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pH-neutral
Kati sitzt im Schneidersitz am Küchentisch, auf dem sich seit Wochen ihre Soziologiebücher stapeln. Alles ist Statement. Die Stapel, die jeden zweiten Tag umgeschichtet werden, damit es keine Spinnweben gibt, und die Haare, die mit einem Kugelschreiber möglichst stratzelig hochgesteckt gehören.
Wer wollte sich da noch über mumifizierte Teebeutel in der Garfield-Tasse beschweren?
Der Schneidersitz ist sogar politisches Statement. Genauso wie barfuß. Schon so lange Statement, dass es gar keines Publikums mehr bedarf.
“Was?”, fragt sie böse aber nicht besonders artikuliert, weil sie mit den Eckzähnen die Plastikschlinge eines Preisschildes durchbeisst.
Ich befülle Garfield mit Einweichwasser.
“Ich sag’ ja gar nichts.”
Und ich sagte wirklich nichts und guckte auch gar nicht, denn es ist mir egal, dass sie einkaufen war. Das denke ich zumindest, bis ich sehe, dass sie nicht ausschließlich gesichtslose Dinge gekauft hat.
“Pastateller”, sagt sie. “Villeroy und Boch ist doch irgendwie anders als Ikea.”
Ich nicke unkonzentriert und lasse den steifen Teebeutel knistern.
“Brauchst du die Blasenfolie noch?”, frage ich und versuche so nebenbei zu klingen, weil ihr sonst gewiss noch einfällt, dass es immer ein Fehler ist, Blasenfolie wegzugeben.
“Blasenfolie fünfzig Cent”, sagt sie und dann, als ich mich mit verschränkten Armen gegen die Spüle lehne und schweige, “haha, nee, kannste auch so haben.”
Sie reicht mir die Folie mit gönnerhaftem Gestus, denn sie weiß genau, dass ich wenn nötig auch siebzig Cent bezahlt hätte.
“Danke”, sage ich und überlege, ob ich mir die Bläschen rationieren soll. Aber manchmal verdirbt Rationieren eben auch die ganze Freude.
So bin ich wieder unkonzentriert, als Kati ihre Errungenschaften auf den Bücherstapeln zur Präsentation arrangiert.
“Hier, riech mal. Mandelpeeling. Riecht wie Marzipan. Lecker”, sagt sie und schließt träumerisch die Augen.
Es riecht nicht wirklich nach Marzipan. Wie eine Warnung riecht es eben so nach Marzipan, wie WC-Ente nach Zitrusfrische duftet. Und mit WC-Ente würde ich mir schließlich nicht einmal dann den Rachen ausspülen, wenn ich eines Morgens im Bett neben Kati aufwachen sollte.
“Kind, du hast Alzheimer”, hat meine Mutter immer gesagt, wenn sie mir mal wieder ein Goofy-Pflaster auf die Nase kleben musste. “Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass du Kasimir nicht gegen den Strich bürsten sollst.”
Aber mit dem Gedächnis hat es nichts zu tun. Ich erinnere mich zum Beispiel ganz genau daran, dass "Milch und Honig" nicht gut war. Ich hatte es nicht einmal anders erwartet, denn es ist auch keine Dummheit im klassischen Sinne.
Und trotzdem, als Kati jetzt den Verschluss wieder zuschnappen lässt und eine ungeduldige Bewegung mit der Hand macht, um mich aus der Küche zu verscheuchen, weil es wieder Zeit zum Umschichten ist, weiß ich ganz genau, dass ich höchstens zwei Duschvorgänge widerstehen werde. Dann muss ich wieder spucken und mir den Schaum aus dem Mund spülen. Ph-neutral hin oder her.