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Perspektivenwechsel

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25.11.2007
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Perspektivenwechsel

Hallo, auch in dieser Rubrik noch einmal.

Ein Thema, über das ich in den vergangenen Tagen beim Lesen eines jüngst erschienenen Star Wars Romans viel nachgedacht habe. Falls das Posting anderswo besser aufgehoben ist, kann der thread gerne verschoben werden.

Perspektivenwechsel. Als ich vor Jahren die ersten Romane gelesen hatte, die auf den ersten hundert Seiten mit jedem Kapitel einen neuen Handlungsstrang mit neuen Charakteren eröffneten, die am Ende des Romans zu einem gemeinsamen showdown zusammenliefen, fand ich diese Idee des Geschichtenerzählens genial. Immer wenn die Spannung in einem Handlungsstrang den Höhepunkt erreicht, wird dieses Szenario erst einmal ausgeblendet und ein anderes Fragment der Geschichte weitererzählt. So hält man den Leser bei Laune.

Unter den in den vergangenen Jahren geschriebenen Romanen finde ich jedoch kaum mehr Erzählungen, die nicht auf dieses Prinzip zurückgreifen und ich frage mich: Wie würden diese Geschichten aussehen, wären sie chronologisch erzählt worden? Oder: Ist die eigentliche Erzählung so dünn, dass sie nicht mehr interessant wäre, würde auf die ständigen Perspektivenwechsel verzichtet? Schriftstellerische Technik statt erzählte Geschichte? Ich habe eigentlicht nichts gegen Perspektivenwechsel, aber ist es nur meiner Selektion an Lesestoff zu verdanken, dass mittlerweile praktisch alle Romane, die in den vergangenen 10 Jahren erschienen sind, mehr oder weniger diesem Prinzip folgen?

Wie denkt Ihr darüber?

 

Hallo findur,

ich habe mal in die Rubrik Autoren verschoben, denn es ist ja letztlich eine Autorenfrage.
Nach dem Lesen bin ich nicht ganz sicher, ob du den Perspektivwechsel meinst, denn du beschreibst die sogenannten "Cliffhanger".
Dazu wird sicherlich in Erzählungen aus der dritten Person auch mal der Fokus auf die Perspektive einer anderen Person gelegt, meistens aber eben auch der Handlungsfaden an einen ganz anderen Ort und an einem ganz anderen Ende wieder aufgenommen.

 

Hallo findur,

ich habe mal in die Rubrik Autoren verschoben, denn es ist ja letztlich eine Autorenfrage.
Nach dem Lesen bin ich nicht ganz sicher, ob du den Perspektivwechsel meinst, denn du beschreibst die sogenannten "Cliffhanger".


Ich meinte beides oft in Kombination miteinander wiederzufinden. War das nun der Perspektivenwechsel oder der Cliffhanger, den Du beschrieben hast?

 

Hallo findur,


der Perspektivwechsel ist ein literarischer Kunstgriff, der wie alle Techniken nur im richtigen Kontext Sinn macht. Wenn eine Handlung vorangetrieben wird, weil sie chronologisch erzählt wird, wäre ein erzwungener Perspektivwechsel natürlich unangebracht (z.B. könnte die "Schnelligkeit" der Geschichte Schaden nehmen). Andererseits kann es sehr interessant sein, verschiedene Handlungsstränge in einem Punkt zusammen zu führen oder dem Leser durch Perspektivwechsel unterschiedliche Einblicke in ein Geschehen zu geben.
Der Autor muss aus seinem "Handwerkskasten" von Fall zu Fall die richtigen "Werkzeuge" nehmen, wie ein Maler seine Farben nach Motiv auswählt.

Hier findest du weitere Anregungen:


Über Perspektivwechsel:

http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=26257

Zum Thema „Cliffhanger“:

http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=24271

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Danke für die Quellen. Cliffhanger scheint mir auch nicht immer passend zu sein, da die Szenenwechsel, die ich heute so vermehrt wahrnehme, nicht notwendigerweise immer während eines besonders spannenden Moments passieren, sondern praktisch dauernd nach ein paar Seiten.

