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Dann ist es Liebe
si wurden ein und einvalt
die zwei und zwîvalt wâren ê.
ir arme und ir hende,
ir ahsel unde ir brustbein
diu wâren alsô nâhe in ein
getwungen unde geslozzen:
und waere ein werc gegozzen
von êre oder von golde,
ezn dorfte noch ensolde
niemer baz gevüeget sîn.
(Gottfried v. Straßburg: Tristan, vv. 11716f.; 18204-11)
Ich erwache und mir ist heiß. Mein rechter Arm liegt wie der eines Fremden neben mir. Maries angewinkeltes Bein wiegt schwer auf meinem Unterleib. Dort, wo unsere Haut sich berührt, ist es glitschig, als seien wir schon ineinander geschmolzen. Ich weiß nicht, ob es mein Puls ist oder ihrer, den ich an unseren Bäuchen zähle. Ich spüre ihren Atem warm an meinem Hals und halte meinen an, um das Gleichmaß unserer Respiration zu unterbrechen.
Wenn man nach einer Nacht ohne Sex so daliegt, ist es Liebe. Feucht und klebrig.
Ich hebe meine Schulter an. Ihr Kopf rutscht herab. Sie seufzt und klammert ihren Arm fester um meinen Oberkörper. Ich sortiere unsere Glieder auseinander, schiebe die ihren an der Wandseite des Bettes zu einem Fremdkörper zusammen, setzte mich auf die Bettkante, in das weiße Quadrat, das die Sonne mir auf's Parkett zeichnet.
Hinter mir regt sie sich. Ihre Hand umfasst mein Handgelenk, mit dem ich mich auf der Matratze abstütze. Sie läßt ihre Lippen von meinem Rücken hinauf zu meinem Nacken wandern und ihr Haar über meine Schulter fallen. „Gut geschlafen?“
„Scheiß Hitze hier oben“, antworte ich, schüttele sie ab und gehe ins Bad.
Für kaltes Wasser bin ich nicht stark genug, möchte mich zwar von der peinigenden Hitze, nicht aber von sämtlicher Wärme des gemeinsamen Schlafes befreien. Während das Wasser den Schweiß zweier Körper mit sich fortführt, bevor die vermischten Salze zu pieksenden Kristallen aushärten können, kehrt das Blut in meinen Arm zurück. Es schmerzt, wie jede Rückeroberung verloren geglaubten Terrains.
Ich ziehe meine Jeans an und laufe über die kühlenden Marmorfliesen zur Küchenzeile hinüber, wo sie wie ein bösartiges Insekt mit schimmerndem Chitinpanzer im Halbschatten der Dachschräge hockt. Italienisches Design. Trotz Auszeichnung für Bedienerfreundlichkeit verweigert sie sich konsequent meinen Befehlen. Sie lässt sich nur von Marie zähmen, deshalb bedarf es eines gut gezielten Faustschlags zwischen die Facettenaugen, bevor sie auch für mich ihr graubraunes Gift ausspuckt.
Ich stehe an die Balkontür gelehnt, rauche und beobachte die vereinzelten Blätter der Linde schlapp an ihren Ästchen herabhängen.
„Also ich geh' heute jedenfalls nicht Brötchen holen“, sagt Marie und schnappt mir die Zigarette aus der Hand. Ich habe ihre nackten Füße hinter mir nahen hören. Sie setzt sich auf den Balkonstuhl, zieht die Beine an und schlägt die Flügel meines weißen Hemds um ihre braunen Knie, lächelt zwischen blonden Strähnen zu mir herauf.
„Ich muss weg“, sage ich und verlagere mein Gewicht auf beide Füße.
„Wie weg?“, fragt sie und schirmt ihre Augen vor der Sonne.
„Nach Hause. Muss noch was erledigen“, antworte ich, schwenke den Kaffeesatz in der Tasse und starre auf der Suche nach keltischen Knoten hinein.
„Davon hast du gar nichts gesagt. Ich dachte, wir hätten den Tag für uns“, höre ich sie sagen. Ich zünde mir eine neue Zigarette an. Dann antworte ich, „Das ist mein Hemd“, und kehre ins Schlafzimmer zurück, um meine Sachen zusammenzupacken. Sie läuft hinter mir her, fasst nach meiner Schulter: „Warum ziehst du nicht das Hemd an, das ich dir letztens geschenkt habe. Das hattest du noch nie an.“
Kaum stehe ich auf der Straße, klebt mir der weiße Baumwollstoff bereits am Körper. Doch das stört mich nicht.
Ich lasse mein Telefon eine Weile in meiner Hand vibrieren wie einen gefangenen Käfer, bevor ich Annas Anruf annehme. „Hi Alex, also der Typ war jetzt hier und hat sich dein Zimmer angeguckt. Wir haben uns auch super verstanden. Er sagt, wenn's bei dir passt, könnte er in einer Woche einziehen.“