner Frau. Lauschte jedem Atemzug nach, jeder Regung und jedem Geräusch. Draußen erwachte die Stadt: Der Verkehr setzte ein, das Schnaufen der Müllabfuhr war zu hören und auch Vögel sangen, aber nicht sehr viele.
Endlich klingelte der Wecker. Frost gähnte lautstark mit weit aufgerissenem Mund. Seine Frau lag still. Er reckte beide Arme aus, wie um die Müdigkeit langen, erholsamen Schlafes abzuschütteln und dabei traf er seine Frau mit dem linken Arm am Hinterkopf. Daraufhin murrte sie, zog die Bettdecke bis ans Kinn und streckte einen ihrer kalten Füße nach ihm aus, so dass er endlich einen Grund sah, laut aufzuschreien, aus dem Bett zu springen, sich über ihre mangelnde Durchblutung zu beschweren und ins Bad zu verschwinden, wo er sich sechs, sieben Hände voll Wasser ins Gesicht warf und seine Augenringe anstarrte.
Danach machte er Frühstück, ein englisches mit Eiern und Würstchen, warf seinen Sohn aus dem Bett, ermunterte ihn zu einem redlichen, aufrechten Leben, insbesondere was die Körperhygiene und den Respekt vor Älteren anging, schlang hastig einige Brocken Ei hinunter, schlüpfte in seinen Anzug, der so wie er weit bessere Tage gesehen hatte, nahm seinen zerschlissenen Aktenkoffer unter den Arm und machte sich aus dem Staub. Als seine Frau ihm hinterher rief, er solle viel Spaß an der Arbeit haben, da zuckte Frost zusammen, so als hätte ihn die Peitsche eines Sklaventreibers erwischt.

Je näher er der Schule kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Als er sie sehen konnte, ein graues Gebäude irgendwann in den Siebzigern gebaut, da fing er an zu schlendern. Steckte eine Hand in die Hosentasche und schlenkerte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus neben seinem Bein entlang. Und schließlich, als er vor der Schule stand, vor dem Portal mit der lateinischen Aufschrift, da erinnerte sich Frost daran, dass er diese Sentenz dorthin gemalt hatte. Es war sein Vorschlag gewesen. Damals. Er war angenommen worden, hinter seinem Rücken hatte man wahrscheinlich über ihn gelacht. Ein wenig verstaubt, natürlich. Ein klein wenig anachronistisch. Latein, was sollte das heutzutage noch? Aber man hatte den Vorschlag angenommen und er hatte die Worte dorthin gesprüht, mit Vorlagen, mit ausgestanzten Buchstaben, die nur gefüllt werden mussten. Er hatte es gern gemacht. Allein das war wichtig.
„Was machen Sie denn da?“, hörte er eine Stimme. Sie gehörte Deubert, Sport und Physik.
Frost widerstand dem Impuls sich umzudrehen, drückte seinen Kopf auf die Brust und wandte sich zur Seite um, so dass Deubert ihn nicht sehen konnte. Frost ging einige Schritte, die Aktentasche stieß gegen sein Bein.
„Frost? Sind Sie das?“
Frost begann zu gehen, lief dann, lief schneller, die Straße entlang, vor den Worten weg, rannte schließlich und floh. Niklas Frost floh.

Den Vormittag verbrachte er im Park und sah zu, wie andere die Tauben fütterten am See. In seinem Aktenkoffer war noch das Unterrichtsmaterial, aber er hatte es schon zu oft gelesen, wenn die Stunden länger waren als heute und wenn die Zeit wie eine Schnecke kroch, heute schlich sie nur - wie eine lahme Katze.

Als es Mittag wurde, machte sich Frost nach Hause auf. Dort angekommen, öffnete er die Tür, murmelte „Ich bin zu Hause“, lauschte auf eine Antwort und dann – als keine gekommen war – schlich er auf Zehenspitzen in sein Büro, schloss sich dort ein und fuhr den Rechner hoch. Er starrte zwei Stunden lang auf verschiedene Dateien, grafische Darstellungen von Sitzplänen vor allem, bis er Solitär öffnete und mit Kartenlegen die Zeit bis zum frühen Abend füllte.

Am Abendtisch – es gab Ravioli mit Tomatensoße – löffelte Frost energisch und hastig. Er nahm den Blick nicht vom Teller und hörte dem Geschwätz seines Sohnes zu. Er hatte heute Sport gehabt und war im Brennball wohl recht erfolgreich gewesen. Seine Frau übernahm das Heucheln von Interesse und Frost dezimierte seine Ravioli mit grimmiger Entschlossenheit.
„Schatz, mir ist heute etwas Seltsames passiert“, sagte seine Frau.
Die Ravioli plumpsten in Frosts Magen. „Was denn, Schatz?“, fragte er, ohne aufzusehen.
„Die Kreditkarte war überzogen. Dabei ist doch schon der Siebzehnte, dein Gehalt müsste doch längst da sein.“
Frosts Nackenhaare stellten sich und er hörte auf zu löffeln, nur noch das Klappern seines Sohnes war zu hören. Der nun, da er nicht mehr erzählen musste, seinen Hunger stillte, aber ungeschickter als Frost, nicht so systematisch. Er rührte mit dem Löffel in der Nudelpampe umher, traf mal da, mal dort den Tellerrand und den Tellerboden. Es klimperte und klamperte. Ohne jeden Rhythmus, ohne jede Harmonie.
„Schatz? Willst du mir was sagen? Wieso starrst du so?“
„Nichts“, sagte Frost. „Wird bestimmt nur ein Missverständnis sein, ich geh morgen auf die Bank.“
Frost wartete noch einige Lidschläge, schob sich dann vom Tisch weg und sagte. „Ich muss noch ein paar Arbeiten korrigieren, warte nicht auf mich, es wird später.“ Dann ging er zurück zu seinem Computer und zu seinen Karten.

Am nächsten Morgen ließ Frost die Straßenbahn zur Schule passieren. Die erste und auch die zweite, selbst die dritte und vierte, er saß nur dort auf dem kleinen Bänkchen und sah Leute kommen und gehen, sah sie ein- und aussteigen. Unter ihm roch es nach Urin und die Bank war kalt und glatt. Schließlich stützte Frost beide Hände auf seine Knie, erhob sich und ächzte dabei. Kaum aufgestanden, nahm er sein Portmonee aus der Hosentasche, spähte hinein und zählte vierundvierzig Euro, dreißig in Scheinen und vierzehn in Münzen. Er studierte den Fahrplan, ein wirres Sammelsurium aus roten, grünen, braunen, gelben, blauen und orangefarbenen Linien, überlegte eine Weile und folgte dem Verlauf der gelben Linie mit der Spitze seines Zeigefingers. Dann stieg er in eine Straßenbahn, suchte sich einen Platz am Fenster und versank in dumpfe Grübelei, bis die mechanische Frauenstimme verkündete, dass er den Turnvater-Jahn-Platz erreicht hätte. Frost stieg aus, tat einige Schritte, um nicht anderen Passanten im Weg zu sein, reckte dann den Kopf nach links und rechts, denn er war nicht oft hier gewesen und das letzte Mal vor Jahren. Endlich erkannte er das grüne Banner Karstadts und machte sich auf den Weg.

