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Die Hölle in mir

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10.10.2006
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Die Hölle in mir

Als ich vierzehn war, habe ich dem Teufel meine Seele versprochen. Ich und noch drei andere Jungs. Damals hielten wir das für eine tolle Idee.
Der eine ist zwei Jahre später an einer schweren Grippe gestorben, er war schon Asthmatiker und dann noch eine Grippe, das war zu viel. Der Zweite hat sich totgefahren, ich weiß gar nicht mehr wo, und der Dritte, das ist eine komische Geschichte, der Dritte hat sich am Markusplatz in Venedig drei Kugeln in den Kopf gejagt. Ich war nicht dabei, ich kann mir nur vorstellen, wie es war, mit den aufspritzenden Tauben und den Touristen, die ihren Kaffee verschütten und schnell Fotos machen und ich sehe auch kleine Kinder, die an die Rockschöße ihrer Mütter gepresst werden, damit sie es nicht sehen können, aber sie haben es gesehen. Ich war nicht dabei, ich kann es mir nur vorstellen, aber was ich nicht verstehe, was mich nachts nicht schlafen lässt: Wie kann er mit einer Kugel im Kopf noch zwei Mal abdrücken?
Ich hab das ja eher für einen Witz gehalten damals, wir haben aus einem alten Buch gelesen und einen schwarzen Hahn … na ja, geopfert. Eher geschlachtet einfach. Am Hals. Aber gestern ist mir der Teufel im Traum erschienen, ein übermannshoher Kerl mit Spitzbart und beängstigenden Augenbrauen und der Teufel hat sein loderndes Maul geöffnet und nur ein Wort gesagt: „Outsourcing.“
Und seitdem bin ich eine Filiale des Fegefeuers.
Wenn ich nichts sage, höre ich in meinen Ohren Frauen stöhnen. Selbstmörderinnen. Welche, die ins Wasser gegangen sind. Sie sind da, in meiner Ohrmuschel, in den kleinen Blutkörperchen. Und sie tauchen auf und röcheln, die Lungen voller Blut und dann zieht es sie wieder nach unten.
Hinter meinen Augen wohnen die Wollüstigen, ich kann sie spüren, sie wollen raus, sie drücken gegen mich, sie lechzen nach allem, was ich sehe, das sie aber nicht kriegen können, denn da sind meine Augen.
Ich weiß nicht genau, was in meinen Gedärmen los ist. Aber es rumort. Ich nehme stündlich eine Alka-Selzer, aber viel hilft das nicht. Ich denke mal, da werden die richtig üblen Typen aufgelöst. Biochemisch, durch Magensäure. Mörder oder so.
In meinen Wadenmuskeln sitzen ein paar Lügner, gottlob weit vom Mund weg. Manchmal schleicht sich einer hoch und wenn mir dann Worte über die Zunge kommen, die ich nicht sagen will, muss ich tief schlucken, dann poltern sie nach unten. Aber das kommt nicht oft vor, von meinen Beinen bis zu meiner Zunge, das ist ein weiter Weg.
Verräter wohnen in meinem Hinterkopf, Sadisten im vorderen Stirnlappen, dazwischen ein weites Feld von Räubern und Schlägern und Frauenschändern. Jeder seine eigene Zelle und manchmal öffnet sich alles, dann schwirrt mein Kopf, wenn sie aufeinander losgehen, wenn die Zellenwände durchlässig werden, dann gibt es ein Massaker. Die Wollüstigen johlen hinter meinen Augen enttäuscht, weil sie es nicht sehen können. Und mir wird ganz schwindlig. Sie gehen mit bloßen Händen aufeinander los, zuerst. Später, wenn die ersten gerissen am Boden liegen, dann schnappt sich manchmal einer einen Arm oder einen Kopf und schlägt damit um sich.
Die Wirbel an meinem Rückgrat entlang baumeln Gotteslästerer. Sie sagen nicht viel, ihre Hälse sind zugeschnürt und ihre Gesichter purpurn. Aber sie blinzeln. Meine drei toten Freunde sind nicht dabei. Jedenfalls denke ich das.
Ich muss Handschuhe tragen, unter meinen Händen sehe ich Schatten, wie Geschwülste, sie wabern auf und ab. Als hätte ich die Beulenpest oder Parasiten. Ob es reicht, mal an einem Sonntag gearbeitet zu haben, um dort zu landen?
Meine Freundin ruft mich drei Mal am Tag an. Sie macht sich Sorgen. Ich kann sie kaum verstehen durch das Schreien der Ertrinkenden hindurch. Sie sagt Dinge, die nicht gut für sie sind. Sie möchte vorbeikommen. Sie möchte mir helfen. Das sei eine Psychose, sagt meine Freundin.
Die Wollüstigen geifern, als ich ihr die Tür öffne. Ein Lügner hat sich gerade hoch geschlichen und sagt: „Komm doch rein, hier ist alles okay“, bevor ich ihn runterschlucken kann. Sie fragt mich: „Du trägst ja Handschuhe?“, und ich sage: „Nimm doch Platz.“
Sie setzt sich auf das Sofa und ich auf meinen Stuhl.
Sie sagt: „So etwas wie den Teufel gibt es doch gar nicht, du bist nur traumatisiert.“
Alles in meinem Körper ist still. Sogar das Geräusch an meinem Rückgrat ist weg. Das leise, wenn die Gotteslästerer baumeln.
Die Verräter in meinem Hinterkopf sind still und auch die schreienden Frauen. Es gluckst nicht mal.
Ich schließe die Augen und da ist er wieder. Übermannsgroß, mit Spitzbart. Er öffnet sein loderndes Maul und sagt nur ein Wort: „Zweigstellen.“
Ich öffne meine Augen und die Wollüstigen jubilieren.

 

Hey regi,

freut mich, dass dir die Idee gefiel.

Frohes Fest auch dir!
Quinn

 

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