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Herr Cornelius möchte die Zeit anhalten
Genug, es reicht, das Maß ist voll. Noch ein Kalenderblatt und es brächte ihn um den Verstand. Ein Sonnenlauf wäre jetzt schon genug. Mehr als genug. Mehr als er ertragen könnte. Ein Hahnenkrähen wäre seine Totenglocke. Ein weiteres Mal rasieren, und er würde die Klinge einfach mal fünfzehn Zentimeter weiter unten ansetzen. Noch ein einziges Morgenmagazin und die Sonne in seinem Fernseher würde nie wieder aufgehen.
Genug, es reicht, das Maß ist voll!
„Was machst du da?“, fragte Franziska.
„Nichts!“, sagte Herr Cornelius.
„Irgendetwas machst du.“
„Unsinn, man macht nicht immer etwas, nur weil man etwas tut.“
„Du willst eine Rakete in die Sonne schicken, um die Zeit anzuhalten?“
Herr Cornelius erstarrte in der Bewegung, sein komplizierter Schraubendreher, den er eigens zum Zwecke des Schraubendrehens erfunden hatte, polterte zu Boden und blieb dort einfach liegen.
Franziska musterte ihn von unten, aber so, als stünde sie über ihm.
Herr Cornelius knetete seine Hände, ließ die Finger aber vom Nacken, weil er seit frühester Kindheit darauf achtete, seinen Nacken zu meiden.
„Das ist eine sehr schöne Maschine“, sagte Franziska.
„Danke“, murmelte Herr Cornelius und starrte auf den Schraubendreher am Boden.
„Wann wirst du denn damit fertig?“
Sie hat mich, dachte Herr Cornelius. Ein Paradoxon.
„Du weißt schon“, sagte Franziska, „wenn du die Zeit anhalten willst, indem du die Sonne zum Stillstand bringst, dann kannst du das erst tun, wenn die Maschine fertig ist.“
„Natürlich“, sagte Herr Cornelius. „Das habe ich wohl bedacht.“
„Gut, gut“, sagte Franziska. „Das wollte ich nur wissen. Verwendest du Speiseeis?“
Franziska tätschelte liebevoll den Bauch der Zeitanhaltungs-Raketenschubs-Wir-zeigen’s-der-doofen-Sonne-mal-so-richtig-Maschine.
„Kyro“, sagte Herr Cornelius, sein linkes Auge zuckte.
„Dein linkes Auge zuckt.“
„Unsinn!“
Franziska schlich um die Maschine herum, beugte ihren Rücken und verschränkte die Arme, nur knapp oberhalb ihres Pos, so als wäre sie ein Huhn und drauf und dran, Körner aufzupicken. Sie imitierte ihn! Ihn! Herrn Cornelius, den Meister über die Zeit!
„Warum willst du denn die Zeit anhalten?“, fragte Franziska.
„Warum sollte ich sie nicht anhalten?“
„Magst du denn die Zeit jetzt gerade so gerne?“
„Eben nicht“, sagte Herr Cornelius.
„Und du hast Angst, dass es morgen noch schlimmer wird.“
„Ach“, sagte Herr Cornelius. „Das würdest du sowieso nicht verstehen! Dafür fehlen die Chromosome!“
Franziska steckte derweil einen Finger in den Bauch der Maschine, zog ihn heraus, er war mit einer blauen Glasur überzogen, schob sich den Finger in den Mund, lutschte ihn ab und bemerkte kühl: „Stracciatella.“
„Kyro!“, protestierte Herr Cornelius.
„Weißt du“, sagte Franziska. „Vielleicht wird es morgen ja besser.“
Herr Cornelius trat den Schraubendreher, der noch am Boden lag, unauffällig zur Seite, drängelte sich an Franziska vorbei zum Kyro-Kern und schob einen Finger in den Bauch der Maschine.
Herr Cornelius sagte: „Mal sehen, wie dieses spezielle Kyro denn so schmeckt.“
„Hast du denn noch nie Stracciatella gegessen?“, fragte Franziska.
„Hm“, machte Herr Cornelius und seit vielen Sonnenläufen und Kalenderblättern und Hahnenkrähen lächelte er wieder einmal.