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Stabiles Sein

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13.05.2001
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Stabiles Sein

Stabiles Sein


Das erste Mal, als sein Blick sie auffing, sah er eine große Frau mit Strohhut auf einen roten Wagen zulaufen. Sie kroch ins Auto, goss ihre Tulpe und verschwand in einem sanierten Neubau. Er kannte diese möblierten Wohnungen genau: Mindestmietzeit sechs Monate. Gesehen hatte er sie vorher noch nie, und er wohnte doch gegenüber im Hochhaus mit Conciergedienst. Also hatte er ungefähr 180 Tage. Und von nun an zählte er die Tage genau.

Luna lächelte: Ihr Parfumflakon – geformt wie eine Handtasche – hauchte eine zarte Duftwolke auf ihr Dekollete. Sie küsste Michel. Er versuchte den billigen Duft von ihr zu fächern, um ihren eigenen, süßen Geruch zu genießen. Doch die dreißig Euros klebten an ihrer weichen Haut. Die Berliner Philharmoniker mussten dennoch warten; und Lunas lustiges Kichern konnte nicht sein trommelndes Herz übertönen. Danach drückte er sie fest an sich, sie rauchte ihre West Light.

Im Piccolo aß sie Kanadischen Hummer, leicht nussig im Geschmack. Dazu trank sie einen 97er Cabernet. Ihm gefiel das rote Bouquet; sie erinnerte ihn an eine schwache Kopie der O´Hara. Michel berührte ihren rechten Arm und streichelte ihn kurz. Sie lächelte mit vollem Mund. Er summte die Farben des Regenbogens. Luna zog ihre Braue hoch: „Isst du das noch?“

Im Park breitete sie sich auf dem englischen Rasen aus, um die Sonne mit jeder Pore aufzunehmen. Er wanderte mit seiner Nase von ihrem Fußknöchel bis zu ihrem linken Ohr. Seine Lippen berührten es und vollendeten die Liebeserklärung mit einem angehauchten Kuss. Sie zog an seinem Bart und legte sich auf den Bauch. „Als ich das erste Mal verliebt war, dachte ich, es hielte ewig.“ Er hörte ihrem Gekicher zu und trank die Bitterkeit daraus. Luna lachte; wann lachte sie eigentlich nicht?

Er las ihr aus seinen Tagebüchern vor. Sie spielte mit den Knöpfen seines Hemdes. Plötzlich ergriff er ihre Hand und bedeckte sie mit zarten Küssen. Lunas Spiel hielt an, ihr Blick ruhte auf seinen Augen. Dann stand sie auf, tanzte mit alten Ballettschritten zum Fenster und klopfte gegen die Scheibe. „Mark wartet draußen schon... weißt du?“ Ja; er wollte es aber nicht begreifen.

Einfach sein. Nur leben. Sie küsste Mark und schickte ihm mit ihren honigbraunen Augen Versprechen. Michel las die zehn Versprechen und wartete auf ihre Erfüllung. Ein Kellner schlängelte sich durch die bunt-uniforme Menge und unterbrach so kurz den Augenkontakt zu ihr. Luna stellte Mark eine Blondine vor und verabschiedete sich. „Was machen wir heute? Du weißt, es ist vielleicht der Letzte.“ Michel zog sie zu sich und flüsterte ihr etwas zu. Sie fuhren über eine dunkle, leere Landstraße. „Lonely Boy“ schwängerte die Atmosphäre. Lunas Augen suchten nach dem Mond. Irgendwo hielt Michel an. Sie schaute sich um und sah das Glitzern der Sterne sich widerspiegeln in dunkler Klarheit. Luna erkannte den Ort, den Michel ihr so oft auf Bildern gezeigt hatte. „Willst du nicht bei mir bleiben?“

Ohne Schmerz. Ganz unbeschwert. Luna lud ihre Koffer in ihren roten Corsa. Er stand am Fenster und beobachtete sie. Aus ihrem Strohhut lugten einige Locken heraus, und er verrenkte sich etwas, um die vertrocknete Tulpe zu sehen. Sie winkte ihm, lächelte und warf ihm eine Kusshand zu. Und fuhr los. Das halbe Jahr war herum, der Zugvogel flog zurück in sein Heimatnest. Ohne Gefühle. Ganz spielerisch. Er putzte das Fenster, um ihre letzten Spuren zu verwischen. Und berauschte sich drei Tage lang. Dann zog Lena in Lunas Wohnung ein.

