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Sachliches vs. dichterisch-assoziatives Erzählen

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17.04.2007
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Sachliches vs. dichterisch-assoziatives Erzählen

Achtung, es geht nicht um objektiv und subjektiv im allgemeingebräuchlichen Sinne. Bitte meine Erklärungen genau lesen!


Mir ist aufgefallen, dass es zwei Arten gibt, Dinge zu beschreiben: Wird etwas objektiv beschrieben, kann es sich der Leser in allen Einzelheiten vorstellen. Subjektiv hingegen schwingt auch eine Emotion mit.
Beispiel objektiv: "Sie verengte die Augen zu Schlitzen, verzog das Gesicht und atmete scharf durch die Nase." Dasselbe subjektiv: "Sie sah aus, als wollte sie mich schlagen."
Noch ein Beispiel: Man könnte einfach sagen "dunkelbraune Haare", aber wenn man stattdessen schreibt "Haare wie Zartbitterschokolade", so schwingt noch ein gewisses Empfinden über die beschriebene Person mit. Es überträgt sich quasi die Süße mit auf den Charakter. ;)

Daher meine Frage: Ist eines vom beiden dem anderen vorzuziehen, ist es von der Geschichte abhängig oder sollte man grundsätzlich mischen?

Hat man z.B. einen neutralen Erzähler, muss man ja darauf achten, dass man nicht wertet. Bei Dingen wie "das Haus ist weiß" (objektiv), "das Haus ist weiß wie Mehl" (wirkt gewöhnlich), "das Haus ist weiß wie Nebel" (wirkt geheimnisvoll), "das Haus ist weiß wie Vogelschiss" (wirkt abwertend) ist es durchaus noch möglich, das Subjektive wegzulassen. Hat man aber eine emotionsgeladene Situation, z.B. "sie hockte eng zusammengekauert in einer Ecke" oder "sie sah aus, wie eine Maus im Käfig, die mit einer Katze zusammengesperrt wurde", kommt mit der subjektiven Erzählweise mehr beim Leser an, allerdings ist es auch eine eigentlich verbotene Wertung der Situation, bzw. des Ausdrucks der Person.

Also wie steht ihr dazu? Und vor allem: Was zieht ihr vor?

 
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Hallo Jellyfish,

das ist ein Thema, worüber ich die letzten Monate viel nachgedacht habe, und ich bin darauf gekommen, dass es immer auf die Perspektive ankommt, aus der erzählt wird.

Wenn man näher an einer Person dran ist, vielleicht in ihrem Kopf, dann erzählt man ihre Gedanken und natürlich auch ihre Wertungen darüber, was sie an anderen Personen oder Situationen wahrnimmt. Das wirkt dann authentisch und charakterisiert die betreffende Person.

Ich nenne das für mich immer die "Voyeurperspektive", weil man als Leser wirklich ganz nah dran ist. Das ist auch die Perspektive, die ich im Augenblick am häufigsten verwende.

Wenn ich die Perspektive wechsle, mache ich einen Absatz. Dann beschreibe ich eine Situation eher objektiv, erzähle etwas über eine Person, oder über ein ganzes Bild.

Beispiel aus einer aktuellen Geschichte von mir:

Der Regen prasselte hernieder und nur ein kleines Vordach sorgte dafür, dass Mara trocken blieb. Vorerst, zumindest. Bald würde das Rinnsal, das in der Gosse vor sich hin gluckste, zu einem reißenden Strom werden und den Unrat sowie die Exkremente der Bewohner Griefenburgs in den Kanal spülen und spätestens dann würde sie die schützende Hauswand verlassen müssen, an die sie sich drückte.
Mara fröstelte und dachte wieder einmal an Henno. Fast vermeinte sie, ihn riechen zu können – zunächst den Schweiß -, dann, wenn er näher kam, den Wein. Und schließlich, wenn er sich über sie beugte und zu sprechen begann, den faulen Atem.
Ich werde nicht noch eimal vor dir fliehen, dachte sie bei sich und presste die Lippen aufeinander. Aber was sollte sie tun? Sie zog die Nase hoch und blickte mürrisch in den Regen. Wenn doch jemand da wäre, mit dem sie reden könnte ...

Im ersten Absatz ist die Perspektive außerhalb. Jemand beobachtet die Situation und urteilt, das Mädchen würde wohl nass werden, bliebe sie weiter dort sitzen. Im zweiten Absatz ist man näher dran, bekommt mit, dass sie friert. Und im dritten ist man noch näher, bekommt sogar die Gedanken mit.

