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Regionalbahn ins Nichts

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19.11.2002
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Regionalbahn ins Nichts

Der Lautsprecher auf dem Bahnsteig knackte, dann tönte der Gong, auf den viele der Leute auf dem Bahnsteig sehnsüchtig gewartet haben. Es war endlich 6 Uhr 56.
"Meine Damen und Herren, es fährt ein die Regionalbahn von Gerstungen nach Fulda, bitte Vorsicht bei der Einfahrt!" schnarrte auch schon eine müde kligende Frauenstimme durch den eisigen Wind, der immer wieder leichte Schneeflocken mit sich brachte.
Werner hob den Kopf, sah dann herüber in die Richtung, aus der der Zug kommen musste.
So wie jeden morgen, wenn er zur Arbeit fuhr.
Doch an einem Morgen wie diesem wäre er auch viel lieber im Bett geblieben.
Den anderen schien es nicht viel besser zu gehen. Sie gingen auf dem schneeüberwehten Bahnsteig auf und ab, um sich zu wärmen, hatten ihre Hände tief in den Manteltaschen vergraben.
Werner hatte heute wirklich keine große Lust zu arbeiten.
Anstatt in dem Reformhaus in der Fuldaer Innenstadt Müsli zu verkaufen würde er jetzt viel lieber im Bett liegen und lesen.
Aber stattdessen in diese Hundsfottskälte.
Lieber dachte er den Gedanken nicht zu Ende, es hätte sowieso keinen Zweck.
Ändern würde sich dadurch nichts.
Er sah in der beginnenden Morgendämmerung die drei Frontscheinwerfer eines Zuges sich dem Bahnsteig nähern. Es war ein Dieseltriebwagen, der für seine Verhältnisse sehr geräumig war.
Werner mochte diese Schienenbusse, sie fuhren zwar im Schneckentempo durch die Rhön, aber man sah so wenigstens etwas von der Landschaft.
Der Motor des vorderen Triebkopfes ratterte im Leerlauf, Bremsen zischen, Radlager ächzten.
Kreischend kam der Zug zum Stehen.
Begleitet von einem Surren schwangen die Schiebetüren auf, die Fahrgäste drängten hinein.
Innen war es angenehm warm.
Ein müde wirkender Schaffner stand neben dem zug und beobachtete das Einsteigen.
Das hier einer mitfuhr war eigentlich nicht üblich, nur sporadisch kam es mal vor, das unterwegs die Fahrkarten kontrolliert wurden.
Werner machte sich darüber wegen seiner Jahreskarte keine großen Gedanken, wohl aber zwei Jungs, die beim Anblick des Schaffners, schon halb eingestiegen, schnell wieder zurück auf den Bahnsteig schlichen und blickten, als könne sie kein Wässerchen trüben.
Werner fand einen freien Sitzplatz neben einer jüngeren Frau, die am Fenster saß und ihn nicht beachtete, als er sich einfach hinzu setzte.
Begleitet von einem Piepsen schoben sich die Türen wieder zu. Es klackte, als sie verriegelten.
Werner saß im vorderen Triebkopf des Zuges, dort, wo auch der Motor saß. Hinten im nicht motorisierten Triebkopf war es natürlich ruhiger, aber leider auch krachend voll besetzt.
Dann doch lieber das Rattern des Motors unter seinen Füßen, als die ganze Strecke nach Fulda über zu stehen.
Er blickte aus dem Fenster.
Die beiden Schwarzfahrer saßen draußen frierend auf einer Bank und unterhielten sich.
In einer guten Stunde würde der nächste zug kommen.
Und hoffentlich für sie ohne Schaffnerbegleitung.
Der Motor heulte auf, ein Ruck ging durch den Wagen, als der Triebwagen langsam anrollte.
Immer schneller schob sich der Bahnsteig am Fenster vorüber.
Der Waggon ruckte einmal, als sie über eine Weiche kamen.
Der Zug beschleunigte langsam, dann schwoll das Motorgeräusch ab, als der Lokführer in den Leerlauf schaltete. Hier ging die Strecke leicht bergab, aus Gersfeld hinaus.
Von vorn ertönte eine Hupe.
Das Rhythmische rattern der Räder, das leichte Schlingern des Waggons machten ihn plötzlich schläfrig. Es war ihm schon oft passiert, das er bis Fulda geschlafen hatte.
Warum auch diesmal nicht, fand Werner, und schloss die Augen, gab sich der Müdigkeit nach.
Gestern war es doch wieder etwas zu spät geworden.
Egal, in etwa 38 Minuten würde er erst in Fulda sein.
Um 8 Uhr machte das Reformhaus auf.
Immer mit der Ruhe.
Und schon schlief er ein.
Die Regionalbahn RB 95064 näherte sich um 7.02 Uhr dem kleinen Bahnhof von Altenfeld.. Er hörte, wie der Zug stoppte, wie die Türen aufgingen und sich wieder piepsend schlossen.
Fußtrampeln, Husten, ein Schneuzer in ein Taschentuch.
Der Diesel heulte auf, und der Zug fuhr wieder an, war schon bald wieder auf freier Strecke.
Der Schaffner, der bis eben vorn im Führerstand war öffnete die Tür und kam nach hinten.
Werner kam plötzlich seine Ex - Freundin in den Sinn, er sah plötzlich wieder in Gedanken ihre hellbraunen Augen vor sich, die wie Bernsteine funkelten.
Der Zug näherte sich einem Tunnel.
Ihre wunderbaren Augen, ihr nach Aprikosen duftendes Haar.
Der aus ranitsteinen gemauerte Rundbogen verschluckte den zug wie ein gähnendes Maul.
Dunkelheit füllte die Fenster aus, im matten Licht, das aus den Fenstern fiel sah man schemenhaft die Betonwand, die an ihnen vorüber raste.
Ihr Lächeln, mit dem sie ihn immer verzaubert hatte.
Werner spürte ein Knacken im Ohr, durch die Luftdruckverschiebung.
Un dann blitzte es plötzlich grell weiß auf.
Werner presste die Augenlider fest zusammen, so fest er konnte, doch dieses schreckliche Licht verging nicht. Ein seltsames Singen hing in der Luft, verzweifelt hielt er sich die Hände vor die Augen, das Singen klang verzerrt, wie eine viel zu schnell ablaufende Schallplatte.
Und dann war das Licht verschwunden, das Singen verging.
Als plötzlich eine Urgewalt Werner aus dem Sitz hob, er spürte, wie seine Füße den Kontakt zum Boden verloren, wie er für einen Moment zu schweben schien.
Ein lautes Kreischen und Zischen von irgendwo her.
Und dann der heftige Scherz, als er gegen die Rückenlehne des Sitzes vor sich prallte, die Kante der Lehne drückte gegen seinen Bauch, er spürte einen Sog, der ihn nach vorn über die Lehne ziehen wollte.
Verzweifelt krallte er sich irgendwo fest, kämpfte gegen den Sog an.
Als plötzlich ein Ruck durch den Zug ging, als er mitten im Tunel stehen geblieben war.
Er fiel wieder zurück, stieß mit dem Rücken gegen die Lehne seines Sitzes, plumpste wieder mit dem Hintern auf die Sitzfläche zurück.
Im zug war es plötzlich sehr Still, als er die Augen öffnete. Auch der Motor lief nicht mehr.
Er sah sich um. Das Licht war gedämpft, fast schon difus. Die Neonröhren an der Decke glimmten schwach. Er mußte sich erst daran gewöhnen.
Und was er dann sah, konnte er nicht glauben.
Dafür schien es keine Erklärung zu geben.
Der Waggon, der eben noch voller Menschen gewesen war, war plötzlich leer.
Und als er sich umdrehte, um nach der Frau zu sehen,
sah er plötzlich ein Kleiderbündel auf dem Sitz neben sich.
Er sah vor dem Sitz auf dem Boden ein Paar Schuhe mit hohen Absätzen, der eine umgekippt, die Beine einer Hose, die wie eine tote Schlange über die Sitzkante gefaltet war.
In den Schuhen steckten Wollsocken, oben auf dem Sitz eine zusammgengesunkene Jacke.
Werner griff zu der Jacke, zog sie hoch.
Und da fiel eine Bluse, ein Büstenhalter und eine Halskette heraus.
In der Hose lag ein Slip, neben der Hose sah er plötzlich die Handtasche, darin Brieftasche, Schlüssel, Lippenstift, Taschentücher, Notizblock und Kugelschreiber, eine Schachtel tic tac.
Erschrocken sah er sich um.
Die Frau musste jetzt irgendwie nackt sein.
Warum hat sie sich ausgezogen?
Aber legt man so seine Kleidung hin?
Es sah eher aus, als wäre die junge Frau aus ihren Kleidern herausgezogen worden.
Langsam stand er auf, und dann sah er auf den umliegenden Sitzen noch mehr Kleiderhaufen, Schuhe, Jacken, Brillen.
"Hallo?" rief er gegen die seltsame Stille an.
"Hallo?"
Er ging aus der Sitzreihe hinaus in den Mittelgang, blickte vor durch die Tür, wo das Fahradabteil war, dahinter der Führerstand.
Werner lief taumelnd nach vorn. Vielleicht war der Lokführer ja noch da.
Hoffentlich.
Er spähte durch die Scheibe in der Tür.
Sein Blick fiel auf den leeren Sessel, ein paar Schuhe standen auf dem Boden, auf der Sitzfläche Hemd und Hose.
Die Stille pfiff ihm in den Ohren, das einzigste was er hörte war sein eigner Herzschlag, der ihm bis hoch in den Hals gestiegen war. Das Schnaufen seines aufgeregten, schnellen Atems.
Ganz ruhig bleiben.
Was war hier geschehen?
Wo sind die anderen?
Was ist passiert?
Werner spürte eine Angst in sich aufsteigen.
Das war alles nicht zu fassen. Er spürte, wie seine Knie unter ihm nachgaben, er stieß mit dem Rücken gegen die Führerstandstür und sank schließlich daran herunter.
So saß er dort auf dem nassen PVC - Boden, seine Finger zerwühlten ihm das Haar.
Nicht ein einziger Laut außer seinem Herz und seinem Atem.
Und diesen Pfeiffen der Stille in seinen Ohren.
Doch war da nicht plötzlich etwas anderes?
Klang das nicht eben wie eine Schiebetür?
Er hörte plötzlich nun auch Schritte durch das Abteil gehen.
Werner hob ruckartig den Kopf und sah in den Mittelgang. Die Schritte waren verstummt.
Und was er dann sah, ließ ihm einen großen Stein vom Herzen fallen.
Ein älterer Mann, mit angegrauter Halbglatze, Rollkragenpullover und einem schwarzen Mantel, graue Hose und dunkle Schuhe, stand im Mittelgang zwischen den Bänken, und blickte mit großen Augen auf Werner.
Und plötzlich huschte ein Lächeln über sein angespanntes Gesicht, auch ihm schienen ganze Gebirge vom Herzen zu fallen.
Werner erhob sich mit einem Ruck, plötzlich war die schwäche aus seinem Körper gewichen, er war nun doch nicht allein, da war noch jemand.
Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man so schön.
Sie gingen aufeinander zu, trafen sich schließlich im Gang.
Und plötzlich drückte ihn der fremde Mann einfach an sich.
Irgendwie tat es gut, in dieser seltsamen Situation jemanden bei sich zu haben.
Der Mann ließ von ihm ab, sein Gesichtsausdruck verlegen, ihm war das offenbar peinlich.
"Ich, äh nehme eigentlich sonst keine Männer in den Arm!" Seine Blicke schweiften umher, ihm war das scheinbar sehr peinlich.
"Macht nichts, schon in Ordnung!" sagte Werner.
"Tja, Man überlebt ja auch nicht alle Tage eine Neutronenbombe!" Der Mann sah sich dabei immer wieder um.
"Nein, das kanns nicht gewesen sein!" meinte Werner, zwar im ersten Moment erschrocken, aber dann fiel ihm ein, was er über diese grauenhaften Waffen wußte.
"Nein, dann würden hier Leichen herumliegen! Die töten durch Strahlung, nicht durch Hitze oder Druckwelle. Man verbrennt überall wie nach einem zu langem Sonnenbad, die Zellen sterben ab und so. Das dauert auch ein paar Minuten, bis man daran gestorben ist!"
Werner wußte auch, das außerdem weder er noch der andere überlebt hätten.
Der Mann wischte sich mit dem Ärmel seines Mantels den Schweiß von der Stirn.
"Und was nun?" fragte er, als er plötzlich ein silbernes Zigaretten Etui aus der Tasche geholt und sich einen Glimmstengel zwischen die Zähne gesteckt hatte.
Werner wußte es auch nicht.
Man müßte Hilfe holen, fiel es ihm ein.
Und da wurde es ihm auch schlagartig bewußt, das sie ja in einem Tunnel und auf freier Strecke standen!
Wärend er da stand und überlegte, als sich der andere Mann erschöpft auf eine freie Bank setzte und erschüttert auf die Kleiderbündel starrte, geschah es.
Ein leises klickendes Geräusch ließ Werner aufhorchen.
Das Knarren einer Tür, dann das Geräusch, als der Schnapper des Schlosses wieder einrastete, als sie geschlossen wurde.
Werner blickte den Mittelgang hinauf, und sah plötzlich eine junge Frau auf sie zu kommen.
Sie war hübsch anzusehen, fand Werner.
Groß, schlanke Figur und langes, feines Weizenblondes Haar.
Sie trug eine weiße, dreiviertel lange Stoffhose, Stiefel mit hohen absätzen und ein creme farbenes Jackett, darunter eine weiße Bluse.
Eine goldene Halskette glänzte in ihrem Ausschnitt.
Werner schätzte sie auf anfang zwanzig.
Jetzt sah er auch ihre schwarze Umhängetasche.
Und Werner verwirrte es plötzlich, das sie recht teilnahmslos wirkte.
"Wissen sie, warum wir hier stehen? Ich komme zu spät zur Arbeit! Meine Cheffin killt mich!"
Werner spürte, das sie noch nichts wußte.
Es war die Toilettentür, aus der sie eben gekommen war.