 

Hi Zaza,

Also, der Text besticht erst einmal durch seine ausgefeilte Sprache. Du hast es ziemlich drauf, mit Motiven ueber laengere Zeit zu spielen. Die eigentliche Handlung ist nicht auf Anhieb verstaendlich; ich musste die Geschichte dreimal lesen, bevor ich anfangen konnte das Geschehen zu interpretieren. Der Titel ist ihr interessant, denn in der Geschichte geht es ja eigentlich um die Unbestaendigkeit von Liebe, Bekanntschaft, Wohnsitz, etc. Erinnerte mich ein wenig an die Art von Text die in Deutschschulaufgaben interpretiert werden soll - nicht, dass so etwas schlecht ist. ;)

Gruss,

I3en

 

Freue mich über Deine positive Kritik. Auch wenn Du mir keine Interpretation angeboten hast, an der ich mich ergötzen kann...

Die Entstehungsgeschichte dieses Textes ist schon interessant genug. Ein Gedicht, ein Traum und Norah Jones. Mit ein wenig Schöner Neuer Welt gewürzt. Naja, hilft jetzt aber nicht unbedingt bei der Interpretation.

An die Art von Text, die man in Deutschschulaufgaben interpretiert. Klingt gut.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren, Ben!

 

erzählerisch auf hohem niveau. der durchdachte stil setzt bewusstes lesen voraus. das gefällt mir.

 

Servus Zaza!

Als ich zum Ende kam, wollte ich die Geschichte, nun geklärter, nochmals lesen. Das tat ich und erfuhr von einem Mann, der bewusst nach "der Neuen" Ausschau hält. Sie in ihrem Strohut und mit ihrer Pflanze erstmals zu Gesicht bekommt. Dann hat er ein Zeitlimit um ... ja diese Frage bleibt für mich noch offen ...

Wahrscheinlicher, als sie in ihrer kichernden Oberflächlichkeit rumzukriegen, scheint es mir, dass er auf diese Weise seiner Einsamkeit zu entkommen sucht. Er liest aus seinen Tagebüchern, fragt ob sie nicht bei ihm bleiben möchte, wünscht sich selbst jene Erfüllung die sie einem anderen schenkt. Und dann geht sie weg und er gelangt zurück zum Start, die nächste Neue kommt. Damit bleibt die Stabilität seines Seins, die Wiederholung des Rituals, ungebrochen.

Besonders gefallen haben mir die Szenen mit dem Fenster. Sie sieht durch dieses bereits den Anderen, während er nach ihrem Abgang dasselbe putzt um ihre Spuren zu verwischen.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hey Zaza,
ist dir eigentlich schon einmal aufgefallen, dass jeder, der deine Geschichte einmal liest, sie gleich mindestens noch einmal, manchmal sogar mehrere Male lesen muss? Ein schöneres Kompliment kann man einer Autorin doch gar nicht machen, oder? ;)

Ich gehöre jedenfalls zu denen, die deine Geschichte in der Regel mehrmals lesen und auch bei dieser Geschichte tat ich es und ich wurde belohnt, da du dir sehr viel Mühe mit kleinen Details gegeben hast, die einem beim ersten Lesen vielleicht entgehen könnten.

Als du zu Ben sagtest, du vermissest eine Interpretation, habe ich mich allerdings gefragt, ob du dem Leser wirklich so viel Interpretationsfreiheit läßt. Für mich passt alles wunderbar zusammen, vom Anfang bis zum Schluss, aber als ich dann Schnee.eules Beitrag las, wusste ich, dass ich mich auch irren könnte, denn ein wenig anders als Schnee.eule sehe ich das schon:

