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Von den Tücken eines Abführzäpfchens

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21.09.2001
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Von den Tücken eines Abführzäpfchens

An den Rollstuhl gefesselt. Wenn ich das schon höre. Hätte ich das Ding nicht, wäre ich total aufgeschmissen. Typischer Spruch von Fußgängern die nicht wissen, wohin mit ihrem Mitgefühl. Mein Rolli ist mein bester Freund. Ich hege und pflege ihn so gut ich nur kann. Einmal die Woche pumpt Hauke die Reifen auf. Sieben bar. Hauke ist mein Zivi, an sich ein hartgesottener Bursche, doch wenn das Manometer bei fünf bar angelangt ist sehe ich die Panik in seinen Augen. Ich sehe wie er hektisch weiterpumpt in der Erwartung, dass ihm der Reifen jeden Moment um die Ohren fliegt. Nach diesem Pumpmarathon fährt sich mein treuer Begleiter fast von allein. Ein paar Schwünge mit den Händen und ich gleite über den Fußgängerweg – bis zur nächsten Bordsteinkante.

Ich komme gut mit Hauke klar, nur montags morgens gehe ich behutsam mit ihm um. Dann ist er im Delirium. Mr. Alk ließ wieder einmal grüßen. Besonders heftig wird’s für ihn, wenn Abführen angesagt ist am Montag. Ich scheiße alle zwei Tage. - Hört sich für einen Otto-Normal-Läufer vielleicht seltsam an, aber mein Darm wurde damals getrimmt während meines achtmonatigen Reha-Aufenthaltes auf alle zwei Tage. - Dann stülpt sich mein Helfer einen Latex-Handschuh über seine fünf Finger, friemelt mit Mühe das Abführzäpfchen aus der Aluverpackung, fährt seinen Zeigefinger aus und steckt mir die Fettrakete in meine hinterwärtige Öffnung. Während der fünfzehnminütigen Einwirkzeit hängt Hauke sich unter den Wasserhahn und erfrischt seine Lebensgeister. Dann bringt er mich von der Seiten- in die
Rückenlage, stellt den Duschrolli neben mein Bett und fährt es auf Sitzhöhe. Hauke fasst mich mit beiden Händen und zieht mich hoch und schon sitze ich in meinem Bett mit den Beinen auf dem Boden – wie ein normal Sterblicher. Mit Hilfe eines kunststoffbeschichteten Brettes, welches mit einem Handtuch umhüllt ist, rutsche ich auf das Bad-Gefährt. Meistens klappt es mit dem Abführen und ich erreiche rechtzeitig die Kloschüssel. Doch hin und wieder ist mir der Krüppel-Gott nicht wohlgesonnen. Da passieren so Dinger wie neulich am Montag. Anstatt sein Hirn unter den Duschstrahl zu halten, setzte sich mein Zivi aufs Sofa, bekam Schräglage und pennte ein. Erst auf mein mehrmaliges Schreien reagierte er, kam angerast. Er schaffe es, mich unter Absturzgefahr auf den Rolli zu hieven, packte die Schiebegriffe und eilte mit mir Richtung Bad. Als er die Kurve durch die Tür nahm, bemerkte ich ein Knacken in der Nähe des rechten Reifens des altersschwachen Kassenmodells. Der Reifen drohte sich zu lösen. Ich packte mit beiden Händen zu, stoppte so den Anflug und schrie:
„Halt!“
Die rechte Achse war angebrochen. Hauke stemmte sich mit aller Kraft auf die linke Armstütze um Schlimmeres zu verhindern. Geistesgegenwärtig drehten wir gemeinsam den Rolli Richtung Schlafzimmer. Fragt mich nicht, wie wir den Weg geschafft haben. Letztendlich lag ich wieder in meinem Bett. Wohlbehalten, nur Hauke hatte jetzt alle Hände voll zu tun. Das Zäpfchen tat seine Wirkung und das nicht zu knapp.

 

Hallo Ryu-ki,

mannomann, da hab ich´s mir wohl mit den Zivis verscherzt. Mensch Jungs, die Story ist eine Satire. Ich schere doch nicht alle über einen Kamm. Es ist eben dieser eine Hauke. Der Rollifahrer kommt doch gut mit ihm klar, selbst wenn die Alloholfahne durch die Bude strömt. ;)
Ich wollte und habe die Zivis nicht etikettiert, sondern von diesem einen geschrieben.
Ich weiß, dass der Zivijob ein harter Job ist, zudem noch unterbezahlt.
LIEBE ZIVIS: SCHÖN, DASS ES EUCH GIBT, SELBST WENN IHR MAL EINEN SCHLECHTEN TAG HABEN SOLLTET!