Und jetzt sah er auch schon ihren Kopf in einer seitlichen Drehbewegung, sah wie ihre Augen über die Kleiderbündel auf dem Bänken schweiften.
Und ihre Gesichtszüge entgleisten mit einem Male.
"Was ist denn hier los?" Ihre Stimme klang dünn.
Werner blickte den Mann an.
Sie warfen sich einen kurzen Blick zu, fragend, wem von ihnen es zu Teil werden würde, der jungen Dame zu erklären, das sie womöglich in großen Schwieriigkeiten waren.
Schließlich stand der Ältere auf und ging zu ihr.
Er hörte ihn leise sprechen, und hörte zwischendurch immer wieder ein dünnes"Oh Gott!" der jungen Frau.
"Ich habe das Licht auch gesehen, aber mir nichts dabei gedacht. Ich hab gedacht, es wäre die Sonne oder so! Oh Gott! Oh Gott!"
Wieder die leise, ruhig sprechende Stimme des Mannes.
Werner fragte sich, wie er es fertigbrachte, nicht selbst auch hysterisch zu werden.
Wenig später kamen die beiden zu Werner, und er sah auch, wie sie sich ihr Handy ans Ohr setzte.
Sekunden verannen, und das Gesicht der Frau verzog sich immer schmerzhafter.
"Kein Netz!"
Sie tippte wieder auf das Tastenfeld, setzte sich wieder das Gerät ans Ohr, doch nach wenigen Sekunden ließ sie den Arm wieder sinken.
"Das kann eigentlich nicht sein!" meinte der Mann stirnrunzelnd.
Auch Werner wußte, das die Bahn in allen Tunnels Antennen instaliert hatte, die Mobilfunk - Signale nach draußen übertrugen und umgekehrt.
Vor jedem Tunnel standen diese kleinen Masten.
Werner überlegte nicht lange und durchsuchte eine Jacke, die offensichtlich einem Jugendlichem gehörte. Und er fand auch schon dessen Handy.
Es war eingeschaltet, er sah das der Balken der Akku - Ladestandsanzeige oben war.
Und dann der Antennenbalken.
Er stand unten. Kein netz.
Das Display war in der Mitte leer. Noch nicht einmal das Betreiberlogo erschien darauf.
Er stand auf und ging zu der Tür des Führerstandes.
Sie war von innen veriegelt.
Werner ruckelte an dem Türgriff.
Sie begegte sich keinen millimeter.
Er sah sich um.
Und sein Blick blieb auf dem Feuerlöscher hängen.
"Ja, das Funktelefon!" hörte er auch schon den Mann sagen.
Die Frau blickte ihn mit großen Augen an.
"Tu´s, oder ich mache das!" Der Mann stand auf.
Werner riß den Löscher aus seiner Wandhalterung, nahm ihn in beide Hände.
Er war schwer.
Er brauchte nur einmal auszuholen und den Boden des Löschers gegen die Glasscheibe in der Tür zu stoßen.
Das Glas barst mit einem lauten Splittern.
Werner holte noch einige Male aus und schlug noch die letzten Glaszacken aus der Einfassung.
Dann stellte er den Löscher weg und griff innen nach dem Türgriff.
Die Tür ließ sich öffnen, werner ging hinein und sah sich auf dem Steuerpult um.
So viele Hebel und Schalter hatte er nicht erwartet.
Und dann sah er endlich den schwarzen Telefonhörer auf seiner Gabel liegen.
Ein Monitor zeigte in grüner Schrift "Sifa ausgelöst"
Und darunter die Zugnummer, RB 65064.
Der Mann und die Frau standen hinter ihm, als er den hörer abnahm.
"Hier äh ist RB 65064! Wir haben einen Notfall! Hallo, hören sie mich?"
Im hörer blieb es still.
Keine Leitstelle, kein Stellwerk, niemand meldete sich.
"RB 65064 hier! Wir haben einen Notfall! SOS, SOS!" schrie er in den stillen, toten Hörer hinein.
Wütend knallte er ihn zurück auf die Gabel.
Wieder sah er auf die vielen Knöpfe, Hebel und Schalter.
"Wir müssen aus dem Tunnel raus! Wir müßen irgendwie den Zug hier weg bekommen, bevor es noch ein Unglück gibt!" meinte der Mann.
Werner sah wieder auf die Schalter.
Bei seinem "Microsoft Train Simulator" zuhause sah es anders aus.
Ein paar Tasten gedrückt, schon rollte der Zug an.
Das hier war aber kein Computerspiel. In seinen virtuellen Zügen am Bildschirm war alles so kinderleicht. Er kratzte sich am Kopf.
Doch was die "Sifa" war, wußte er.
"Der Zug ist zwangsgebremst worden!" sagte Werner zu dem Mann.
Er versuchte das Computerspiel hier irgendwie wieder zu erkennen.
"Sifa heißt Sicherheitsfahrschaltung. Jeder Lokführer muß während der Fahrt alle 30 Sekunden auf einen Knopf drücken. Tut er das Nicht, ertönt eine Hupe, und tut er dann immer noch nichts, führt die Sifa eine Notbremsung aus. Das ist für den Fall, das der Lokführer einpennt oder Bewußtlos wird und der Zug nicht führerlos weiter fährt!"
"Mit 200 Sachen in den Frankfurter Hauptbahnhof, zum Beispiel!" fügte er hinzu.
"Das wäre eine echte Katastrophe, denn der Frankfurter Hauptbahnhof ist ein Sackbahnhof, in dem alle eingehenden Gleise vor Prellpuffern enden!" meinte der Mann.
"Du sagst es!"
Für einen kurzen Moment grinsten sie alle drei.
Werner studierte die Hebel und schob die Kleider des Lokführers vom Sitz und nahm dann in dem Sessel platz.
Es schien hier zwei Bremskreisläufe zu geben, wie es aussah. Eine Hauptbremse und eine Hilfsbremse. Dazu noch die Motorbremse, die die Drehbewegung der Achsen auf den Generator umwandelt, und somit Rollwiederstand erzeugt.
Die Druckanzeigen für die Zylinder und Bremsleitungen standen allesamt auf Maximum, während die Druckkessel null anzeigten.
Alle Pressluft war aus den Kesseln schlagartig in die Leitungen und Zylinder entlassen worden.
Die Bremsbacken an den Radreifen würden wie fest angewachsen sitzen, dachte Werner.
Werner griff sich einen der Bremshebel und schon ihn nach hinten, wo auf einem Schild "Füllstellung" stand.
Das kannte er aus seinem Spiel.
Die Pressluft würde aus den Zylindern heraus wieder zurück in die Druckluftkessel geleitet, die Bremsen frei gegeben.
Er hörte es auch schon dumpf unter ihm zischen, die Nadeln auf den Anzeigen wanderten.
Jetzt bückte er sich zu dem Sicherrungskasten unter der Konsole und drückte die herausgesprungenen Schalter wieder zurück.
Überall im Zug gingen wieder die Lichter an, Lüfter fingen an zu laufen, Lämpchen auf der Konsole blinkten auf.
"Jetzt den Motor!" meinte Werner und fand eine Reihe Knöpfe, die danach aussahen, als würden sie hinsichtlich dessen etwas bewirken.
Mutig drückte er auch schon den Anlasserknopf herunter, hörte etwas Klicken und Summen.
Ein Lämpchen blinkte rot auf, das Summen wurde lauter.
Ratternd erwachte der Diesel zum Leben.
Die Konsole und der Fußboden vibrierten.
Werner klatschte sich in die Hände.
Nun griff er zum Fahrtrichtungswahlschalter und legte ihn auf "vorwärts" um.
Der zug ruckte etwas.
Werners Finger umschlossen den schwarzen Knauf des Fahrschalters, mit der anderen Hand tippte er auf den "Totmannknopf" der Sifa.
Langsam schob er den Hebel zu sich heran, und spürte auch schon, wie die Räder griffen.
Langsam rollte der Triebwagen los.
"Gut gemacht!" Der Mann klopfte ihm auf die Schulter.
Sie sahen den hellen Lichtpunkt am Tunnelende, sahen, wie er immer größer wurde.
"Sag mal, sind die Scheinwerfer an?" meinte der Mann plötzlich, als er sich vorbeugte und durch die Frontscheibe nach unten auf die Gleise blickte.
"Müßten an sein, eigentlich". Werner sah ein Lämpchen grün leuchten.
"Ja, aber warum sehe ich nichts da draußen?"
Werner wurde mumlig im Bauch.
Der Mann hatte recht, eigentlich müßten die Lichtkegel der Scheinwerfer jetzt die Gleise und die Tunnelwand anstrahlen. Eigentlich.
Plötzlich hatten sie alle drei unabhängig von einander ein mieses Gefühl in der Magengegend.
Was mochte dort draußen, außerhalb des Tunnels, auf sie warten?
Der helle Lichtpunkt wurde immer größer.
"Ich heiße übrigens Friedhelm!" sagte der Mann plötzlich.
"Werner!"
"Andrea!"
"Jetzt wo wir uns also schon beim Namen kennen..." meinte Werner müde.
"Ja, besser spät als nie!" meinte Friedhelm.
"Du siehst irgendwie so Lehrermäßig aus, Friedhelm!"
"Woher weißt du das?" kam es plötzlich lachend.
Der Lichtpunkt vergrößerte sich immer mehr.
Werner versuchte die Angst vor da draußen zu verdrängen. Vielleicht war es ja nur hier im zug passiert, was auch immer es gewesen sein mochte.
"Du hast Kreide an deiner Hose! Typisch für euch Lehrer!"
Friedhelm lachte.
Auch Andrea lachte kurz, aber von einem richtig herzlichen Lachen war dies weit entfernt.
Auch sie spürte eine nagende Angst in ihrer Magengrube, es schien, als sause ihr Magen wie durch einen gähnenden Fahrstuhlschacht in die Tiefe.
"Ich arbeite bei der AOK. Versicherungskauffrau. Bevor dir noch irgendetwas typisches an mir auffält!" Ihr Lachen versuchte zwanghaft ihre Angst zu verdrängen.
Denn das Licht wurde immer größer.
"Ich unterrichte Mathe, Physik und Sport!" sagte Friedhelm
"Was mag uns da draußen wohl erwarten?" setzte er dann nach einer kurzen Pause hinzu.
Im selben Moment schoss der Zug mit 80 KmH aus der Tunnelröhre.
Friedhelm warf als erstes einen Blick nach draußen.
Und dann fühlte sich auch sein Magen an wie ein abstürzender Fahrstuhl in einem Hochhaus.
Als er sah, das die Landschaft dort draussen völlig kahl war.
Eine erdige, braune Fläche, rechts ein Berghang, erdig braun, felsig.
Nicht ein einziger Baum war zu sehen.
Das dunkle Band der Fulda zog sich Bewegungslos durch diese öde Fläche.
Werner sah entsetzt die still stehenden Wellenkämme, still erstarrte, bewegungslose Strudel auf der Wasseroberfläche des Flusses.
Dort draußen schien es kein Leben mehr zu geben.
Nicht ein einziger Grashalm stadn auf der erdig - felsigen Ödniss.
Dort, wo früher ein Wald in Ihren Erinnerungen war, befand sich nichts mehr.
Niemand sagte ein Wort, niemanden fiel hierzu etwas mehr ein.
Fassungslos glitten ihre Blicke hin und her.
Jemand schluckte laut.
"Heilige Scheiße!" entfuhr es dann Werner plötzlich, als sein verwirrter Verstand endlich halbwegs begriff, was er sah.
"Da muss ich dir recht geben!" meinte Friedhelm mit düsterer Miene.
Auch Andrea blickte fassungslos auf diese fremdartige Szenerie.
"Was ist hier um alles in der Welt passiert?" Ihre Stimme war nun noch dünner geworden, Schweiß lief über ihren vor Angst zitternden Körper.
"Sifa, Sifa!" Dazu ertönte eine Hupe.
Werner drückte einmal kurz den Totmannknopf.
Auch er spürte eine Angst seine Kehle zuschnüren.
War an der Sache mit der Neutronenbombe doch etwas dran?
Aber was war dann mit dem EMP?
Dem Elektromagnetischen Impuls, der bei der Detonation von Kernwaffen auftritt und sämtliche elektrischen Schaltkreise lahmlegt?
Die beiden Handys und der zug funktionierten noch, und gerade Handys waren mit ihrer feinen Elektronik besonders anfällig für EMP´s.
Nein, dachte sich werner. Zumindest wären dann hier auch die toten Baumstümpfe stehen geblieben, und verfärbtes Laub würde überall herumliegen.
Das Gleis schlängelte sich ursprünglich durch den Wald hier am Hang eines Berges, am Fuldaufer. Jetzt schlängelte es sich durch eine tote Welt.
Werner bekam Angst, als er an den nächsten Bahnhof dachte.
Was würde er sehen?
Instintiv schob er den Regler aus dem Leerlauf heraus weiter nach vorn, und legte einen weiteren Hebel um, der das Getriebe der Lok einmal in einen schnelleren Gang übersetzte.
Die Tachonadel kratzte an der 100, und mehr war nicht drin.
Er schob den Fahrtregler zurück in den Leerlauf.
Der Triebwagenzug rollte das seichte Gefälle hinab.
"Werner, drück doch mal die Signalhupe!" meinte Friedhelm plötzlich.
Werner fand den kleinen Hebel.
Doch er hörte nichts.
Er probierte es wieder, doch es blieb still.
Nur das monotone Rattern der Räder, das Rollen der Radreifen, das Kurvenkreischen.
"Was hat das zu bedeuten?" fragte Andrea.
"Das weiß ich noch nicht!" meinte Friedhelm, ging nach hinten und klappte im Fahrradabteil ein Fenster auf.
Er zog aus seiner Manteltasche ein Päckchen Papiertücher, zog eines heraus und streckte es mit zwei Fingern festhaltend aus dem gekippten Fenster.
Was er dann sah konnte er nicht glauben.
Friedhelm sah gebannt auf das Taschentuch, wie es ihm schlaff nach unten hängend zwischen den Fingern steckte. Es bewegte sich nicht, obwohl der Triebwagenzug gute 100 KmH auf dem Tacho hatte. Es hätte wie wild flattern müssen.
Friedhelm ließ es fallen.
Und er erschrak noch mehr, als er durch das Fenster beobachtete, wie es schnugerade abwärts zu Boden fiel, ohne zu flattern, ohne vom Fahrtwind fortgerissen zu werden.
Und er begann etwas zu ahnen.