Kurz gesagt: Ich wechsle zwischen subjektivem Erzählton im Szenischen und objektivem, wenn es um die einfache Beschreibung von Szenen und Kulissen geht. Wobei es natürlich sein kann, wie in meinem Beispiel oben, dass sich das Subjektive nachher auf das Objektive bezieht - die Personen "erleben" die Szene ja. Also: "Es regnete" und "sie fröstelte", meine ich in dem Fall.

Ich hoffe, dass ich deine Frage richtig verstanden habe, und natürlich, dass du mit meiner Antwort etwas anfangen kannst. :)

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo, Jellyfish!

Nicht nur die Perspektive kann das entscheiden, sondern auch das Genre.

Im Krimi zum Beispiel kann die nüchterne Erzählweise durchaus die Spannung erhöhen, während in einer tragischen Liebesgeschichte eindeutig die subjektive Erzählweise vorzuziehen ist (meiner Meinung nach). Stell dir mal "Romeo und Julia" als rein objektive Erzählung vor ... graus ...

Natürlich kann man auch genau das Gegenteil machen, aber DAS muss man dann wirklich KÖNNEN! Ich denke, dieses Talent haben die meisten (mich eingeschlossen) nicht.

Irgendwann hat man seinen Stil gefunden. Man kann an ihm feilen, ihn verbessern, anpassen, auch verändern, aber man sollte sich selbst immer treu bleiben. Alles andere spürt der Leser und den will man ja schließlich am allerwenigsten enttäuschen.


Liebe Grüße
Tyra

 

@Yours

Hm, bin mir auch nicht ganz sicher ...

Diesen subjektiven Erzählstil, der viel mit Vergleichen arbeitet, ist mir besonders stark beim Lesen der Otherland-Romane aufgefallen. Ein Beispiel aus dem Kopf war: "Mit dem Gateöffner das Netzwerk zerstören zu wollen wäre, als wollten wir mit einem Schlüssel ein Haus einreißen."
Da haben sich solche Vergleiche, wenn auch aus 3. Person in großer Zahl finden lassen. Oder auch solche objektiv seltsamen Konstrukte wie "dankbar zogen sie die Leichen in den Nebenraum".

Allerdings bin ich wohl selbst noch am Anfang der Entdeckung. Denn ich muss sagen dass bei "der Regen prasselte" und "Mara fröstelte" ebenfalls mehr Bildliches mitschwingt als bei "es regnete" oder "Mara zitterte". (Schöner Text übrigens.)
"Fauler Atem" hingegen ist vermutlich bildlicher als "stinkender Atem" (weil faul konkreter ist), aber nicht so bildlich wie "Atem wie nach vergammelten Essensresten".

Hm, ich muss da wohl noch drüber nachdenken ...


@Tyra

Ebenfalls ein interessanter Punkt, danke. :)

 

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir das Gleiche unter subjektivem Erzählen verstehen. Ein Erzähler, der in dritter oder erster Person aus der Perspektive einer Figur schreibt, übernimmt natürlich deren Subjektivität, deren Meinungen und Anschauungen. Das macht er schon, um auch die Person zu charakterisieren, aus deren Perspektive er beschreibt. So schafft sie Atmosphäre.
Ärgerlich wird Subjektivität zum einen, wenn sie mir Wertungen vorsetzt, die ich nicht nachvollziehen kann. Wird etwas als hässlich bezeichnet, aber dabei nicht beschrieben, wie es aussieht, bin ich der Wertung ausgeliefert, ohne eine Vorstellung zu haben. Wird eine Person als Arschloch bezeichnet, ohne dass ich nachvollziehen kann, was sie für den Perspektivträger zum Arschloch macht, kann ich das Urteil nicht überprüfen und mir keine Meinung bilden, finde also im Gegenschluss auch keinen Zugang zu dem, der subjektiv wertet.
Dein erstes Beispiel

"Sie sah aus, als wollte sie mich schlagen."
würde mich sofort fragen lassen, woraus der Erzähler den Eindruck gewinnt. Es unterläuft die eigene Fantasie.
Dein zweites Beispiel
Haare wie Zartbitterschokolade
hingegen konkretisiert das Braun, erleichtert die Vorstellung und gibt Sinnlichkeit (und das, obwohl ich Zartbitterschokolade nicht mag).