Zum einen die Stabilität des Seins, dier Überschrift, passt meiner Auffassung viel besser zu der Frau, Luna, als zu dem Mann. Bei Michel wüsste ich nun überhaupt nicht, was da stabil sein sollte, ganz im Gegenteil. Er scheint mir höchst zerbrechlich, er klammert sich ja förmlich an das stabile Sein von Luna.
Auch wenn Ben die Überschrift konträr zu der seiner Ansicht nach im Text vorhandenen "Unbestaendigkeit von Liebe, Bekanntschaft, Wohnsitz" setzt, finde ich, dass der Titel sehr gut zum Tenor passt und auch deshalb als Titel ausgewählt wurde. Sie wird sich nicht so einfach von einem Mann aus ihrer Bann werfen lassen. Sie weiss, was sie will, sie setzt das durch, was sie will, sie bleibt sich selbst treu, sie läßt sich durch nichts beeinflussen( vielleicht aufgrund ihrer Vergangenheit? "Als ich das erste Mal verliebt war, dachte ich, es hielte ewig" ). Nur mal so am Rande: Wenn Ben von Unbeständigkeit von Liebe spricht, was ja schon sehr häufig Thema von lyrischen und Prosatexten war, so setzt das ja voraus, dass in dem Text wirklich Liebe vorkommt, dass geliebt wird und genau da beginne ich zu zweifeln( genau das hat mir an den Brecht´schen Gedichten auch nur gefallen ). Unbeständige Liebe? Ist das dann wirklich Liebe? Auch wenn es kaum ein Wort für die Menschen gibt, für das es so unwahrscheinlich viele und verschiedene Vorstellungen gibt; für mich ist Beständigkeit in der Liebe gerade innewohnend. Ein wichtiger Bestandteil eben. Unbeständige Liebe klingt dann für mich schon fast wie 'unbeständiges Bestehen' und darin wird der ganze Crux offenbar( aber ich beginne zu schwafeln ).
Was ich jedenfalls damit sagen wollte, ist, dass für mich der beständige Charakter der Frau stärker in den Vordergrund tritt und die unbeständigen Elemente, die ja tatsächlich in dem Text vorhanden sind( denn gerade eben fällt mir die vertrocknete Tulpe ein ) dazu dienen, die Festigkeit von Luna extra hervorzuheben.
Der Beginn des 6. Absatzes beginnt zudem mit dem Worten "Einfach sein". Für mich eine Variation des Titels, allerdings mit etwas verschobenen Konnotationen. Sie lebt nicht nur unabhängig von äußeren Einflüssen, sie lebt( verdammt, ich hasse das Wort) oberflächlich. Menschen sind austauschbar. Insbesondere Männer sind austauschbar. Wohnsitze sind austauschbar.

Dieser Satz wiederum führt den Leser( na ja, jedenfalls mich ) wieder in eine ganz andere Richtung( und bestätigt somit, dass ich mich mit der anfangs getätigten These, der Text sei beschränkt an Interpretationsmöglichkeiten, irrte ):

Das halbe Jahr war herum, der Zugvogel flog zurück in sein Heimatnest.

Denn wenn für Barockdichter, für Brecht, für Ben ;), Liebe als Symbol für Unbeständigkeit gelten kann, so ist doch Heimat geradezu die Beständigkeit schlechthin.
Und wenn man jetzt den Zugvögel auf den Menschen abbildet, so bedeutete es ja, dass Luna dieses Spiel in regelmäßigen Abständen triebe. Vielleicht ist sie sogar verheiratet und bricht jedes Jahr aus ihrem langweiligen und eintönigen Leben aus( obwohl ich mir das bei einer Frau wie ihr nicht vorstelllen kann ).
Man kann aus diesem Text also noch allerhand mehr draus lesen, ohne dass ich jetzt alle meine Interpretationsmöglichkeiten durchleuchten möchte( das könnte ich, :) ), aber ich will ja anderen Lesern auch noch die Möglichkeiten geben, die ihre dem Text zu entnehmen.

Nun, kurz gesagt, je länger ich mich mit dem Text befasst habe, umso mehr hat er mir gefallen. Auch wenn ich jetzt gar nichts wirklich kritisiert habe( aber ich habe den Text auch nicht auf diesen Aspekt hin gelesen, keine Sorge, mir wäre schon etwas eingefallen ;) ).

Man sollte den Text auch nicht sofort denkend und bewusst lesen. Erst ein paar Mal drüber fliegen, sich mit der Atmosphäre und dem Klang der Wörter vertraut machen. Danach sich hinsetzen, einen Joint rauchen, und anfangen zu philosophieren......