Frost stand vor den Messern unter Glas. Sie blitzten und funkelten ihn an; er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, vor der Messerwand in der Freizeit- und Sportabteilung Karstadts, und auf diese Dinger unter Glas starrte. Es gab Messer in allen Formen und Farben, aber das Graue des Stahls dominierte. Es gab lange und kurze Messer, breite und schmale, gezackte und glatte. Einige hatten Intarsien: ein stilisierter Hirsch prangte hier, Initialen funkelten dort, und von einem anderen lächelten ihn überkreuzte Klingen an.
Aber ein Messer interessierte Frost mehr als alle anderen. Dieses Messer war sein persönlicher Gral. Ein schlichtes Ding, ein glatter Holzgriff mit Maserung, dann eine spitz zulaufende Klinge und an der Spitze Zähne. Keine Verzierungen, keine Färbungen, nichts. Nur Holz und Stahl und Zähne. Frost fand, dass es passte.
Er winkte eine Verkäuferin herbei und stand dabei aufrecht und gerade und sprach mit frischer Stimme: „Jenes dort“ und zeigte mit dem Finger auf den Gral.
Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein, öffnete die Glaswand mit einem Schlüsselchen, griff nach dem Messer und musste sich dabei strecken. Frost sah, dass ihr weißes Hemd hoch gerutscht war und einen Blick auf ihren schwarzen Slip freigab und auf ihr Rückgrat und auf den Ansatz ihres Pos. „Dieses hier?“, fragte sie und schaute über die Schulter.
„Ebendies“, sagte Frost und folgte dem Mädchen bis zur Kasse, bezahlte dort in bar und steckte das Messer in seine Aktentasche.
„Waidmanns Heil“, sagte das Mädchen und kicherte dabei.

Frost stand vor dem See, ein paar Tauben pickten etwas vom taunassen Gras. Frost lächelte, machte zwei, drei schnelle Schritte auf sie zu, wedelte wild mit den Armen und schrie „Tschu-Tschu!“
Die Tauben stoben auseinander. Frost nickte, zog sich das Sakko aus, faltete es über seinem Arm, strich es glatt und legte es auf die Bank in seinem Rücken. Danach zog er sich seine Schuhe aus und auch die Socken und stellte beides unter die Bank. Er stützte auch den rechten Fuß auf sie und krempelte sich die Hose bis zu den Knien hoch. Dergleichen tat er mit dem linken. Er ließ den Aktenkoffer aufschnappen und nahm das Messer heraus. Dann schloss Frost den Koffer wieder.
Er strich mit der Kuppe seines linken Zeigefingers über die Klinge und fühlte auch den Messerzähnen nach, vertiefte sich in die Einkerbungen seines Grals.
Frost sah hoch in die trüben Strahlen der Vormittagssonne und Frost sah auch auf die Wellen des Sees, dann lief er barfüßig über die Wiese in den See hinein. Hielt das Messer dabei in seiner linken Hand und stand, noch ehe er es sich versah oder Gelegenheit hatte, seine Entscheidung zu reuen, schon bald bis zur Hüfte im Wasser. Seine Zähne klapperten und sein Penis hatte sich weit zurückgezogen.
Frost hielt den Gladius zwischen seine Augen und die Sonne. „Die Iden des Märzen“, skandierte er. Aber das Klappern seiner Zähne störte ihn und durch die klamme Kälte seiner Unterhose erwachte er plötzlich. Und er sah auf das Messer, das er mit beiden Händen hielt, hoch über seinem Kopf.
Und Frost überlegte es sich anders.

Schon von Weitem sah er den Penner, der sich über seine Jacke und seinen Aktenkoffer gebeugt hatte. Eine zerlumpte Gestalt in einem schwarzen Mantel. Frost watete durch den See auf ihn zu, platschte vorsätzlich dabei mit den Händen aufs Wasser. Doch der Penner hörte ihn nicht, hatte sogar einen Stein vom Boden aufgehoben, der dort dicht neben Frosts Schuhen gelegen hatte, und hämmerte nun auf die Schnallen des Aktenkoffers hernieder wie ein Schmied auf einen Amboss.
Frost entstieg dem Wasser. Ihn fröstelte. Das Wasser tropfte seinen Rücken hinunter in die Poritze. Der Penner hatte ihn noch immer nicht bemerkt, obwohl Frost nun hinter ihm stand. Aber er schien wie besessen von seiner Schmiedeaufgabe, donnerte mit dem Stein hinunter.
„Guter Mann“, sagte Frost. „Ich fürchte, das gehört mir.“
Der Penner drehte sich um, hielt noch den Stein und schrie wie von Sinnen, als wäre der Teufel hinter ihm her. Frost sah auf den Stein und in die Augen des Mannes.
„Nicht, verdammt, nicht“, schrie der Penner mit spiritustrunkener Stimme und stürzte auf Frost zu, den Stein erhoben. „Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht.“
Frost wollte nach hinten ausweichen, doch der Mann war schwer, fiel auf ihn und riss ihn mit sich zu Boden.
Der Penner gurgelte plötzlich und Blut sprudelte aus seinem Mund heraus, besudelte Frosts Hemd und sein Gesicht, von oben bis nach unten. Frost roch Spiritus-Atem, Stoppeln kratzten über sein Gesicht und seine Brust und in seiner linken Hand spürte er den Holzgriff. Den Griff des Grals, den er vergessen hatte.

Frost wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, aber irgendwann hatte er den schweren Mann von sich hinuntergerollt und sich die Hände im See gewaschen. Und dort hatte er gesehen, dass das Messer mit seiner linken Hand verschmolzen war. Dass das Messer zu seiner linken Hand geworden war, gleich der Hakenhand eines Piraten.
Und Frost verstand die Welt nicht mehr. Schon wieder nicht.
Seine Messerhand spiegelte sich im See wieder. Und auch das Blut auf seinem Hemd und auf seinem Gesicht. Eine frische Wunde war an seinem Hals, vom Versuch, sich zu waschen. Jetzt erinnerte sich Frost: Er hatte ganz normal mit beiden Händen Wasser geschöpft, gar nicht gemerkt, dass er nur noch eine hatte und dann hatte er den Schmerz gespürt und hatte die Hand gesehen, die stahlglatte Hand mit den Zähnen. Frost sah sich nach allen Seiten um: Die Tauben waren zurückgekehrt und hatten sich um die Leiche des Penners versammelt, der mit dem Gesicht nach unten im Gras lag. Sonst war niemand zu sehen. Frost stand auf, entfaltete seine Jacke, klopfte sie ab, krempelte seine Hosenbeine nach unten und schlüpfte in seine Schuhe. Dies alles dauerte länger als für gewöhnlich und immer wieder schnitt Frost sich, vor allem an den Beinen und an den Knöcheln; er war noch nicht an seine neue Hand gewöhnt.
Endlich war er fertig angezogen, wenn auch Blut seine Socken durchweichte, und Frost griff sich den Aktenkoffer, der arg durch die Amboss-Schläge ramponiert worden war, und Frost ging.