Ryu-ki - immer noch sauer?

Liebe Anja,

danke, dass Du mich so unterstützt. Genauso ist es!

Grüße Heidi

 

Liebe Heidi!

What a story! Schnell zu lesen, sympathisch und sprachlich mit Kraft, aber nicht ordinär. Wäre schade, wenn das die einzige Story mit dem Alk-Zivi und dem Krüppelgott-Anbeter gewesen wäre. Also: wann lesen wir die Fortsetzungs-Story?

Dein eco

 

Hi eco,
also ich könnte schon noch ein paar Storys über einen Rollifahrer loslassen. Bei den nächsten kommen die Zivis dann besser weg. Mal gucken, ob meine Feder in Kürze zuckt.
Danke für Deinen Kommentar:)

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich finde der zynische Humor und der Chrakter des Prot. ist wunderbar rübergekommen. Bin mit meinem rollifahrenden Cousin großgeworden, er und seine Kumpels sind ganz ähnlich drauf, wenn auch nicht ganz so hartgesotten. Ist wohl eine Frage des Überlebens möglichst viel mit Humor zu nehmen. "Fettrakete" und "Krüppelgott" waren die Highlights :D Auch den Zivi finde ich gelungen, und ich weiß nicht warum andere Zivis sich hier so verallgemeinert angegriffen fühlen. Es kam doch ziemlich menschlich rüber. Würde gerne noch mehr solcher Storys lesen!

P.S.: den "Mittelteil" fand ich jedoch zu langatmig, da das ganze Prozedere zu sehr detailiert und zu offensichtlich für einen Außenstehenden erklärt wird, als obs eine Einführung für neue Zivis wäre. Die ganze Atmosphäre des "Insiderhumors" geht dadurch etwas verloren.

 

Hallo Udo,
danke, dass Du Dich meiner Story angenommen hast.
Freut mich, dass Du meinen Humor verstehen konntest.
Werde mir die Geschichte nochmal hinsichtlich des Mittelteils ansehen.
Gruß Heidi

 
Zuletzt bearbeitet:

Dann bringt er mich von der Seiten- in die
Rückenlage, stellt den Duschrolli neben mein Bett und fährt es auf Sitzhöhe. Hauke fasst mich mit beiden Händen und zieht mich hoch und schon sitze ich in meinem Bett mit den Beinen auf dem Boden – wie ein normal Sterblicher. Mit Hilfe eines kunststoffbeschichteten Brettes, welches mit einem Handtuch umhüllt ist, rutsche ich auf das Bad-Gefährt.

Was mich an dieser Stelle wohl gestört hat war der stilistische Bruch. Als ob der der Prot. plötzlich und kurzzeitig sprachlich aus seiner Rolle fällt, um danach wieder in seine "Alltagssprache" zurückzufallen. Vielleicht ist es auch nur der eine Satz:
"Mit Hilfe eines kunststoffbeschichteten Brettes, welches mit einem Handtuch umhüllt ist, rutsche ich auf das Bad-Gefährt."
Klingt zu gekünstelt und umständlich.

 

Hallo Udo,
hmm.. ich empfinde es nicht so. Werd aber nochmal drübernachdenken.
Gruß Heidi

 

hallo Heidi!

hab' mir gerade deine geschichte durchgelesen und fand sie gut! bin selbst rollifahrerin und ich muss auch sagen: "mein rolli ist mein bester freund!" *g* werde mir jetzt nochmal die anderen geschichten in dieser rubrik anschauen!

viele grüße,

*ferni* :read:

 

Hallo ferni,
danke, dass Du DIch -als insiderin- meiner Geschichte angenommen hast und dass sie nicht allzu exotisch herübergekommen ist.
Dann weiterhin "gut roll"
Grüße Heidi

 

Hi Heidi,

wollte nur schnell auch meinen Senf zu dieser tollen Geschichte abgeben und dir auf die Schulter klopfen!
Toll geschrieben, klasse Humor und an den richtigen Stellen mit tiefgründigen Nuancen!

Saugut! :)

Gruß, Zensur

 

Hallo Zensur,
na, dann freu ich mich doch über Deinen Senf.
Nach so langer Zeit einen positiven Kommentar zu bekommen, da ist die Freude doppelt groß.
Grüße Heidi

 

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