Werner bemerkte seine Abwesenheit erst, als er wieder in den Führerstand kam.
Andrea hatte sich neben Werner auf den Fußboden gesetzt und den Kopf in die Hände gestützt.
"Ich war mal kurz auf der Toilette!" log Friedhelm, und lehnte sich gegen die Rückwand hinter Werner.
"Werner, wo fahren wir eigentlich hin?" fragte Andrea plötzlich.
Sie saß noch immer da, den Kopf in die Hände gestützt, nach unten blickend.
"Naja, Fulda ist die Endstation. Ich schlage vor, das wir dort hinfahren! Fulda ist eine kleine Großstadt, da wird es sicher jemanden geben, der uns helfen kann! Da muss es jemanden geben!"
"Hoffentlich!" meinte Friedhelm mit düsterer Miene.
Werner sah inmitten der Ödnis ein paar Häuser auftauchen.
"Wir sind jetzt gleich am nächsten Bahnhof! Soll ich anhalten?" fragte werner, und griff schon zur Bremse.
"Ja, lass uns dort mal umschauen!" meinte Friedhelm.
Werner bagann den Bremshebel zu sich heran zu ziehen, langsam, Druckluft zischte, der Triebwagen verlor an Tempo.
Immer mehr Häuser tauchten auf, mit Schneeweißen Dächern.
Autos standen mitten auf der Straße, niemand war darin.
Jetzt tauchte der Bahnhof vor ihnen auf, Werner bremste stärker und legte dann noch den Hilfsbremshebel um, als er beinahe das Bahnsteigende verpasste.
Mit einem Ruck stand der Zug.
"Übung macht den Meister!" meinte Werner.
"Kannst dich ja bei der Bahn bewerben, wenn wir hier je wieder aus diesem Alptraum aufwachen!" meinte Friedhelm, und klopfte ihm auf die Schulter.
Andrea ging schon zur nächsten Tür und tippte mit den Fingern gegen dern Türöffner.
Mit einem Ruck schwang die Tür auf.
Sie setzte ihren rechten Fuß vorsichtig auf den verschneiten Bahnsteig.
Als sie ihn auf dem Boden hatte fasste sie mut und zog das andere Bein nach.
Es war nicht kalt. Es war auch nicht warm.
Sie ging ein paar Schritte, und dann drehte sie sich zu Werner um, der in der Tür stand.
Und dann sah er es:
Die Stiefel von Andrea hatten keine Abdrücke im Schnee hinterlassen.
Dort, wo sie vor wenigen Sekunden entlang geschritten war, war die zentimeterdicke Schicht aus harschigem Schnee unberührt.
Und dann sah er, wie sie ihren Mund weit aufriss, ihren Unterkiefer bewegte, wie ihre Zunge an Zähnen und Gaumen Worte formte. Sie schrie, und Werner hörte es nicht.
Er stieg aus dem Zug und ging zu ihr hin, er öffnete den Mund, wollte fragen, was los sei, er hatte schon die Worte auf der zunge, bewegte seine Kifer, spürte seine Zunge, wie sie diese Worte formte. Aber er konnte nichts hören.
Eine furchtbare Angst kroch an ihm hoch.
Er packte Andrea am Jackett und zog sie zurück in den Zug.
Und jetzt, als sie innen im Fahrradabteil standen, hörte er, wie sie plötzlich schimpfte.
"Bist du Taub geworden? Ich hab dich fünfmal was gefragt!" zischte sie böse.
"Wir können draussen nichts hören!" meinte Werner beruhigend.
"Das bestätigt, was ich vermute!" sagte auf einmal Friedhelm, der eben wirklich auf der Toilette gewesen war. Die Aufregung schlug ihm auf den Magen.
"Was?" Andrea´s Augen funkelten böse.
"Ich weiß nicht, wie ich´s erklären soll, aber es scheint, als sei diese Welt eingefroren!"
"Ja klar, Friedhelm, es ist Winter, aber soo kalt wird´s nicht, das Töne in der Luft einfrieren können!" meinte Werner.
"Von wegen kalt! Es ist warm draussen! Vom Winter keine Spur!" Andrea war außer sich.
"Das bestätigt meine Theorie!" sagte Friedhelm ruhig.
"Was für ne Theorie?" Andrea fauchte.
"Ich vermute, das die Naturgesetze aufgehört haben zu bestehen! Überleg doch mal: Licht breitet sich nicht aus, es geht kein Wind und Schallwellen breiten sich auch nicht aus. Und die Haut fühlt keine Temperatur!"
"Schuhe hinterlassen keine Abdrücke im Schnee!" fügte Werner hinzu.
"Ja, das gehört auch dazu!" Friedhelm hatte sich eine Zigarette angezündet.
"Das meinte ich ja auch mit eingefroren! Es ist etwas geschehen, das diese Effekte ausgelöst hat! Was das ist, werden wir vielleicht in Fulda erfahren! Ich möchte dort ein paar Experimente machen!"
Werner nickte.
"Ok! Wir sollten jetzt alle Entscheidungen gemeinsam machen!" sagte Friedhelm
"Sollen wir nicht nachsehen, ob hier Menschen sind?" meinte Andrea, jetzt ruhiger geworden.
Warum sie sich ruhiger fühlte wußte sie selbst nicht. Es war alles so seltsam, und diese Beiden waren mit ihr in der selben Sache verwickelt, das beruhigte sie nun doch.
"Sieh nur mal dort hinten unter dem Dach, die Klamotten im Schnee! Ich fürchte, hier draussen ist das selbe passiert! War ja abzusehen!" meinte Friedhelm.
"Oh Gott! Stöhnte Andrea. Ihr wurde das alles zu viel.
"Ja, ich fürchte, wir drei haben nur noch uns! Deswegen sollte einer auf den anderen aufpassen!"
Friedhelm warf die aufgerauchte Kippe nach draussen in den Schnee.
Die Glut verlosch nicht, kein Rauch stieg von der Rest Glut empor.
Er registrierte es mit besorgter Miene, und war froh, das keiner es bemerkte.
"Gut, dann auf nach Fulda!" sagte Werner, und ging in den Führerstand.
"Ich leg mich mal hin!" sagte Andrea, und gin nach hinten ins nächste Abteil.
Friedhelm war das nur recht.
Denn er wußte mehr, als er eben zugeben wollte.
Andrea würde das nicht verkraften, aber Werner hatte eine starke Persönlichkeit. Ihn würde das nicht so leicht umhauen, dachte er sich, bevor er Werner in den Führerstand folgte.
Dieser hatte den Zug schon wieder zum Fahren gebracht, sie rollten langsam aus dem Bahnhofsbereich hinaus auf freie Strecke.
"Weiß du was noch komisch ist?" meinte werner, als er Friedhelm bemerkte.
"Die Signale sind alle abgschaltet. Hier, ein Vorsignal auf ein Hauptsignal. Tot! Das darf nun überhaupt nicht sein!"
"Es wird vieles geben, das uns noch erschüttern wird, Werner!" Friedhelm hatte sich wieder eine angezündet.
"Weißt du was ich glaube, Werner? Ich wollt´s eben nur nicht vor Andrea sagen, aber dir sag ich´s! Ich glaube, das wir drei die einzigsten Lebewesen auf diesem Planeten sind!"
Werner schluckte
"Sieh nur mal die Pflanzen! Sie sind schon alle weg! Die Menschen sind weg!"
Werner dachte plötzlich an eine Welt ohne Leben.
Leere Schulklassen, Kleider und Schuhe überall, Stifte neben aufgeschlagenen Heften, halb fertig geschriebene Wörter, angefangene Buchstaben in Schönschrft,
leere Vogelkäfige, Aquarien, die nur noch Kies und Wasser enthielten.
Herumliegende Hundehalsbänder, Kleiderhaufen in Bussen, Zügen und Straßenbahnen, irgendwo auf freier Strecke standen.
Auf freier Strecke
Oh mein Gott.
Werner spähte angstrengt nach vorn, Schweißperlen rannen ihm über die Stirn.
"Wir müssen höllisch aufpassen, da könnte was vor uns stehen geblieben sein!"
Und dann sah er auch schon einen anderen Br 628 Dieseltriebwagen auf dem Nachbargleis, Sie fuhren an ihm vorbei. Alles war dunkel im Inneren.
"Das ist der von Fulda her! Meine Güte!"
"Wann ist denn der letzte Zug nach Fulda in Gersfeld raus, weißt du das?" fragte Friedhelm
"Keine Ahnung, ich fahr nur immer mit dem hier!"
"Fahr lieber langsam, falls wir schnell bremsen müssen!"
Werner verfluchte die abgeschalteten Signale.
Er drosselte das Tempo und ließ den Zug mit 30 KmH die Strecke entlang rollen.
"So wäre es recht gemütlich, wenn die Umstände nicht so wären!" meinte Friedhelm
"Ja, da ist was dran! Oh Mann, wäre ich heute bloß im Bett geblieben!"
"Da gebe ich dir recht!"
"Sifa, Sifa!" dröhnte es aus dem Lautsprecher. Die Hupe krächzte schrill.
Werner schlug mit der Faust auf den Totmannknopf.
"Lokführer wäre nicht gerade mein Traumjob!" meinte Friedhelm.
Werner sah auf das Band der sich vor ihm schlängelnden Gleise.
Es mußte ermüdend sein, sich das den ganzen Tag über anzutun, mit so einem nervigen Knopf an seiner Seite, der alle halbe Minute seine Streicheleinheiten wollte.
Wieder gab er dem Knopf einen Klaps, als es nach seinem Zeitgefühl wieder nötig war.
Der zug passierte im Schleichgang einen weitern Bahnhof.
Und dann sah aucher die vielen Kleiderbündel auf dem zugeschneiten Bahnsteig, sah auch, das die Uhr stehen geblieben war. Sie stand auf 7 Uhr 15.
Doch jetzt mußte es später sein. Mindestens 8 uhr.
"Sifa, Sifa!"
"Halt die Fresse!" Werner verpaßte dem Totmannknopf einen Fausthieb.
Friedhelm fing an, sich an seinen Fingernägeln zu kauen.
Werner fühlte sich elend. Es gab dort draußen nichts mehr, das so war wie er es kannte.
Es war, als hätte es sie auf einen fremden Planeten verschlagen.
Irgendwie war es ja auch so.
War das noch ihre Erde, die als dritter Planet im Sonnensystem seine eliptischen Bahnen um ihr Zentralgestirn zog?
"Wenn ich das heil überstehe bin ich reif für die Psychiatrie!" meinte Friedhelm.
"Dann können die uns beide gleich zusammen in ´ne Gummizelle sperren!"
Werner grinste müde.
Sie kamen an einer Fabrik vorbei, an deren Schornstein eine Rauchwolke hing, hing dort oben am Schlot wie angeklebte Zuckerwatte. Friedhelm schüttelte bei dem Anblick traurig den Kopf.
Der Zug passierte die Vororte von Fulda. Immer mehr GLeise zweigten ab, Werner ahnte die Nähe des Bahhofs.
Und dann sah er die Treibstoffanzeige rot aufleuchten.
"Friedhelm, uns geht der Sprit aus!"
"Auch noch!" Friedhelm stöhnte.
Werner stöhnte innerlich, die Nadel stand schon auf Reserve.
Wie sollten sie an Sprit herankommen?
Friedhelm schüttelte den Kopf.
"Eins kommt zum anderen! Und alles zusammen ergibt Big Bullshit!" meinte er matt.
Werner nickte nur.
Aus dieser exklusiven Lokfüheransicht hatte er die allmorgendliche Einfahrt noch nie gesehen.
Schilder tauchten auf Vorsignale, die alle stumm waren.
Plötzlich wechselte der Zug das Gleis.
Werner erschrak etwas.
"Auf welchem Gleis wir wohl rauskommen?" meinte Friedhelm.
"Gleis 8 wie immer bestimmt nicht! Das Stellwerk hatte bestimmt noch nicht unseren Zug eingeplant bei der Gleiszuweisung!"