Während Frost auf die Straßenbahn wartete, tropfte er ab. Die Menschen mieden ihn. Seine linke Hand hatte er in seiner Hosentasche versteckt; dort zuckte und ruckte sie wie der abgeschlagene Kopf einer Schlange. Ein junger Mann blieb irgendwann vor Frost stehen. Flaum war auf seinem Gesicht zu erkennen und er roch nach Zigaretten und billigem Aftershave. „Herr Frost, sind Sie das?“
„Ja“, sagte Frost.
„Geht es Ihnen denn gut? Wir haben nur gehört, dass Sie versetzt worden sind. Ich sag Ihnen, wir vermissen Sie. Oh Gott, was haben Sie denn da? Haben Sie sich beim Rasieren geschnitten.“
„Ja“, sagte Frost. „Beim Rasieren.“
Jetzt erkannte er den jungen Mann. Ein Deutsch-Albaner, saß in Raum Zwei-Null-Vier, in der dritten Reihe, äußerst links, Dienstags und Donnerstags jeweils dritte und vierte Stunde. Ganz ordentlicher Schüler, wenn auch faul, furchtbar faul, stand schriftlich auf Vier und mündlich auf einer guten Zwei. Frost stand auf, schnitt sich dabei mit der linken Hand in den Oberschenkel, ächzte vor Schmerzen auf und sagte: „Hüte dich vor den Iden des Märzen.“
Dann stieg er in die Straßenbahn.

Als Frost wieder zu sich kam, starrte er auf Janines Leiche. Seine Messerhand zuckte mattschwarz nach. Frost sagte: „Ich habe sie dir geopfert. Jetzt wird alles wieder gut.“
Er sah auf die Leiche hinab, eine junge Blume vor ihrer Zeit erblüht und vor ihrer Zeit verblüht. Sexuelle Belästigung. Frost schüttelte den Kopf. Kindesmissbrauch, Missbrauch einer Schutzbefohlenen, fast war es ihm, als lache ihn die Leiche an. Dieses dürre Ding, mit Knospen anstelle von Brüsten, ohne Kurven, ohne Form, noch ohne Charakter, aber schon böse.
Frost sah sich im Zimmer um. Weiße Wände mit roten Tupfen; kein Poster an der Wand, nur ein Bücherregal hing da, ein Sideboard. Marion-Zimmer-Bradley-Romane, dann noch ein Fernseher, ein Satelliten-Receiver und ein Computer. Ein Jahrmarkts-Teddy auf dem Bett neben Kissen mit Blumen bestickt. Und Blut, überall Blut. Die Hand hatte die Kontrolle gehabt.
Die Leiche lag da, der Körper war nur noch blutende, zerschnittene Masse, aber der Kopf war noch rein. Den Kopf hatte sie verschont, jeden Moment konnte der Kopf sagen: „Am besten Sie nehmen Ihren Hut und wir verzichten darauf, es weiter zu verfolgen.“ Konnte das sagen, aber nicht mit der Frauenstimme, mit der Mädchenstimme, sondern mit der Direktorinnenstimme.
„Willst du sie auch, Hand?“, fragte Frost. Die Hand blieb stumm, züngelte nicht mattschwarz wie eine Schlange, wisperte nicht zu ihm mit Fistelstimme. Frost verließ das Zimmer, ging über den Flur, an dem toten Hund vorbei, der niedergemetzelt an der Wand lehnte, ging durch die Tür hinaus, wo die Dame lag, mit zerschnittener Kehle, ging an allem vorbei und ging nach Hause.

Die Fahrt und den Weg zurück bis in sein Büro, bis nach Hause, vergaß er, noch während er sie erlebte.
Und dort saß er nun, seine Knöchel schmerzten, seine Waden, seine Oberschenkel, seine Arme und sein Nacken. Sein Gesicht brannte aus tausend, kleinen Wunden. Und mit der rechten Hand umklammerte er die Maus und legte seine Karten. Die linke lag daneben, tot und starr und still.
Dann Klimpern an der Tür, helles Kinderlachen. Die Hand zuckte. Frost merkte es an seinem Oberarm. Spürte das Zucken abwärts. Frost starrte auf die Hand, sie schlängelte sich auf und ab, kratzte über den Schreibtisch hinweg. Frost nahm die Maus mit seiner rechten Hand und hieb auf seine linke Hand. Doch wohin er auch zielte, die Messerhand war schneller, wich ihm aus. Mal um Mal um Mal. Eine Sisyphus-Arbeit. Vergebene Liebesmüh. Und so strafen die Götter, die gerechten, alle.
„Nein“, sagte Frost. „Bitte nicht.“ Doch die Hand erhob sich nun, wie die Schlange eines Schlangenbeschwörers. Frost griff mit seiner rechten Hand nach seinem linken Ellenbogen, bekam ihn zu fassen, drückte die Messerhand nach oben, zu seiner Kehle hin. Er spürte die Klinge an seinem Hals, schloss die Augen, jeden Moment musste es vorbei sein. Die Iden des Märzen. Doch da war nichts Nasses, da war kein Blut. Und die Klinge leuchtete stumpf von innen heraus, sie hatte ihm kein Leid getan.
Frost starrte auf den Monitor. Klickte mit seiner rechten Hand ein Deck durch, ohne eine Karte bewegen zu können. Es lief nicht gut, das Spiel war nicht mehr zu gewinnen.
An der Tür klopfte es: „Papa? Bist du schon da?“
Frost sagte nichts. Dann energisches Klopfen: „Schatz, warst du auf der Bank?“
Frosts Hand zuckte.

 

Tach Quinn,

wieder einmal leicht "verworren" die Geschichte, was für mich erneut kein Nachteil ist. Ich habe mich irgendwie die ganze Zeit an zwei Filme erinnert.
Am Anfang war es "Falling Down", danach "American Psycho".

Die anfängliche Idylle, die natürlich durch den Gedanken gestört wurde, das da was nicht stimmen kann, wird dann durch die krasse Aktion mit dem abgestochenen Penner gestört.

Dieser Satz war klasse, wobei spätestens dann klar war, worauf das ganze hinauaslaufen wird, jedenfalls teilweise:

Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein

hier etwas, was vielleicht verbesserungswürdig ist, wobei kein Fehler:

der mit dem Kopf nach unten im Gras lag.
vielleicht:
der mit dem Gesicht nach unten im Gras lag.
Weiß ja nicht genau, wie der gute Mann denn nun liegt.

Ich fand auch den ersten Satz klasse:

Weil er Angst hatte, im Schlaf zu reden, schlief er gar nicht.

