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Denn wir sind viele
I just don't want to
[Robbie Williams]
Wer Tom Koenigs die Treppe hinaufschreiten sah in all seiner Pracht, in seiner Stattlichkeit, in dieser Gutsherrenart, der tat besser daran, den Blick abzuwenden. Schwarze Schuhe, schwarze Hose, weißes Hemd. Beigefarbenes Jackett. Keine Fliege und auch kein Schlips. Das Gesicht asketisch, wie das eines Sportlers. Habichtsnase, Adleraugen, schwarzes Haar, irgendwie auf der Hut. Jemand in Habacht-Stellung. Die Schritte im selben Rhythmus. Kein Halten, kein Zögern, so als folgten sie Gleisen. Schwere Schritte, der Starke verbirgt seine Stärke nicht, weil er gewinnt, egal was kommt. Er gewinnt.
Husch, husch, ins Körbchen. Man möchte sie verscheuchen, den kleinen Zwerg, der da zuschaut. Der etwas sieht. Das Kind noch, das Mädchen, es linst durch den Türspalt, sieht Tom. Geh doch weg da, Mädchen. Er kommt sowieso zu dir.
Da: Die gnädige Hand der Mutter, billige Farbe auf den Nägeln, die Hand auf der Schulter, die Tür noch schnell schließen, Beeilung, der Kunde wartet nicht, er ist schon auf dem Weg. Husch, husch, das Kind in eine Ecke gesetzt, kein Platz hier, nur ein Zimmer, fast nur Bett. Das Kind in die Ecke gesetzt, Kopfhörer auf. Schau die Wand an, kleines Mädchen, schau nur die Wand an. Dreh dich nicht um. Du wirst noch schnell genug erwachsen.
Kein Klopfen an der Tür, aber er ist da, die Mutter öffnet, sieht in seine Augen. Er fährt sich mit einem Daumennagel über eine Stelle links von seinem Mund, wiegt den Kopf nach links und rechts, aber es knackt nicht. Sie schaut an sich herunter, streckt die Brüste raus, fährt sich durchs Haar, will taxiert werden, klar machen, dass sie noch wer ist, nicht nur mal jemand war. Immer noch fest und Fleisch und Lippen und feucht und dunkel. Tom Koenigs schaut an ihr vorbei. Sieht den Rücken des Kindes, den Fernseher mit Staub auf der Scheibe, sieht Socken, die unter dem Bett hervorlugen. Nein, scheint sein Blick zu sagen, du bist niemand mehr. Nein, scheint sein Blick zu sagen, du warst auch nie wer.
Husch, husch, ins Körbchen. Wie einen Hund will ich dich nehmen. Will dich durch dein Höschen ficken. Dich meinen Schwanz spüren lassen, wenn er in dich fährt. Will dir das letzte Bisschen nehmen, das du noch für Würde hältst. Will dir dabei zusehen, wie du dich in deinem Bett verkrallst, bis nichts mehr da ist, was sich noch zu nehmen lohnt. Und das werd ich mir dann holen.
Deine Ohren sind schön. Das muss man dir lassen. Deine Ohren haben was. Die Ohren sind das Beste an dir. Ich sehe sie, während ich mich in deinen Arsch verkralle. Schöne Ohren hast du, das muss man dir lassen.
Es ist ein stummer Akt, die Rollen sind klar, er lässt keinen Zweifel aufkommen Er schiebt sie aufs Bett, dreht sie um, wie ein Hund kniet sie vor ihm. Er behält das Jackett dabei an, nur die Hose rutscht ihm bis zu den Knöcheln runter. Er schaut auf ihre Ohren, krallt sich in ihren Arsch, ist kaum steif, aber es reicht. Sie spürt ihn. Mehr braucht es nicht. Ein wenig Leben, hier und da. Was man so Leben nennt.
Das Mädchen schaut die Wand an, singt mit, was über die Kopfhörer kommt. Aber stumm, nur im Kopf, das hat Mama gesagt. Nur im Kopf darf sie singen, das arme Mädchen.
Die Mutter sieht sich im verstaubten Glas des Fernsehers. Er thront hinter ihr. Groß, stattlich. Sie sieht ihre Augen.
Nein, schau nicht hin. Das willst du nicht sehen. Husch, husch. Schließ deine Augen. Du bist keiner mehr, du warst auch nie jemand, aber vielleicht bist du’s jetzt. Schlimmer kann es nicht mehr kommen. Die Ohren sind das Beste an dir.
