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Die trojanische Frau
Aufregung verspüre ich schon lange nicht mehr. Es ist alles geklärt, die Regeln stehen fest, warum sollte ich mich unnötig nervös machen? Nein, wirklich nicht, dafür habe ich es schon zu oft getan. Leider nicht mit dem erwünschten Erfolg, aber der Weg ist bekanntlich das Ziel, und so schrecklich ist der Job nun wirklich nicht, als dass ich ihn widerwillig täte, weiß Gott!
Ich greife zur Zigarette, ziehe genüsslich an ihr und warte ab. Die Zeiger der Uhr ticken laut in der Stille. Ich hasse es, wenn unnötige Geräusche die Gedanken ablenken, Fernseher sind mir ein Gräuel, sie zerstören auf Dauer das letzte bisschen Verstand, das uns Menschen noch bleibt, und hinterlassen sabbernde Idioten. Davon gibt es wahrlich schon genug, ich muss mich nicht bei ihnen einreihen. Aber auch Musik höre ich schon lange nicht mehr zur reinen Zerstreuung, so wie ich generell nichts mehr ausschließlich mache, um mich abzulenken.
Die Zigarette ist Genuss, und ich rauche sie bewusst und langsam. In trägen Schwaden zieht der Dunst davon, ich muss an Spiralnebel denken und frage mich, ob sie wohl einen ähnlich herb-intensiven Geschmack haben. Dann blase ich den Gedanken mit einem Rauchkringel davon, drücke den Stummel im Ascher aus und bereite alles vor. Mir bleiben noch anderthalb Stunden, bis es losgeht, genug Zeit, um nicht in Panik zu verfallen, zu wenig, um noch lange herumzusitzen.
Unsicher steht sie vor dem Spiegel, zupft an ihren Haaren, zieht den Lidstrich neu. Sie geht einen halben Schritt zurück und betrachtet ihr Werk. Ansehnlich, aber nicht so perfekt, wie sie es sich erhofft hat. Sie will von der ersten Sekunde an überzeugen, will keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie für die Aufgabe perfekt ist. Sie zupft ein weiteres Strähnchen aus ihrem Haar und lässt es in einem weichen Kringel ins Gesicht fallen. Dann tupft sie noch einen Hauch Rouge auf die Wangen, schlüpft in die sündhaft teuren High Heels, die sie sich extra für diesen Augenblick gekauft hat, dreht sich um sich selbst und nickt zufrieden. Ja, sie hat kleine Fehler, aber sie hat das Beste daraus gemacht, die Pölsterchen an den Hüften gekonnt unter dem Saum des Rockes versteckt, die Brüste minimal aufgepolstert und etwas höher geschnürt, als sie von Natur aus sitzen, die Beine durch die Schuhe optisch gestreckt. So kann sie sich sehen lassen.
Sie greift zum Schlüssel und verlässt das Haus, ohne sich noch einmal umzusehen.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit klopft es. Ich gehe gemessenen Schrittes zur Tür, lasse genau die richtige Zeitspanne verstreichen, um ihr zu zeigen, dass ich nicht auf sie angewiesen bin, sondern dass es eine Gnade für sie ist, von mir empfangen zu werden. Ich öffne und mustere sie schweigend. Sie hat nicht übertrieben, als sie angab, attraktiv zu sein. Doch das bedeutet nichts, sie kann sich noch immer als untauglich erweisen. Ich nicke ihr zu und trete zur Seite, wobei ich ihr mit einer knappen Geste bedeute, einzutreten. Sie lächelt etwas schüchtern und folgt meiner Einladung. Ich gehe voraus und beobachte ihr Gesicht, als sie den vorbereiteten Raum betritt. Sie ist überrascht, versucht aber, es sich nicht anmerken zu lassen. Anmutig stolziert sie zum Sofa hinüber, streicht mit der Hand über den weichen Samtbezug. Das Geräusch klingt wie eine Verheißung, und ich sehe einen winzigen Schauer, der ihren wunderbaren nackten Rücken hinunterrinnt. Gutes Material, stelle ich anerkennend fest. Mein erster Eindruck hatte mich also nicht getäuscht.
Sie ist sich nicht sicher, was er von ihr erwartet. Sie setzt sich vorsichtig hin, versinkt in den weichen Kissen und stellt erstaunt fest, wie bequem die Couch ist. Sie lehnt sich ein wenig zurück und legt die Arme auf die Rückenlehne, um nicht versehentlich verkrampft zu wirken. Er bietet ihr einen Sekt an, und sie nimmt ihm dankbar das Glas aus der Hand. Als die säuerliche Flüssigkeit ihre Kehle hinabprickelt, lächelt sie leicht, er hat genau ihren Geschmack getroffen. Sie schließt die Augen, als sie den nächsten Schluck nimmt, um ihn voll auszukosten. Jetzt erklingen leise Töne, irgendetwas zwischen Klassik und Moderne, sie kann die Musik nicht einordnen, kennt sich zu wenig aus, empfindet sie jedoch als angenehm. Es ist ein einzelnes Klavier, und der Pianist scheint mit dem Instrument verschmolzen zu sein. Noch nie zuvor hat sie eine vergleichbare Virtuosität wahrgenommen. Sie will nach Komponist und Solist fragen, doch er kommt ihr zuvor, nimmt ganz saft das Glas aus ihrer Hand und stellt es auf den niedrigen Tisch, der vor ihr steht. Sie öffnet die Augen nicht wieder, wozu auch? Sie weiß, dass Sehen nicht wichtig ist.