Ich nehm einfach mal an, es war Absicht von dir, sehr oft "Frost" zu schreiben, vielleicht um den Namen in das Gedächtnis des Lesers zu brennen.
(Verstehste den Witz, brennen + Frost... hehe, genial)

Ich fands sehr unterhaltsam.
Das total Normale am Anfang, dass immer mehr in die "Crazyness" abdriftet und am Ende wieder in der Normalität endet.

Leider fand ich den Charakter an sich nicht wirklich interessant, geschweige denn seine Familie oder irgendwen anders in der Geschichte.
Aber diese Geschichte ist anders als die Letzte die ich von dir gelesen habe, offensichtlich weniger auf Charaktere abgezielt als vielmehr auf die merkwürdige Gesamtsituation.

Wie gesagt, mich hats unterhalten, auch diese Geschichte ist nicht gruselig gewesen (für mich), aber das ist auch sehr schwer. Immerhin sind die meisten hier abgebrüht wie nochmal was.
Deswegen sollte man neue Aspekte schaffen, die den Leser fesseln.
Hier hast du´s relativ gut hinbekommen, wenn auch in meinen Augen kein Überflieger.


Es grüßt dich herzlich und Heckenschneidend,

Jekyll and Hide mit seinem Kumpel Edward

 

Hey Jekyll

wieder einmal leicht "verworren" die Geschichte, was für mich erneut kein Nachteil ist. Ich habe mich irgendwie die ganze Zeit an zwei Filme erinnert.
Am Anfang war es "Falling Down", danach "American Psycho".
Sind jetzt beides nicht gerade meine Lieblingsfilme, aber okay, ich sehe die Parallelen.

Die anfängliche Idylle, die natürlich durch den Gedanken gestört wurde, das da was nicht stimmen kann, wird dann durch die krasse Aktion mit dem abgestochenen Penner gestört.
Ich finde nicht, dass an der Geschichte irgendwas idyllisch ist. Das geht ja am Anfang schon alles schief.

der mit dem Gesicht nach unten im Gras lag.
Jupp, ist gekauft.

Ich fand auch den ersten Satz klasse:
Der Aufbau des Satzes ist ein Zitat aus einem großen, deutschen Roman. Den fand ich auch schon immer gut.

Ich fands sehr unterhaltsam.
Das total Normale am Anfang, dass immer mehr in die "Crazyness" abdriftet und am Ende wieder in der Normalität endet.
Sehr schön.

Leider fand ich den Charakter an sich nicht wirklich interessant, geschweige denn seine Familie oder irgendwen anders in der Geschichte.
Ist ein Nachteil dieser Erzählform, die das "Innere" fast komplett ausblendet, das sehe ich ein. Man wird mit den Figuren auf so engem Raum nicht so schnell warm.

Aber diese Geschichte ist anders als die Letzte die ich von dir gelesen habe, offensichtlich weniger auf Charaktere abgezielt als vielmehr auf die merkwürdige Gesamtsituation.
Ich kann ja nicht immer dasselbe schreiben, sonst meckern die Leute wieder "Kennt man eine, kennt man alle." ;)

Schön, dass dir die Geschichte zugesagt hat, vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren
Quinn

 

Hi Quinn

Mein Gott, mit dem Titel werden ja alle Johnny-Fans automatisch angezogen, das ist gemein. Weil die Geschichte nach der Schnee-Geschichte(ja, die vergesse ich nicht, weil du meine Zeit damit vergoldet hast. ;)) die schlechteste unter deinen Geschichten ist. Auch wenn man bei dir gar nicht sowas wie 'schlecht' sagen kann, weil alle Geschichten irgendwas haben, das einem zum Weiterlesen anspornen.
Mein Vorgänger hat schon die Unsympathie der Charaktere angesprochen und dir ist ja auch klar, dass der Kerl einfach unsympathisch ist, und mir sowas von egal ist, ob der am Ende nun seine Familie umbringt oder nicht. Ist mir Schnuppe, die Geschichte ist mir egal, und sie gehört definitv zu den Geschichten, die man schnell vergisst, wobei das aufgrund des Titels nicht so schnell passieren wird.

Draußen erwachte die Stadt; die Stadt, die geschlafen hatte.
Die erklärenden Sätze passen nicht. Die Stadt erwacht, also muss sie vorher geschlafen haben, das ist schon klar, aber dass du das noch extra schreibst. Oder das hier:
Er reckte beide Arme aus, wie um sich zu strecken, wie um die Müdigkeit langen, erholsamen Schlafes
Wenn jmd die Arme reckt, dann mit der Absicht sich strecken zu wollen, also was soll dieses: wie um sich zu strecken.
sieben Hände voll Wasser ins Gesicht warf und seine Augenringe anstarrte, von denen jeder so groß wie eine fünfzig Cent-Münze war.
Hast du mal fünfzig-Cent bei, hab vergessen wie groß die sind.
Danach machte er Frühstück, ein englisches mit Eiern und Würstchen, warf seinen Sohn aus dem Bett, ermunterte ihn zu einem redlichen, aufrechten Leben, insbesondere was die Körperhygiene und den Respekt vor Älteren anging,
Ich weiß nicht, aber das passt irgendwie nicht zu dem letzten Teil. Das passt nicht zu dem Charakter. Der Typ ist die ganze Zeit geistig abwesend, schert sich nicht um die Probleme anderer und plötzlich soll er am Frühstückstisch eine Moralpredigt halten?
Die Abendtisch-Szene ist wieder gut, genau das Gegenteil von der Frühstücks-Szene, weil er da authentisch ist und das macht, was der Leser erwartet, er macht nämlich nichts. Ahja, so filmtechnisch hat er mich auch an Falling down erinnert.

So, und jetzt such ich mal die vögelnden Rosen?

Cu JoBlack

 

Mein Vorgänger hat schon die Unsympathie der Charaktere angesprochen und dir ist ja auch klar, dass der Kerl einfach unsympathisch ist, und mir sowas von egal ist, ob der am Ende nun seine Familie umbringt oder nicht.
Ja, du hast schon recht. Die Geschichte ist halt mal was anderes, dadurch geht sicher ein Stück weit die Sympathie mit den Figuren über den Jordan, wollte mal was anderes probieren. Mir gefällt es eigentlich ganz gut, wirkt eben distanzierter und klarer. Aber okay, du findest sie nicht so toll.

Die Stadt erwacht, also muss sie vorher geschlafen haben, das ist schon klar, aber dass du das noch extra schreibst.
Wollte betonen, dass er eben nicht geschlafen hat.

Wenn jmd die Arme reckt, dann mit der Absicht sich strecken zu wollen, also was soll dieses: wie um sich zu strecken.
Okay, aber das andere lass ich drin. Es ist ja so ein "Kino"-Strecken, du weißt schon, wenn man das Date angrabschen will. Also ein völlig überzogenes Strecken, das sollte betont werden.

