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Aprikose Erna will nicht alleine sein

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23.01.2007
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Aprikose Erna will nicht alleine sein

Vor langer Zeit stand in einem Obstgarten ein Aprikosenbaum, der viele Früchte trug. Eine davon hieß Erna. Sie war kleiner als ihr Schwestern und wuchs weit oben an einem Zweig, liebte die Sonne, ließ sich vom Wind schaukeln und trank den Regen, der in den heißen Sommermonaten selten war.
»Mama, erzähl uns eine Geschichte!«, bat Erna den Aprikosenbaum. Und Mama erzählte vom Wind, vom Regen, von Vögeln und von dem Land hinter dem nächsten Hügel.
Eines Tages kam der Bauer in den Garten, auf dem Kopf trug er einen Strohhut gegen die Sonne. Er breitete ein Netz aus und rüttelte am Baum.
»Ich fliege!«, rief Erna, als sie mit vielen anderen herunter ins Netz fiel. Auf dem Bauernhof nahm sie der Bauer mit seinen von der Feldarbeit rauen Fingern aus dem Netz und wusch sie in klarem Wasser. Gemeinsam mit ihren Schwestern reiste sie in in einer Obstkiste in einen großen Supermarkt. Wie viele Leute es dort gab! Alle kauften etwas, schoben schwere Einkaufswägen vor sich her. Und Erna wünschte sich, dass sie bei einer Familie landete, bei kleinen Kindern und vielleicht gab dort sogar einen Hund.
Nach und nach wurden alle ihre Schwestern in Einkaufskörbe gelegt - nur sie alleine blieb übrig.
»Bin ich zu klein?«, fragte sie sich traurig. Eine Schwester nach der anderen verabschiedete sich von ihr und wünschte ihr viel Glück.
Dann, es war schon spät am Abend, kam ein Kind vorbei, ein kleines Mädchen mit einer roten Haarspange. Das Mädchen sah Erna und rief seiner Mutter zu: »Mama, Mama, ich will eine Aprikose haben!«
Die Mutter hatte wenig Zeit, und weil das Mädchen mit der Haarspange so quängelte, kaufte sie Erna. Wie glücklich die kleine Aprikose war! Das war es, was sie sich gewünscht hatte.
Im Einkaufskorb ging es nach Hause, und dort legte sie die Mutter in einen Obstkorb zusammen mit einer Orange und einer Banane. Jeden Tag wartete die Aprikose nun darauf, dass das Mädchen zu ihr kommen würde. Aber das geschah nicht. »Sicher wird sie mich morgen herausnehmen!«, dachte sie. Doch irgendwann bemerkte sie ein Kitzeln im Rücken.
»Du schimmelst!«, sagte die krumme Banane.
»Tu ich überhaupt nicht!«, antwortete Erna. Aber sicher war sie sich nicht.
Ein paar Tage später ging das Mädchen mit der roten Spange in die Küche, lächelte, und nahm Erna aus dem Korb. Aber als sie sie umdrehte, verzog sie das Gesicht. »Mama, Mama, komm schnell!«
Als Mama kam, nahm sie Erna mit spitzen Fingern in die Hand. »Die ist verschimmelt, tut mir leid. Wir kaufen eine neue, ja?« Das Mädchen nickte traurig und ging dann aus der Küche.
Aber wie traurig erst Erna war! Die Mutter warf sie in den Müll. Da lag sie nun, neben einem verschimmelten, sauren Apfel und den Kartoffelschalen vom Mittagessen. Und weinte, und weinte. Das war nicht, was sie wollte.
Später wurde sie in einem großen Müllwagen, in dem es ganz furchtbar stank, davongefahren und auf eine Müllkippe geschüttet.
»Das ist also das Ende«, dachte Erna. Das Kitzeln an ihrem Rücken war immer stärker geworden und sie bemerkte nun selbst, dass sie schimmelte. Dabei wollte sie doch bei der Familie bleiben. Schließlich schloss sie die Augen und weinte.
Später flog eine Krähe vorbei und pickte sie vom Müllhaufen auf. Trug sie hoch in den Himmel, und die Aussicht da oben wäre atemberaubend gewesen, wenn Erna sich nicht zu sehr gefürchtet hätte, um das zu bemerken. Doch dann kam ein Bussard und die Krähe bekam Angst vor dem großen Vogel und ließ Erna fallen. Und Erna fiel! Sie spürte die kalte Luft an sich vorbeiziehen und die Baumkronen des Waldes kamen schnell näher. Plötzlich streifte sie schon die Blätter der Bäume und hüpfte von Ast zu Ast. Schließlich landete sie weich in einem Kissen aus Moos auf einer kleinen Lichtung. Und dort lag sie nun, war traurig und alleine. Jetzt, so dachte sie, war wirklich alles vorbei. Am Abend wurde es dunkel und kalt. Erna machte die Augen zu und weinte. Nach einer Weile fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Viele Tage vergingen. Und aus Tagen wurden Monate, mit dem Herbst kam der Regen und bald der erste Schnee.
Erna war nun keine Aprikose mehr, nur noch der harte, bittere Kern war übrig geblieben. Immernoch schlief sie tief und fest und träumte von von ihren Schwestern und dem Mädchen mit der roten Haarspange.
Aber als im Frühling der Schnee schmolz und die ersten Sonnenstrahlen auf ihr kitzelten, erwachte sie und spürte etwas, ganz tief. Sie wusste nicht, was das bedeutete. Doch nach ein paar Tagen knackte die Schale und ein kleines Blatt reckte sich der Sonne entgegen. Feine Wurzeln drückten sich tief in die weiche Erde hinein und gaben ihr Halt.
Die Jahre vergingen und bald war aus Erna ein stattliches, kleines Aprikosenbäumchen geworden. Aus ihren kleinen Blüten wuchsen Aprikosen und es war niemals still um sie.
»Mama«, riefen die kleinen Früchte. »Erzähl uns eine Geschichte!« Und Erna erzählte vom Wind, vom Regen, von Vögeln und von dem Garten hinter dem nächsten Hügel.

