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Firmenjubiläum
Er betritt den Raum. Ja, er betritt ihn, kommt nicht einfach nur so herein, von niemandem beachtet. Das ist seine Sache nicht. Es ist so, als wäre er ein Magnet und alle Anwesenden Kompassnadeln, die sich ihm zuwenden.
Woher diese Anziehungskraft? Er ist klein, kaum eins sechzig groß, dazu sein schmächtiger Körper, er gehört zu den Männern, die mit vierzig schon so aussehen wie mit sechzig. Sein Gesicht ist faltig, wenn auch nicht zu sehr, ein breiter dünnlippiger Mund, der vorerst nichts sagt, aber warten wir‘s ab, wir werden gleich hören, was dieser Mann zu sagen hat. Alle hängen an diesem Mund. Und der Rest des Gesichtes? Ebenfalls nicht weiter bemerkenswert. Eine schmale Nase und Augen mit ausgeprägten Tränensäcken darunter. Wenn er lächelt, lächeln seine Augen nicht mit, du hast es schon oft beobachtet. Lächerlich jedenfalls ist seine Frisur, obwohl passend zu diesem eitlen Gockel, hochgestylt, soll wohl jugendlich wirken, sieht aber aus wie ein Irokesenkamm. Wie einer Lederstrumpf-Erzählung entsprungen. Fehlt bloß noch, dass er in Kriegsgeschrei ausbricht.
Stattdessen öffnet sich jetzt sein Mund zu einer albernen Bemerkung. Ja, es fehlte nicht viel und sie klatschten Beifall, diese Speichellecker. Die Party hat ihren Mittelpunkt gefunden. Geschäftsführer Horrwitz, blasierter Heini aus Berufung, Weltmeister im Heiße-Luft-Ablassen und Nase-hoch-Tragen ist da. Dummerweise hat er als Geschäftsführer die Macht über unser aller Wohl und Wehe, die einzige, aber völlig ausreichende Erklärung für sein Charisma. Ich werd' mal lieber zu ihm rübergehen und ihn begrüßen. Denk dran, schön unterwürfig tun, ihm das Gefühl geben, er wäre der Größte. Das mag er.
Er steht auf, kommt auf mich zu und gibt mir artig die Hand, dann verzieht sich sein Mund zu einem zaghaften Lächeln, das seinen ungepflegten grauen Stoppelbart auch nicht besser aussehen lässt.
Mein Gott, was für Prolls es doch gibt. Kann er sich denn nicht mal für diesen Anlass vernünftig kleiden. Ewig diese ausgebeulten Hosen, das graue Sakko und dazu eins seiner schrecklichen Hemden. Diesmal hat er das braune gewählt. Ein Cord-Hemd! Ein braunes Cord-Hemd! Es müsste ihm wirklich mal einer sagen, dass das nicht geht. Aber wer sollte es ihm sagen? Soviel ich weiß, ist ihm seine Frau weggelaufen, und wie die Dinge liegen, wird er so bald keine neue kriegen, so schüchtern wie der ist. Auch jetzt sieht er mir nicht in die Augen, während er auf meine brillante und witzige kleine Begrüßung hin irgendwas zusammenfaselt. Es lohnt kaum der Mühe, da genauer hinzuhören.
Er könnte meine Hand jetzt wieder loslassen. Kalt und schweißig, wenn ein toter Fisch Hände haben könnte, dann hätte er genau solche. Jetzt endlich! Ich muss mich zusammennehmen, dass ich meine Hand nicht gleich irgendwo abwische. Wo, ist egal, jedenfalls nicht an meinem blütenweißen Taschentuch. Ich mag ihn einfach nicht. Wie lange hat er noch bis zur Rente? Noch zehn Jährchen vielleicht. Die wird er weiter brav auf seinem Bürostühlchen absitzen und seine wässrig-blauen Augen werden Akten schauen statt Visionen.
Gott, was für ein Leben. Jetzt geht er zurück an seinen Platz, wie üblich mit hängenden Schultern und schlurfendem Gang. Natürlich weiß er, dass er meine Begrüßung verpatzt, einen Fehler gemacht hat, aber es wird ihm nie aufgehen, dass er der Fehler ist. Armer Kerl. Irgendwie tut er mir auch leid. Muss mal in seiner Akte nachsehen, ob man was für ihn tun kann.