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Frühlingsgefühle? Go mi af!

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16.03.2011
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Frühlingsgefühle? Go mi af!

"Hallo Herr H. Na, ist das nicht ein herrliches Wetter?"

"Ja, der Winter neigt sich seinem wohlverdienten Ende entgegen. Lange hat er arbeiten müssen und hat dabei wahrlich sein Bestes gegeben. Nun steht der Frühling vor der Tür, erste zarte Knospen zeigen sich an Bäumen und Büschen, die Tage werden länger und wärmer, die letzten Winterdepressionen klingen aus. Menschen strömen zuhauf in die Parks, an die See, genießen die Strahlen der Frühlingssonne, die Stimmung steigt und es ist eine wahre Freude."

"Nicht wahr."

"Als Berufspessimist und Antifreudianer, der seine Winterdepression allein schon aus kreativen Gründen pflegt, sei es mir vergönnt, eine Handvoll Salz in den Frühlingseintopf zu pfeffern und eine Lanze für den Winter zu brechen. Bei der ganzen Euphorie möchte ich an die vergessenen Opfer erinnern, die dieser brutale Einzug des Frühlings wie einen Rattenschwanz hinter sich herzieht. Und ich meine jetzt nicht die armen Leidensgenossen, die jedes Jahr erneut mit größtem Horror die ersten Boten des Frühlings verfluchen, weil sie von Heuschnupfen gebeutelt sind."

"Na ja, aber..."

"Auch von den zahllosen Tauben und Eichhörnchen soll hier nicht die Rede sein. Kaum klingt der Winter aus, strömen Scharen von Rentnern in die Parks und öffentlichen Anlagen, bepackt mit altem Brot und allerlei Teigwaren, um die Tiere zu mästen, die den Winter glücklich heil überstanden haben. Ihr Glück war nur von kurzer Dauer. Tauben gewinnen in kürzester Zeit das doppelte ihres Gewichts, so dass sogar die fettgefütterten Hühner auf den Hühnerfarmen sich für anorektisch halten könnten, wären sie nicht des Tageslichts beraubt, so dass sie weder einander noch gar die verfetteten Tauben sehen können."

"Also wirklich, das ist doch über-"

"Gar nicht anfangen möchte ich von den armen Wildenten, die von Scharen notgeiler, frühlingsgefühl-getriebener Wilderpel gegangbangt werden. Ist es Ihnen schon einmal aufgefallen, dass eine Wildente immer von mindestens fünf bis sechs Erpeln verfolgt wird? Ich bin mir sicher, die arme Ente wünscht sich nichts sehnlicher herbei, als die gute alte Winterdepression."

"Hmm..."

"Nein, hier soll einmal der Opfer gedacht werden, die sonst so gerne verschwiegen und unter den grünen Teppich des frisch sprießenden Grases gekehrt werden. Eines dieser unbesungenen Opfer sind die Winterreifen. Kaum brechen die ersten warmen Strahlen der Frühlingssonne durch, werden sie abmontiert und lieblos in die Garage, hinter Vattis Werkbank, in der seine Pronoheftsammlung liegt, geschmissen. Kein Wort des Dankes, dass sie uns wohlbehalten über die unsicheren Monate des Glatteises gebracht haben. Ja, Undank ist des Winterreifens Lohn. Und wenn sie dann im nächsten Jahr wieder hervorgeholt werden, ergeht es dem Radwerk kaum anders, erinnern sie uns doch an die widrigen Verhältnisse, denen wir mit unserem Gefährt zu trotzen haben. Es ist wahrlich ein schweres Los, ein Winterreifen zu sein. Wer möchte da tauschen? Höchstens die Heuschnupfenden, eventuell noch die eine oder andere Wildente."

"Also, das ist jetzt aber ein Witz, oder?"