Hast du mal fünfzig-Cent bei, hab vergessen wie groß die sind.
Boah, ehm ... doppelt so groß wie Johnnys Augenringe in den Fluch der Karibik-Filmen!

Ich weiß nicht, aber das passt irgendwie nicht zu dem letzten Teil. Das passt nicht zu dem Charakter. Der Typ ist die ganze Zeit geistig abwesend, schert sich nicht um die Probleme anderer und plötzlich soll er am Frühstückstisch eine Moralpredigt halten?
Na ja, er versucht halt nocht, zu funktionieren. Natürlich tut er das nicht mehr mit voller Kraft, deshalb ist die Moralpredigt ja nur eine automatische Tätigkeit von vielen. Neben Waschen, Kochen und Frühstücken. Kommt vielleicht nicht so gut rüber.

Die Abendtisch-Szene ist wieder gut, genau das Gegenteil von der Frühstücks-Szene, weil er da authentisch ist und das macht, was der Leser erwartet, er macht nämlich nichts.
Da ist er ja auch noch fertiger als am Frühstückstisch, da versucht er es gar nicht mehr.

So, und jetzt such ich mal die vögelnden Rosen?
FSK 16!

Dank dir fürs Lesen und den Kommentar, du hast mir - jetzt ehrlich - in Bezug auf manche Sachen die Augen geöffnet; klappt wohl alles nicht so recht, hm

Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Basti,
hat sich irgendwie mit meiner Antwort auf Frollein Black überschnitten:

Hi Quinn,

ich hätte mir den Scherenhänden-Film vielleicht mal ansehen sollen. So hat mich die Story an einen etwas merkwürdigen Splatter-Film erinnert, in welchem ein Typ die Kontrolle über seine Hand verliert, der Rest, naja, Splatter eben.

Den Film kenn ich auch, mit diesen Zombie-Kifferfreunden. Der hatte eine ganz andere Stoßrichtung. ;)

In diesem Punkt hat deine Geschichte meinen Erinnerungen gegenüber einen großen Vorteil, sie ist sehr viel niveauvoller. Du bedienst dich einer schönen Sprache die ich passend finde für deinen Prot.
Danke, das hört man gerne.


'Um so..., um so...' das finde ich absolut unglücklich. Vielleicht wars beabsichtigt aber ich fände 'Je näher..., desto langsamer' besser.
Echt? Um so, um so ... hm, ich finde das klingt. Je mehr, desto ginge sicherlich auch, also in meinem Sprachgefühl gibt sich das nicht viel. Ich änder es trotzdem ab, deine anderen Vorschläge arbeite ich auch ein.

Vom Stil her hats mir gut gefallen, die fallenden Ravioli waren ein super Bild und auch sonst gibts eigentlich nichts zu meckern. Nur verwirrend fand ich, dass Frost nur in diesen See latscht und dann anstelle einer Hand, ein Messer hat. Aber sonst wäre der Titel ja nicht gerechtfertigt.
Klingt doch alles ganz okay. ;)

Danke dir fürs Lesen und Kommentieren
Quinn

 

Hallo Quinn,

Einige hatzen Intarsien

hatten

von einem anderen lächelten ihn überkreuzte Klingen an.

Das ist gut!

„Jenes dort“

Das klingt so geschwollen. Wer redet so? Ein Lateinlehrer … na gut, kann man drüber streiten.

Frost entstieg dem Wasser. Ihm fröstelte.

Kann er nicht einfach aus dem Wasser kommen? Ihm entsteigen klingt sehr dick, dicker als der Stil, in dem die Geschichte ansonsten verfasst ist. Und fröstelt es nicht ihn (Hat bei Google knapp zehntausend Einträge mehr)?

spiritustrunkener Stimme / Spiritus-Atem

Mit Spiritus mach man’ Grill an …

doch der Mann, er war schwer, fiel auf ihn und riss ihn mit sich zu Boden.

Warum diese unnötige Komplexität durch den Einschub? Doch der Mann war schwer, fiel …

Dies alles dauerte länger als für gewöhnlich

Länger als gewöhnlich

vor allem an den Beinen und an den Knöcheln. Denn er war noch nicht an seine neue Hand gewöhnt.

Ich würde entweder „Denn“ weglassen oder den Punkt nach „Knöcheln“ durch ein Komma ersetzen.

Ansonsten flüssig, spannend und am Ende … bin ich nicht mehr mitgekommen. Frost ist geflogen, sieht seine kleine Welt zusammenbrechen und läuft Amok (Sehr schön germanisiert übrigens das Thema, indem er ein Messer benutzt, bei uns stehen ja nun mal die Halbautomatischen nicht den Gang runter neben dem Käseregal). Aber dann habe ich Schwierigkeiten, die Chronologie der Ereignisse auf die Reihe zu bekommen. Janine ... hat er sie angegrabbelt und ist deshalb geflogen? Und am Schluss bringt er sie dann ganz um? Das Ende fand ich noch ziemlich gut, ich persönlich fände es sogar fieser, den letzten Satz wegzulassen.

Grüße
JC

 

Hey Proof,

Das klingt so geschwollen. Wer redet so? Ein Lateinlehrer … na gut, kann man drüber streiten.
Wollte ich extra so, "Ebendies", "Jenes dort" - natürlich ein wenig geschwollen. Aber er hat auch einen Entschluss gefasst und ist in dem Moment ein wenig gelöst - außerdem sieht er dem Mädchen ja auf die Unterwäsche.

Kann er nicht einfach aus dem Wasser kommen? Ihm entsteigen klingt sehr dick, dicker als der Stil, in dem die Geschichte ansonsten verfasst ist. Und fröstelt es nicht ihn (Hat bei Google knapp zehntausend Einträge mehr)?
Ach, es ist ja schon eine "dicke" Szene. Der Selbstmord im Stadtteich mit dem Gladius. Da passt das entsteigen schon finde ich. Es ist schon richtig, dass da die Stilebene ein bisschen ausbricht - ich finde das aber gar nicht schlimm, wenn es mit der Handlung konform geht.
Mit dem frösteln hast du recht.

Mit Spiritus mach man’ Grill an …
Halt eine richtig penetrante Fahne. Bisschen bildhafter Ausdruck, aber es entsteht doch ein Bild und ein Geruch, oder?

Warum diese unnötige Komplexität durch den Einschub? Doch der Mann war schwer, fiel …
Jau, gekauft.

Länger als gewöhnlich
Gibt sich nicht viel, glaub ich. "Länger als für gewöhnlich" - "Länger als gewöhnlich" - nujo.

Ich würde entweder „Denn“ weglassen oder den Punkt nach „Knöcheln“ durch ein Komma ersetzen.
Jup, war las kleiner Sprach-Gag gedacht, wirkt aber wohl zu belehrend.