Der Zug kam auf Gleis 9 in den Bahnhof.
Werner bremste ab, als sie in der mitte der Bahnsteiglänge waren.
"Wir sind da!" sagte er schließlich, als der Zug gestoppt hatte.
Hinten auf Gleis 4 standen zwei ICE´s aneinandergekuppelt, eine Hälfte fuhr nach Berlin, die andere nach Hamburg. Werner fand das putzig, wie diese Züge Triebkopf an Triebkopf aneinader hingen. Wie zwei knutschde Teenager, deren Zahnspangen sich ineninander verkeilt haben.
"Okay, wer weckt Andrea?"
"Ich würde sie lieber schlafen lassen, Werner!" meinte Friedhelm besorgt.
Er ahnte, das es für sie noch schlimmer werden würde wenn sie sah, was sie beide gesehen hatten.
Fulda war wie ein nasser Feuerwerkskörper.
Tot und ohne Leben.
Überall standen Autos herum, mitten auf der Straße, wie während der Fahrt einfach stehen geblieben. Keinen einzigen Baum.
Auch der schöne Aueweiher würde eine kahle braune Fläche sein.
"Friedhelm, wir sollten fair sein. Was wenn sie aufwacht und wir sind nicht da?"
"Okay, überzeugt. Aber ich rechne mit dem Schlimmsten!"
"Das wird es auch so!" meinte Werner.
Friedhelm ging nach hinten, während Werner den Motor stoppte und die Bremsen auslöste.
Doch von dem Stoppen des Dieselmotors war Andrea schon wach geworden, bevor Friedhelm an ihrer Bank angekommen war.
"Wo sind wir?" gähnte sie verschlafen.
"In Fulda! Aber jetzt hör mir gut zu!"
Andrea sah sein besorgtes Gesicht.
"Es wird da draußen Dinge geben, die Dich beängstigen werden. Nichts gefährliches, aber nichts wird so sein wie du es kennst! Ich sage dir wie´s ist! Uns hat es anscheinend auf eine andere Welt verschlagen, fürchte ich!"
"Oh Gott!"
Werner kam hinzu.
"Ich schlage vor, wir teilen uns auf! Treffen immer wieder hier. Dummerweise geht ja keine Uhr mehr, sonst würde ich sagen alle Stunde!" meinte Friedhelm.
"Ich könnt was zu essen vertragen!" meinte Andrea.
"Das ist eine gute Idee! Also, ihr beide geht zusammen und holt etwas zu essen, und versucht unser Treibstoffproblem zu lösen. Ich suche nach anhaltspunkten!" meinte Friedhelm.
"Schaffst du das?"
"Ich denke schon!" meinte Friedhelm zögernd.
Ihm gefiel es auch nicht, dort hinaus zu gehen.
"Treibstoffproblem?" fragte Andrea erschrocken.
"Ja, der Diesel läuft nicht mit Wasser!" meinte Werner grinsend.
"Und wo sollen wir hier Sprit herbekommen?"
"Das ist die nächste Frage!"
Sie schüttelte mit dem Kopf.
"Werner, Andrea, noch was! Ich habe hier einen Kugelschreiber und einen Notizblock vorne gefunden! Da wir nicht sprechen können müssen wir eben aufschreiben, was wir zu sagen haben! Bescheuert, aber geht ja nicht anders!"
Beide nickten.
"Okay, ich verabschiede mich jetzt für ´ne Weile! Ich komme zwischendurch immer mal wieder hier her!" Friedhelm öffnete die Tür und war schon auf dem Bahnsteig verschwunden.
"Komischer Vogel!" meinte Andrea kopfschüttelnd.
"Der ist genauso fertig wir du und ich! Jeder reagiert halt ein bißchen anders auf sowas!"
"Ich weiß!"
"Okay, dann komm! Friedhelm ist ein feiner Kerl, und er weiß ´ne Menge! Ist Lehrer! Mathe, Physik und Sport. Und dumm ist der auch nicht. Der findet schon eine Lösung!"
Sie stiegen aus dem Zug hinaus in eine fremde, tote Welt.

Der Bahnsteig wirkte gespenstisch. Überall zahllose Kleiderbündel und darunterliegende Schuhe auf dem Boden. Kleidung aller Formen, Farben und Größen.
Und daneben dutzende herrenlose Koffer und Taschen.
Die Luft war warm, aber nicht so, das man die Wärme spürte.
Kein wind ging, nichts regte sich.
Es war, als würden sie beide über den Boden schwebend gehen, kein Laut war zu hören außer der eigene Atem und das pulsieren der Blutströme im Ohr. Ihre beiden vor Aufregung heftig klopfenden Herzen. Nichts regte sich, kein Wind, nicht das leisteste Lüftchen.
Immer wieder drehte Andrea sich um, aber sie sah jedesmal auf´s neue, das ihre hoch hackigen Stiefel keine Abdrücke im Schnee hinterließen.
Sie erreichten die lange Rampe, die nach unten in die Unterführung unter den Gleisen einmündete.
Dort unten war ein düsteres halbdunkel, nur das einfallende Licht aus den Aufgängen warf einen faden Schein nach unten.
Noch mehr Kleider, Koffer, Taschen, Rucksäcke.
Langsam schritten sie die Unterführung entlang und kamen nun in die 2 stöckige Bahnhofshalle.
Hier unten gab es einen Bäcker mit Stehcafe, einen Imbiß und einen Buch / Zeitschriftenladen.
Die Schalter der Fahrkartenausgabe waren verwaist, überall Kleiderhaufen in Warteschlange.
Alle Computerbildschirme dunkel.
Andrea zog Werner in Richtung des Imbisses.
Warum auch nicht. Etwas zu essen konnte er nun auch vertragen.
Er würde noch viel Nervennahrung brauchen.
Alles war still und verlassen.
In einem Grill an der Wand hinter der Theke auf Stangen aufgesteckte Brathähnchen.
Auf einem Rost lagen braun gebratene Bratwürste und Frikadellen.
Daneben der Döner - Spieß.
Über der Friteuse hing noch der Korb zum Fett abtropfen, er war randvoll mit gold gelb frittieren Pommes Frites.
So ein Brathähnchen wäre jetzt etwas.
Auch Andrea schien so zu denken, und ehe Werner es sich versah hatte sie einen der Spieße aus dem Grill genommen und sich so einen Gummiadler herunter genommen.
Werner fand, das er sich weder kalt noch warm anühlte, als er ein gebratenes Hähnchen am Stück in den Händen hielt.
Andrea hatte schon einmal gierig hinein geissen.
Doch während Werner das wasser im Mud zusammenlief, sich schon beinahe schmerzhaft der Speichel im Mund zusammenzog, sah er, wie sie den Bissen ausspuckte.
Die ballte die Faust und streckte den Daumen nach unten.
Waren sie schlecht gewürzt?
Oder noch innen halb roh?
Egal. Werner biss hinein.
Und es schmeckte wie nasses, aufgequollenes Styropor ohne jegliche Konsistenz.
Nach nichts. Seine Zähne durchtrennten die feinen Fleischfasern, doch es hatte keine Konsistenz.
Er hätte in einen Schwamm beißen können.
Angeekelt spuckte er den Bissen in einen Mülleimer hinter der Theke.
Und nahm sich eine Bratwurst.
Biß hinein.
Schmeckte ebenfalls nach nichts.
Wie aufgequollene Watte.
Werner dachte an die Pommes.
Und noch ehe er in den Korb greifen konnte, sah er das flüssige, gelbliche Fett in der offenen Friteuse. Es war nicht erstarrt, obwohl die Friteuse keinen Strom bekam. Es hätte erstarrt sein müßen.
Er konzentrierte all seine Willenskraft und tauchte den Finger hinein.
Bereitete sich auf ein Schmerzereignis vor, doch die Neugier war stärker. Was war mit dem Fett los? Er spürte nichts, auch nicht, als er mit dem Finger in dem flüssigen Fett herumrührte.
Werner schien es, als rühre er in der Luft herum, denn er spürte noch nichtmal etwas flüssiges.
Die Oberfläche des Fetts war glatt und unberührt, obwohl er jetzt wild mit dem Finger darin herumrührte.
Und als er den Finger herauszog, war er trocken.
Angst schnürte seine Kehle zu.
Was um alles in der Welt war hier nur geschehen?