"Ein Witz?! Finden Sie das vielleicht komisch? Na, dann denken Sie doch mal an ein anderes Opfer, nicht minder prominent als die Reifen, dem es vielleicht noch schlimmer ergeht: der Winterspeck. Da hat man es sich gerade so richtig kommod im Winter eingerichtet, hier und da die eine oder andere Tafel Schokolade verdrückt, damit die Winterdepression nicht allzu heftig wird, schon kommt der Frühling und damit der gesamtgesellschaftliche Druck, die wärmende Speckschicht wieder loszuwerden. Wehe, es ist im Sommer noch etwas vom Winterspeck übrig! Das Schwimmbad ist tabu, will man nicht behandelt werden wie ein Aussätziger. "Haben Sie den gesehen, Frau Kniesicke?" "Ist es nicht schrecklich, Frau Schwemmer? Wie kann man sich nur so gehen lassen?"
Ja, so weit ist es gekommen mit der Körperkultur, ob frei oder nicht, so richtig frei ist sie weder noch. Da hatte der gute Foucault schon Recht, als er meinte, die sexuelle Revolution würde uns zu Gefangenen unserer Körper machen. Natürlich handelt es sich hier um eine gemäßigte Form des Körperfaschismus und auch ich gebe zu, dass ich lieber einen wohlgeformten, gerade richtig dicken Körper einem verwinterspeckten Fettleib vorziehe. Aber wo bleibt das Maß, liebes Volk, liebe Römer? Ein bisschen Speck muss sein, das hat schon der weise und trotz seines Namens nicht weiße Roberto Blanco gesungen."

"Jetzt weiß ich, dass Sie zu scherzen belieben."

"Ach, Sie haben doch keine Ahnung! Überhaupt beginnt mit dem Frühling die Zeit absoluter sinnlicher Überforderung. Gerade eben noch war alles Grau in Grau, dazwischen ein paar Brauntöne, und auf einmal schlagen nicht nur die Bäume aus, sondern die ganze Farbskala haut mit voller Wucht in unser monochrom eingelulltes Gehirn. Wenn ich dann noch joggend durch diese bunte Welt laufe, ist mein Gehirn derart überfordert wie es sonst wohl nur durch Kurvendiskussion oder Heideggers "Sein und Zeit" geschieht. Vom Rest meines Körpers ganz zu schweigen.
Oder denken Sie nur an die Vögel! Ab 3 Uhr morgens fängt das Gezwitscher an. Tirilih-tirilah, penetrant, durchdringend und nicht enden wollend. Das Fenster kann man nicht zumachen, weil es sonst zu warm wird, also wirft man sich, dieses Federvieh verfluchend, im Bett von einer Seite auf die andere. Wie lobe ich mir da den Winter, ab und zu das heisere Krächzen einer Krähe, die schwirren Flugs zur Stadt fliegt, oder das blecherne Keckern der Elstern. Das außerdem nur zur Tageszeit, diese Wintervögel wissen eben, was sich gehört, und lassen den Stadtbürger in Ruhe seine 10 bis 16 Stunden schlafen, während die Frühlingsvögel boshaft die Stimme der Natur in die zivilisierten Zitadellen tragen.
Bei dieser konstanten sinnlichen Überforderung, die sich dann im Frühsommer noch durch leicht bekleidete Frauen - oder Männer - oder beides - je nachdem, wie Ihnen der Sinn steht, potenziert, ist es kein Wunder, dass der Mensch, sobald im Herbst etwas Ruhe einkehrt, in eine Winterdepression verfällt. Das ist ein ganz klarer Burnout."

"Eine sehr ungewöhnliche Sichtweise, die Sie da vortragen..."

"Ungewöhnlich, vielleicht, aber heutzutage getraut sich ja niemand mehr, die Wahrheit zu sagen! Wo wir schon mal bei der Bekleidung sind: ein weiteres prominentes Opfer ist der Norweger, natürlich nicht der Ölmulti hoch oben im Norden, obwohl das nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, nein, die Rede ist von dem dicken, warmen Wollpulli, der uns im Winter so wohlig gewärmt hat, das nicht einmal Winterspeck nötig war - die Schokolade essen wir trotzdem, zwecks Bändigung der Winterdepression. Kaum bricht der Frühling mit voller Gewalt ein, wird der Norweger vom Leib gerissen, im besten Falle in die hinterste Ecke des Schrankes geknallt, im schlimmsten Falle in die Ecke zu den Winterreifen geworfen, wo er Vatti dann als Schmutzlappen dient oder noch gruseligeren Bestimmungen zugeführt wird - Sie erinnern sich: die Pornohefte..."