Ansonsten flüssig, spannend und am Ende … bin ich nicht mehr mitgekommen. Frost ist geflogen, sieht seine kleine Welt zusammenbrechen und läuft Amok (Sehr schön germanisiert übrigens das Thema, indem er ein Messer benutzt, bei uns stehen ja nun mal die Halbautomatischen nicht den Gang runter neben dem Käseregal). Aber dann habe ich Schwierigkeiten, die Chronologie der Ereignisse auf die Reihe zu bekommen. Janine ... hat er sie angegrabbelt und ist deshalb geflogen? Und am Schluss bringt er sie dann ganz um? Das Ende fand ich noch ziemlich gut, ich persönlich fände es sogar fieser, den letzten Satz wegzulassen.
Ja, ist so wie du vermutest. Ich hab den "Mord" eben ausgeblendet und nur in der Rückschau erzählt. Und die Gründe für den Rauswurf nur angedeutet, aber fand es eigentlich klar genug.
Flüssig ist gut, spannend auch und dass das Ende zur Abwechslung mal passt ist auch sehr schön.

Danke dir für die Kritik und vor allem für die Textarbeit
Quinn

 

Hallo Quinn!

Eine der psychoanalytischen Theorien zur Erklärung des Phänomens Suizid sagt:

Der Selbstmörder wendet Aggressionen, die er gegen andere Menschen hegt, gegen sich selbst.

Dein Prot hat ja starke Aggressionen gegen die Personen, die er in seinem gekränkten Selbstwertgefühl dafür verantwortlich macht, dass er als Lehrer abserviert wurde: gegen die Direktorin, gegen Janine. Diese Aggressionen will er gegen sich selbst wenden, was ihm aber nicht gelingt: Die Aggression verselbständigt sich und tötet andere. Trotzdem ist Autoaggression, Selbsthass nicht vollständig in Aggression gegen andere verwandelt.

Dass es ein Penner ist, den die Messerhand, dieses Symbol für den Aggressionstrieb, über den er die Herrschaft verloren hat, umbringt, lässt vermuten, dass ein Rest von Selbsthass im Spiel geblieben ist: Ein Penner ist ja einer, der kein Einkommen mehr hat, etwas, zum dem Frost zu werden droht, genauer: ja eigentlich schon geworden ist, auch wenn er die Fassade des beamteten Lehrers in Lohn und Brot noch aufrecht erhalten konnte.

Dass seine Aggression aus gekränktem Selbstwertgefühl fließt, verrät auch diese Stelle:

Er sah auf die Leiche hinab, eine junge Blume vor ihrer Zeit erblüht und vor ihrer Zeit verblüht. Sexuelle Belästigung. Frost schüttelte den Kopf. Kindesmissbrauch, Missbrauch einer Schutzbefohlenen, fast war es ihm, als lache ihn die Leiche an. Dieses dürre Ding, mit Knospen anstelle von Brüsten, ohne Kurven, ohne Form, noch ohne Charakter, aber schon böse.

Er fühlt sich von der Leiche ausgelacht - diese Stelle hast du schon vorher in deiner Geschichte vorbereitet:
Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein, öffnete die Glaswand mit einem Schlüsselchen, griff nach dem Messer und musste sich dabei strecken. Frost sah, dass ihr weißes Hemd hoch gerutscht war und einen Blick auf ihren schwarzen Slip freigab und auf ihr Rückgrat und auf den Ansatz ihres Pos. „Dieses hier?“, fragte sie und schaute über die Schulter.
„Ebendies“, sagte Frost und folgte dem Mädchen bis zur Kasse, bezahlte dort in Bar und steckte das Messer in seine Aktentasche.
„Waidmanns Heil“, sagte das Mädchen und kicherte dabei.

Auch da lacht das Mädchen, in der er Janine sieht, über ihn: Dieses "Waidmannsheil" ist ja richtig zynisch, bedenkt man, dass er das Messer kauft, um sich selbst zur Strecke zu bringen. Diese Art von Spott kränkt ihn so sehr, dass seine Aggression, die er gegen sich selbst wenden will, wieder gegen Janine und die Direktorin wendet - eine starke Stelle!

Grüße gerthans

 

Hallo gerthans,

das leuchtet mir alles ein, was du sagst. Und es schmeichelt mir natürlich, wenn die Geschichte auch auf so einer "tieferen" Ebene noch Substanz hat.
Ich sehe außerdem noch zwei Aspekte drin. Erst einmal natürlich die Sexualität, der Selbstekel vor sich selbst, weil er diese "jungen Mädchen" begehrt. Das ist auch beides in den von dir zitieren Stellen drin, glaube ich. Die Passage mit dem Hochrutschen des Hemdes und die Blumen/Knospen-Metaphorik bei der Leiche.
Und zum anderen versucht Frost, glaube ich, aus der ausweglosen Situation noch einen Helden-Tod zu machen. Das ist ja alles sehr archaisch. Ein Gladius, die Iden des Märzen, ein Teich, die Sonne. Die Aufwertung des eigenen Lebens durch einen pathetischen Tod sozusagen. Aber dafür ist die Realität (die Kälte, das Klappern der Zähne) dann auch wieder zu banal. Vielleicht hätte ich in diesem Moment noch den Geschmack der Ravioli (nichts könnte banaler sein) in seinen Mund aufsteigen lassen können. Jetzt wo ich drüber nachdenke, sollte ich genau das noch abändern. ;)

Ich habe mich sehr über deine Gedanken zu dieser Geschichte gefreut
Quinn

 

Hallo Quinn,

Lauschte jedem Atemzug nach, jeder Regung und jedem Geräusch. Draußen erwachte die Stadt; die Stadt, die geschlafen hatte.
Der Punkt wurde ja schon angesprochen, doch dass du mit diesem Relativsatz nur noch einmal betonen wolltest, dass sie geschlafen hatte, kann nicht vermeiden, dass er mich stört. Es klingt hier einfach zu schwülstig, zu lyrisch.
Wenn du betonen willst, dass die Stadt geschlafen hat, dann mach doch etwas wie: "Draußen erwachte die Stadt aus ihrem unruhigen (oder anderes Adjektiv) Schlaf."
Oder lass ihn halt weg. Du merkst schon: Ich hasse diesen kleinen Satz! :mad:

seine Augenringe anstarrte, von denen jeder so groß wie eine fünfzig Cent-Münze war.
Wenn man bedenkt, dass die Augenringe unter dem Auge lang verlaufen, ist das gar nicht besonders groß.;)

Danach machte er Frühstück, ein englisches mit Eiern und Würstchen,
Wie kann man nur...

Dann stieg er in eine Straßenbahn, suchte sich einen Platz am Fenster und versank in dumpfer Grübelei,
"dumpfe Grübelei" Er geht ja nicht darin unter.

Dergleichen tat er mit dem linken.
Vielleicht eher "das gleiche"? Scheint mir passender zur restlichen Wortwahl.


Hat mir wirklich ausnehmend gut gefallen, die Geschichte. Die Kritik, der Protagonist sei unsympathisch, kann ich nur schwer nachvollziehen, im Gegenteil fiel es mir leicht, mit ihm mitzufühlen.
Sprachlich ist das Ganze auch einwandfrei, die Abschnitte der Geschichte sind untereinander richtig proportioniert.