 

Es freut mich sehr, dass Dir der Text gefallen hat und dass Du so viel herausholen konntest. Du hast Recht, so positiv habe ich es nie gesehen, dass viele meine Texte gleich nochmal lesen müssen. Noch schöner ist es aber, wenn ein Leser den Text einmal, zweimal, dreimal liest und für sich immer mehr gewinnen kann. Gerade auf die Details kommt es mir an.

Die Frage ist nun: Soll ich etwas zu Deiner Interpretation sagen? Es gibt ja genug Leute, die nach ihrer Interpretation auf ein "richtig" oder "falsch" warten. Ich sage Dir eins: Deine Art zu lesen und zu interpretieren bestätigt mich in meiner Ansicht, dass mir der Text gelungen ist. Lustig dabei ist, dass es nur zwei Sätze waren, die die ganze Wende brachten: Ich hatte nämlich schon den Text abgeschrieben und mir überlegt für die Aussage einen ganz neuen Text anzufangen. Du hast sicher noch nicht alles aufgeschlüsselt, was ich rüberbringen wollte. Aber Du sagst auch, Du hättest weiter philosophieren können und das reicht mir. Es freut mich besonders, weil ich eine lange Durststrecke hinter mir habe und mir kein Text so richtig gelingen wollte.

Naja, genug davon. Ach ja, Schnee.eule hat gar nicht so Unrecht... Jeder besitzt seine eigene Lesart. Keiner von euch hat bislang aber etwas grundsätzlich "Falsches" gesagt, also etwas was ich anhand des Textes widerlegen könnte, etwas was widersprüchlich wäre.

Danke an alle, die den Text gelesen haben.

 

Moin Zaza!

Ich glaube, ich habe deine Geschichte mittlerweile mindestens vier Mal gelesen und während ich diese Kritik schreibe, werde ich mit Sicherheit auch immer wieder mal reinschauen. :)
Es handelt sich auf jeden Fall um eine Story, die man als Leser nicht einfach auf sich beruhen lassen kann, denn man macht sich einfach Gedanken darüber. Eigentlich bin ich nicht so der Typ, der gern über Geschichten philosophiert, aber nun... mal sehen, was ich aus deiner Geschichte raushole ;)

Wie wir das immer in der Schule gemacht haben, fange ich mal mit dem Layout/Abschnitten an. Deine Geschichte hat insgesamt sieben Abschnitte. Meiner Ansicht nach könnte der erste Abschnitt für den Anfang, die folgenden dann für die Monate (also 1. Monat bis 6. Monat, wobei dieser auch gleichzeitig das Ende darstellt).

Zum Inhalt: Dabei stellt sich natürlich die große Frage, was das "Stabile Sein" ist. So wie ich das sehe, folgt das Leben von Michel einem bestimmten Algorithmus, der sich immer wiederholt. Stellt sich an dieser Stelle natürlich noch die Frage, ob man das als "stabil" bezeichnen kann. Um ehrlich zu sein, fällt mir keine andere Lösung ein, als dass das Leben von Michel das "Stabile Sein" darstellt.

Hmm... mehr fällt mir momentan bezüglich einer Interpretation nicht ein...

Das Büro hier ist auf jeden Fall jetzt von Rauch gesäumt *Fenster öffne* :D


Greetinx
Alisha

 
Zuletzt bearbeitet:

Inhalt:

Ein Mann beobachtet, wie eine Frau in eine Wohnung zieht, die für ein halbes Jahr vermietet wird. Er beginnt eine Beziehung mit ihr. Sie gehen viel aus und haben Spaß zusammen.