 

Hej yours truly,

der Name "Erna" ist klasse, ebenso die Idee, ihn einer Aprikose zu geben.

Ich bin etwas hängengeblieben, als ich fürchtete, Erna hätte keinen sehnlicheren Wunsch, als gegessen zu werden ( Aprikosenmasochismus, igittigitt!).
Es wird zwar nirgends direkt gesagt, aber Erna scheint sich ja zu freuen, als sie gekauft wird. Worauf eigentlich?
Ich nehme nicht an, dass die Geschichte die frohe Botschaft verkünden will, dass "gekauft werden" oder auch nur "kaufen" glücklich macht?
Was ist da für Erna drin, bei diesem Akt? Was weiß sie überhaupt darüber? Ihre Mutter hat ja nur von Wind, Regen, Vögeln und dem Land hinter dem nächsten Hügeln gesprochen.
Also, wie gesagt, da hänge ich irgendwie.

Als Erna zu schimmeln anfing, habe ich mich entspannt zurücklehnen und einfach nur genießen können.

Schön!

LG Ane

P.S. Die frühe Aprikosen-Wachstumsphasen würde ich noch mal genauer angehen. Vor einem Blatt gibt es immer so ein kleines grünes Würmchen, wohlmöglich sogar gleichzeitig mit dem Wurzelspross.
Und die meisten Blütenpflanzen :klug: keimen zweiblättrig.

 

Hallo yours,
hat mir prima gefallen. Aprikose Erna, herrlich! Außerdem bin ich schon glücklich, wenn hier mal eine Geschichte gepostet wird, in der es nicht vor lauter Häslein und Käferlein und Bienlein wimmelt ...
Was der Lebenszweck einer Aprikose ist, na, darüber lässt sich sicher streiten. Und ob es nun in einer Kindergeschichte so spaßig ist, zu lesen wie die Protagonistin von kleinen kariösen Kinderzähnchen zermalmt wird, das sei auch dahin gestellt. Insofern habe ich kein Problem damit, dass Erna ihren Lebenszweck verfehlt. Irgendwer muss ja auch den Nachwuchs produzieren.
Süße Geschichte, witzig und originell.

LG
Sammamsih

 
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Hallo ihr zwei!

Freut mich, dass euch das gefallen hat. :) Und ... ja, ich kann Bienlein und Käferlein auch nicht aushalten, die haben mich als Kind schon genervt. Hab lieber Märchen gelesen ... die waren viel schöner.
Und wenn ich so in Bücherläden schaue, was für Kinder angeboten wird ... oh mein Gott. Das riecht so nach pädagogisch wertvoll. Und bringt mich auf den Gedanken, dass Kinderbuchautoren in erster Linie für Pädagogen schreiben (müssen). Und dann für Eltern. Und die Kinder müssen die Bienlein dann ausbaden.

Und das mit dem Lebenszweck, äh ... ja, das ist schon irgendwie so eine Sache, und ich hab ja ganz ehrlich gehofft und gehofft, dass das nicht schon im ersten Kommentar bekrittelt wird ... ähm, naja. Aber natürlich habt ihr recht damit.