Tom zieht sich die Hose hoch, bindet den Gürtel zu, das Bett vor ihm ist leer, er dreht sich um und sieht das Kind, dort in der Ecke. In der Schäm-Ecke. Wie in einem Kindergarten. Dabei hat sie ja nichts falsch gemacht. Kann ja nichts dafür, dass sie die Tochter einer Mutter ist. Sieben mal sieben Jahre. Tom Koenigs kann auch nichts dafür, dass er war, wer er einmal war.
Ach, kleines Mädchen. Du schaust die Wand an und hörst dein Lied, jemand nimmt dir die Kopfhörer ab, du drehst dich um, siehst nicht deine Mami, du siehst den Mann, du fühlst seine Hand auf deinem Kopf, Finger an der Schläfe, an deinem Kinn, seinen Handteller auf deiner Nase. Du riechst nichts, und du hörst nichts, du fühlst die Finger, die kalten Finger. Husch, husch, kleines Mädchen, ab ins Körbchen.
Tom Koenigs parkt den Wagen in der Einfahrt. Er hat keine Musik gehört und auch keine Nachrichten. Die Welt ist ihm gleich. Und wenn es ihn nach Unterhaltung dürstet, hört er in sich. Viele Geschichten, die er nicht kennt. Viele Geschichten, die ihn nicht kümmern. Er hört nur zu, wenn ihn sein Gewissen plagt. Wenn es zu laut wird. Aber Tom Koenigs mag die Stille.
Die Autotür fällt ins Schloss. Seine Füße streifen über Pflastersteine, eine Treppe, dann ist er an der Haustür, Schlüssel ins Schloss und die Tür schwingt auf. Er setzt einen Fuß hinein und ist woanders. Nicht in seinem Flur, woanders. Ein Salon.
Tom denkt bei sich: Sieben mal sieben Jahre. So schnell geht das.
Ein Salon: Billardtisch mit rotem Vlies überzogen. Bücherregale an den Wänden, gedämpftes Licht. Ein massiver Lehnstuhl, eine Pfote liegt auf der Lehne und hält eine Zigarre.
„Na?“, hört er eine Stimme. „Schöne Zeit gehabt? Hast du dich amüsiert?“
„Danke“, sagt Tom.
Er sieht nur die pelzige Pfote der Kreatur, sonst: Den Rücken des schweren Sessels. Tom Koenigs geht am Billardtisch vorbei, streicht über das Vlies. Schafsfell, rot gefärbt. Er nimmt eine Billardkugel: Elfenbein, sie fühlt sich kalt an.
„Ist nur Show“, sagt die Stimme. „Man kann nicht darauf spielen.“
„So? Wie schade.“
„Das Schafsfell“, das Ding im Sessel lacht wie ein Ziegenbock, „ist uneben. Kannst du vergessen.“
Tom rollt die Kugel gegen eine Bande, sie schlingert auf dem Weg zurück, er nimmt einen Queue, der an der Seite liegt, und er fragt: „Wie ist es so, du zu sein? Vergeht die Ewigkeit für dich auch so langsam?“
„Sieben mal sieben Jahre, mein Freund. Das ist ein Hühnerschiss. Du bist ein Anfänger, ein Schuljunge, von der Ewigkeit hast du doch keine Ahnung. Du bist eine kleine Nummer, ein Paktist. Eigentlich gehörst du nach Paktististan.“
Die Stimme zieht Rauch ein.
„Dramatische Pause?“, fragt Tom Koenigs. „Oder wartest du auf einen Lacher?“
„So welche wie du kommen von der Stange. Komm, halte mich nicht auf. Du wusstest, dass der Tag kommt. Wo sind sie?“
„Das weißt du doch.“
„Ich glaube, du hast ein paar Regeln nicht verstanden. Nur weil du besser bist als das, was du besorgen sollst, heißt das nicht, dass du besser bist als der, für den du was besorgst.“
„Wie bitte?“, fragt Tom Koenigs und geht auf ein Bücherregal zu. „Ich muss wohl unaufmerksam gewesen sein.“
„Nur weil du besser bist als das, was du besorgen sollst“, sagt die Stimme, „bist du nicht besser als ich.“
„Ich fahr wohl durch einen Tunnel, bei mir kommt nur Rauschen an.“
Krallen werden ausgefahren, die Zigarre stürzt zu Boden, die Lehne des Sessels wird zerfetzt, nicht durch eine Bewegung, nur durch das Ausfahren dieser Krallen. Tom sieht sie nicht, sie verschwinden im Polster, hinterlassen aber Spuren. Stofffetzen fallen zu Boden.
„Gib sie mir“, sagt die Stimme.