Unabhängig von der Termologie war meine Frage: Liegt es an der Auswahl meiner Bücher oder ist es tatsächlich so, dass es in der mehr oder weniger trivialen Literatur (ich lese hauptsächlich Fantastik) der vergangenen Jahre praktisch keine Bücher mehr gibt, die chronologisch geschrieben sind und nicht versuchen, den Leser mittels regelmäßiger Szenenwechsel (vielleicht ist ja das das passende Wort) bei Laune zu halten?

 

Hallo findur,

zurück zu deiner Ausgangsfrage: Mir ist (ich habe mich auch etwas bei Viellesern umgehört) auch lange kein Buch ohne Szenenwechsel untergekommen. "Szenenwechsel" trifft wohl gut, was du meinst, da für mein Verständnis (ohne literaturwissenschaftliche Prüfung) ein Perspektivwechsel nicht die Chronologie durchbrechen muß: Der Perspektivwechsel kann unterschiedliche Sichtweisen von etwas Gegebenen zur Zeit X darstellen, anschließend von Zeit X plus 1 usw.

Mal andersherum gefragt. Welche Romane enthalten keinen Szenenwechsel? Kurzgeschichten - okay, Romane, ob man das ganz streng durchhält?

Gruß

Woltochinon

 

Hallo Woltochinon, zu deiner Frage welcher Roman keinen Szenenwechsel beinhaltet:Wenn du mit Szenenwechsel Perspektivenwechsel meinst, ich hoffe ich habe das richtig verstanden, dann würde ich sagen, dass alle Romane mit durchgehend auktorialem Erzähler schonmal keine Szenenwechsel haben.

Allerdings finde ich, dass man Perspektivenwechsel und Szenenwechsel nicht in einen Topf werfen sollte. Die Szene kann sich auch ohne die mitziehende Perspektive ändern und andersherum.

Gruß Eldrad

 

"Gottes Werk und Teufels Beitrag" hat einen auktorialen Erzähler und da finden ständig Szenenwechsel statt, die den Leser "bei Laune" halten sollen.

Wo kein wirklicher Szenenwechsel stattfinden kann, sind Romane aus der Ich-Perspektive mit nur einer (!) Hauptperson. (Weil mir gerade "A long way down" von Hornby eingefallen ist)

Mir fällt gerade Moers ein, der keine Szenenwechsel macht, alle drei Romane, die ich von ihm gelesen habe, sind aus der Ich-Perspekvtive. Roths Jedermann, was ich gerade lese, ist auktorial und der Roman ist auch nicht auf Szenenwechsel, wie findur sie meint, angewiesen.

Wie denkt Ihr darüber?
Es muss passen.

Bei Hornbys A long way down würde der Roman ohne die Wechsel nicht auskommen, sie sind wesentlicher Bestandteil des Romans, ansonsten wäre sein Stoff wirklich dünn, hauchdünn. :)

JoBlack

 

Hi JoBlack,

"Gottes Werk und Teufels Beitrag" hat einen auktorialen Erzähler und da finden ständig Szenenwechsel statt, die den Leser "bei Laune" halten sollen.
Meinst du, dass er von verschiedenen Personen und ihren Gedanken erzählt?
Wenn ja, finde ich, dass das kein wirklicher Perspektivenwechsel ist; es ist ja immer noch der gleiche Erzähler. Oder meinst du etwas anderes?
Gruß Eldrad

 

Hi JoBlack,
"Gottes Werk und Teufels Beitrag" hat einen auktorialen Erzähler und da finden ständig Szenenwechsel statt, die den Leser "bei Laune" halten sollen.
Meinst du, dass er von verschiedenen Personen und ihren Gedanken erzählt?
Wenn ja, finde ich, dass das kein wirklicher Perspektivenwechsel ist; es ist ja immer noch der gleiche Erzähler. Oder meinst du etwas anderes?
Gruß Eldrad

Natürlich ist es der gleiche Erzähler, eben der auktoriale. Er macht halt viele Ortswechsel, oder wie findur meinte, Szenenwechsel.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Eldrad,

wie in meinem vorhergehenden Posting angedeutet meine ich mit Perspektivwechsel keinen Szenenwechsel. Du hast Recht, dass man „Perspektivenwechsel und Szenenwechsel nicht in einen Topf werfen sollte.“

