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Maria und der Zauberer
Ich weiß, dass es Zauberer gibt. Das weiß ich wegen Maria.
Die Maria war ein Mädchen, das bei uns im Haus gewohnt hat. Bis zum letzten Frühling, kurz bevor du in unser Dorf gekommen bist. Wir waren beste Freundinnen und saßen deshalb auch in der Schule beieinander. Die meisten anderen mochten Maria nicht so, weil sie sehr still war, aber wenn man sie gut kannte, konnte sie auch sehr lustig sein. Wir haben viel gelacht und oft hat uns Herr Leitner auch angemeckert, wenn wir im Unterricht gequatscht haben.
Warum die Maria bei uns im Haus gewohnt hat? Na, ich kannte die Maria ja schon vorher, als wir noch ganz klein waren. Unsere Eltern waren ganz früher zusammen in die Schule gegangen.
Erst hat die Maria ja im Haus neben unserem gewohnt, mit ihrem Vater. Aber der musste weg, wegen dem Krieg. Marias Papa war erst, glaube ich, noch da, weil die Maria ja sonst keinen hatte, aber irgendwann musste er dann doch weg. Nach Russland, wo mein Papa auch war, sagt Mama. Da kam die Maria zu uns. Und sie ist bei uns geblieben, weil ihr Papa nicht zurückgekommen ist.
Die Maria war deshalb oft ganz traurig. Ich habe sie häufig nachts gehört, da hat sie geweint und ich glaube, dass war wegen ihrem Papa. Mama und Papa haben das so nicht gesagt, aber ich war mir sicher, dass Marias Papa tot ist. Maria sagte, das stimmt nicht. Sie sagte, dass ihr Papa in Russland geblieben ist und da ein großer König ist und dass er in einem Schloss wohnt, das ganz groß ist, so groß wie unser Dorf und aus Gold. Davor ist ein Garten, mit den schönsten Blumen von der ganzen Welt und überall sind da Springbrunnen und ihrem Papa gehorchen tausend Ritter, aber auch sonst alle, sogar die Vögel und die Zauberer. Und sie hat gesagt, dass ihr Papa irgendwann einen Zauberer schickt, der sie mit nimmt zu ihm nach Russland und dass sie dann eine Prinzessin ist.
Ich dachte, die Maria flunkert und war dann immer böse und wir haben uns manchmal deshalb gestritten. Ich habe der Mama gesagt, die Maria lügt, aber die hat nichts gemacht.
Nein, Mama hat sich mit der Maria glaube ich nicht so gut verstanden. Sie haben nicht gestritten, aber die Mama hat sich irgendwie nicht so viel um die Maria gekümmert. Ich glaube, sie wollte nicht, dass die Maria bei uns war. Das war wohl nur wegen Papa, weil der der beste Freund vom Papa von der Maria war.
Papa ist auch sehr still. Er redet fast gar nicht. Er meckert nur häufig wegen seinem schlimmen Bein. Das hat er sich im Krieg verletzt. Das Bein ärgert ihn wohl ganz doll, er ist oft wütend. Dann schimpft er mit Mama oder manchmal auch mit mir. Meistens tut es ihm später aber wieder leid.
Das einzige ist, dass er uns, mir und der Maria, häufig Geschichten erzählt hat. Besonders im Winter, wenn es kalt und dunkel war.
Ach, das waren so Geschichten, die er von seiner Großmutter hatte. Da ging es um Nachtalben und den Teufel und um böse Zauberer. Mama hat dann gesagt: „Jetzt hör doch einmal mit deinen Märchen auf, du machst den Kindern nur Angst.“
Aber Papa hat seine Geschichten zu sehr gemocht und wir haben sie gern gehört. Trotzdem hatte ich danach Angst.
Manchmal lag ich lange wach. Wenn ich dann zum Fenster gesehen habe, da dachte ich, dass da einer herein guckt – aber es war nur der Mond. Oder, dass da etwas vor dem Fenster schwebt – aber es war nur eine Wolke, die sich da spiegelt. Obwohl ich das wusste hatte ich Angst, weil der Papa so gruselig erzählt hat: „Der Nachtmahr ist ein böser Geist, der aus den düsteren Wäldern im hohen Norden kommt. Schreiend und lachend reitet er auf dem Wind hinab und durch jeden noch so kleinen Spalt, zur Not durchs Schlüsselloch, kommt er herein. Er hat spitze Ohren wie ein Hund und einen stinkenden fetten Körper. Seine Augen sind rotes Blut. Mitten in der Nacht schwingt er sich auf deine Brust und drückt dich und macht dir Alpträume und du bekommst keine Luft mehr.
Meistens wachst du dann am nächsten morgen auf und hast Schmerzen oder bist krank. Selten aber wacht einer nach dem Besuch des Mahrs gar nicht mehr auf: Den hat der Geist dann erdrückt und erstickt und ihn mit sich genommen, in den finsteren Wald!“
In den langen Nächten dachte ich dann an den Mahr. Einmal konnte ich überhaupt nicht mehr schlafen vor Angst. Da lag ich ganz still und habe gelauscht. Mit einem mal dachte ich, ich bekomme keine Luft mehr!
Ich bin aus dem Bett gefallen und habe nach Mama gerufen. Die kam dann und hat mit mir geschimpft.