Friedhelm lief die Straße in Richtung Innenstadt hinunter.
Der Bahnhof lag hinter ihm.
Aus dem Bahnhof heraus führte eine Fußgängerstraße geradeaus in die Altstadt.
Er hatte den Karstadt im Sinn.
Überall auf den zugeschneiten Betonplatten lagen Kleider.
Er stolperte über eine Hundeleine, an deren Ende sich ein zu geschnalltes Geschirr befand.
Neben dem anderen Ende der Leine ein Kleiderhaufen.
Offenbar hatte hier eine ältere Dame ihren Pudel spazieren geführt.
Ob es weh getan hatte, als es passierte?
Wie um alles in derWelt konnte alles Leben so einfach verschwinden?
Er sah die mit Randsteinen eingefassten runden Erdflächen, auf denen sonst Bäume gestanden hatten. Mitten in der Erde ein tiefes Loch, er sah unten sich kleine Gänge verzweigen.
Wo normalerweise die Wurzeln des Baums waren.
Verwirrt, aber doch mit einer sich langsam verfestigenden Idee im Kopf ging er weiter.
Es wsah wirklich alles so aus, wie er es langsam vermutete.
Die geschäfte rings um waren allesamt geschlossen.
Die Schaufensterscheiben dunkel.
Mit Kopfschmerzen erreichte er den Karstadt.
Auch hier war noch alles verschlossen.
Friedhelm kämpfte mit seinem Gewissen.
Sein Ehrgefühl und sein Anstand verboten ihm,, was er ins auge gefasst hatte.
Aber dies war ein Ausnahmezustand, oder etwa nicht?
Oder konnte man ihm eventuell Plünderung vorwerfen?
Obwohl er das nicht vor hatte.
In solchen Fällen wird der Katastrophenzustand ausgerufen, eventuell sogar der Notstandsparagraph. Plünderer würden hart verfolgt werden.
Aber es war niemand mehr da, so schien es.
Die Welt war aus den Fugen geraten.
Vollkommen.
Friedhelm dachte nicht mehr weiter über sein Gewissen nach, als er ein Baustellenschild aus seinem Gummisockel zog.
Die Stange als Rammbock in beiden Händen nahm er Anlauf und rannte gegen die verschlossene Glastür an.
Nur noch ein paar Schritte.
Er rannte, fixierte den Blick ein letztes Mal auf sein ziel und drehte dann den Kopf zur Seite.
Er spürte einen harten Wiederstand, das Schild flog ihm aus den Händen, und er stieß mit der Schulter hart gegen das Glas.
Das keinen einzigen Sprung bekommen hatte.
Friedhelm rieb sich seine schmerzende Schulter und spürte eine heiße Wut in sich aufsteigen.
Stumme, unhörbare Schreie aus seinem weit aufgerissenem Mund.
Er packte das Schild vom Boden hoch und riß das "Vorsicht, Baustelle" Dreieck von der Stange und warf es fort.
Es schlug auf die Betonsteine auf ohne das leiseste Geräusch.
Friedhelm nahm die Stange am hinteren Ende und holte aus.
Mit aller Kraft schlug er die Stahlrohrstange gegen die Glastür.
Immer wieder, er sah keinen Effekt, das Glas schien ihn zu verspotten mit seiner Unversehrtheit.
Er prügelte wie besessen auf die Scheibe ein, stummes Gebrüll.
Bis ihn die Kräfte verließen.
Die stange fiel lautlos zu Boden, Friedhelm setzte sich mit letzter Kraft im Schneidersitz vor die Tür in den Schnee und fing an zu weinen.

Werner und Andrea blickten sich in der gespenstisch wirkenden, leeren Bahnhofshalle um.
Rings um die Halle führte oben eine Galerie entlang, über die man das Obergeschoss ereichte.
Eine ausgeschaltete Rolltreppe führte nach oben.
Sie stiegen müsam sie hohen Stufen hinauf, bis sie vor einem "Ihr Platz" Drogeriemarkt standen.
Er hatte wohl schon geöffnet gehabt, die Automatiktür stand weit offen.
Überall Kleiderhaufen.
Ein entsetzliches Bild bot sich ihnen.
Überall Einkaufswagen, mit Waren beladen, die vor Kleiderhaufen mitten im Gang standen.
Nur durch die offene Tür fiel etwas Licht in den Laden.
Sie stiegen an den Wagen vorbei in die düsteren Regalgänge.
Werner hatte schon seit einer Weile Durst.
Im Regal boten sich Coladosen zum Kauf an.
Doch es war niemand hier, der ihnen das Geld abziehen würde. Bestimmt nicht.
Werner nahm sich eine Dose, mit einem gewissen wiederwilen.
Verstohlen blickte er sich um, ob nicht doch plötzlich noch jemand war.
Doch dann sah er auch schon Andrea ihrerseits mit einem Becher Buttermilch in der Hand, wie sie schon den Aludeckel abzog und ihn an den Mund setzte.
Nun zog werner den verschluss der Dose auf.
Auch wenn es nach nichts schmecken sollte, Flüssigkeit würde er schon in sich bekommen.
Er setzte die dose an und nahm einen Schluck.
Es schmeckte wie destilliertes Wasser.
Andrea machte ein trauriges Gesicht.
Die Welt war eine einzige Totengruft, schal und abgestanden.
Wolken, die am Himmel hingen wie angenagelt.
Es war noch alles vorhanden, aber es war ohne jegliches Leben oder Funktion.
Andrea kam auf Werner zu.
Plötzlich spürte er ihre Hand in seiner.
Ein seltsames Kribbeln lief ihm über den Rücken.
Er spürte eine, warme, schwitzige Hand, spürte zarte, grazile Fingerknochen.
Sie war warm und weich.
Auch wenn er an Andrea überhaupt nichts fand.
Sie war absolut nicht sein Typ.
Aber dieser Vorgang hatte hier plötzlich in dieser total aus den Angeln gehobenen Welt eine völlig andere Bedeutung gewonnen.
Das einzig Lebendige um ihn war Andrea, dessen Hand er jetzt in seiner hielt.
Nach einer Weile löste sich ihre Hand wieder, und sie gingen auf den Ausgang zu.
Auf dem Weg zur Kasse kamen sie durch die Kosmetikabteilung, in der an einem Regal ein kleiner Spiegel angebracht war.
Andrea warf einen Blick hinein, doch das Spiegelglas reflektierte nichts mehr.
Wie mattes Metall lag das Glas vor ihrem Gesicht, doch sie konnte nichts sehen.
Werner bekam es mit, wie sie zusammenzuckte.
Wie hatte Friedhelm gesagt?
Es wird vieles geben, das uns erschrecken wird.

Friedhelm war wieder aufgestanden.
Der Karstadt war eine uneinnehmbare Festung.
Doch da drin würden sich Antworten finden lassen.
Hier gab es genug Material für Experimente.
Wie eine mitteralterliche Burg stand es das und ließ sich nicht bezwingen.
Oder doch?
Friedhelm ging um das Gebäude herum.
Und dann drückte ihm wieder der Zorn aus der Galle.
Aber diesmal mehr über sich selbst.
Vor der Hinterfront des Gebäudes, in einer Seitenstraße liegend,
stand ein LKW an der Laderampe.
Die hydraulische Bordwand war heruntergefahren, und auf der Verladerampe stand ein Hubwagen, gemeinin als "Ameise" bekannt.
Auf der Ameise eine vollbepackte Europalette.
Und das Tor zur Warenanahme stand sperrangelweit offen.
Friedhelm kletterte auf die Laderampe und stieg über einen Kleiderhaufen.
Hier war es mitten während der Anlieferung passiert.
Friedhelm ging durch das dunkle Lager hindurch. Das einzige Licht fiel durch das offene Tor.
Dann war er im Erdgeschoss des Kaufhauses.
Das was er suchte gab es oben in der Spielwarenabteilung.
Mühsam stieg er die hohen Stufen der stillstehenden Rolltreppe nach oben.
Licht kam durch zahlreiche Fenster und reichte vollkommen aus.
Gut so, fand er.
Für sein Experiment war Licht notwedig.
Endlich war er oben.
Und er überlegte, völlig außer Atem, vielleicht doch das Rauchen aufzugeben.
Er brauchte nur kurz in der Spielwarenabteilung zu suchen bis er es fand.
Ein Mikroskop.
Wenn auch mehr für Kinder gedacht, so würde es doch hoffentlich Klarheit verschaffen.
Friedhelm nahm es aus der Verpackung und steckte sich die Zubehörteile ein.
Und er ertappte sich, wie er sich mehrmals verstohlen umsah.
Das was er hier tat war wirklich der letzte Gipfel.
Nie hatte er es sich träumen lassen, sich an fremden Eigentum zu vergreifen.
Doch das war eine Ausnahmesituation, versuchte er seinem mahnenden Gewissen einzureden.
Er, der offene Rechnungen sofort nach Erhalt beglich, grundsätzlich Kassierern, die ihm zuviel Wechselgeld herausgaben auf ihren Fehler hinwies, sich nie etwas hatte zu schulden kommen lassen.
Er fühlte sich schlecht dabei, als er mit dem Mikroskop wieder hinunter ins Erdgeschoss stieg.

Werner und Andrea waren aus der Bahnhofshalle hinaus ins Freie getreten.
Das Licht war seltsam milchig, es erinnerte Werner an die Sonnenfinsternis vom 20. August 1999, kurz bevor die Sonne in den Mondschatten trat.
Überhaupt schien sich die Sonne nicht von ihrem Platz bewegt zu haben.
Sie stand noch immer dort hinter den Häusern und kam nicht weiter hinauf.
Obwohl es nach seinem Zeitgefühl mindestens gegen 10 Uhr sein mußte, und die Sonne sich auf ihrer Bahn dem Zenit nähern müßte.
Langsam stiegen sie eine Treppe hinauf, die zum Zentralen Omnibusbahnhof führte.
Hier am ZOB liefen sämtliche Stadtbuslinien zusammen.
Werner sah auch schon einen Bus.
Dessen Türen standen offen, kein Laut war zu hören.
Werner stieg ein.
Auf dem Sitz des Fahrers Kleidung, überall Kleidung.
Wo er auch hinsah.
Es war grauenhaft.
Sie hatten alle diesen grellen Lichtblitz gesehen, als das Letzte wohl, das sie jemals wahrnehmen solten.Vielleicht hatten sie auch noch das grauenvolle Singen gehört.
Werner setzte sich auf den Fahrersitz, einfach auf die Kleidung.
Jetzt wollte er es wissen.
Er überblickte das Armaturenbrett.
Und dann sah er die Motortemperaturanzeige, die noch auf 40 Grad stand.
Den Drehzahlmesser auf niedrigen Touren, obwohl von dem Motor nichts zu hören war.
Öldruck, alles war oben.
Die Feststellbremse war angezogen.
Der Schlüssel steckte, und Werner sah sofort, das der Bus ein Automatikgetriebe hatte.
Der Knopf stand noch auf Neutralgang.
Werner drückte den Knopf auf Wahlschalter drei, löste die Feststellbremse und trat auf´s Gas.
Nicht wirklich hatte er erwartet, das der Bus sich in Bewegung setzen würde.
Und er tat es auch nicht.
Noch immer war die Drehzahl niedertourig, obwohl er das Gaspedal bis zur Fussmatte durchtrat.
Der Motor lief laut Anzeige, aber nichts tat sich. Es war alles wie erstarrt.
Er fluchte lautlos und schlug auf das Lenkrad.
Hastig stieg er wieder aus.
Und dann sah er, wie Andrea auf einen geparkten Anhänger deutete, der am Rande des Busbahnhofs abgestellt war.
Es war ein Tankanhänger.
Wohl hatte der Fahrer etwas zum Ausliefern, und wollte nicht mit einem kompletten Lastzug durch die engen Gassen der Innenstadt rangieren oder sich sonst mit dem sperrigen Hänger im Stadtverkehr abquälen. Er machte es schlau, in dem er den Tank auf seinem Laster am Anhänger auffüllte und dann seine Touren in Fulda fortsetzte.
Werner sah auch schon die Orangefarbenen Tafeln an der Seitenwand des Tanks.
"30 - 1202" stand in schwarzen Zahlen darauf.
Therorie - Unterricht bei der Freiwilligen Feuerwehr. Kemler - Zahlen.
3 bedeutet Flüssiger Brennbarer Stoff, Null selbst hatte keine Bedeutung.
1202 war die UN - Nummer für Heizöl oder Dieselkraftstoff, beides dasselbe, nur das Heizöl steuerbegünstigt ist und so auch mit einem roten Farbstoff vermischt ist.
Auch wenn Diesel noch Zusatzstoffe hat, und im Motor sauberer verbrennt, so ist es vom Grundsatz her dasselbe.
Genau das, was sie gesucht hatten.
Schon zog er die Rollklappe in der Mitte den Anhängers auf.
Im Inneren war die Schlauchhaspel, und Werner ahnte, das sie nicht bis zum Zug reichen würde.