Jeweils ein Abschnitt des Textes scheint dabei einem der sechs Monate gewidmet zu sein. Im dritten Abschnitt erzählt die Protagonistin Luna bei einem Besuch im Englischen Garten etwas spöttisch oder belustigt, bei ihrer ersten Liebe habe sie angenommen, sie hielte ewig. Michel – der Protagonist – kommentiert dies nicht weiter, auch wenn diese Bemerkung ihn offensichtlich trifft. Im Abschnitt darauf erwähnt Luna einen „Mark“, der auf sie (vor der Tür) warte. Zu ihm hat sie ebenfalls eine Beziehung. Der Protagonist weigert sich dies zu akzeptieren. Nach einem Empfang nimmt Michel Luna zu einem für ihn wichtigen Ort mit (unter freien Sternenhimmel) und fragt sie, ob sie nicht bei ihm bleiben wolle. Als Antwort geht Luna im folgenden Abschnitt weg. Dies tut sie ohne jedwedes Gefühl von Melancholie oder Zweifel. Michel berauscht sich um Luna zu vergessen. Der Text endet damit, dass eine andere Frau – Lena – in die von Luna verlassene Wohnung einzieht.

Interpretation:

Gleich zu Anfang ist mir die Asymmetrie in der Beziehung der beiden Hauptfiguren ins Auge gesprungen („Asymmetrie – mein Lieblingswort… sehr schade, dass es derzeit für ‚asymmetrischen Krieg’ missbraucht wird, ich hoffe das ändert nicht die Konnotationen). Insgesamt stellt nach meiner Lesart der Text eine Allegorie für Beziehungen dar. Für eine bestimmte Art von Beziehungen. Lena zieht in eine Wohnung ein. Lena zieht in Michels Leben ein. Dort spielt sie eine große Rolle - allerdings nur befristet. Es ist ein Spiel auf Zeit, ein Spiel, das sich wiederholt.
Ich will jedoch aber zunächst erklären, was ich mit „Asymmetrie“ meine. Offenbar unterscheiden sich die Wünsche der beiden Figuren erheblich. So sagt Luna im 4. Abschnitt doch: „Als ich das erste Mal verliebt war, dachte ich, es hielte ewig.“ was Michel dazu veranlasst „Bitterkeit“ „trinken“ zu müssen. Die Vorstellung, was Liebe ist, nämlich, ob sie zeitlich begrenzt ist oder nicht, teilen die beiden nicht miteinander. Er will, dass sie bleibt. Sie hat sich damit abgefunden zu gehen. Das war nicht immer so. Das erste Mal, dachte sie ja auch es hielte ewig, dies hat sich jedoch geändert.
Beide haben sie eines gemeinsam: Egal ob sie die ‚Regel der Vergänglichkeit’ mögen oder sich zumindest damit arrangiert haben (wie Luna) oder ob sie unter ihr leiden (wie Michel) beide akzeptieren sie sie. Dies wird darin deutlich, dass er die Tage zählt. Es gefällt ihm nicht, aber er nimmt es an, wie einer, der eben davon ausgeht, dass die Sonne auch morgen wieder scheinen wird. Nur ein kurzer Moment des Aufbegehrens: „Willst du nicht bei mir bleiben?“.
Nach kurzem Rausch, nach Beseitigen aller Spuren, nachdem Gefühl zur Erinnerung verstummt ist, zieht Lena ein. Eine neue Beziehung, ein neues Spiel, die Uhr wird neu aufgezogen. Das Rad dreht sich. Ob Michel diesmal (wenn auch nur leise) aufbegehren wird? Ich glaube eher er wird wie Luna werden.

Aus gesellschaftlicher Sicht, sehe ich darin eine Kritik an ‚modernen’ Beziehungen (wobei ‚modern’ äußerst relativ zu verstehen ist), an einem Beziehungstypus, der keine Zukunftsperspektiven hat – und – an der Stelle vielleicht das traurige: gar keine haben will.

Die „Stabilität des Seins“ findet sich nur in der eigenen Unterwerfung dieser Gesetzmäßigkeit.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Zaza.
Wenn du was schreibst, dann hat es immer was in sich .Auch diesmal wurde ich nicht enttäuscht.
Da wir schon bei den verschiedenen Lesarten deiner Geschichte sind, kriegst du hiermit meine.

