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Der Buderü

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14.03.2006
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Der Buderü

Keiner weiß warum, aber unser Vater konnte keinen Namen, den ein Mensch besaß, Naturbelassen akzeptieren. Wir haben viel darüber spekuliert, was ihn zu seinen bizarren Namensänderungen bewog und sind zu dem Schluss gekommen, dass es einige Ursachen gab: Zum einen war er in kreativer Hinsicht maßlos unterfordert, andererseits war ihm viel zu oft langweilig. Hinzu kommt eine schwere Kindheit im Ruhrgebiet der 1920-Jahre. Und in dieser Kombination – so erklärten wir uns sein skurriles Verhalten – kommt es dann wahrscheinlich entweder zu Depressionen oder aber zu Übersprungshandlungen. Bei ihm war wohl das Letztere der Fall.

Im Übrigen denke ich, er war ein genialer Dada-Künstler, der allerdings seiner Zeit hinterher hinkte.
Meine Mutter war der Meinung, er hätte ab einem gewissen Zeitpunkt der Ernsthaftigkeit des Lebens den nackten Hintern zeigen wollen.
Mein Bruder meint, er hätte einfach nicht alle Tassen im Schrank gehabt.

Wahrscheinlich haben wir alle Recht.

Tatsache ist: Er vergriff sogar an der Bezeichnungen von Institutionen und Tieren.

Es begann – so weit ich mich erinnern kann – in den 1950-er Jahren. Wir hatten unseren ersten Fernseher bekommen. Ich würde gerne sagen: Er war ein engagierten Vater, der seine Tochter nicht alleine vor dem Fernseher sitzen lässt. Dem war allerdings nicht so. Er sah sich gerne mit mir die „Augsburger Puppenkiste“ an. Die „Mumin-Familie“ war damals der Hit. Eine der Hauptfiguren der „Mumin-Familie“ war Hemul, von dem ich heute nicht mehr weiß, welche Rolle er spielte. Mein Vater allerdings fand den größtmöglichen Gefallen an Hemul.

Und da begann es: Aus meiner Oma wurde eine „Omul“, aus meinem Opa „Opul“. Gleichermaßen verfuhr er mit meiner Mutter. Und auch sich verschonte er nicht. Genau. Er war der „Papul“.

Kaum hatten wir uns an die neue Namensgebung gewöhnt, hagelte es Eigenkreationen. Opa hieß ab sofort nur noch „Oppelerknopp“. Aus einem Onkel der „Oke-Ocke“. Aus Frau Tischkewitz, unserer nervtötenden Nachbarin, wurde „die Ilsebill“ oder ab und zu auch die „Pischkewitz“. Er fand, dass meine Freundin Roswitha eher eine „Tulpenwitha“ war und Sylvia eine „Will-sie-ja“. Aus seinem Bruder Heinrich machte er den „Hineroich“ und seinem Schwager Hermann den „Hermein“. Meine Tante Gertrud verwandelte sich in „Tuttut“. Der Nachbar Bachmann hörte nur noch auf „Krachmann“ und so weiter und fort. Die Polizei wurde in „Porzelei“ verbessert und alle Katzen hörten nun auf den Namen „Kaczmarek“.

Meine Verwandtschaft mütterlicherseits, allesamt ernsthafte, nüchterne Menschen mit starkem Bodenkontakt begannen sich große Sorgen um ihn zu machen. Sie flüsterten sich leise kopfschüttelnd unverständliche Dinge zu und folgten ihm fragend mit den Augen, wenn er ihnen den Rücken kehrte. Er fing an, meinen Bruder, der auf den Namen Peter hörte „Kneterpen“ zu rufen. Ich als seine Tochter, die er bisher immer fröhlich „Töchterlein“ genannt hatte, mutierte zum „Tiedelein“.

Heute sagen die Kinder einfach genervt aber mutig: „Papa, du bist so was von peinlich …“ Aber das war damals verboten. Man kritisierte seine Eltern nicht sondern man hatte Respekt vor ihnen. Man durfte sich ja noch nicht einmal beschweren, wenn man mal eine „geschallert“ bekam. Also lief ich statt seiner, der auch in Gesellschaft fröhlich mit Namen herumexperimentierte, rot an.

