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Sie kommen!
Ich mag Eindringlinge nicht. Aber ich bin vorbereitet, zerklatsche sie an den Wänden, zertrete sie auf dem Fußboden. Es kommen immer neue nach. Ich weiß nicht, woher.
Motten. Sie hinterlassen Flecke in schmierigbraun und zahnfleischrot. Wenn sie aufplatzen, quillt Fettkörper gelb und glibberig heraus. Ihre Flügel sind mit Glitzerzeug bestäubt, silbrig und metallisch grün flockt es auf meine Sachen. Gefiederte Antennen vibrieren in meine Richtung, doch sie spüren mich trotzdem nie kommen. Es ist einfach, sie zu töten, macht wirklich kaum Arbeit. Sie sind langsam, flattern träge vor mir her. Ich bin schnell, hole sie ein, ausnahmslos. Aber es sind viele, und sie wollen meine Wohnung übernehmen. Vielleicht brauchen Motten auch ein Dach über dem Kopf. Bei mir können sie statt des unerreichbaren Mondes eine Glühbirne anbeten, das scheint ihnen besser zu gefallen. Ich habe sie übrigens alle, nicht nur die mondsüchtigen, die anderen auch. Die Kleiderschrankspezies, die sich in Klamotten versteckt, genau wie die Sorte, die im Mehlbeutel Junge bekommt. Sie umschwirren mein Licht, sie tragen meine Kleider, sie fressen mir die Nahrung weg. Sie sind überall und es kommen immer neue nach.
Ich mag Motten nicht. Sie sind unkontrolliert, machen so hektische Richtungswechsel, von quer nach da, gegen die Lampe, gegen mich, prallen mir ins Gesicht. Immerhin prallen sie ab. Weil ich sie abprallen lasse, weil ich das bestimmen kann. Wenn sie mir aber doch irgendwann anhaften? Wie widerwärtig! Und ich presse die Lippen zusammen, sie zielen immer auf Mund und Augen zuerst. Motten schleichen sich im Flug an, seit meiner Kindheit werde ich von ihnen geräuschlos umschwärmt . Sie steuern plump: Ohne Vorwarnung taumeln sie gegen mich, obwohl ich das nicht will. Das habe ich ihnen auch gesagt, dass ich das nicht will. Als Kind habe ich schon gesagt „ich mag das nicht“. Ohren haben sie ja keine. Larven werfen sie aber hintenrum aus, ekelhaftes Raupengezücht, kriecht überall durch die Gegend. Kreucht um mich, windet sich auf mich zu, plant mich einzuweben mit Mottengespinst.
Ich könnte ja ausziehen. Fliehen. Nur, die Motten kämen nach. Verdammte Viecher, verfolgen mich. Sie wären auch in der neuen Wohnung, wären in meinem neuen Zuhause schon vor mir da, kopulierten da plakativ vor meiner Nase, bohrten ihre Unterleiber in meine Bettdecke, um Eier abzulegen oder sich zwischen meinen Laken zu kühlen.
Eine habe ich mit mir im Bett erwischt, die hatte nicht mitbekommen, dass ich inzwischen aufgewacht war. Hat den Augenblick verpasst, in dem sie hätte abhauen können. Sie war behaart und goldgepudert, roch auch ganz staubig, pumpte immer noch vor Anstrengung wie ein Karpfen an Land, diese Motte in meinem Bett. Zartgliedrig und zittrig der schillernde Körper, plötzliche Furcht in den Augen, als sie zu mir aufsah. Ich schlug sie zu Klump, ich mag Eindringlinge nicht.
Seitdem habe ich meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich muss aufpassen, sonst verliere ich gegen sie, denn es sind wirklich viele. Das ist mein Lebensraum, und ich werde ihn verteidigen, egal, dass die braunen Flecken an den Wänden schon stinken. Ich spüle die Maden im Klo runter.
Pausenlos halte ich jetzt Wache, bin immer auf der Hut. Es klingelt an der Tür. Das ist schon lange nicht mehr vorgekommen, trotzdem habe ich es erwartet. Ich gehe öffnen und es ist nur Manuel. „Wir haben uns ewig nicht gesehen, was machst du so?“, fragt er. Ist er nervös? Bin ich aufgeregt?
Ich will ihn nicht reinlassen. Der Motten wegen, und Manuels wegen auch. Ich mag Eindringlinge nicht. „Kann ich reinkommen?“, fragt er.
Nein, denke ich. „Ja“, sage ich und trete beiseite.
Er geht an mir vorbei durch den Flur und schnuppert argwöhnisch. Das sind die Motten, er kann sie riechen. Wie träge er sich bewegt. Als er es endlich bis ins Wohnzimmer geschafft hat, bin ich schon dicht hinter ihm. „Hast du mal wieder was von Iris gehört? Ich mach mir Sorgen, seit zwei Wochen ist die wie vom Erdboden verschluckt – Oh, verflucht!“ Manuel keucht. „Verflucht, was ist denn hier passiert?“
Er gafft die besudelten Tapeten an.
„Motten“, erkläre ich ihm. „Es kommen immer neue nach.“ Wie man sieht.
Manuel starrt auf die triefende Stelle über dem Sofa, wo ich sie zermatscht habe. Die eine, die sich tatsächlich mit mir ins Bett wagte. Ich hab die Leiche an der Wand kleben lassen, zur Abschreckung für die anderen. Manuel kotzt und taumelt gegen mich. Ich bin bereit.