Einzig die Sache mit den Iden des März habe ich nicht ganz verstanden. Dass ein Latein-Lehrer unmittelbar vor seinem Selbstmord so etwas hervorkramt, kann ich mir ja gut vorstellen, aber dass du diese Sache bis zum Ende hin immer wieder bringst, finde ich unnötig. Wo sind denn da die Parallelen zwischen den beiden Geschichten?

Aber wie dem auch sei, insgesamt ist die Geschichte wirklich eine der besten, die ich hier überhaupt gelesen habe.


Gruß,
Abdul

 

Hey Abdul,

Oder lass ihn halt weg. Du merkst schon: Ich hasse diesen kleinen Satz! :mad:
Okay, fliegt raus. Wenn du und Frollein Black ihn nicht mögen, dann deckt das ja so ziemlich das komplette Zielgruppen-Spektrum ab. ;)

Vielleicht eher "das gleiche"? Scheint mir passender zur restlichen Wortwahl.
Hm, es ist halt diese "besondere" Szene. Ich weiß nicht, würde das gerne behalte. Das Gleiche klingt auch schon so dumpf.

Hat mir wirklich ausnehmend gut gefallen, die Geschichte. Die Kritik, der Protagonist sei unsympathisch, kann ich nur schwer nachvollziehen, im Gegenteil fiel es mir leicht, mit ihm mitzufühlen.
Es wird eben fast nur die Außensicht der Figur gezeigt, ist ein anderes Leseerlebnis dann, glaube ich.

Sprachlich ist das Ganze auch einwandfrei, die Abschnitte der Geschichte sind untereinander richtig proportioniert.
Danke, aus dem Grund habe ich den Mord an Janine auch nur raffend zusammengefasst; es hätte den Text sonst ganz anders gewichtet.

Einzig die Sache mit den Iden des März habe ich nicht ganz verstanden. Dass ein Latein-Lehrer unmittelbar vor seinem Selbstmord so etwas hervorkramt, kann ich mir ja gut vorstellen, aber dass du diese Sache bis zum Ende hin immer wieder bringst, finde ich unnötig. Wo sind denn da die Parallelen zwischen den beiden Geschichten?
Es ist halt diese Märtyrer-Pose. Cäsar ist ja am Ende auch nur noch Spielball und hat keinen Einfluss mehr auf das Geschehen. Und es ist natürlich auch eine "Abrechnung", die Zeche wird bezahlt. So sieht sich Frost auch; als machtloses Opfer. Na ja, ich geb zu, mein Faible für solche motiv-artigen Formulierungen hat da voll zugeschlagen. ;)

Aber wie dem auch sei, insgesamt ist die Geschichte wirklich eine der besten, die ich hier überhaupt gelesen habe.
Danke, das motiviert. Freut mich, dass dir die Geschichte so gut gefallen hat.
Noch einmal danke fürs Lesen und für die Kritik

Quinn

 

G'Nabend Quinn!

Nää, watt is datt schön ... wieder mal was zu lesen, bei dem das, was man sich anstreicht, keine verbesserungswürdigen Stellen, sondern solche, die einem erwähnenswert gut gefallen ... sind. Okay, den Satz kannst Du mir anstreichen. :)

Ich geh einfach mal durch ... das Fazit vorweg: Saubere Arbeit!

Der ganze erste Absatz zeigt schon einen herrlich gezeichneten Frost. (Frost, Sand, Neid ... das steckt doch ein System hinter.)
... so dass er endlich einen Grund sah, laut aufzuschreien, aus dem Bett zu springen ...
... warf seinen Sohn aus dem Bett, ermunterte ihn zu einem redlichen, aufrechten Leben ...
Als seine Frau ihm hinterher rief, er solle viel Spaß an der Arbeit haben, da zuckte Frost zusammen, so als hätte ihn die Peitsche eines Sklaventreibers erwischt.

Dieses (unbewusste?) "Bloß weg" kommt richtig schön rüber. Obwohl ihm an der Schule erst schreckhaft bewusst wird, dass er flieht, macht er ja hier schon nichts anderes.

... von denen jeder so groß wie eine fünfzig Cent-Münze war.
Könnte ich aus diversen Gründen drauf verzichten. Augenringe sind Augenringe. Die wirken auch ohne Vergleich. Zudem die Größe auch nicht recht spektakulär rüberkommt ...

da fing er an zu schlendern. Steckte eine Hand in die Hosentasche und schleuderte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus neben seinem Bein entlang
"Schlendern" und "schleudern"? Mir fällt gerade kein Ersatz für "schleudern" ein, aber so beißt es sich. Schleudern ist schneller als Schlendern. Sag das drei Mal hintereinander!

Frost begann zu gehen, lief dann, lief schneller, die Straße entlang, vor den Worten weg, rannte schließlich und floh. Niklas Frost floh.
Nu merkt er's ... geile Stelle!

Am Abendtisch – es gab Ravioli mit Tomatensoße – löffelte Frost energisch und hastig. Er nahm den Blick nicht vom Teller und hörte dem Geschwätz seines Sohnes zu. Er hatte heute Sport gehabt und war im Brennball wohl recht erfolgreich gewesen. Seine Frau übernahm das Heucheln von Interesse und Frost dezimierte seine Ravioli mit grimmiger Entschlossenheit.
Bloß weg ... herrlich. Auch das hier, wo er sich so in eine Kleinigkeit reinsteigert:
Frosts Nackenhaare stellten sich und er hörte auf zu löffeln, nur noch das Klappern seines Sohnes war zu hören. Der nun, da er nicht mehr erzählen musste, seinen Hunger stillte, aber ungeschickter als Frost, nicht so systematisch. [...] Es klimperte und klamperte. Ohne jeden Rhythmus, ohne jede Harmonie.
Da seh ich ihn förmlich mit so einem grimmig verklärten Curd-Jürgens-Blick seinen Sohn anstarren.

Nur Holz und Stahl und Zähne. Frost fand, dass es passte.
Es liest sich alles so schön. Ich weiß gar nicht, warum ich das hier so toll finde. Ich find halt, dass es passt.

Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein ...
Schattenwerfen. Das ist fein.

...

Und so weiter. Du merkst: Mir hat's richtig gut gefallen. Frost funktioniert. Die Geschichte funktioniert. Die Sprache hat ihren eigenen, angemessenen Klang. Und schon wieder erwische ich mich bei dem Schlagwort "klassisch". Ich versuche gerade, mir die Geschichte als Ich-Erzählung im Poe-Stil vorzustellen ... könnte hinhauen. Vielleicht liegt's daran.
Nu, beim ersten Lesen vor zwei Tagen kam ich nicht so recht rein - jetzt weiß ich gar nicht, was mich davon abgehalten hat.

Mir hat das Lesen auf jeden Fall Spaß gemacht!

