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Im Zweifel für den Angeklagten
Ich ging am späten Abend durch den Stadtpark nach Hause, als vor mir ein dünner Mann auf den Weg sprang. “Hey du. Wenn du hier vorbei willst, kostet das 10 Euro.”
“Warum?” Ich blickte mich um, bis zur Straße waren es 40 Meter und keiner sah uns.
“Jetzt kostet es 20.” Ein Zweiter stand plötzlich hinter mir im fahlen Licht einer Laterne. “Bearbeitungsgebühr für dumme Fragen.”
Er hob die Faust und ich reichte ihm meine Brieftasche. Meiner Meinung nach gibt der Klügere nach, vor allem wenn sein Gegenüber zwei Meter groß ist und sich verfassungsfeindliche Symbole auf die Knöchel tätowiert hat.
“Halt, Polizei!” Eine Taschenlampe blendete mich, dann stürmten Polizisten auf uns zu. Hier in unserem Land wacht das Auge des Gesetzes also auch Nachts, triumphierte ich, während die tapferen Beamten den beiden Schmarotzern Handschellen anlegten. Ein Mann in Zivil kam auf mich zu: “Gestatten, Kommissar Feske. Hier Ihre Brieftasche.”
“Kompliment.” Ich schüttelte ihm die Hand. “Aber wie konnten Sie so schnell hier sein?”
“Kameras.” Er wies nach oben, von einem Mast herab sah ich ein Objektiv auf uns gerichtet. “Für jeden sichtbar, aber heutzutage sind selbst die Verbrecher verblödet. Abführen.”
Als er Kameras hörte, stemmte der Dünne sich plötzlich gegen die Fesseln. “Moment, Herr Kommissar, verdeckte Überwachung ist in Deutschland nicht zulässig, habe ich gestern noch in der Zeitung gelesen.”
“Du kannst doch gar nicht lesen”, brummte Feske. “Außerdem steht hier ein Hinweisschild ... verdammt, wo ist es denn?” Er kratzte sich am Kopf.
Einer der Beamten räusperte sich. “Vandalen haben es angezündet, es wird morgen ersetzt.”
“Ich kenne meine Rechte.” Auf den Wangen des Dünnen leuchteten rote Flecken. “Niemand darf beobachtet werden, wenn er es nicht weiß. Die gewonnenen Informationen sind strafrechtlich sonst nicht verwertbar.”
“Ist doch jetzt egal”, sagte Feske.
“Okay. Dann schreiben Sie egal, wenn ich eine Dienstaufsichtsbeschwerde mache.”
Kommissar Feske wurde puterrot, dann grunzte er. “Lasst sie laufen.”
"Was?", rief ich und konnte es nicht fassen, "diese Leute sind schuldig. Wir wissen es beide!”
“Der Mann ist im Recht”, sagte Feske. “Außerdem sind wir in Deutschland – wenn die beiden publik machen, dass wir heimlich beobachtet haben, wird’s in der Presse heißen, die Polizei überwacht mit Big Brother Methoden. Eine Woche später wird die 20 000 Euro teure Anlage wieder abgerissen und niemand traut sich mehr, nachts durch den Park zu gehen.” Er drehte sich um und tippte an seine Mütze. “Wenn noch was ist, wählen Sie die 110.”
“Momentchen”, rief der Dünne, dessen hageres Gesicht immer mehr einer Ratte zu ähneln schien, “wir sind noch nicht fertig. Ich verlange die Wiederherstellung der Ausgangslage! Geben Sie die Brieftasche zurück, die Sie als Folge des illegitimen Zugriffs konfisziert haben – oder ich mache Sie persönlich haftbar.”
“Sonst müssen wir mal damit an die Öffentlichkeit”, sagte der Hüne, ein Grinsen erhellte sein bis dahin ausdrucksloses Mondgesicht. “Harmlose Bürger bespitzeln ...”
Der Kommissar seufzte, dann ging er auf mich zu und streckte die Hand aus.
“Nein,” röchelte ich, meine Knie zitterten.
“Na los, Mann, halten Sie mich nicht von der Erfüllung meiner Dienstpflicht ab. Tun Sie es im Interesse der Allgemeinheit.”
An das folgende Geschehen kann ich mich nur vage erinnern. Die Anklage lautete auf Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung eines Polizeibeamten einschließlich seiner Familie bis ins vierte Glied. Ich leugnete, aber sie hatten alles auf Video.