Friedhelm war in der Lebensmittelabteilung des Karstadt.
Im Halbdunkel stolperte er über einen Pappkarton.
Fluchend trat er ihn beiseite und ging zur Kühltheke.
Er brauchte nicht lange zu suchen, bis er zwei Becher Joghurt und Kefir gefunden hatte.
An der Kasse nahm er sich eine Plastiktüte und stopfte das Mikroskop und die Becher hinein.
Friedhelm hatte hunger, aber ihm verging der Appetit wenn er daran dachte, das die Speisen genau so tot sein würden wie alles andere um ihn herum.
Der Käse in seiner Hand hatte nicht gestunken, obwohl es Limburger war.
Limburger stinkt wie drei Wochen lang ununterbrochen im Hochsommer in Gummistiefeln getragene Socken. Doch davon war nichts zu spüren gewesen.
Selbst als er ihn ausgepackt und daran gerochen hatte, er konnte nichts feststellen.
Er war froh, als er aus der Verladerampe heraus wieder ins Freie trat.
Friedhelm lief eilig wieder um das Gebäude herum auf die Fußgängerzone zu.
Er beeilte sich, um wieder in den Zug zu kommen, wo die Welt noch halbwegs in Ordnung war.
Als es mit einem Schlag dunkel um ihn herum wurde.
Erschrocken verlor er das Gleichgewicht und stürzte hin.
Das Gesicht schmerzverzogen rappelte er sich hoch.
Etwas warmes lief ihm über das Knie, das beim Beugen oder Strecken höllisch weh tat.
Er tastete danach, fühlte dann, wie der Stoff seiner Hose am rechten Knie zerissen war, und spürte sein Blut, einige kleine Splittsteine, die ihm in der Wunde hingen, Hautfetzen.
Er konnte nichts mehr sehen.
Nervös rieb er sich die Augen.
Es blieb dunkel.
Er spürte nichts, hörte nichts.
Fühlte nur etwas hartes unter sich, spürte, wie seine Finger suchend die Plastiktüte fanden.
Hastig zog er die Sachen zu sich heran.
Verzweifelt versuchte er in dieser Kohlensackschwarzen Finsternis etwas zu erkennen.
Seine Ohen suchten vergeblich nach einem Laut ausser dem heftigen Schnaufen seines eigenen Atems und dem Herz, das ihm bis zum Hals schlug.

Auch werner und Andrea hatte es urplötzlich in absolute Dunkelheit verschlagen.
Vorsichtig waren sie zu Boden gegangen und hatten sich sitzend an den Reifen des Tankanhängers gelehnt.
Es war, als hätte man ihnen urplötzlich einen schwarzen Sack über die Köpfe gestülpt.
Ihre Hände suchten und fanden sich, und sie waren das einzig tröstende, das sie dieser grauenhaften Dunkelheit entgegensetzen konnten.
Werner hatte einen kurzen Moment lang überlegt, schnell zum Zug zu laufen, doch wie hätte er im dunkel die Treppe finden sollen, geschweige denn im Bahnhof das richtige Gleis.
Entweder wären sie gestürzt, oder sie häten sich hoffnungslo verirrt.
Wie dunkle Finger tastete die schwarze Finsternis nach ihnen.
Sie saßen dort, spürten ihre Hände in der Hand des anderen, Schutz und Geborgenheit suchend.
Sie dachten beide gleichzeitig an Friedhelm, der jetzt irgendwo dort allein in der Dunkelheit war.
Unerreichbar.
Sie sehnten sich beide nach einer dritten Hand, die ihnen verdeutlichte, das es ihm gut ging.
Werner wußte, das Friedhelm etwas ahnte.
Vielleicht wußte er schon, was passiert war.
Plötzlich hatte er wieder dieses Lied im Ohr.
"May it Be" von Enya.
Auf Deutsch übersetzt soviel wie "Kann es sein?"
Kann das wirklich sein, was hier passiert ist? Oder sitze ich noch schlafend im Zug nach Fulda, wache auf, wenn er im Fuldaer Hauptbahnhof bremst? Sehe nach draußen und alles ist inButter?
Das konnte wahrhaftig nur ein Alptraum sein.
Aber ganz gleich was es war, wie schlimm es auch gekommen war, wie es ausgehen konnte, hauptsache sie waren zu dritt. Auch wenn es ein traum sein sollte.
Werner hatte noch nie in seinem Leben gespürt, wie wichtig es war, jemanden anderes zu haben.
Vielleicht wußte Friedhelm schon einen Ausweg.

Friedhelm saß dort im Schnee und weinte ein zweites Mal.
Sein Knie schmerzte höllisch, und beim abtasten merkte er, das es geschwollen war.
Zumindestens geprellt, denn bewegen konnte er es noch.
Es hatte ein Ereignis gegeben, das war sicher.
War dieses Ereignis nur auf sie drei beschränkt oder war es von globalem Ausmaß?
Doch was konnte innerhalb von Millisekunden Leben verschwinden lassen?
Was konnte die grundlegenden Naturgesetze aushebeln?
Es funktionierte noch die Schwerkraft, und die Luft enthielt Sauerstoff. Das war´s aber auch schon. Zwar die absoluten Mindestvorraussetzungen zum Überleben, aber dennoch zum kotzen.
Sollte das ewig so weitergehen?
Sollten sie nie wieder etwas riechen, fühlen oder schmecken können?
Nie wieder hören?
Sollten sie den Rest ihrer Tage in diesem Triebwagenzug hausen, dort wo noch ein letzter Funken Normalität geblieben war?
Solange, bis ihnen das Schicksal so gnädig war und sie sterben durften?
Sollte das so sein, so würde er sich lieber erschießen.
Womöglich Jahrelang so leben?
Drei Leute, die zusammen in dieser Insel des Normalen lebten? Sich irgendwann auf den Wecker gingen? Es nur noch Streit gab?
Bei Raumflügen achtete man sorgfältig auf die Psychologie der Astronauten, wählte sie nach langen Tests aus, probte und kalkulierte wochenlang, wer es mit wem am besten aushielt.
Bevor sich die Astronauten auf der ISS nach ein paar Tagen zusammengepfercht auf ein paar Quadratmeter im Weltall gegenseitig an die Hälse gingen.
Hat man doch bei Big Brother am besten gesehen.
Hundert Tage mit Wildfremden Leuten. Nur das man da herausgewählt wurde, wenn man nicht mit der Gruppe zuecht kam.
Hier würde sie niemand herauswählen.
Oder war das hier ein kosmologisches Big Brother?
Irgendein Publikum amüsierte sich prima über die drei Deppen dort auf dieser toten Welt.
Ein seltsamer Gedanke.
Friedhelm bekam Kopfschmerzen.
Und es wurde mit einem Schlag wieder hell.
Urplötzlich, ohne Dämmerung, ohne Vorzeichen.
Es war einfasch wieder hell.
Als wenn einer irgendwo einen Lichtschalter gedrückt hatte.
Blink, und es werde Licht.
Friedhelm stand mühsam auf, seine Knochen taten ihm weh.
Sein Knie war Blutverkrustet, seine Hände mit braunem, geronnenem Blut bedeckt.
Die Hose konnte er wegwerfen, das ganze Knie war aufgerissen, der Stoff mit Blut vollgesaugt.
Er nahm die Tüte und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zum Bahnhof.
Das Licht war wieder seltsam trübe und milchig. War das noch eine Sonne, die ihm schien?
Und was war das für eine Nacht gewesen? Und wie lange hatte sie gedauert?
Er hatte kein Zeitgefühl mehr.
Endlich war er wieder am Gleis, wo ihr Zug stand.
Eine rettende Insel.
Friedhelm stieg ein.
Er hörte zum erstenmal seit Äonen, so schien es ihm das leise Summen eines Lüfters, das Summen eines Transformators und der Neonröhren.
Er setzte sich in die Erste Klasse hinter dem Fahrradabteil.
Dort gab es kleine Tische an den Fenstern.
Friedhelm stellte das Mikroskop dort ab und zog das Päckchen mit den Objektträgern und eine Pipette aus seiner Manteltasche. Dann riß er den Aludeckel von einem der Joghurtbecher.
Der Jughurtbecher pries rechtdrehende L - Casei Kulturen an, die Probiotisch auf den Darm wirkten.
Mal sehen, ob es noch L -Casei Kulturen im Joghurt gibt.
Friedhelm nahm eine kleine Probe aus dem Becher und tropfte sie auf den unteren Objektträger.
Als er fertig war, legte er das obere Deckglas darauf und steckte es in die Halteklemmen auf dem Obkjekttisch. Dann kniff er ein Augu zu und spähte mit dem anderen in die Optik.
Seine Finger justierten die Schärfe.
500 Fach, mehr war nicht drin.
Aber es würde reichen, um Bakterien zu sehen, zumindest nur kleine Zellen, die sich bewegen.
Er justierte die Schärfe, bis er den Joghurt gut sehen konnte.
Joghurt ist nie keimfrei, ohne Bakterien würde er erst gar nicht herstellbar sein.
Milchsäurebakterien wandeln den Milchzucker in Säure um, und dicken nebenbei die Milch an, woraus Joghurt entsteht.
Eigentlich.
Nur das da unter dem Okkular war absolut keimfrei.
Es könnte auch Alpina Wandfarbe sein.
Oder Holzleim.
Friedhelm zog das Objektträgerglas heraus und gab Kontrastfärbemittel auf die Probe.
Wieder die selbe Prozedur.