Damit man besser mit einander reden kann:

Unter Szene verstehe ich einen Schauplatz mit einem betrachteten Geschehen. Ein Szenenwechsel (eigentlich ein 'harter Szenenwechsel', ähnlich dem 'harten Schnitt' beim Film) ergibt sich durch einen inhaltlich abrupten Wechsel der Szene, formal mag das weniger plötzlich erscheinen, wenn z.B. ein neues Kapitel beginnt.

Ein Perspektivwechsel ist für mich mit einer Änderung der Sichtweise verbunden. Zwei verschiedene Personen können verschiedene Blickwinkel haben, aber auch eine einzelne Person kann eine neue Sichtweise, z.B. durch gegensätzliche Erkenntnis, erleben.

(Szenen- und Perspektivwechsel können mit dem Element ‚Rückblende’ kombiniert werden).


„alle Romane mit durchgehend auktorialem Erzähler schonmal [haben] keine Szenenwechsel“

Ich denke nicht, dass der gewissermaßen allwissende, übergeordnet stehende Erzähler zwingend nicht die Szene wechseln kann. Er kann sich auch in verschiedene Perspektiven hineinversetzen.
Es ist aber durchaus eine interessante Idee, einmal zu überlegen, welche schriftstellerischen Möglichkeiten sozusagen miteinander kompatibel sind. Um in diesem Zusammenhang findurs Frage aufzugreifen: Fallgeschichten und reiseorientierte Erzählungen bieten sicher ein gutes Potential für reine chronologische Erzählung. Lang, lang ist’s her – Karl May erzählt (zumindest über weite Strecken) schön der Reihe nach.


Gruß

Woltochinon

 

Hallo woltochinon,

Du schreibst:

Ich denke nicht, dass der gewissermaßen allwissende, übergeordnet stehende Erzähler zwingend nicht die Szene wechseln kann. Er kann sich auch in verschiedene Perspektiven hineinversetzen.
Es ist aber durchaus eine interessante Idee, einmal zu überlegen, welche schriftstellerischen Möglichkeiten sozusagen miteinander kompatibel sind.

Wenn sich der allwissende Erzähler in verschiedene Perspektiven hineinversetzen kann, bedeutet das auch, dass er die Perspektiven wechseln darf, wenn es gerade in die Szenerie passt?

Gruß
Gingiko

 

Hallo Gingiko,

ja. Der auktoriale Erzähler berichtet: Stefan stach zu . Blut floss, er fühlte es an seiner Hand, für ihn war es angenehme Wärme ...

Sven krümmte sich vor Schmerz, sah sein Blut aus der klaffenden Wunde strömen, er empfand nur noch Schmerz und kalten Haß gegenüber Stefan.

Die Szene ist 'konstant', die Erzählperspektive ändert sich. (Könnte auch durch inneren Monolog Stefans geschehen).-

Der Vollständigkeit halber: Wechsel der Perspektive außerdem der Szene bedeutet nicht zwangsläufig eine Unterbrechung der Chronologie.

Interessant ist auch, dass man häufig Rückblenden antrifft, selten Vorausblenden. Wenn eine Vorschau auf die Zukunft direkt an die Gegenwart anschließt, ist es dann Vorschau oder nur Weiterführung? (Eine Rückblende, direkt vor der Gegenwart würde jedenfalls die stetige Chronologie durchbrechen). Geschichten mit Vorausblende wären vielleicht mal interessant für eine Challenge. Okay, das geht über findurs Frage hinaus, aber man soll die Dinge ja nicht isoliert betrachten :)

Gruß,

Woltochinon

 

Mal andersherum gefragt. Welche Romane enthalten keinen Szenenwechsel? Kurzgeschichten - okay, Romane, ob man das ganz streng durchhält?