Da ich, wenn ich die Subjektivität in einer Geschichte kritisiere, immer Stellen analog deines ersten Beispiels meine, kann ich sagen: In solchen Fall lehne ich diese eindeutig ab. Im zweiten Beispiel aber dient die Subjektivität der Geschichte. Allerdings ist die Farbe von Zarbitterschokolade auch leicht nachzuprüfen, in sofern würde ich solche Vergleiche auch gar nicht als "subjektiv" bezeichnen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim.

Danke für die Antwort.

Ich hab die beiden Stile objektiv und subjektiv genannt, weil mir das am passendsten erschien. Weil das eine nur beschreibt, beim anderen aber eine Emotion mitschwingt.

Vielleicht wird sonst was anderes mit den Begriffen gemeint, aber ich kenne leider keine besseren Worte dafür. :/

 

Ich bevorzuge das subjektive Erzählen, eindeutig.

Gibt es überhaupt eine Objektivität bei literarischen Texten? Bekommt das dann nicht einen eher Berichte-artigen Charakter?

Stell dir mal "Romeo und Julia" als rein objektive Erzählung vor ... graus ...
Uhm, Romeo und Julia ist auch ein Drama und keine Erzählung, also geht das schon mal überhaupt nicht. :p

Irgendwann hat man seinen Stil gefunden. Man kann an ihm feilen, ihn verbessern, anpassen, auch verändern, aber man sollte sich selbst immer treu bleiben.
Absolut nicht, das ist super langweilig. Man sollte immer wieder Neues ausprobieren.

 

Uhm, Romeo und Julia ist auch ein Drama und keine Erzählung, also geht das schon mal überhaupt nicht. :p

Korrigiere mich. Wäre dann ein "objektiver Bericht". ;)


Absolut nicht, das ist super langweilig. Man sollte immer wieder Neues ausprobieren.

Sag ich ja ...
Man kann an ihm feilen, ihn verbessern, anpassen, auch verändern,
... aber wenn ich versuche, den Stil eines anderen zu übernehmen, dann geht dieser Versuch mit Sicherheit in die Hose. DAS ist damit gemeint. ;)

LG
Tyra

 

Ich versuch nochmal genau zu erklären, was ich meine, weil ich möglichweise die Begriffe falsch gewählt habe.

Das vormals "objektive", trockene Berichten heißt, dass einfach beschrieben wird, wie was passiert oder aussieht. Jedes primitive Lebewesen und jederRoboter mit 3D-Kamera und entsprechender Verarbeitungssoftware (hm, zu viel Sci-Fi gelesen? ;)) könnte sagen: Da liegen umgefallene Baumstämme auf dem Boden, die grün mit Moos bewachsen sind. Ist alles objektiv feststellbar und lässt sich wissenschaftlich nachprüfen.

Aber für das zweite, das emotionsgeladene Beschreiben braucht es ein zumindest annähernd kreatives Gehirn, das Assoziationen herstellen, Vergleiche machen und Eindrücke vermitteln kann. Dieses kreative Gehirn kann im Vergleich dazu sagen: Da liegen Bäume herum wie umgeknickte Streichhölzer, deren Bewuchs giftig grün gefärbt ist.

Man kann schreiben: "Ein Messer wird über den Holztisch gezogen", dann entsteht vielleicht im Leser ein paralleles Bild von einer Bewegung. Aber wenn man schreibt: "Ein Messer schabt/kratzt über den Tisch", dann hört der Leser im Kopf das Kratzen und sieht fast schon die Späne vor dem inneren Auge fliegen. :D

In dem Buch, was ich gerade lese, gibt es im Vergleich mit Otherland ziemlich wenige solcher Stellen. Eine der wenigen lautete etwa: "Es erschienen Dutzende Icons wie geheime Zeichen, die böse Geister in Schach halten sollten." Dieser Eindruck ist nicht objektiv feststellbar, sondern entsteht nur im Gehirn eines Charakters. Auf den Leser wird dieser Eindruck in gewisser Weise übertragen. Diese Icons hätten somit auch auf zig andere Arten beschrieben werden können, z.B. "die vielen Icons erinnerten mich an den zugemüllten Desktop meines PCs" oder "die Icons waren wie Hinweisschilder, die mir den Weg zeigen sollten". (Passt ev. nicht immer in den Zusammenhang. Der Leser soll ja auch nicht durch komplementäre Eindrücke verwirrt werden. Obwohl, wäre sicher auch ein Experiment wert. ;))

Ich hoffe doch, dass jetzt ankam, was ich meinte?