Der Maria hat das nicht so viel gemacht. Sie hatte keine Angst. Ich glaube aber, dass sie wegen den Geschichten so viel geflunkert hat. Immer hat sie geflunkert. Den Winter bevor du ins Dorf kamst hat sie gar nicht mehr aufgehört.
Das hat so angefangen, als schon überall Schnee lag. Es lag ja sehr viel Schnee und es war unglaublich kalt. Mama hat gesagt, so einen kalten Winter mit so viel Schnee gab es überhaupt noch nicht. Auch bei uns drinnen wurde es kaum noch richtig warm.
Am Tag, wenn die Sonne geschienen hat, ging es noch. Da waren wir sogar froh, über den Schnee. Hinter der Schule, da ist ein Hügel und da war ich oft mit der Maria zum Schlittenfahren. Und einen Schneemann haben wir da gebaut, einen ganz großen. Mit dicken schwarzen Steinen als Augen. Maria hat ihm dann einen langen Stock als Schwert gegeben und hat gesagt, er ist jetzt ein Ritter, einer wie die in Russland, wo ihr Vater ein König ist.
Ich wurde sauer und habe gesagt, nein, das stimmt nicht, und dass der Schneemann kein Ritter ist. Da hat die Maria angefangen zu weinen und den Tag nicht mehr mit mir geredet.
Über den Winter wurde sie dann immer trauriger. Ich glaube, das war weil es so dunkel war. Vielleicht, dachte ich, denkt sie auch an ihren Papa.
Mein Papa hat jedenfalls jetzt immer öfter seine Geschichten erzählt. Wenn er erzählt hat, ging es der Maria immer ein bisschen besser, aber nicht lange. Oft ist sie auch wenn es dunkel war, noch alleine raus gegangen und rum gelaufen. Mama wollte nicht, dass ich das mache, aber bei der Maria war es ihr egal. Ich soll das nicht machen, hat sie gesagt, weil jetzt so viele Arme und Tagelöhner bei uns durchkommen und weil man nicht weiß, ob da nicht ein Räuber bei ist.
Ziemlich lange ging es der Maria nicht gut. Da hat sie auch mit mir kaum noch geredet. Aber mit der Zeit wurde das dann auch wieder besser und wir gingen wieder öfter zum Schlittenfahren.
Da haben wir viel gelacht und deshalb habe ich die Maria mal gefragt, warum es ihr denn jetzt wieder besser geht. Sie hat gesagt, das ist, weil sie jetzt bald zu ihrem Vater kann. Ich wollte mich nicht wieder streiten, deshalb habe ich nicht gesagt, dass sie lügt, obwohl ich das geglaubt habe.
Ich habe sie also gefragt, woher sie das weiß. Da hat sie gesagt, das weiß sie, weil jetzt der Zauberer da ist, der sie zu ihrem Vater bringt. Das habe ich nicht verstanden. Sie hat aber weiter erzählt. Dass der Zauberer ein großer Mann ist, der ein bisschen gruselig aussieht, aber eigentlich ganz nett ist und dass er hier im Wald hinter dem Hügel wohnt. Und dass sie eigentlich keinem von ihm erzählen soll.
Dann hat sie aber weiter erzählt, obwohl ich ihre Lügen nicht mag. Sie hat erzählt, wie der Zauberer genau aussieht und was er so gesagt hat, dass sie sich öfter treffen.
Da wurde ich doch wieder böse und habe die Maria angeschrieen, sie soll jetzt endlich aufhören zu lügen. Sonst sind wir keine besten Freundinnen mehr und ich sitze auch in der Schule nicht mehr neben ihr.
Aber diesmal ist sie ganz ruhig geblieben. Sie hat gesagt, sie kann beweisen, dass es den Zauberer gibt. Aber ich darf es keinem erzählen. Ich erzähle es dir auch nur, weil du meine beste Freundin bist.
Wir gingen nach Hause, in unser Zimmer. Ich war froh darüber, weil es schon wieder ganz finster wurde und bitterkalt und ich immer noch ein wenig Angst hatte, wegen den Geschichten vom Nachtmahr und den bösen Zauberern.
Maria fing an, in ihren Sachen zu kramen und brachte dann eine kleine Holzpuppe heraus. Die hatte ich noch nie gesehen – und sie gefiel mir nicht. Sie war ganz grob geschnitzt und sah irgendwie unheimlich aus, wie ein Nachtmahr. Plötzlich hatte ich Angst. Ich habe der Maria gesagt, dass ich die Puppe nicht mag. Da wurde sie ein wenig sauer und sagte, dass ich nur neidisch bin.
Ab da haben wir nicht mehr viel miteinander geredet. Aber die Maria ging jetzt immer öfter noch spät raus. Und blieb lange weg.
Ja, irgendwann blieb sie dann ganz weg. Da war ich traurig, weil die Maria eine so gute Freundin gewesen war. Die Mama weint seitdem sehr oft und Papa ist noch stiller geworden. Das tut mir leid und ich hätte ihnen gern von dem Zauberer erzählt, aber die Maria hat ja gesagt, ich soll nicht. Aber ich würde es trotzdem gern machen. Dann müssten sie jetzt nicht so traurig sein. Wenn sie wüssten, was ich weiß. Dass die Maria einfach heim gegangen ist zu ihrem Papa.