Die Geschichte ist entstanden, als meine Freundin so in der Küche stand und eine Aprikose wegwerfen wollte, weil sie verschimmelt war. Also ... die Aprikose war verschimmelt, nicht meine Freundin. Und da hat sie mir so leid getan (die Aprikose) und da hab ich ihr diese Geschichte erzählt. (Meiner Freundin, nicht der Aprikose.)

Und, Ane: Okay, es sind zwei Blätter. Mal gucken, ob mir das in die Geschichte passt. :)

Bis bald!

yours

 

Hey yours :),

hab ich nicht kürzlich erst eine Geschichte über ein Steak gelesen, was auch unbedingt gegessen werden wollte ... also, wenn die beiden sich da mal begegnen, dass Steak und Deine Aprikose - dann können die ja die Revolution von unten anführen, gegen die Überproduktion :D.

Schöne kleine Geschichte. Ich wiederhole jetzt nicht die Fragestellung, die sich schon meinen beiden Vorrednern stellte, aber ich wiederhole gern, dass die Geschichte sich gut wegliest. Am liebsten hatte ich die Schimmelstelle. Das es Erna da juckt, das hat mir gut gefallen.

Was soll man sonst noch sagen? Vielleicht: klein, fein und unterhaltsam.

Beste Grüße Fliege

 
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Hallo yours truly!

Was für eine tolle Geschichte. Schön erzählt, spannend und einfach (aprikosen-)rund. Herrlich.

Hab ich sehr gerne gelesen!

Viele Grüße

bluebird

 

Hey Fliege!

Ja, das Steak und die Aprikose ... und ich weiß noch, wie ich mich in der Steakgeschichte darüber beschwert habe, dass das nicht so geht ... mit dem Gegessenwerden. Naja!

Danke dir fürs Gefallen und so. :)


Und hallo bluebird!

Danke, danke! Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat.

Bis bald und euch beiden noch einen schönen Dienstag,

yours

 

oh mein Gott. Das riecht so nach pädagogisch wertvoll.

hi yours,

ich finde es pädagogisch sehr wertvoll, wie du den Kreislauf des Lebens hier abhandelst :D Und Erna ist ja so eine süße kleine Aprikose. Ich kann mir richtig die Schmetterlinge und die Vögelchen vorstellen, die das Bäumchen umflattern :) ;)

Nee, im Ernst. Man kann in fast in alles was pädagogisches reininterpretieren, wenn man nur genug sucht. Ich könnte sogar was von Tod und Wiedergeburt, chistlic .... ok, ich bin still.

Deine kleine Geschichte war nett zu lesen, die Schimmelstelle, die Fliege schon angesprochen hat, ist auch meine Lieblingsstelle gewesen. Falls Du noch an der Story arbeiten willst, könntest Du plastischer, detaillierter beschreiben.

Grüße
Anne

 

Grüß dich Anne!

Danke für den Kommentar und sorry, dass ich erst jetzt antworte.

Was Pädagogosches wollte ich nicht schreiben, wenn das jemand rausliest, ist es nicht auf meinem Mist gewachsen. :) Ich wollte nur eine schöne Kreisgeschichte schreiben, bei der am Anfang und am Ende alles gleich ist, die Person, um die es geht, sich aber am Kreis entlang weiterentwickelt hat.

Die Idee, wie es dazu kam, steht ja weiter oben in den Kommentaren.

Ich finds schön und es freut mich, dass es dir gefallen hat. Allerdings werde ich an der hier nicht weiterarbeiten, mir aber vornehmen, das nächste Mal plastischer und detaillierter zu beschreiben. :)

Bis bald,

yours

 

Hallo yours,

auch mir hat die Geschichte sehr gut gefallen.
Da die Stelle mit dem Schimmeln bei den anderen, und auch bei mir, so gut angekommen ist, hätte ich eine kleine Anmerkung dazu. Wie wäre es, wenn die kleine Aprikose sich mit dem weißen Pelzchen auf ihrer Schale auch noch schön gefunden hätte? Und erst die Banane würde sie darüber aufgeklärt, was der Pelz bedeutet. Wäre vielleicht auch ganz witzig.

Zwei kleine Fehler habe ich noch gefunden:

Sie war kleiner als ihr Schwestern und wuchs weit oben an einem Zweig,...
ihre Schwestern

... und träumte von von ihren Schwestern und dem Mädchen mit der roten Haarspange.
das eine "von" bitte streichen

Gerne gelesen.

Viele Grüße
bambu

 

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