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Krieg besucht seine Tante
Vorwort ( anstelle eines Nachwortes )
Geneigter Leser,
auch wenn es heißt, dass der Krieg sich selber ernähre, so wollen wir in folgender Geschichte diese wohl rudimentäre Weisheit ignorieren. Denn sie möchte zeigen, wie es wäre, wenn er stattdessen eine Schwäche für Schwarzwälder Kirschtorte hätte.
KRIEG BESUCHT SEINE TANTE
„Ach, heute ist ein Tag zum Helden zeugen!“
Krieg reckte und streckte sich glücklich, ein paar lästige Fliegen verscheuchend. Heute würde er seine Tante besuchen. Zwar hatte er schon lange nicht mehr richtig geschlafen, doch immer noch steckte er voll bewundernswerter Energie: ein charismatischer junger Kerl, der, würde er es drauf anlegen, in stiller, aber prachtvoller Erhabenheit einem Reiterstandbild eines Barbarossa oder Friedrich des Großen in nichts nachgestanden hätte.
Er liebte Frühlingssonntage wie diesen. Die Sonne beleckte ihn, die Vögel zwitscherten und der Feuersturm eines nicht allzu weit entfernten Bombenangriffs trieb ein warmes Lüftchen durch die Straßen. Die meisten Leute waren auf ´s Land gefahren.
Aufgrund der sonntäglichen Ruhe schwiegen die Sirenen, und so unterlegte Krieg das Grollen der Visitenkarte konventioneller Massenvernichtung mit fröhlichem Pfeifen.
Seine Tante wohnte etwas außerhalb der Stadt, aber es war kein großer Marsch; bald saß er, freundlichst empfangen, in ihrem antiken Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen und ergab sich ihrem anfänglichen Trommelfeuer alltäglicher Banalitäten.
Bei Schwarzwälder Kirschtortete redeten sie über Gott – „Sag, liest du immer noch die Bibel?“ - „Nur das alte Testament, Tantchen.“ – und über die Welt. „Ja, man kommt schon was rum.“
Plötzlich wurde sie melancholisch:
„Dein Onkel war immer so stolz auf das, was aus dir geworden ist.“
„Ach, ich verdiene halt gut in meiner Position, und...“
„...heute ist er seit fünf Jahren tot“, schluchzte die Tante.
Oh Scheiße, hab ich ganz vergessen, dachte Krieg und produzierte ein betroffenes Gesicht.
„Jaja, der Beste“, sagte er kauend, „ich vermisse ihn manchmal auch. Er ist viel zu früh entschlafen.“
Ihr silberner Teelöffel fiel zu Boden; Eilig bückte sie sich, hob ihn auf und kämpfte mit den Tränen. „Zum Glück hat der Teppich nichts abbekommen.“
Krieg wollte das Thema wechseln.
„Aber euer... dein Garten ist immer noch der schönste.“
„Du taugst nicht zum Gärtner“, antwortete sie und starrte nach draußen. „Dieses Jahr haben sie uns schon zwei Gartenzwerge genommen, und erst gestern wurde unser Rosenbeet zertrampelt... du weißt, wie viel Mühe er...“
Ein Weinkrampf überrollte sie. „Wo soll das... bloß noch... hinführen...?“
„Noch ein Stück Kuchen?“, heulte sie, als Krieg nicht reagierte.
„Ja, sehr gern, er ist ausgezeichnet“, beeilte er sich zu sagen und war kurz davor sich zu überfressen.
Sie wischte sich Tränen und Make-up aus dem Gesicht, und Krieg besann sich nach dem letzten Stück behutsam zu fragen:
„Wer war denn in deinem Garten?“
„Bengels aus dem Viertel“, platzte es überlaut aus ihr hervor, „Zugereiste!!! Sie sind eine echte Plage, diese Nichtsnutze, glaub mir, aber was soll ich schon tun?“
„Hört sich ja schlimm an“, sagte Krieg nur.