Seinen eigenen Namen, Friedrich, mochte er in seiner Ursprungsfassung auch nicht. Das war ihm alles viel zu streng und zu ernst. Wie gesagt, er hatte dem ernsten Leben längst den blanken Hintern gezeigt. Also nannte er sich „Friech“ oder „Kid“ (was er auch war).

Seine Verwandtschaft allerdings, fand die alternative Namensgebung durchaus akzeptabel, sinnvoll und irgendwie logisch. Nie hat sich zum Beispiel sein Bruder „Hineroich“ über seinen neuen Namen ansatzweise gewundert. Und auch sein Sohn, „Buderü“, der mit weltlichem Namen Heinz heißt, fand es nicht weiter bemerkenswert, umbenannt worden zu sein. Er selbst nannte ihn übrigens „Onkel Friddich“.

Als sich der Name „Buderü“ abnutzte, verpasste ihm mein Vater eine neue, sagen wir mal, „Corporate Identity“ und ersetzte kurzerhand das „Ü“ durch ein „A“. Und damit nicht genug, das „R“ bekam eine amerikanische Färbung.

Eine Situation ist mir noch im Gedächtnis geblieben: An einem langweiligen Sonntagnachmittag beschloss er, diesen „Buderü“, der nun „Budera“ hieß, anzurufen, um ihn zu fragen, was es denn so Neues gäbe und wie die Lage im Stadtteil Gelsenkirchen-Bismarck sei.

Eines der vier Kinder seines Neffen, unseres Cousins, Thomas, ging ans Telefon, worauf sich mein Vater mit seinem korrekten Namen meldete nachfragte, ob „der Papa“ zu sprechen sei.

„Der Buderü“ wollte höchstwahrscheinlich eine Vorauswahl über den Gesprächspartner treffen und rief aus dem hintersten Winkel der großen Wohnung:
„Ich habe keine Zeit. Wer ist denn überhaupt am Telefon, Thomas?“

Der sechsjährige Thomas: „Weiß ich nicht.“

„Dann frage nach“, forderte die Stimme aus dem Hintergrund.

Thomas tat dies und unser Vater antwortete für seine Verhältnisse relativ sachlich, dass dort der Onkel Friedrich am Telefon sei, und den Heinz sprechen wolle.

„Den Heinz? … Äh, mmh, der Papa hat keine Zeit“, sagte Thomas fest.

Mein Vater allerdings, den wir inzwischen Friedel nannten, war noch nie ein Mensch gewesen, den man irgendwie abschütteln konnte. Weder in guten noch in bösen Tagen. Er dachte kurz und kreativ nach, um dann übersprungartig vorzuschlagen:

„Mothas, ruf mal so laut zu kannst: „ B u d e r a ! “ Dann kommt er sofort. Ehrenwort.

Thomas tat genau das und rief wie ihm geheißen:

„ B u d e r a “ !

„Ach so“, meinte der „Budera“ und machte sich aus der Ferne des Zimmers auf den Weg zum Telefon.

„Hallo Onkel Friddich“ rief er dann ins erfreut in den Apparat. “Na, für dich habe ich doch immer Zeit.“

Inzwischen ist „der Budera“ selbst Opa. Er selbst nennt seinen Enkel „Bollek“. Wie er wirklich heißt, weiß kein Mensch.

 

Hallo Pabu,
ja super, dass überhaupt mal jemand liest, was ich schreibe. Schön, dass es dir Spaß gemacht hat und erleichternd, dass es auch andere übergeschnappte Leute gibt. Ansonsten war er - ich schwöre - ein liebenswerter Mensch.
Viele Grüße
momarei

 

hi momarei,

ganz nettes ... na ja - textallerlei.
war ein wenig amüsant, eine kurzgeschichte wars nicht, was ich auch nicht sonderlich schlimm gefunden hätte, wenn es einen spannungsbogen gehabt hätte, aber so kommt dieses fragment wie das blockstück eines größeren textes daher, als wäre es unvermittelt irgendwo rausgerissen.
für meinen geschmack war das zu wenig. kreativ? na ja, von mir aus, aber insgesamt doch eher nichtssagend und unmotiviert.

okay, ist jetzt eine harte kritik geworden, deswegen füge ich noch an - ernsthaft - dass man auch merkt, dass das nicht alles ist, was du kannst.

ciao
hoover

 

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