Tom Koenigs zieht sein beigefarbenes Jackett aus und legt es auf den Billardtisch. Er geht zu einem Bücherschrank und klappt ein Buch nach vorne weg, eine Mini-Bar öffnet sich. Tom bedient sich.
„Du kennst dich hier ja richtig gut aus“, sagt die Stimme.
„Möchtest du auch was?“, fragt Tom, während er blaue Flüssigkeit in ein Glas schüttet. „Vielleicht ein paar Nüsschen? Die Rechnung geht auf mich.“
„Ich weiß gar nicht, was du hast“, sagt die Stimme. „Sieben mal sieben Jahre. Das Schwere liegt doch hinter dir. Gut, du hast gelitten, vielleicht drei, vier Jahre lang? So am Anfang und dann hast du es gemacht. Warst richtig fleißig. Sieben mal sieben Jahre, da kommt einiges zusammen. Vor was hast du Angst? Vor was fürchtest du dich? Du lebst mit ihnen schon so lange, denkst du, sie werden dich in Stücke reißen, wenn du erstmal bei mir bist? Denkst du, da gibt es ein Flammenmeer? Und sie werden sich an dir rächen. Die kleinen Kinder werden dir in den Nacken springen, die Männer werden an deinen Gliedern reißen und die Weiber werden dich mit ihren Fingernägeln und Zähnen kratzen und beißen und kleine Stücke aus dir herausreißen. Denkst du das?“
„Nein.“
„Dann beende die Scharade endlich. Gib, was du geben musst. Du hast genommen, was du nehmen musstest. Und jetzt gib-“
„Was ich geben muss“, sagt Tom Koenigs und knöpft sich sein Hemd auf. „Ich hab das schon verstanden.“
„Jaaa“, sagt die Stimme in kehligem Ton. Die Stimme keucht, so als beobachte sie ein Liebesspiel. Die Krallen sind eingefahren, Stöhnen, Jauchzen. „Aaah“, sagt die Stimme, während Tom Koenigs sein Hemd aufknöpft.
Beulen auf seiner Brust, Halbkugeln mit Gesichtern. Münder, von Fleisch verschlossen. Augen, Nasen, von Fleisch verschlossen.
Es sind viele, denkt Tom Koenigs. Sind es genug?
Da unten das kleine Kind, das Stupsnäschen sieht man, direkt unter seinem Bauchnabel. Und die Mutter mit den schönen Ohren gleich daneben.
Die pelzige Pfote zuckt unruhig, ein rasselndes Geräusch, während sich der Dämon aus seinem Sessel erhebt. Tom nippt an seinem Glas. Stellt es auf den Billardtisch neben das beige Jackett.
Der Dämon ist ein Männchen. Das sieht Tom Koenigs. Ein bocksbeiniger, bepelzter Gnom, das Glied purpurn aufgerichtet in der Leibesmitte. Eine Abnormalität. Die Krallen scharf, das Gesicht verhutzelt wie ein fünfjähriger Methusalem.
Der Dämon kraxelt auf ihn zu, zieht sich zum Billardtisch hoch, wie ein Köter schleicht er auf ihn zu, sein Schwanz schleift über das Schafsfell.
„Ich hab mir dich irgendwie größer vorgestellt“, sagt Tom Koenigs.
Der Dämon fährt die Kralle aus, grüner Speichel tropft über seine Lefzen, eitergelbe Augen funkeln. Er streicht mit der Kralle über Toms Bauch, fährt die von Fleisch verschlossenen Gesichter nach. „Hmmm“, macht er.
Die Köpfe auf Tom Koenigs Bauch weichen vor der Kralle zurück, Münder werden aufgerissen.
„Ja“, stöhnt der Dämon. „Rennt vor mir, ich hab euch doch. Ihr gehört mir.“
Die Münder heben ihre Augen, verharren. Tom lächelt.
„Hier stimmt doch was nicht“, sagt der Dämon. „Was machst du da?“
„Nichts“, sagt Tom. „Nur zu, bedien dich doch.“
Der Dämon weicht zurück, kraxelt mit bepelztem Arsch den Billardtisch zurück. „Du“, sagt er.
Die Münder aufs Tom Bauch nicken.
„Du weißt nicht, wer ich bin, oder?“, fragt Tom. „Du weißt nicht, was du aus mir gemacht hast.“
„Sie gehorchen dir. Nein! Das kann nicht sein!“
Tom sagt: „Mein Name ist Legion.“ Und die Münder auf seinem Bauch krakeelen: „Denn wir sind viele.“
Husch, husch, kleiner Dämon. Ab ins Körbchen.