 

Für mich gibt es keinen wirklich "objektiven" Erzählstil. Erzählen bedeutet immer Selektieren, Selektieren bedeutet immer Werten und Werten ist immer ein subjektiver Akt. Schon die Auswahl bestimmter Eigenschaften, die man beschreiben will und somit anderen vorzieht, verraten eine Intention und lenken den Leser in eine bestimmte Richtung.

 

Hallo Jellyfish,

durch die bisherigen Antworten ist schon deutlich geworden, dass es bei deiner Frage um etwas anderes geht, als um Objektivität und Subjektivität.

Objektivität verlangt man bei ernsthaften journalistischen Berichten, der Schilderung von Zeugenaussagen, bei Versuchsbeschreibungen.
Hier stellt sich die Frage, inwieweit Objektivität überhaupt möglich ist, da jeder Beobachter eine eigene Persönlichkeit hat, sich dem Zeitgeist nicht vollständig entziehen kann. Diese Problematik zeigt sich besonders bei historischen Berichten, ist aber auch schon in der Naturwissenschaft vorgekommen (Nancy-Strahlung), obwohl bei Versuchsbeschreibungen – durch die Überprüfbarkeit – Lügen recht kurze Beine haben (zumindest wenn geprüft wird).

Der Kurzgeschichten-Autor kann nun Objektivität für die fiktive Realität, die er beschreibt reklamieren. Die Welt, die er erschafft ist so, wie sie ist. Eingeschränkt wird dies durch Bezüge zur ‚Außenwelt’ seiner fiktiven Realität: Bezieht sich eine Geschichte auf ein historisches Gerüst oder eine reale Umgebung, z.B. eine Stadt, es kann aber auch eine allgemein anerkannte Idee sein - dann gelten die Fakten, Umstände, der wirklichen, von existierenden Menschen erlebten Welt. Für einen Schriftsteller kann es natürlich reizvoll sein hier an Grenzen zu gehen, sie zu verwischen, zu überschreiten, wiederholt von einer Welt in die andere zu wandern.

Was du in deinem ersten Beitrag „subjektiv“ nennst, ist für mich eher die Frage nach Umschreibungen, Redefiguren (siehe hier). Wie man z.B. eine Metapher auswählt, welche Assoziationen man z.B. bei dem Anblick eines Gegenstandes hat, ist natürlich subjektiv. Aber die literarischen Ergebnisse dieser subjektiven Sichtweise müssen gewissermaßen in einen allgemeinverständlichen Kontext eingebettet sein, sonst werden sie unverständlich. Wie nachvollziehbar Metaphern und Vergleiche für einen Leser sind, hängt immer von seiner erlebten Welt ab.
Die Kunst des Schriftstellers liegt darin zu erahnen, welcher Subkontext bei einer Redefigur vom Leser noch nachvollziehbar ist. Metaphern, Vergleiche, Chiffren sollen sich schließlich nicht nur schön anhören, sondern einen Text auch inhaltlich erweitern, vielleicht sogar doppelbödig machen. Hier besteht natürlich die Gefahr, dass man Über- oder Fehlinterpretationen provoziert.

Du stellst die Frage:

„Ist eines vom beiden [objektives, subjektives Erzählen] dem anderen vorzuziehen, ist es von der Geschichte abhängig oder sollte man grundsätzlich mischen?“

Dies ist letztlich (wie so oft bei stilistischen Fragen) die Entscheidung des Autors, was er für richtig hält. Im ungünstigen Fall stößt sein Stil die Leser ab, vielleicht begründet er aber auch eine neue Stilrichtung. Wahrscheinlich ist jedoch, sich mit seinem Können irgendwo zwischen den Extremen zu bewegen.


LG,

Woltochinon

 

Kleine Info:

Thread wurde umbenannt, in der Hoffnung, dass nun klarer ist, was ich meine.

Wer trotzdem noch Verbesserungsvorschläge hat, gerne her damit. :D

 

Ich möchte darum bitten, dass sich mit dem Thread nochmal auseinandergesetzt wird. Es geht nicht um objektiv und subjektiv, sondern um trockenes Berichten und Erzählen, das passende Gefühle im Leser auslöst, durch bildliche Vergleiche z.B.