„Jemand sollte diesen Gören mal eine Lektion erteilen“, erklärte die Tante, „die schrecken vor nichts zurück! Du weißt, ich bin eine friedliebende Frau, aber die sorgen dafür, dass ich mich auf meinem eigenen Grund und Boden nicht mehr sicher fühle...“
Sie machte eine Pause und musterte Krieg verstohlen.
Dessen interessiertes Gesicht ermutigte sie:
„Es geht ja nicht um Rache wegen der Rosen oder gar wegen den Gartenzwergen. Das führt ja zu nichts. Aber wir wollen in Ruhe und Frieden leben. Unsere Ordnung. Die Schmidts von nebenan erzählten gestern, dass man vielleicht eine Bürgerwehr gründen sollte.“
Krieg verzog das Gesicht und dachte an minderwertiges Menschenmaterial und letztes Aufgebot.
„Das führt doch zu nichts“, meinte er, „ihr seid doch zu alt, um Räuber- und Gendarm zu spielen.“
Ihr Liedschatten war zerlaufen, ihre Augen groß und hilfesuchend. Ihr Rock war ein wenig über die Knie gerutscht.
Sie zündete sich eine Zigarette an, und ihre Finger zitterten leicht.
Von draußen fiel die Sonne ein. Krieg saß immer noch bewegungslos in dem gemütlichen großen Ohrensessel und sah nachdenklich zu, wie sie Rauch ausstieß.
„Wir können die Blagen nicht nachträglich erziehen,“ murmelte er, „denn dafür bräuchte es schon eine ordentliche Panzerdivision. Alles andere bringt nicht richtig was. Aber die lassen sich heutzutage so schwer mobilisieren.“
Gedankenverloren rührte er in seinem Kaffee.
Sie bemühte sich nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Kann man denn gar nichts tun?“, fragte sie traurig. „Nicht mal einen Bombenangriff...?“
Krieg kam eine Idee.
„Atombombe!“, rief er begeistert aus. „Feine Sache, so eine Atombombe. Spart uns viel Arbeit... ein echter Fortschritt!“
Seine Tante war ein wenig skeptisch.
„Aber heutzutage hat doch jeder...“
„Ha! Du denkst in diesem Punkt etwas altmodisch, Tantchen. Ich sage dir: Auch diese dahergelaufenen Rotznasen werden sich dreimal überlegen, noch einmal einen Fuß in deinen Garten zu setzten oder euch zu belästigen, wenn ihnen dadurch der Strahlentod und die vollständige Vernichtung droht!“ Die letzten Worte schrie er fast.
„Reichen in der Sache nicht ein paar Verrückte...“, warf sie ein, „ein paar von diesen Religiösen, für die sie jetzt am Fernsehen immer Werbung machen...?“
„Pah!“ Er verzog das Gesicht.
„Dieser vielbeworbene radikalislamische Einheitsbrei ist doch wohl nichts gegen ordentliche, zentrale Gewalt, wie sie ein Nuklearwaffenarsenal vermittelt. Wenn du wirklich drauf bestehst, will ich mal schauen, ob ich an ein paar Fanatiker komme... vielleicht hast du sogar nicht ganz Unrecht, nukleare Abschreckung zieht in letzter Zeit nicht mehr so, besonders nicht gegen pubertierende Chaoten... schließlich schreckt die Todesstrafe ja auch keinen mehr ab.
Verdammte Anarchisten!“
Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass das Porzellan tanzte.
„Na denn, Tantchen“, – diese wagte nicht mehr, seinen Redeschwall zu unterbrechen –
„such dir halt noch ein paar Gestörte aus. Sollte dann nur was Exklusives sein, oder?
Dacht ich ´s mir. Keine Massenware. Toll sind Sektierer, Ultraorthodoxe, hinduistische oder christliche Fundamentalisten. Bloß keine Kommunisten! Die sind mega-out.
Warlords sind nur auf ´s Geld aus, die bescheißen dich... Agenturen...“
Seine Verbalwalze erstickte ihre Zweifel im Keim.