Für mich steht da drin:
Sie flattert schön und scheinbar stabil innerhalb ihres sich selbst zu genügen scheinenden Seins durch die Welt und bezaubert, ohne Nähe zuzulassen. Wie sollte sie auch? Dann wäre der Zauber gebrochen.
Er:
Fühlt sich von ihrer augenscheinlichen Leichtigkeit angezogen, weil sie für ihn etwas bedeutet, was ihm fehlt und er es dringend sucht.
Wer ist nun der "Beständigere" von beiden?
Für mich ist sie zwar in ihrer Selbstverleugnung stabil, wird es aber nur bis zu dem Moment bleiben können, wo sich ihr Alter nicht mehr verbergen lässt, und ihr so die Karten aus der Hand zu nehmen beginnt.
Er: hat eine neuerliche Chance, denn er folgt seinen Gefühlen und versucht sie sowohl zu artikulieren, als auch zu leben.
Fazit:
Der offensichtliche Loser der Geschichte, nämlich er, ist der heimliche, der zukünftige Gewinner, weil stabiler in seinem Sein.
War schön zu lesen.
Danke dafür.
Lord:)

 

Fazit:
Der offensichtliche Looser der Geschichte, nämlich er, ist der heimliche, der zukünftige Gewinner, weil stabiler in seinem Sein.

Na, Lord Arion, Fan von Hollywood-Filmen?
Mir drängt sich der Verdacht auf, die unterschiedlichen Lesearten hängen mit unterschiedlichen Lesebackgrounds zusammen.
Als Brechtleser, so vermute ich mal, interpretiere ich anders als meine Mutter, welche für Rosamunde Pilcher schwärmt.
Ps.: Was ich schon immer einmal sagen wollte: Loser wird nur mit einem o geschrieben.

 

Nö, nicht unbedingt, das ist nur meine Vermutung, gestützt durch eine gewisse Erfahrung in Lebensdingen, das "o" wurde postwendend eliminiert...
Lord

 

So, habe mich lang genug nicht gemeldet.

Danke für eure Kommentare! Und für die ganzen verschiedenen Lesarten.

Ja, natürlich wird die Interpretation von Deinem besonderen Lesenslauf/Lebenslauf mitgeprägt, Kritiker. Das finde ich aber schön und interessant. An dieser Geschichte hier, oder an den Reaktionen besser gesagt, kann ich wundervoll ablesen, dass der Leser beim Lesen sogar sehr viel von sich miteinbringt. Wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann, ist eine Geschichte/ein Roman ein Erlebnis für mich.

Alisha, wann nennt man denn einen Algorithmus stabil? Hehe. Finde ich gut, dass Du an dem Text drangeblieben bist, obwohl das nicht so Dein Ding ist. Schadet ja nur Deiner Lunge, sonst ists ja ok, hehe.

Danke für Dein Feedback, Lord. Freut mich, dass Du die Geschichte gerne gelesen hast.

Naja, trotzdem Batchs Interpretation sehr gut klingt, umfasst sie nicht alles. Ich bin aber froh, dass keine Interpretation bislang all meine Gedanken herausgefiltert hat. Die Geschichte soll nicht zu einem Rätsel verkommen, dessen Lösung man auf Seite 2 Zeile 3 nachlesen kann. Gleichzeitig enthalten eure Lesarten so viel, dass ich zufrieden sein kann. Schön.

 

Das ist ja auch das schöne hier auf der Seite, dass man viele "gute" Geschichten zu lesen bekommt, und anschlisßend noch Lösungsmosaiksteinchen im Anhang findet... Da macht es Spass zu lesen, zu kommentieren und natürlich zu schreiben...
Lord

 

Na ja, Zaza, "allumfassende Interpretationen", wie du sie vielleicht vom Leser wünscht, klingt im Zusammenhang mit deinen Geschichten auch viel zu göttlich, als dass sie von uns, menschlichen Wesen, erreicht werden könnte ;)
Obwohl ich weiss, dass du nicht gerne deine eigenen Geschichten interpretierst, würde mich deine Position und deine dahinterstehenden Gedanken zugegebenermaßen doch sehr interessieren. Vor allen, weil wir deine sämtlichen Gedanken noch nicht herausgefiltert haben.

 

Zunächst nahm ich an, dass er im ersten Absatz ein auch im weiteren Verlauf der Erzählung stiller Beobachter der Vorgänge sei. Zumal er im ersten Absatz bemerkenswerterweise (wie übrigens auch im letzten Absatz) keinen Namen trägt, somit anonym bleibt und damit zunächst nicht eindeutig mit den später auftauchenden Personen Michel und Mark identifizierbar ist.