"ließ Kopf und Schultern hängen" ist vielleicht bildlich vorstellbar, aber der Leser fühlt nichts. "Traurig" ist ein starkes Wort, das im Leser besser anklingt. "War so traurig, als wollte er sich in ein Loch legen und nie mehr aufstehen" schafft im Leser ein Bild, das das Gefühl unterstreicht. Die Person legt sich nieder, hat allen Lebensmut verloren und möchte sterben, legt sich dafür in ein Loch, als wollte sie sich sofort begraben lassen ...

Vielleicht ist es für einige ungewohnt, solche Ausdrücke zu erkennen und zu verwenden, Wahrscheinlich ist es für die meisten sogar schwierig zu verstehen, was ich meine. Mir selbst sind diese Unterschiede erst kürzlich (=vor einem Jahr) aufgefallen. Die Dinge waren halt anders geschrieben, umständlicher, bildlicher. Nach einer Weile begriff ich, woran es lag. Mittlerweile habe ich eine Geschichte geschrieben, in der ich hauptsächlich solche Ausdrücke verwendete, und jetzt kann ich sie in ergründen und nach Bedarf verwenden.

Aber wenn ich mit diesem Mittel alleine da stehe, finde ich das sehr traurig, als stünde ich auf einer erleuchteten Insel inmitten eines schwarzen Meeres bei Nacht, kein Mensch weit und breit, mit dem ich mich darüber austauschen kann ...

 

Ich empfehle zu diesem Thema 'Einführung in die Erzähltheorie' von Matias Martinez/Michael Scheffel (in diesem Fall vor allem die Kapitel Modus+Stimme) und 'Aspekte erzählender Prosa' von Jochen Vogt (Kapitel 2, 'Die typischen Erzählsituationen' und 4, 'Personenrede und Bewusstseinsdarstellung).

Beide nehmen immer wieder Genette, Stanzel und Käte Hamburger auf, die man so netterweise gleich mitliest. Beide Bücher sind trocken, wie es nun mal so ist, und beide zwar eigentlich für Literaturinterpretationen verfasst, für angehende Autoren aber mindestens genauso lehrreich. Wer die Muße hat, sich da durchzuschlagen, wird schnell merken, dass man mit Begriffen wie objektiv oder subjektiv nicht weit kommt, damit wühlt man höchstens ein wenig im eigenen Sandhaufen. Für ein anständiges Burgenfundament ist es aber keine schlechte Sache, ein wenig mehr auszudifferenzieren.

 

@Rabenschwarz

Du verwendest die Begriffe objektiv und subjektiv, die ich aus dem Threadtitel bereits entfernt hatte. Die Wörter waren unglücklich gewählt, es ist eigentlich was komplett anderes gemeint, aber ich wollte meinen Ausgangsbeitrag nicht nochmal neu schreiben, weil sonst die nachfolgenden Beiträge nicht mehr dazu passen ...

Es erscheint mir als hättest du meine Erläuterungen gar nicht gelesen, deshalb füge ich doch noch einen Hinweis im ersten Beitrag ein ...

 

Hallo Jellyfish,

sorry, aber sachliches bzw. dichterisch(!)-assoziatives Erzählen ändert daran auch nichts. Wirklich, guck mal in die Bücher (oder von mir aus auch andere) rein. Wenn du für eine Geschichte recherchieren musst, fragst du doch auch nicht nur deine Freunde, oder?

So ist dein Ansatz zum Beispiel allein aus dem Grund ein bisschen unlogisch, und gleichzeitig einen Schritt voraus, als das ist in jedem Text erst einmal zu klären gibt, welchen Erzählertypus man eigentlich haben will (und warum. Das Gleiche gilt natürlich für wechselnde Erzähltypen.).