Seine Tante war zwar im Grund genommen, wie sie auch immer betonte, eine friedliebende Frau, aber sie war nicht weltfremd.
Sie wollte doch nur in Frieden leben, und genug war genug. Sie willigte ein, um, wie Krieg es verschwörerisch grinsend sagte, „diesen schrecklichen Gören eine Abreibung zu verpassen.“
Kurz darauf verabschiedeten sie sich herzlich.
„Mach dir keine Sorgen, Tantchen!“
Krieg umarmte sie zum Abschied, und ihre Hand ruhte auf seinem Hintern. Sie färbt ihre Haare, dachte Krieg, und riecht penetrant nach Parfum.
„Bald ist die Sache gegessen“, versprach er ihr, „ich kümmer´ mich.“
„Gott segne dich“, sagte sie ehrlich.
Ein paar Helikopter donnerten im Tiefflug über die Dächer. Ihre Bordschützen jagten Feuerstoß um Feuerstoß irgendwo in die Straßenzüge der Innenstadt. Die herunterfallenden Messinghülsen funkelten im Sonnenlicht wie goldener Regen, und ein paar Rauchsäulen von Scheiterhaufen ragten in den blauen Himmel, als wollten sie ihn abstützen.
„Dabei ist doch Sonntag“, sagte sie kaum hörbar.
„Ein paar Tiefflüge müssen halt schon noch sein“, erklärte Krieg fachmännisch.
„Ich muss jetzt. Mach ´s gut.“
Sie freute sich schon darauf, gleich den Schmidts zu berichten.
„Meld dich.“
„Bestimmt!“
Lustig pfeifend schlenderte er die einsamen Straßen mit den leeren Schaufenstern entlang.
Als er nahe der Schule war, lief ihm ein schreiendes Mädchen entgegen; sie musste sich die brennenden Kleider beim Luftangriff vom Leib gerissen haben, denn sie war nackt.
Seine Stimme erinnerte an einen zu strengen Lehrer, als Krieg sie mit gewohnter Autorität zu sich rief. Er griff ihr unter die zierlichen Ärmchen und hob sie hoch, küsste das verbrannte Fleisch ihrer Stirn.
Noch immer weinte sie, aber das tat seiner guten Laune keinen Abbruch.
Er setzte sie ab.
Zwang sie auf die Knie.
Schlachtete ihre Seele.
Schließlich riss sein Samen ihr ein kreisrundes Loch in den Schädel, und sie hatte verlernt, zu weinen. Er seufzte zutiefst zufrieden.
Schweigend raffte sich das Mädchen auf, und er packte es am Handgelenk. Ganz fairer Sportsmann, kramte er eine niegelnagelneue Kalaschnikow aus seiner Hosentasche, drückte sie ihr in die alten Hände. Dann tätschelte er ihr noch einmal liebevoll den zerborstenen Hinterkopf, bevor sie davon wankte.
Mit seinem Taschentuch wischte er sich Ejakulat und Hirnmasse von der Hand, lächelte einem Kamerateam am Ende der Straße zu und überprüfte den Sitz seines Anzuges. Dort winkte man zurück, denn man kannte sich gut.
Wer fernsah, schaltete angewidert um.
Das Mädchen wankte weiter. Von überall tauchten Kinder auf und schlossen sich ihm an. Sie zogen zum Haus der Schmidts, wo sich die besorgten Nachbarn trafen und berieten.
Doch Krieg zog weiter durch die Straßen, satt und glücklich.
Der warme Wind wehte noch, er trieb eine zerfledderte alte Zeitung vor Kriegs Füßen her.
Schließlich schlug er die Seite mit den Todesanzeigen auf und ließ sie liegen; darin stand in kleinen Lettern, dass ein Schrapnell der Vernunft den Kopf abgerissen habe.
Doch niemand las.
Krieg war schon vorbei und kümmerte sich nicht.
Er lebte im heute und morgen, nicht im gestern.