"Ach du liebe Güte!"

"Ja, nicht wahr? All das sollte Ihnen zu denken geben, bevor Sie mir so mir nichts dir nichts mit Ihrer Frühlingseuphorie kommen. Frühlingsgefühle? "Go mi af!" wie man bei uns im Norden sagt. Wissen Sie, was das heißt?"

"Äh..."

"Das bedeutet in etwa so viel wie: "Das kann mir gestohlen bleiben." oder "Rutsch mir den Buckel runter!" Während Sie sich das jetzt durch den Kopf gehen lassen, werde ich derweilen meine Reifen wechseln und in den Park gehen. Mal schauen, ob sich schon die ersten leichtbekleideten Frauen zeigen. Alternativ kann ich immer noch Rentner anzeigen, die die armen Tauben und Eichhörnchen mästen. Das ist schließlich verboten und gehört sich nicht. Ordnung muss schließlich sein!"

"Schönen Tag dann noch..."

"Von wegen schön - go mi bloß af!"

 

Herrlich.
Ich mag jetzt gar nicht motzen und verbessern, dazu hab ich mich zu gut amüsiert.
Und: endlich weiß ich, wo ich meine Pornohefte gelassen habe!
Ich muss mal dringend in den Keller, aufräumen.

 

Hallo Michael Hanik,


zunächst herzlich willkommen auf kg.de und sogleich zur Sache:

dein Text hat mir nur sehr verhalten gefallen.

Das liegt an drei Dingen:

a) lahmer Plot
b) umständlich behäbige Umsetzung
c) keine Satire


zu a) Wenn man eine Satire schreibt, geht es dem Autor um sein dringendes Bedürfnis, den Leser auf Missstände hinzuweisen, seien es nun politische, soziale, ethische oder allgemein menschliche. In dieser Hinsicht ist alles möglich, was nur in der Lage ist, sich als Missstand zu erweisen.

Wenn man aber eine Satire schreibt, so erwarte ich, im Gegensatz zu einer reinen Alltagsgeschichte, dass das, was der Autor an der Gesellschaft oder dem Menschen zu bemängeln hat, doch ein gewisses Gewicht hat.
Daran fehlt es mir in diesem Text.
Du nimmst aufs Korn, dass jemand nicht in der Lage ist, sich am Frühling zu erfreuen und sich gegensätzlich zu den anderen verhält und in seiner Verblendung gar nicht begreift, wie sehr er sich damit selbst nur schadet und einschränkt.
Gewiss etwas, was man bemängeln kann. Aber ist dieses Thema so wichtig, dass man es in eine Satire packen sollte?

Die Satire hält für die Darstellung von Missständen ein weit offenes Scheunentor auf, alle Phantasie und alle Übertreibungen dort hinein zu fahren, nur, damit dem Leser das Thema des Autors unmissverständlich nahegebracht werden kann. Satire erlaubt also Übertreibungen, Verzerrungen in der Darstellung, um der Sache willen und lebt geradezu davon.

Das von dir gewählte Thema ist so wenig brisant, dass man es gerne auch als schlichte Alltagsgeschichte hätte schreiben können.

Für Satiren erhoffe ich mir einfach kräftigere Kritikpunkte.


zu b)
Dialog kann man das, was hier steht eigentlich noch nicht nennen, denn hier monologisiert jemand und der andere steht nur dumm rum und unterbricht diesen Monolog mit jeweils einem Satz.
Monologe sind in unserer heutigen Zeit meist schwer verdauliche Kost, weil keiner die Geduld mitbringt, sich in Ruhe, die sich entwickelnden Gedanken eines Sprechenden anzuhören.
Zumindestens läufst du Gefahr, dass dir keiner zuhört bzw. es liest.