Mal ein Auszug als Beispiel, hier zur personalen Erzählweise -

"Im Zusammenspiel mit den typischen 'personalen Erzähltechniken' ... wird die Forderung nach einer möglichst intensiven Illusion von 'Wirklichkeit' weitesgehend erfüllt. Der Verzicht auf Erzählereinmischung sowie die Fixierung eines Blickpunktes (oder mehrerer Blickpunkte) im Figurenbewusstsein bewirkt für die Erzählung grundsätzlich eine Einschränkung des Wahrnehmungsfeldes (und damit des Erzählbaren) nach den Gesetzen subjektiv[ok, erwischt]-psychologischer Perspektivik. Die Wahl eines subjektiven Blickpunktes begrenzt, genauer gesagt, die äußere Wahrnehmung aufs jeweilige Hier und Jetzt (und die Aussicht auf andere Personen), öffnet aber die innere Wahrnehmung der Perspektivfigur für Gedanken, Gefühle, besondere Erinnerungen. Deshalb überwiegt häufig die innere Handlung gegenüber der äußeren Realität, die ihrerseits nur durch die subjektive Wahrnehmung der Perspektivfigur vermittelt wird." (aus: Vogt)

Ich hab vom dem Vogt komischerweise 2 Exemplare (vermutlich gehören mir beide nicht). Wer eins haben möchte und lieb darum bittet, dem schick ich eins :D

 

Hallo Rabenschwarz.

Mit Perspektive hat das weniger zu tun. Eigentlich gar nichts. Möglicherweise ist das dichterisch-assoziative Erzählen bei Erzählungen aus Sicht einer Person angebrachter, möchte man meinen.

Aber die meisten Romane, die ich gelesen habe, benutzen kaum oder wenig bildliche Vergleiche, egal ob sie aus Sicht eines neutralen oder personalen Erzählers geschrieben wurden.

Auch ein neutraler Erzähler kann bildliche Vergleiche etc. verwenden, wenn dadurch dem Leser besser vermittelt wird, was geschieht. Ich habe früher viel sachlich erzählt, mit "ließ Kopf und Schultern hängen", "riss die Augen weit auf" usw. Wüsstest du bei meinem zweiten Beispiel, wie die Person drauf ist, die das tut? Meine Leser wussten das nicht ... besser ich schrieb "riss die Augen gierig auf" oder noch besser "riss die Augen auf, als wollte er die Szene mit ihnen verschlingen".

Perspektive ist vollkommen egal. Es geht darum, wie man dem Leser durch bestimmtes Erzählen ein 'Mitfühlen' der Geschichte ermöglicht.

 

Hallo Jelly.

Aber du erzählst doch immer aus der Sicht einer Figur, nämlich aus der des Erzählers? Und aus dieser Erzählperspektive ergibt sich, wie und was erzählt wird. Du sagst es ja selbst - 'Es geht darum, wie man dem Leser durch ein bestimmtes Erzählen ein 'Mitfühlen' der Geschichte ermöglicht.' Dieses bestimmte Erzählen geht vom Erzähler aus und ist demnach die Erzählperspektive.

Was ich u.a. versuche zu sagen, ist Folgendes - es liegt nicht an einzelnen Formulierungen, einem drangepappten Adjektiv, einem Vergleich etc., ob ein Leser mitfühlt oder nicht ('riss die Augen auf, als wollte er die Szene mit ihnen verschlingen' ist übrigens scheußlich, aber ich gehe mal davon aus, dass du das nur zu Vergleichszwecken komponiert hast). Es liegt am Erzähler. Wenn der es schafft, aus der Kombination aus dem, was er erzählt und wie er es erzählt (natürlich gilt es hier, jede seiner Formulierungen auf Stimmigkeit mit dieser Perspektive zu überprüfen), braucht es u.U. keine, ich nenne es mal, ausführlichere Sprache. Denn wenn der Leser nach einer Weile versteht, wie sein Erzähler tickt, und zwischen seinen Zeilen lesen kann, etwa wie bei der Mimik des Gegenübers während eines Gesprächs, dann wird er auch wissen, wie die beschriebene Figur fühlt, die die Augen aufreißt.

Empfindest du denn die erwähnten Romane ohne viel bildliche Sprache als gut oder schlecht? Warst du den Figuren, der Handlung und dem Erzähler nahe, oder brauchst du selbst blumigere Sprache, ob mit Literatur etwas anfangen zu können?

Grüße.

 
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Hallo Jellyfish,

es helfen an dieser Stelle sicher keine Kochrezepte im Sinne von genauen Mengenangaben und Verfahrensanweisungen.

