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- 24.04.2003
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Grüß mir die Sterne
Viel habe ich nicht zu erzählen.
Die Dinge ändern sich halt. Alte Freunde gehen und lassen einen leeren Platz zurück. So ist das immer.
Das Leben ist ein seltsamer Zustand.
Margrit hat mich gefragt, ob ich nach der Beerdigung noch mit in das kleine Bistro komme, zum Leichenschmaus.
Ich habe nur den Kopf geschüttelt. Die Trauer wiegt so schon schwer genug, da brauche ich keine alten Geschichten hervorzukramen.
Der Pfarrer hat eine auswendig gelernte Rede gehalten, während er im Regen stand. Margrit hätte besser einen freien Redner engagiert. Aber sie ist ja seit jeher eine religiöse Frau.
Während der Beisetzung habe ich die Fassung behalten. Nur, als dann die erste Ladung Erde auf den Sarg fiel, da musste ich mich wegdrehen.
Schon komisch. Eigentlich waren Richard und ich heute in der Stadt verabredet, doch daraus wird wohl jetzt nichts mehr.
Ob ich trotzdem fahren soll? Ich könnte mich ins Cafe setzen und die Leute beobachten, aber dann würde der Kellner mich vielleicht nach ihm fragen. Wir treffen uns schließlich immer dort, seit ... ach, ein halbes Jahrhundert muss das inzwischen sein. Kaum zu glauben, dass es den Laden schon so lange gibt.
Ich verabschiede mich höflich von den Trauergästen. Die meisten kenne ich bloß vom sehen her. Einige Kinder toben vergnügt über den Friedhofsweg, bis sie von ihren Eltern zur Ruhe ermahnt werden.
Margrit gebe ich zwei Küsschen auf die Wangen und wünsche ihr alles Gute. Dann gehe ich.
Als ich vor dem Wagen stehe, lasse ich den Schlüssel zurück in der Manteltasche verschwinden. Heute werde ich mich zu Fuß auf den Weg machen.
Trotz des Regens begegnen mir im Park einige Spaziergänger. Fast alle haben ein betrübtes Gesicht aufgesetzt. Nur eine ältere Frau lächelt mich kurz an, als sie an mir vorbeischlendert.
Hinter dem Tor fängt gleich die Straße an, die von den Schienen in der Mitte zweigeteilt ist. Bis in die Innenstadt ist es noch weit und ich bin jetzt schon erschöpft. Dieses verfluchte Alter. Kurzentschlossen eile ich auf die Haltestelle zu und kaufe mir einen Fahrschein am Automaten. Die harten Plastikschalen sind nicht sonderlich bequem, aber es tut trotzdem gut wieder zu sitzen. Während ich warte, lausche ich dem unrhythmischen Trommeln des Regens, der auf das schmale Dach prasselt.
Die Straßenbahn ist beinahe leer. Ein merkwürdiger Gedanke kommt mir. Bin ich jetzt etwa auch beinahe leer? Unwillkürlich muss ich mich schütteln.
Bis zur Stadthalle sind es drei Stationen. Menschen steigen ein und Menschen steigen aus. Die Dinge ändern sich halt. Wo ein freier Platz zurückgelassen wird, sitzt bald jemand anderes. Das Leben ist ein seltsamer Zustand.
Das Cafe hat geschlossen. Wegen Renovierungsarbeiten, verrät mir das Schild an der Tür. Siehst du Richard, es hätte sowieso nicht geklappt.
Ich will gerade gehen, als einer der Kellner von innen an die Scheibe klopft. Er schließt die Tür auf und reicht mir die Hand.
Es täte ihm Leid, aber ich müsse morgen wiederkommen. Scheinbar ist er zu beschäftigt, um zu merken, dass Richard heute nicht dabei ist.
Zu Hause ist es ruhig. Nur die große Wanduhr tickt unaufhörlich. Ich lasse mich in den Sessel fallen und sitze einfach nur da.
Irgendwann schalte ich den Fernseher ein und springe durch die Programme. Typisches Sonntagseinerlei. Nichts, was mich interessieren würde.
Nachdem der Apparat wieder ausgeschaltet ist, schlüpfe ich in meine Pantoffeln und fülle den Wasserkocher in der Küche. Eine Suppe wird mir jetzt bestimmt gut tun.
Im Flur bemerke ich das blinkende Licht des Anrufbeantworters. Wie lange wartet da schon jemand auf Rückruf? Es ist egal, ich lasse es blinken. Heute bin ich für niemanden mehr zu sprechen und morgen ebensowenig.
Auf dem großen Sofa habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gelegen. Das weiche Polster und die dicken Kissen fühlen sich behaglich an. Hin und wieder nippe ich an der Tasse.
Die Suppe schmeckt fade, wärmt mich aber wenigstens auf.
Nachts kann ich nicht schlafen. In meinem Traum komme ich zu spät zur Beerdigung, weil der Wagen gestreikt hat. Diese altbekannte Angst vor Trägheit eben.
Egal welche Gesichter ich sehe, Richards´ ist nie dabei. Als wenn er aus meinem Leben gelöscht worden wäre. Entsetzt stelle ich fest, dass ich mich an sein Aussehen nur noch vage erinnern kann.
Verschwitzt und mit rasendem Puls haste ich ins Badezimmer, um mich zu übergeben.
Die Person im Spiegel ist eine Maske. Das bin nicht mehr ich. Der Mensch definiert sich über Kontakte. Seit nunmehr zehn Jahren ist die rechte Hälfte meines Ehebettes verlassen, doch nun fehlt auch der letzte gigantische Teil eines Puzzles, das ansonsten nur aus kaum sichtbaren Fragmenten besteht.
Nein, das bin nicht mehr ich.
Im Flur bleibe ich stehen. Mit zittrigen Händen betätige ich nach langem Überlegen doch den Anrufbeantworter.
Die mechanische Stimme wirkt stets beruhigend auf mich, auch wenn ich denke, dass sie ihre Wirkung diesesmal verfehlen wird.
Nachricht eins von zwei. Abspielen.
"Hallo Vati...schade, dass du grad nicht da bist. Das Wetter hier ist toll. Vielleicht hast du unsere Postkarte ja schon bekommen. Markus stellt sich ein wenig wegen dem Schnorcheln an, aber du kennst den Angsthasen ja. Ich melde mich die Tage nochmal. Ich hoffe, dir geht es gut. Bis dann Vati. Bussi, Claudia."
Zweite Nachricht. Abspielen.
"Na du alter Sack. Das Cafe hat geschlossen, wegen Umbauarbeiten. Glaube aber jetzt ja nicht, dich aus der Affäre ziehen zu können. Da soll es dieses Lokal geben, in dem sie ununterbrochen Jazz spielen. Hat gerade neu eröffnet. Ich mach´ mich mal schlau und rufe dich dann morgen wieder an. Margrit will unbedingt noch einkaufen fahren und mich will sie natürlich dabei haben. Bis Morgen du alter Sack und glotz nicht soviel deine Quizshows, sonst verdummst du noch eher als ich. Machs gut."
Mit einem klackenden Geräusch schaltet sich das Gerät aus.
Tja, das ist es im Grunde auch schon. Die Tränen kommen jetzt und ich zittere noch mehr.
Ansonsten, wie gesagt ... viel zu erzählen habe ich eigentlich nicht. Es ist die rührselige Geschichte eines alten Mannes, der seinen besten Freund vermisst.
Machs gut, Richard.