Der Astronaut
Der Astronaut
Rote Lämpchen glühen auf als Niklas Nechajew das Hauptstrom Kabel aus der Verankerung des Lebenserhaltungssystems der ISS Histra12 reißt. Er schenkt ihnen keine Beachtung.
„11 Jahre“, murmelt er immer wieder. „11 Jahre Forschung. 11 Jahre Entbehrungen.“
Er legt den Fetzen Kabel, den er soeben heraus gerissen hat vor sich zurecht.
„Aber wofür?“ Irgendwo erklingt eine Alarmglocke.
„Entwicklung der Menschlichen Kultur. Forschung für den Fortschritt der Erde.“
Er ignoriert den Alarm. „Aber wofür?“ Voller Verachtung sieht er sich in dem Raumschiff um und wendet sich wieder dem Stromkabel zu. „Ich habe die Monde des Centauri gesehen, die Ringe des 3. Planeten im Omega System. Aber wofür?“ Das Kabel schwebt unbewegt vor seinen Augen. „Bringe die Menschen näher an die Vollkommenheit heran, haben sie gesagt. Aber wofür?“ Mit lautem Krachen explodiert eine Gasleitung.
„Niemand wird es je erfahren! Ich habe mir in 11 Jahren mehr wissen über fremde Kulturen, Astrophysik, Stellare Kartographie angeeignet, als es sich auch nur einer dieser beschränkten Erd Wissenschaftler hätte erträumen können. Aber wofür?“ Wie ein lebendiges Skelett schwebt er da vor dem von Plastik umhüllten Drahtbündel. Von der Schwerelosigkeit so geschwächt das er auf der Erde keinen Fuß hätte vor den anderen setzen können. „Seit neun Jahren kein Funkkontakt zur Erde. Kein Zeichen der Zivilisation. Nichts!“ Und als würde das den Kummer um die lange Zeit der Isolation lindern, zertrümmert er, aus einer Laune heraus die Scheibe des Navigationssystems.
„Das werde ich nicht mehr brauchen.“ ,erklärt er dem Kabel als müsse er sich rechtfertigen. „All das Wissen, all die Jahre.“, er muss seufzen . „All das soll umsonst gewesen sein?“, sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse. „Keine Menschenseele der ich es erzählen kann. Wie verzweifelt muss ein Mensch sein, sich mit einem Kabel zu unterhalten?“ Das Kabel lässt das anscheinend völlig kalt. Doch Niklas nicht.
„Verdammt! 11 Jahre Forschung, Isolation und niemand wird je von diesem Wissen erfahren!“ Die Board Heizung fällt aus, es wird kalt.
„Du wirst das wahrscheinlich nicht wissen,“ sagt er in einer monotonen gleichgültig klingenden Stimmlage. „aber du bist nicht einfach irgendeine Verbindung unwichtiger Drähte. Nein nicht du. Du bist viel mehr als das.“ Sein blick schweift durch das Raumschiff. Alle Alarmklänge und Warnleuchten ignorierend stellt er die Notstromversorgung aus. „Du nicht.“ ,wiederholt er. „Du bist mein Weg raus aus diesem Elend. Du bist Teil des Ganzen. Ohne dich...“, wieder blickt er sich verachtend in dem Raumschiff um, das nun mehr 11 Jahre seine Heimat, sein Gefängnis war. „Ohne dich bricht alles zusammen. Die Sauerstoff Versorgung wird unterbrochen, langsam beginnst du nach Luft zu ringen. Gase aus der Antriebskammer verbreiten sich, dein Herzschlag wird unregelmäßig...“ ,er lässt sich durch die Gleichgültigkeit des Kabels in keinster weise beirren. „Der Tot ist schnell und schmerzlos. „Du schläfst ein bevor du das geringste spürst. Und du, du bist der Auslöser, die Fahrkarte aus diesem Sinnlosen Sein.“ Amüsiert über die eigene Fassung mit der er die Art seines Todes vor trägt muss er plötzlich lachen. Er spürt wie sich seine Kehle langsam zusammen zieht. Er wird müde die Augen fallen ihm zu.
„Diesen Augenblick habe ich lange geplant. Er ist perfekt, und du bist Teil dieses Planes.“
Er nimmt die von ihm bestimmte Position ein. Die Position über die er lange sinniert hatte. Die Position für den perfekten Abschied, den perfekten Tod.
Ihm wird schwarz vor Augen. Er ist zufrieden. Hat mit sich und seinem Leben abgeschlossen.
Blickt noch ein letztes mal zu dem Kabel mit dem seine letzte Reise begonnen hatte.
Ein Funksignal erreicht sein Schiff. Durch die schlechten und alten Lautsprecher dringt wie aus weiter Ferne eine menschliche Stimme an sein Ohr: „Hier spricht die ISS Mensatis, wir haben ihren Notruf aufgefangen, bitte identifizieren Sie sich! Ich wiederhole....“
Ein leises Räucheln dringt aus seiner Kehle. Ein letztes aufbäumen des Willens gegen den Körper. Er will die Hand ausstrecken, antworten, endlich befreit werden. Doch seine Arme befinden sich längst nicht mehr unter seiner Kontrolle. Nur das Funkeln in seinen Augen zeugt noch von Leben in ihm, ein verzweifelter, stummer Schrei. Durch sie kann er noch verschwommen die Umrisse des Rettungsraumschiffes erkennen. Zum greifen nah schwebt es nur wenige Meter von seinem Shuttle entfernt im All. Doch für ihn so unerreichbar weit entfernt. Als wäre er nicht mehr in seinem Körper, sondern draußen, draußen in der Freiheit, sieht er sein Leben an sich vorüber ziehen. Sieht den Start vor 11 Jahren, sieht den Unfall seit dem er jeglichen Kontakt zur Zivilisation verloren hatte, und das Kabel. Wie es da schwebt vor seinen Augen, ihn förmlich angrinst, als hätte es alles so vorher bestimmt.
Er kann den zweiten Funkspruch des Raumschiffes nicht mehr hören. Zu weit weg ist er schon gedriftet. Weg von Zeit, Raum, hinein in die Welt der bloßen Gedanken.
Noch einige Sekunden kann man das leise knistern des Funkgeräts hören, dann nichts mehr. Kein Atmen. Kein Pulsieren des Herzens. Nichts. Stille.
Sidney Gennies