Als ich dann las, dass Luna ihn im letzten Absatz offenbar gut kennt ("Sie winkte ihm...") verwarf ich diesen Gedanken wieder und setzte ihn mit "Michel" gleich.

Weshalb "Luna" als Namensgebung für das Mädchen? Und weshalb sucht sie gegen Ende der Handlung den (ihren?) Mond am Firmament? Hat sie Sehnsucht danach wieder heimzukehren? So, wie die Zugvögel es tun (müssen)? Und würde sie ohne diese Heimkehr schließlich ihr "Stabiles Sein" - oder auch ihre "Leichtigkeit des Seins" - verlieren?

Die Handlung beginnt damit, dass Luna mit einem "Blick" von ihm "aufgefangen" wird. Gerade so, als ob Luna gerade im Begriff gewesen wäre zu "fallen" - geradewegs in die Arme Michels. Das besondere Verhältnis der beiden - der Mann spielt den aktiven Part, der stets die Initiative ergreift, die Frau hingegen empfängt seine Liebkosungen nur, ist vor allem einfach nur da - zieht sich wie ein roter Faden durch den Hergang.

Die "Tulpe" wird zu Beginn noch gegossen. Sie wird noch frisch und in voller Blüte sein - zumindest wird noch an sie gedacht. Am Ende ist sie vertrocknet - und Michel muss sich jetzt nun auch noch etwas verrenken, um diese wieder zu Gesicht zu bekommen.

Ansonsten deckt sich meine Interpretation so weitgehend mit der meiner Vorredner, dass ich diese nicht mehr zu wiederholen brauche.


achja: schöne Geschichte übrigens! :)

und sag mal: Welcher Song von Norah Jones hat dich hierbei denn nun eigentlich (mit-)inspiriert, Zaza?

 

Hm, also das ist wohl die erste Geschichte die ich von dir lese, die absolut einsehbar ist. Die Interpretationen liegen auf der Hand. Lediglich bei der Aussage haperts ein wenig.
Luna hat also die Vorstellung einer offenen Beziehung. Sie glaubt nicht an die ewige Liebe, woraus Michel Bitterkeit trinkt. ichel ist Idealist, definitiv. Oder er mag es einfach nicht die Kontrolle zu verlieren, woran ich weniger glaube. Er ist verliebt. Nichts deutet darauf hin, dass er sich etwas vormacht.
Am Ende verschwindet Luna. Nichts anderes wird erwartet. Die Darstellung einer Frau, die eine offene Beziehung führen will, ist geglückt. Aber Michels Verhalten passt irgendwie nicht ins Schema. Er kehrt sie heraus wie Staub. Willst du damit sagen, dass das Vergessen recht schnell von statten geht? Und wenn ja: Kann und darf man da so verallgemeinern?

Insgesamt neben eol das wohl beste, weil schönste Textstück von dir, dass ich lesen durfte. Gut durch strukturiert und konsequent durchdacht.

Grüße, Frederik

 

Beide haben sie eines gemeinsam: Egal ob sie die ‚Regel der Vergänglichkeit’ mögen oder sich zumindest damit arrangiert haben (wie Luna) oder ob sie unter ihr leiden (wie Michel) beide akzeptieren sie sie. Dies wird darin deutlich, dass er die Tage zählt. Es gefällt ihm nicht, aber er nimmt es an, wie einer, der eben davon ausgeht, dass die Sonne auch morgen wieder scheinen wird. Nur ein kurzer Moment des Aufbegehrens: „Willst du nicht bei mir bleiben?“.

Batch hat es gut ausgedrückt.

Es geht nicht darum, wie schnell Michel vergisst. Vielleicht vergisst er nie? Es ist doch ein ziemlich oberflächliches Wegwischen, wie mir scheint. Es geht darum, dass auch er aufgibt, dass auch er sich unterwirft. Stabiles Sein ist tatsächlich auf beide bezogen.

 

Sicher, aber es geht auch um Austauschbarkeit. Oder interpretiere ich da den letzten Satz falsch?

 

Ich könnte das nun mit ja und nein beantworten, deswegen komme ich jetzt in den Chat.

 

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