Ein Dialog ist ein Gespräch, in dem sich möglichst auf beiden Seiten etwas entwickelt.
In deinem Text geschieht auf der Zuhörerseite nichts als Zuhören.
Damit nimmst du deinem Text die Möglichkeit lebendig zu sein.

Wie wäre es z.B. gewesen, wenn du den sog. Zuhörer zum höchst ungeduldigen Menschen gemacht hättest, der anfänglich laufend unterbricht, Einwürfe bringt und versucht, das Gespräch zu führen, es ihm aber letztendlich wegen der Beharrlichkeit und Sturheit, und vor allen Dingen Schrulligkeit des anderen, entgleitet. Damit wäre Dynamik im Text, weil etwas parallel zum Monolog passiert.

Ein Dialog und überhaupt wörtliche Sprache sollte möglichst so klingen, wie es auch gesprochen wird, damit es sich liest, als sei man als Leser stiller Zuhörer.

Dein Zuhörergegenspieler spricht normal wie man halt spricht, der ist dir gelungen,während dein Dozent sich weit von der normalen Sprache entfernt hat.
Zum Teil vermag man dies als besondere Schrulle sehen, aber dennoch fehlt mir im Text diese Bestätigung, dass es sich um einen ganz besonderen Kauz handelt. Dann hätte ich die langen Passagen eher gerne gelesen, um diesen Kauz besser kennenlernen zu können.


c) Eine Satire ist das nicht, was du geschrieben hast.
In einer klassischen Satire (klassisch im Gegensatz zur Parodie) gibt es im Grunde genommen zwei Geschichten: eine, die Wort für Wort geschrieben steht und die ich lese und eine, die ich mir dahinter denke, weil ich ahne oder weiß, dass der Autor gar nicht die Geschichte so meint, wie sie dort steht, sondern der Geschichte eine andere Bedeutung gibt.

Ein einfaches Beispiel: wenn ich mich über Merkels Atompolitik ärgere und das anprangern möchte, würde ich nicht schreiben, dass ich mich über ihre 3-Monatspackung ärgere und sie für eine Mogelpackung halte, sondern ich würde niederknien und vor Bewunderung seufzend ihren Intellekt preisen und mich beglückwünschen als Bundesbürgerin in diesem hochfeinen politisch korrekten Staat zu leben, der frei von jedwedem Einfluss in der Lage ist, die richtigen Entscheidungen für mich Bürger zu treffen. Ich würde triefen vor Glück, von dieser Kanzlerin durch die Gefahrenfurt der Reaktorunfälle geführt zu werden und würde mich unendlich beschützt fühlen durch Mami Merkel.
Der Leser liest nur diese Lobpreisungen. Wenn es gut geschrieben ist, kommt er beim Lesen aber auf die Idee, dass just das, was er liest, eventuell ganz anders gemeint ist.

Die Satire hat also immer noch eine Handlung hinter dem Vorhang und der Leser vermag mit Hilfe seiner Phantasie zu sehen, was dort gespielt wird.
Dies vermag er allerdings nur dann, wenn die Satire auch so angelegt worden ist.

In deinem Text sagt eigentlich schon der Titel, was du sagen willst. Da ist kein Vorhang mehr zu erkennen. ;)

Ich hoffe, ich habe dich mit meiner Kritik nicht ganz verschreckt. Wie du siehst, sind die Meinungen zu Texten hier auf kg.de höchst unterschiedlich und keiner kann für sich den Alleingeltungsanspruch proklamieren. Auch ich nicht.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Michael Hanik,

in dem monologartigen Text sind einige launige und überspitzte Formulierungen enthalten, die in ihrer Summe aber weder eine pralle Geschichte noch eine Satire ergeben.

Bei der Konzeption wurde wohl an einen mit Loriot gemixten Kabarettauftritt gedacht, aber wie lakita schon anmerkte, reicht die Thematik für eine Satire kaum, da hilft auch die sprachlich geschliffene Überzeichnung nicht.

Viele Grüße vom
gox

 

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