Und er sah nichts.
Die Probe war bis auf eine trüber Verfärbung durchsichtig. Das Kontrastmittel hatte nirgends angeschlagen.
Warum auch.
Friedhelm zog die Luft tief in seine Lungen.
Draußen war kein Leben mehr.
Noch nicht mal Einzeller.
Die Luft draußen war steril wie in einem Hochsicherheitslabor.
Er hörte plötzlich Schritte.
Werner und Andrea traten in das Abteil und starrten fragend auf das Mikroskop.
"Ich habe von draußen eine Probe mitgebracht!" sagte Friedhelm.
Er war froh, sich wieder mitteilen zu können.
"Und? Was gefunden?" fragte Werner. Friedhelm spürte die Angst, die sie beide hatten.
Andrea stand stumm neben ihm.
"Ich habe Joghurt untersucht. Normalerweise tummeln sich in einem Gramm hundertausende Milchsäurebakterien. Aber das hier ist so steril wie... Naja, es gibt dort draußen überhaupt kein Leben mehr!"
"Oh Gott!" Freidhelm sah, wie Andrea sich auf eine Sitzbank fallen ließ.
Werner blieb ruhig.
"Die Luft da draußen ist ungesund für uns. Obwohl steril, aber der Körper, beziehungsweise das Immunsystem braucht Keime, auf die es reagieren kann. Ansonsten können sich schwere Allergien entwickeln. Das Immunsystem fängt an irgendwann überzuschnappen, wenn es keine Arbeit mehr hat. Es übersensibilisiert sich. Und man wird gegen die komischsten Sachen Allergisch, weil der Körper zum Beispiel auf einmal Parfümstoffe als Eindringlinge ansieht und bekämpft, was früher kein Thema war!" Werner nickte. Er wußte, was Friedhelm meinte.
Andrea starrte aus dem Fenster und sprach kein Wort. Sie war fern ab in ihren Gedanken.
Werner warf einen sorgenvollen Blick zu ihr.
Nach einer Weile drehte er sich zu Friedhelm um.
Der ahnte, was in ihm vorging.
"Das nimmt sie sehr stark mit!" konnte Friedhelm noch sagen, als es draußen plötzlich wieder mit einem Schlag dunkel wurde.
Werner und Friedhelm warfen sich einen ängstlichen Blick zu.
"Oh Gott!" kam es wimmernd von Andrea.
Friedhelm blickte nach draußen in die schwarze Finsternis und war froh, das im Waggon die Lichter brannten.
"Das geht auf die Batterie!" meinte Werner plötzlich und ging nach vorn.
Friedhelm wurde nervös.
Zwischen dem ersten und dem zweiten Male, als es dunkel wurde lag weniger Zeit.
Das fiel einem auf, ohne lange darüber nachzudenken.
In Friedhelm tickte noch eine gewisse innere Uhr, und nach seinem subjektiven Zeitempfinden dürfte es gerade mal Nachmittag sein.
Er hörte, wie der Motor mit lautem Rattern ansprang.
Der Zug vibrierte und zitterte.
Werner kam wieder nach hinten.
"Ich lade lieber die Batterie wieder auf, habe keine Lust, 60 Tonnen anzuschieben, nur weil für den Anlasser kein Saft mehr da ist!"
"Habt ihr denn Treibstoff gefunden?" meinte Friedhelm.
"Ja, im ZOB steht ein ganzer Tankanhänger voll. Nur wie kriegen wir den hier her? Wird schlecht gehen, so einen Hänger hier her zu schieben. Wir sind nur zu dritt und.."
"Er würde auch nicht durch die Unterführung passen!" meinte Friedhelm.
Draussen wurde es auf einen Schlag wieder hell.
"Das war auch kürzer wie vorhin!" meinte Werner plötzlich.
"JA, ich glaube, das die Intervallen zwischen Hell - Dunkel kürzer werden!"
"Was heißt das?"
"Ich weiß es noch nicht! Ich weiß nur, das ich nicht mehr hier in dieser Scheiß Welt bleiben will!"
Friedhelm nahm das Mikroskop und schmiss es gegen die Wand.
Es zerbrach, die Brocken flogen durch das Abteil.
Werner zuckte zusammen.
"Hört doch auf!" schrie Andrea.
"Ist schon gut! Es tut mir leid!" Friedhelm zündete sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an.
Werner blickte nach draußen.
Und dann blieb sein Blick an einem roten Güterzug hängen.
"Friedhelm, das ich daran noch nicht gedacht habe!"
"Woran?"
"An den Rettungszug!"
"Und der wird uns jetzt retten, oder was?"
"Nein, aber der ist voll mit technischem Gerät, und auch Schläuchen! Wir könnten eine Pipeline legen!"
"Und was soll der Rettungszug sein?" fragte Andrea
"Der ist für Zugunglücke gedacht. In jedem größeren Bahnhof steht so einer. Wenn irgendwo was passiert rückt der aus und fährt bis zur Unglücksstelle! Der ist auch für Tunnelbrände, denn er ist feuerfest und gasdicht! Da drin gibt´s eine koplette Intensivstation, Schläuche, Rettungsgeräte und so weiter!"
"Schlauchleitung! Natürlich!" Friedhelm strahlte.
"Da drin gibt´s Kilometerweise Schläuche!"
"Wunderbar! Dann los!"
Es wurd wieder dunkel. Urplötzlich, wieder ohne Vorwarnung.
"Das war höchstens eine Viertelstunde, Mann!"
Friedhelm´s Gesicht legte sich plötzlich in tiefe Falten.
"Werner! Weißt du, was quadratisch - geometrische Funktionen sind?"
"Nee, du bist hier der Experte!"
"Aus einer Ganzen wird eine Halbe, aus einer Halben ein Viertel, aus einem Viertel ein Achtel und so weiter! Das heißt das der Rhythmus sich im Quadrat verschnellert!"
"Und weiter?"
Friedhelm warf einen Blick zu Andrea und schüttelte plötzlich den Kopf.
Werner ahnte schlimmes.
Im selben Moment wurde es draußen wieder hell.
"Los, lass uns schnell die Pipeline legen!" meinte Friedhelm dann plötzlich und lief schon nach draußen.
Andrea starrte aus dem Fenster.
"Los komm, es gibt was zu tun!" Werner rüttelte an ihren Schultern.
Sie stand träge auf und folgte Werner, der über das Gleis auf den Rettungszug zurannte.
Friedhelm hatte schon das Rolltor am "Löschmittel und Gerätewagen" geöffnet und reichte Werner zwei zusammengerollte C- Schläuche heraus.
Immer wieder, bis sie einen ganzen Berg an Schläuchen auf dem Bahnsteig hatten.
Friedhelm winkte mit den Händen und schüttelte den Kopf.
Das war alles an Schläuchen, was da war.
Hoffentlich reichte es.
Dann hatte er plötzlich zwei Handpumpen unterm arm, als es wieder dunkel urde.
Und es wurde wieder hell.
Friedhelm zeigte auf ihren Zug und lief darauf zu.
Atemlos standen sie im Fahrradabteil.
"So, jetzt zum Plan! Werner, du übernimmst das stück vom Anhänger zur Bahnhofshalle, ich den Rest. Eine Pumpe setzen wir bei dir am Hänger, die andere oben am Bahnsteig. Das Gefälle über die Treppe vom ZOB zur Bahnhhofshalle dürfte reichen, um die Sache so am Fließen zu halten!
Andrea, du hälst einfach die Schlauchkupplung an den Tankstutzen und läßt es einfach reinlaufen!"
"Friedhelm, meint du, das funktioniert so?
"Ich hoffe es!" sagte er, als er schon wieder uf dem Weg nach draußen war.
Werner kam seine plötzliche Eile seltsam vor.
Er verschwieg ihnen etwas.
Als er nach draußen lief, sah er ihn auch schon mit einem Paar Schläuchen unterm Arm auf den Bahnsteig humpeln. Hatte er sich verletzt?
Er sah, wie Friedhelm einen Schlauch an der obersten Kupplung packte und ihn gekonnt auswarf.
In der Luft entrollte sich der Schlauch in zwei Lagen, und die obere Kupplung blieb auf der oberen Hälfte liegen.
Dann rannte er auch schon humpelnd los und packte sch das andere Ende und zog den ganzen Schlauch glatt.
Werner nahm sich nun auch ein paar Schläuche und rannte die Rempe zur Unterführung hinab.
Oben am ZOB tat er dasselbe wie Friedhelm am Bahnsteig.
Einmal bei der Feuerwehr gelernt, in etlichen Übungsstunden und auch Einsätzen perfektioniert hatte er im Rekordtempo eine Schlauchleitung bis in die Bahnhofshalle hinein gelegt.
Dann schloss er die Handpumpe am Anhänger an und kuppelte den Schlauch ans andere Ende.
In der Bahnhofshalle traf er Friedhelm, auch er hatte im Feuerwehrleistungsspange - mäßigem Tempo eine Leitung gelegt. Sein Bein blutete.
Die Angst trieb sie beide zu höchstleistungen an.
Sie grinsten müde, als sie ihre beiden Schlauchleitungen aneinander kuppelten.
Dann rannte Werner zum Hänger und pumpte wie ein besessener.
Es wurde dunkel und wieder hell.
Hell Dunkel.
Dunkel Hell.
Werner bekam es mit der Angst, der Schweiß rann ihm über den ganzen Körper, er pumpte und sah, wie der Schlauch sich flach aufblähte, wie es durch ihn hindurch schwappte.
Andrea wurden die Arme müde, als sie die Schluchleitung an den offenen Tankstutzen am Zug hielt. Schall für Schwall lief das Heizöl in den großen Tank.