Die beiden von Dir vorgeschlagenen "Erzählweisen" haben ihre Vor- und Nachteile und sind in hoher Dosierung schwer verdaulich. Ich versuche mich mal an ein zwei winzigen Übungstückchen:

Eine zierliche Frau um die 25 kam in den Raum gestöckelt, marschierte zielstrebig auf den einzig freien Tisch des Restaurants zu, so dass Alberto, der 43 jährige sizilianische Oberkellner bemerkte, wie ihr schulterlanges, blondes Haar im Takte ihrer Schritte glänzende Wellen warf. Was für Weib, dachte er sich, während er breit lächelnd, "Buona sera, signorina" zu ihr sprach und mit einer jovialen Geste auf den Tisch deutete, an dem sie bereits Platz genommen hatte, um die schwarze Krokodilledertasche zu öffnen und mittels eines kleinen Spiegels das Schwarz ihrer langen Wimpern und die unverwischte Strahlkraft ihres rosenfarbenen Lippenstiftes zu kontrollieren.

Für meinen Geschmack sollte hieraus deutlich werden, was passiert wenn zu bemüht innerhalb kurzer Zeit zu viele Fakten präsentiert werden.

Genauso hat eine zu emotionsbehaftete Schreibweise ihre Tücken:

"Alles Mistsstücke, diese Weiber", dachte er sich, während er an seiner Marlboro saugend, zum Eingang der Damenumkleide hinüberglotzte. "Morgen, wenn es dunkel ist, wenn die letzte sich umzieht, da müsste man dort rein, sie gegen den Spind drücken, den Mund zuhalten, ihr die Hose von Leib reißen und sie ordentlich hernehmen. Ja, das wäre es, was sie verdienten". Und als er die freie Hand zur Faust ballte, mit der anderen den Zigarettenstummel zur Erde warf, um kurz drauf ihm mit zusammengebissenen Zähnen, das letzte Bisschen Glut auszutrampeln, füllte sich seine Jeans mit pulsierend warmer Härte, während die Sirene hinter ihm verkündete, dass die Zeit zum Träumen nun um war.

Sie zwingt eine Nähe zu einem möglicherweise durchweg unsympathischen Protagonisten auf. Zudem besteht Gefahr in allergieauslösenden Konstrukten wie Kitsch oder Pathos abzugleiten.

Ich denke, wie schon anfangs erwähnt, gibt es kein Kochrezept. Meiner Meinung nach macht es die Mischung. Vorsicht ist auch an folgender Stelle geboten:

Auch wenn eine Geschichte in der 3. Person erzählt wird, schwingt die Person des Erzählers zumindest in Wortwahl und Stil mit. Implizit stellt sich die Frage "wer erzählt mir das alles?" Ein blumiger oder trockener Stil werfen entsprechendes Licht auf die Erzählerfigur. Ein Schuft, wer böses dabei denkt.

LG,

AE

 

Huhu, danke erstmal für eure Beiträge.

@Rabenschwarz

Einst las ich ein Buch über Mimiken, Gestiken und Körperhaltungen und hab solche Ausdrücke in Geschichten verändert: Augen aufreißen oder verengen, mit den Füßen wippen, offene Körperhaltung einnehmen und solches Zeug. Aber hinterher fand ich das blöd, weil bei mir irgendwie nicht ankam, was die Personen damit ausdrückten, und wie sollte ein Leser das dann verstehen.

Um auf deine Frage zu antworten: Bei den Romanen fand ich es interessant, weil ich diese Weise vorher nicht kannte. Es gibt andere Romane, die gut sind, und solche Vergleiche kaum verwenden. Aber ich begann, diese Methode zu ergründen und anstelle meiner nichtssagenden Gesten zu verwenden, damit meine Personen endlich was ausdrücken konnten.

Aber wie ich an meinen eigenen Beispielen sehe, gibt es eine dritte Variante. "Riss die Augen gierig auf" genügt vollkommen, ist nicht so trocken wie der Ausdruck davor und nicht so ausschweifend wie der danach.

Ich denke, dass es 'verschwommene' Szenen gibt, in denen das blumige wunderbar passt. Aber meistens sind sie vermutlich nicht notwendig.

Ich danke dir, dass du mir geholfen hast, das zu verstehen. :)


@AlterEgo

Ich hab eine Weile dran gegrübelt, aber du hast vollkommen Recht. Das Gedankenspiel des Protagonisten, das seine Gefühle verdeutlicht, entspricht dem, was ich meine.
Du hast Recht, dass dem Leser mit dem zweiten eine Nähe aufdrängt, aber das könnte vom Autor beabsichtigt werden. Interessant ...

Danke für die Anregung, werde ich mir merken.


Grüße von Jellyfish :)

 

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