Ich habe gerade den Roman "Kristallwelt" von J.G. Ballard aus dem Jahre 1966 gelesen. Der Roman wird nicht aus der Ich-Perspektive erzählt, erzählt aber chronologisch die Abenteuer des Hauptcharakters. Obwohl teilweise große zeitliche Sprünge zwischen den Kapiteln liegen, wird nicht in Nebenhandlungen gesprungen, die zum Beispiel zeitnah an einem anderen Ort stattfinden. Es wird einfach die Geschichte in der zeitlichen Chronolgie erzählt, wie sie passiert sein soll. Ich halte das im Vergleich zu den Büchern jüngeren Datums für eine sympatische Abwechslung.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo findur,

danke für den Hinweis. Habe auch vor Jahren mal Ballard gelesen, aber nicht auf den Perspektivwechselaspekt geachtet. Wenn ich mal (vorallem bei neuerer Literatur) auf reine Chronologie stoße, werde ich das natürlich hier im Thread anzeigen. Kann gut verstehen, wenn du diese Art des Schreibens als "sympathische Abwechslung" empfindest, vielleicht ist die Zeit reif für ein ganz lineares Werk. In der Musik gibt es schließlich auch das Phänomen des Wechsels zwischen - na, sagen wir mal 'schlicht und pompös'.

Gruß,

Woltochinon

 

So,
ich nochmal.

Ich denke nicht, dass der gewissermaßen allwissende, übergeordnet stehende Erzähler zwingend nicht die Szene wechseln kann. Er kann sich auch in verschiedene Perspektiven hineinversetzen.
Klar kann er die Szene wechseln. Ich habe hier nur den von dir erwähnten Szenenwechsel gemeint, den ich falsch interpretiert habe.
Nochmal wegen der Perspektive. Ich habe für mich immer die Perspektive mit dem Erzähler verknüpft. Tut man das nicht, kann natürlich der allwissende Erzähler auch die Perspektive ändern.

Ein Buch, dass aus nur einer Perspektive geschrieben ist (wenn ich micht nicht wieder irre) und aus der heutigen Zeit stammt, ist Jonny Glynn's "Sieben Tage". Ist allerdings mit Vorsicht zu genießen, da an einigen Stellen sehr brutal. Aber wenn man das mag, ein schönes Buch.

Gruß Eldrad

 

Hallo findur,
Wenn ich mal (vorallem bei neuerer Literatur) auf reine Chronologie stoße, werde ich das natürlich hier im Thread anzeigen.

Ich bin gespannt, was Du findest.

Kann gut verstehen, wenn du diese Art des Schreibens als "sympathische Abwechslung" empfindest, vielleicht ist die Zeit reif für ein ganz lineares Werk.

Es mag vielleicht am Zeitgeist liegen, dass sich Romane mit ständigen Handlungssprüngen am besten verkaufen. Das kommt auch der Zapping-Unterhaltung beim Fernsehen recht nahe. Ich mag beides und lese jetzt immer abewechselnd ein älteres Buch und ein Buch neueren Datums.

 

Eine Frau geht an einem Mann vorbei, der sie mit Augen verschlingt. Er schaut hinter ihr her und denkt: Was für ein Arsch! Sie denkt in dem Moment das gleiche, meint aber natürlich was anderes.*

Das ist ein schönes Beispiel für unterschiedliche Perspektiven, die in einer Geschichte auf zwei verschieden Weisen gelöst werden können:

1. Ich-Erzähler, der sich in Gedanken des jeweils anderen versetzt
2. Perspektivwechsel im Sinne der Woltochinons Definition ("Der Perspektivwechsel kann unterschiedliche Sichtweisen von etwas Gegebenen zu Zeit X darstellen.")

* Das ist nebenbei auch ein schönes Beispiel für unterschiedlichen Denkweisen von Männer und Frauen: Selbst wenn sie in Gedanken absolut das gleiche sagen, meinen sie jeweils was anderes. :D

 

Danke schön Dion für die Ergänzung zum Verständnis des Perspektivenwechsels. Ein Buch jüngerer Zeit, das immer am Hauptcharakter dran geblieben ist, ohne zu Parallelhandlungen zu switchen, habe ich neulich auch gelesen: Spiegelwelt von Wolfgang Hohlbein.

 

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