Werner pumpte und pumpte.
Und nahm plötzlich aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr.
Es war Friedhelm, der wild mit den Händen gestikulierte.
Ihm lief der Schweiß über das Gesicht.
Werner ließ die Pumpe gehen.
Friedhelm wischte sich mit einem Taschentuch trocken.
Langsam schritten sie in die Bahnhofshalle.
Und plötzlich blieb Friedhelm vor dem Zeitschriftenladen stehen.
Werner sah es im Vorbeigehen aus den Augenwinkeln, wie Friedhelm plötzlich eine Zeitung in der Hand hielt und sie mitnahm.
Das war doch jetzt wirklich nicht der ideale Zeitpunkt um sich in Ruhe hinzusetzen und zu lesen.
Zusammen erreichten sie den zug und ließen sich erschöpft in die Bänke fallen.
"Wo ist Andrea?" fragte Werner erschrocken, als er merkte, das sie nur zu zweit waren.
"Ich habe sie fortgeschickt, damit sie uns etwas zu essen besorgt!"
"Aber das schmeckt doch hier alles wie Watte! Wie Hundescheisse!" grollte Werner.
"Draußen, Ja! Aber ist dir was aufgefallen?"
"Nein!"
"Dann probier mal! Ist lecker!"
Friedhelm gab Werner den halbleeren Becher Kefir.
Werner roch an dem Becher.
Unverkennbar. Das roch nach Kefir, es schmeckte nach Kefir.
Gierig trank er den Becher leer.
Das tat gut.
"Der Becher ist von Draußen!" sagte Friedhelm ruhig.
"Was? Du verarscht mich! Den hattest du dabei!"
"Nein! Der ist von Karstadt!" beharrte Friedhelm, mit einem leichten Grinsen auf den Lippen.
Werner stutzte.
"Nun, es ist so, das wir hier drin eine gewisse Normalität behalten haben, während draußen.. Naja, du weißt schon!"
Werner nickte.
Friedhelms Gesicht wurde plötzlich wieder ernst.
"Ich habe Andrea auch weggeschickt, damit sie nicht mithört, was ich jetzt zu sagen habe!"
Werner lief es eisig kalt den Rücken hinab.
"Der Rhythmus beschleunigt sich. Fortlaufend, in absteigender Geometrischer Potenzierung. Die Zeiträume werden immer kürzer! Ob das Tage sind, wer weiß.
Ist ja auch egal. Fakt ist nur, das es irgendwann einen Maximalpunkt gibt, ein Ende.
Es kann sich nur bis zu einem bestimmten Punkt absteigern.
Dann ist Schluss! Dann gibt es kein Hell - Dunkel mehr!"
"Schluss?"
"Ja, ich vermute dann ist wirklich für uns Schluss! Wir hätten schon von vornherein nicht hier sein sollen! Das wir hier sind, haben wir wohl dem da zu verdanken!"
Friedhelm klappte das Titalblatt der Zeitung auf.
Sie war von Heute, kurz bevor es passierte frisch ausgeliefert.
"Sonnenbeben" prangte es in Fettbuchstaben.
"Ja und?" meinte Werner.
"Wir ahtten schon die ganze Woche über Sonnenbeben. Kommt selten vor, aber es passiert.
Dabei wird ein hohes Maß an elektromagnetischen Wellen frei, die sogar die Elektronik in Sateliten stören können!"
Werner nickte kurz. Er verstand keinen Zusammenhang.
"Nicht nur an den sateliten. Die Wellen stören auch den Funk!" fuhr Friedhelm fort.
"Handys gehen an solchen Tagen schlecht, man empfängt kein Radio, soweit kann es kommen!"
"Worauf willst du hinaus, Friedhelm. Werner spürte, wie ihnen de Zeit unter den Nägeln brannte, und der hält Vorträge.
"Der Berg, durch den der Tunnel führt besteht aus magnetischem Eisenerz. Mann, das weiß doch jeder. Noch nie davon gehört? Stellenweise gibt´s sogar Kompaßstörungen und das Funknetzt ist da oben immer gestört!"
"Ja und?" Werner verstand nun gar nichts mehr. Natürlich wußte er vom "Magnetberg", wie er in der Gegend genannt wurde.
Aber was sollte dass mit Sonnenbeben zu tun haben?
"Es muss einen regelrechten Elektrosturm gegeben haben. Und der hat den Berg getroffen, als der zug mitten drin war. Anders kann ich´s mir nicht erklären!"
Werner ahnte nun doch etwas.
"Dadurch gab es tief im Berg, dort wo durch den Gesteinsdruck die Masse am dichtesten ist eine Art Störung im Erdmagnetfeld. Und man weiß, das Gravitiation Raum und Zeit beeinflusst! Je höher die Gravitation, desto mehr wird der Raum gedehnt, und desto langsamer vergeht die Zeit.
Das ist experimentell nachgewiesen worden, Werner! Das ist kein Schwachsinn! An der Nordsee läuft eine Cäsiumatomuhr langsamer als auf dem Gipfel der Zugspitze.
Das hat man gemacht, letztes Jahr irgendwann.
Und es gab eine Differenz von hunderttausendstel Sekunden bei etwa 2000 Metern Höhenunterschied. Da die Nordsee näher am Erdmittelpunkt ist, läuft dort die Zeit langsamer ab, wie auf der Zugspitze, die weiter vom Mittelpunkt entfernt ist!"
Werner atmete tief durch.
Das war der Hammer!
"Und wir sind mit dem Zug mitten durch diese Störung durchgefahren! Für uns hat sich die Raumzeit über einen Wert hinaus überdehnt, so das es uns drei und diesen Zug hier aus dem normalen Raum - Zeit Kontinuum herausgezerrt hat. Nur uns drei. Warum weiß nur der Liebe Gott. Wir wurden auf dem tempörären Zeitpfeil ausgbremst, Werner, und von ihm herunter gestoßen und sind hier gelandet!"
"Was für ein Zeitpfeil?" fragte Werner.
"Das ist der Weg aus der Vergangenheit über den Augenblick der Gegenwart hinein in die Zukunft.
Vergangenheit und Zukunft, beides ist unendlich. Aber die Gegenwart exestiert nur für milliardstel Millisekunden. Der Flügelschlag eines Kolibri auch von mir aus, oder die Zeit, die das Licht braucht, um einen Meter zurückzulegen. Wer weiß das schon.
Die Gegenwart nehmen wir war, wenn sie schon um Millisekunden vergangen ist, solange brauchen die wahrnemenden Nervenimpulse zum Gehrin. An die Vergangenheit können wir uns auch erinnern. Nur die Zukunft ist offen, Werner. Und sie ist unendlich.
Und uns hat es von diesem Pfeil heruntergestoßen und wir sind hängen geblieben, irgendwo in der Vergangenheit. Wir sehen die Welt vielleicht tausendstel Sekunden vor der Gegenwart.
Aber wir sehen kein Leben, weil es sich nur im Moment der Gegenwart abspielt.
In der Vergangenheit spielt sich nichts mehr ab, alles ist mit fortgegangen nach vorn!" Friedhelm schüttlete den Kopf.
"Ja, Werner, so ist das wohl passiert! Es ist nur auf uns bezogen passiert, kein globaler Effekt.
Dem Rest geht es gut, nur wir drei sind von der Zeit ausgeschlossen worden!"
"Können wir den Pfeil wieder einholen, vielleicht?" Werner schöpfte Hoffnung.
"Es kann sein. Es kann auch sein, das wenn wir durch den Tunnel fahren das es endgültig um uns geschehen ist... Ich weiß es nicht, und ich habe Angst, Werner!"
"Was passiert, wenn der Rhythmus den maximalpunkt erreicht?"
"Ich vermute, das dass was wir hier erleben eine Art Echo der Gegenwart ist, die sich vor uns abspielt. Beim Echo, wenn wir in eine Schlucht hineinrufen, verkürzen sich auch die Resonanz - Rhythmen in Geometrisch absteigender Potenz.
So bis zu einem Punkt, an dem das Eche nicht mehr wahrgenommen wird, weil es verschwindet.
Ach, was rede ich da so lange rum.
Ist der Maximalpunkt erreicht, sind wir verloren, so siehts aus! Es gäbe keine Zeit mehr, wir wären in unserer letzten Bewegung erstarrt für alle Ewigkeit, oder wie lösen uns einfach ins Nichts auf, wer weiß das schon?"
Werner schluckte.
Im selben Moment kam Andrea in den zug, mit einem Einaufskorb beladen.
"Ich habe Brot, Wurst und Käse und was zu trinken!" sagte sie lächelnd.
Sie freute sich schon auf eine ordentliche Brotzeit.
Nur Werner und Friedhelm konnten sich nicht freuen.
Jetzt mußten sie Schauspielern, das war ihnen ohne jede Absprache klar.
Sie wollten die junge Frau nicht noch weiter ängstigen, es war so schon alles schlimm genug.
Werner ging nach hinten in den anderen Führerstand und schaltete die Zugkotrolle nach dort hin um. Der Motor lief noch immer sauber im Stand, und die Tanknadel stand auf dreiviertel voll. Dem Zug schien das Heizöl gut zu schmecken.
Werner atmetete tief durch und schwang sich in den Lokführersessel.
Andrea hatte Brote belegt und brachte sie zusammen mit Friedhelm nach hinten.
"Wir fahren jetzt zurück zu dem Tunnel, dann kommen wir wieder nach Hause!" hörte Werner Friedhelm ruhig und sachlich sprechen.
Den Lehrer merkte man ihm mal wieder an, schon vorhin bei Friedhelms Theorie hatte er sich wie einer seiner Schüler gefühlt.
Und er fühlte auch das wäre Friedhelm nicht gewesen, wäre er zusammen mit Andrea durchgedreht.
Friedhelm drückte ihm auch schon eine dick mit Salami und Käse belegte Stulle in die Hand.
Genüßlich aß werner und fühlte sich wieder wie ein Mensch.
Andrea hatte auch Coladosen dabei. Und eine Flasche Sekt, sowie drei Pappbecher.
"Der ist für nachher zum Anstoßen!" meinte sie strahlend.
Werner und Friedhelm tauschten heimliche Blicke aus.
Ob es nachher wirklich dazu kommen sollte?
Der Hell - Dunkel - Rhythmus draussen mutete wie ein Stroboskoplicht in einer Disko an.
Es flackerte nur noch, und wurde immer schneller.
Werner rammte den Fahrschalter mit einem Ruck auf Maximum.
Der Motor jaulte Kreischend auf, die Radreifen scheuerten auf der Schiene durch.
Egal, nichts wie weg hier!
Werner fand den Schalter für den Sandstreuer, der die Haftung erhöhen sollte, wenn die Schienen nass waren. Fauchend schoss feinköriger Quarzsand vor die Radreifen, und der Zug machte einen Satz nach Vorn.
Werner versuchte krampfhaft etwas zu erkennen, doch seine Augen nahmen jede Bewegung nur noch in Zeitlupe war, alles war seltsam verzerrt.
Das Flackern wurde stärker.
Die Regionalbahn 65064 verließ den Bahnhof von Fulda.
"Sifa, Sifa!"
Werner drückte den Totmannknopf und versuchte dabei, ja nicht nach draussen zu sehen.
Friedhelm war wieder am Rauchen, Werner roch den Qualm seiner Zigarette.
Ihn selbst konnte er nicht mehr sehen bei dem Geflacker.
"Werner!" hörte er plötzlich die vertraute Stimme.
"Ich möchte Dir eben schnell sagen, das ich froh bin, mit Dir zusammen in dieser Außergewöhnlichen Situation zu sein! Ohne Dich stünde ich glaube ich noch immer in diesem Tunnel und wüßte nicht mehr weiter!" meinte Friedhelm mit dünner Stimme.
"Und ohne Dich stünde ich noch immer hier am Bahnhof und wüßte nicht mehr weiter!" sagte Werner. Ein dicker Klos saß ihm plötzlich im Hals, und Tränen der Rührung liefen ihm über die Wangen.
Er fühlte Friedhelms Hand auf seiner Schulter.
"Wenn wir hier heil rauskommen nehme ich nur noch den Bus!" Friedhelm lachte kurz und zog dann die Hand wieder fort.
"Ich werde mir ein Auto zulegen! Auch wenn ich von Abgasen und so nichts halte, aber nie mehr betrete ich einen Zug!" meinte Werner.
"Und wenn, dann nur noch mit Dir zusammen, falls es wieder passiert!" meinte Friedhelm und lachte wieder.
Andrea war hinten im zug und hielt sich die Augen zu. Die Angst schlug ihr bis zum Hals.
Das Flackern wurde immer stärker.
"Es wird langsam Eng, fürchte ich!" stöhnte Friedhelm plötzlich.
Seine Augen konnten keinen Unterschied zwischen hell oder dunkel mehr wahrnehmen.
Es war nur noch ein einziges, verschleiertes Grau.
Der Zug schoss mit Höchstgeschwindigkeit über die Strecke.
Jetzt mach nur nicht schlapp, dachte Werner, und überprüfte immer weider die Anzeigen.
Friedhelm stand neben Werner im Führerstand und zog die Sonnenblende ganz herunter.
Werner dankte es ihm, so ließ es sich wenigstens aushalten.
Andrea kam nach vorn.
"Glaubt ihr, wir schaffen das?" fragte sie tonlos.
"Ich weiß es nicht!" hörte Werner Friedhelm sagen, als der Tunnel den Zug verschluckte.
Und dann gab es einen grell weißen Lichtblitz.
Werner hörte, wie Andreas Stimme immer langsamer wurde, immer langsamer und immer tiefer.
Die Konsole vor ihm schob sich immer weiter von Werner fort, seine Hände am Totmannknopf waren Kilomterweit entfernt.
Ein seltsames Singen hing in der Luft, Irrsinnige Farben drehten sich in einem immer schneller rasenden Wirbel durcheinander.
Immer schneller.
Der zug schien zu schweben.
Alles drehte sich.
Und dann war es dunkel.
Es hörte sich auf zu drehen.
Und Werner spürte, wie der zug rückwärts fuhr.
Friedhelm war plötzlich wieder zu sehen, Werner sah seinen Arm, seine Hand, wie sie die Sonnenblende hochzog.
Im Selben Moment, als der zug vorwärts aus dem Tunnel schoss.
Überall Bäume, Sträucher, Büsche. Leichter schneefall.
Werner stand ruckartig aus dem Lokführersessel auf und drehte sich um.
Und dann sah er die Leute im Abteil, dicht gedrängt saßen sie oder hielten sich im Stehen irgendwo fest.
Er sah den Schaffner, wie er Reih herum die Fahrkarten kontrollierte und sie mit seinem Stempler entwertete.
"Komm lieber da raus, bevor er dich erwischt" sagte Friedhelm grinsend.
Werner schlüpfte aus dem Führerstand und drückte die Tür hinter sich zu.
Im Richtigen Moment, bevor der Schaffner zu Andrea, Friedhelm und Werner kam.
"Die Fahrkarten bitte!"
Sie kramten ihre Fahrscheine aus ihren Taschen, der Schaffner warf kurze Blicke darauf und ging wieder nach vorn.
Der Triebwagen hupte. Grell heulte das Signal und wurde an den Hängen der Berge zurückgeworfen.
"Haben wir´s geschafft?" fragte Werner.
"Glaube ich schon. Irgendwie habe ich das Gefühl, das wir in einem Zug in Richtung Fulda stehen. Doch frag mich nicht, was für ein Tag heute ist, noch wie spät es ist!" Friedhelm zog die Schultern an. Andrea teilte den Sekt aus. "Ist doch jetzt egal!"
Die Fahrgäste warfen empörte Blicke zu ihnen, wie sie sich zu prosteten, anstießen und ihre Becher leerten.
"Sei lieber still dahinten!" meinte Friedhelm und deutete auf einen älteren Herrn, der sich besonders empörte.
"Saufen am Frühen Morgen, wo gibt es denn sowas?"
"Und ich weiß, das du einen Flachmann in der Tasche hast, alter Freund!" Friedehlm lachte.
Die Kleiderhaufen waren wieder zu Menschen geworden.
Der Zug erreichte Fulda.
Sie stiegen aus. Überall Lärm und Gedränge, der ICE auf Gleis 4 fuhr gerade ab, irgendwo pfiff ein Schaffner.
Es schien fast wie ein Traum, doch in ihrer Erinnerung würde dieser Tag für immer haften bleiben. Und sie wußten, das dieser Tag sie zusammengeschweißt hatte.
"Wisst ihr was, ich kenne da einen Arzt, der schreibt einen mal so ohne weiteres für einen Tag krank!" meinte Friedhelm plötzlich, als sie durch die Bahnhofshalle nach draußen gingen.
"Hast recht, jetzt gehen wir erstmal einen Kaffee trinken!" meinte Andrea lachend.
"Wegen mir schon! Aber bitte weit weg von irgendwelchen Zügen oder Bahnhöfen!" sagte Werner. Sie lachten.
Als sie unter einer Uhr durch kamen blickten alle drei gleichzeitig wie auf Kommando nach oben.
"Hast du noch Töne? Zwanzig vor acht! Der war ja mal pünktlich!"
Lachend und Scherzend gingen sie aus der Bahnhofshalle nach draussen.

 

Interessant daß noch niemand was drauf geschrieben hat, vielleicht hat ja auch die Länge wen abgeschreckt. Ja, also kurz gesagt genau was ich lesen will! Hätte auch noch einmal so lang sein können, es war auch genug Platz für Details.

Du hast beim Schreiben nicht zufällig an Stephen King/Langoilers gedacht? Aber sogar wenn war's keineswegs ein Abklatsch auch wenns dort so ähnlich mit einem Flugzeug und draußen alles "schal" und drinnen "normal" war.

 

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