Bis denne,
Fisch

 

Servus Nick,

freut mich, dass du dir die Zeit genommen hast, dich dieser Geschichte zu widmen. Freut mich noch mehr, dass sie dir so gut gefallen hat.

Die 50 Cent-Augenlider sind - zur Freude aller - gestorben. Bei Schlendern/Schleudern ... da mogel ich einfach noch nen Halbsatz dazwischen, damit die sch's klanglich weiter voneinander weg sind. (Zur Hölle mit Flanders!, passt eigentlich immer, wenn man mal einen Halbsatz braucht).

Der Plot ja, das ist sehr "klassisch". Gewissenskonflikte sind auch typisch für Poe, soweit ich das gelesen habe. Ich bin bei der Suche nach der richtigen "Stilebene" nicht ganz so weit zurückgegangen, nur circa 100 Jahre - und habe das auch spärlich eingesetzt, die Sprache sollte halt funktionieren, diesen "seltsamen" Menschen, der "seltsame" Sachen tut zeigen und ihn in der Wirkung unterstützen, aber ihn nicht überlagern.
Es ist halt schon eine recht "karge" Geschichte, vielleicht bist du auch deshalb zu erst nicht reingekommen, weil du auf so eine Blödelei wie "Schimären" eingestellt warst.

Dank dir für eine Zeit
Quinn

 

Hallo Quinn!
Ich mochte deine Geschichte. Meine Lieblingsstelle ist folgende hier:

„Jenes dort“ und zeigte mit dem Finger auf den Gral.
Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein, öffnete die Glaswand mit einem Schlüsselchen, griff nach dem Messer und musste sich dabei strecken. Frost sah, dass ihr weißes Hemd hoch gerutscht war und einen Blick auf ihren schwarzen Slip freigab und auf ihr Rückgrat und auf den Ansatz ihres Pos. „Dieses hier?“, fragte sie und schaute über die Schulter.
„Ebendies“, sagte Frost und folgte dem Mädchen bis zur Kasse, bezahlte dort in Bar und steckte das Messer in seine Aktentasche.
Jaaa so richtig schön psycho. Ich mag das. Allgemein die Ausdrucksweise von Frost ist total genial. Der Name allein. :thumbsup:
Also, fröstelnd gelesen! ;)
Apfelstrudel

 

Hallo ihr zwei,
die Geschichte scheint da zu polarisieren.
Den einen (Fisch, Abdul, apfelstrudel) gefällt sie außerordentlich gut, andere (JoBlack, Maria) können gar nichts mit ihr anfangen, weil die Identifikation mit der Figur fehlt.
Wenn ich Innenansichten benutzt hätte, und versucht die innere Entwicklung Frosts auch - wie ich das sonst tue - mit inneren Monologen und ausgeschriebenen Gedanken sichtbar zu machen, hätte die Geschichte wahrscheinlich viel vom dem verloren, was die "andere Seite" gerade als positiv empfindet. Das "Kühle" der Geschichte entsteht aus der Außenansicht.
Ich hab da wirklich keine Ahnung, wie ich beide Lager zufriedenstellen kann. Es tut mir leid.

Danke euch beiden fürs Lesen und Kritisieren
Quinn

 

Hallo Quinn!
Ich denk mal du musst dich nicht verbiegen. Man kann es nicht allen recht machen, so ist das halt. Wems nicht gefällt dem gefällts halt nicht, punkt. Ich würde sie einfach so lassen wie sie ist ;)
Herzliche Grüße,
apfelstrudel

 

Ich noch ma!

Also: Mich kannst du mit dieser Geschichte nicht zufrieden stellen, da kannst du dran pfeilen, bis der Arzt kommt. Ich vergleiche deine Geschichten immer miteinander und wenn ich an "Freier Wille, Baby" (btw. letztens kam End of Days :D) oder deine neuste Geschichte (hab sie gerade gelesen und bin überwältigt) denke, und sie vergleiche, dann ist die hier (in meinen Augen) zu schlecht und nicht das, was ich von dir gewohnt bin. Wäre die Geschichte von einem anderen Autor, könnte man über die (gute) Qualität reden.
Ist doch nicht unfair, oder? ;)

Cu JoBlack

 

Hey Herzblatt,

ja, ist schon okay. Als ich hier angefangen habe, habe ich ja immer diese "1. Person + indirekte"-Rede-Sachen gepostet, bis dann jemand mal meinte, dass sei irgendwie immer dasselbe. Das hat dann meinen Ehrgeiz geweckt und jetzt versuch ich mich halt öfters mal an anderen Sachen. Und die Geschichten wirken dann halt auch komplett anders.
Also von "Freier Wille, Baby" ist das hier natürlich auch schon stilistisch ein ganzes Stück weg, die Geschichte könnte man auch gar nicht in diesem "Freier Wille, Baby"-Ton erzählen. Die muss, glaube ich, so "kühl und distanziert" erzählt sein, ohne soviel dieser Kaugummi-kauenden-Ironie.
Ich bin ein glühender Verfechter der Idee, dass jede Geschichte in der "richtigen" Stimme erzählt werden will. Und jede "Stimme", jede Perspektive, jeder Ton hat seine Vor- und Nachteile.
Aber du siehst ja, Abdul zum Beispiel, der mit anderen meiner Geschichten sicher nicht so viel anfangen konnte wie du, fand jetzt gerade diese Nummer hier sehr gut. Aber mit der Erwartungshaltung, jetzt so nen Teil wie "Freier Wille, Baby" zu lesen, ist die Geschichte natürlich eine Enttäuschung. Wobei wahrscheinlich auch die Umkehrung stimmt, wenn jemand nun diese Geschichte hier super-toll findet und nach mehr davon sucht und dann auf die Herren Neid und Abbalon stößt, wird er wahrscheinlich nicht viel weiter als bis zum ersten Absatz kommen.
Mir macht es halt so am meisten Spaß, wenn ich - wie Kollege Fisch das fordert - bis ans Ende meiner Tage nur noch solche "Überleg doch mal"-blablabla-Pop-Geschichten schreiben würde, würd ich wahrscheinlich ausrasten. Die Lösung wären wahrscheinlich Pseudonyme, aber davon hab ich ja auch schon drei oder vier (Andrea H., Fischstäbchen, Rainer, usw.) Da noch mehr - ich weiß nicht, da komm ich noch durcheinander.

Aber hey ... "überwältigt", ja? ;) Von der neuen? Uiuiui. Das klingt gut.

Gruß
Quinn

P.S.: Mal überlegt, dir ein Barett zu kaufen? Also ... nur so ein Gedanke. ;)

 

Andrea H., Fischstäbchen, Rainer, usw.)
t2 vergessen. so wie du die ganzen GEschichten hier postet. Mann, Mann, Mann.
Ich weiß ja nicht, ob das die neuste ist, ich meine die Männerphantasie-Geschichte. :P Und suche immer noch verzweifelt nach den vögelnden Rosen. Bin ja jetzt alt genug.

 

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