Alle gehen sie in dieser Musik auf. Ich kann ein verächtliches Lächeln nicht ganz unterdrücken. Warum stehen Frauen nur auf diesen Typen, diese Musik? Aber so muss ich mir wenigstens nicht bei jeder neue Gedanken machen, kann meine anderen Fähigkeiten gezielter einsetzen. Ich nehme ihre Hand, ziehe sie zu mir hoch und lasse sie dann an Ort und Stelle stehen. Mal sehen, wie lange sie es aushält, ohne zu blinzeln, ohne ungeduldig zu werden.
Sie steht einfach nur da und lauscht. Sie hat nicht vergessen, dass er unbedingten Gehorsam und keine Fragen gefordert hat. Sie hat Zeit, sie wird warten. Irgendwann wird etwas geschehen, und sie wird es ohne Angst erdulden. Sie hat keine Eile, denn das Warten ist nicht sinnentleert, es bereitet sie auf das Kommende vor.
Ein Geräusch lässt sie aufhorchen. Es ist leise, rau und geht in ein kurzes Fauchen über, bevor es ganz verstummt. Kurz darauf zieht ein würzig-herber Geruch in ihre Nase. Sie seufzt ganz leise. Schon immer hatte der Rauch einer Zigarette eine erregende Wirkung auf sie, so auch heute. Dennoch bleibt sie unbeweglich stehen, blinzelt nicht, versucht nicht, herauszufinden, wo er sich im Raum befindet.
Sie ist ausdauernd, die Kleine, das muss ich ihr lassen. Ich gehe zu ihr hinüber und blase ihr den Rauch ins Gesicht. Sie zuckt nicht, atmet stattdessen tief ein. Das hat noch keine vor ihr getan, und meine Hoffnungen steigen. Doch noch kann ich kein Urteil fällen, es ist noch zu früh, die Bewertung fiele unvollständig aus.
Sie spürt, wie sich ein Seil um ihre Hände legt, kratzig und faserig, es ist hart, als sei es nass geworden und unsachgemäß getrocknet, sie weiß, dass es ihr die Handgelenke aufscheuern wird, wenn sie sich dagegen wehrt. Aber noch hat sie keinen Grund dazu, und so lässt sie es geschehen, ohne zu zucken. Sie spürt der Erregung nach, die wie ein scheues Tier langsam ihre Haut hinaufkriecht, spürt gleichzeitig die Unsicherheit, die sich im Hintergrund versteckt, aber nie völlig verschwinden wird. Seine Hände legen sich kurz beruhigend und warm auf ihren Arm, dann dreht er sie herum, dreht sie weiter und weiter, bis sie die Orientierung verliert und zu straucheln droht. Sie versucht, nach ihm zu greifen, doch das Seil gibt ihre Hände nicht frei. Bevor sie ihr Gleichgewicht verliert, hält er sie, und sie lehnt sich an seinen starken, festen Körper, atmet seinen Duft ein, der salzig und ein wenig bitter ist und dem noch der Rest eines Parfums anhängt, als habe er es am Vorabend für eine andere Frau aufgelegt und vergessen, sich gründlich zu duschen. Die Hand, die sich ihr über den Mund legt, riecht nach einer billigen Seife, zu stark mit einem künstlichen Duft angereichert, zitronig frisch von der Art, die Kopfschmerzen bereitet, wenn man ihn zu tief einatmet.
Sie verliert ihre Überlegenheit, und ich beginne, ernsthaftes Interesse an diesem Spiel zu gewinnen. Aber nur, wenn sie ihre Kontrolle ganz fallen lässt, weiß ich, dass ich die Richtige gefunden habe. Noch ist es nicht so weit, noch muss ich mehrere Dämme in ihrem Kopf brechen, damit die Fluten über sie hereinbrechen können. Sie muss über sich hinauswachsen können, um perfekt zu sein.
Kurz steht sie wieder alleine im Raum, dann ist er zurück. Er berührt sie nicht, sagt nichts, atmet lautlos, und dennoch kann sie seine Präsenz spüren. Vielleicht ist es die Wärme, die sein Körper ausstrahlt, vielleicht ist es seine Dominanz, die sie physisch zu spüren meint, sicher ist, dass er hinter ihr steht. Und richtig, im nächsten Moment greift seine Hand in ihr Haar, zieht ihren Kopf in den Nacken, bis sie sich nicht mehr weiter verbiegen kann, ohne Schmerz zu empfinden. Ihrer Kehle entwindet sich ein erstickter Laut, auf den er reagiert, indem er innehält. Dann spürt sie, wie er mit der anderen Hand die Bänder ihres Kleides löst, es herunterstreift und dabei wie zufällig all die kleinen Schwachpunkte ihres Körpers berührt, die sie so mühselig versteckt hat. Er pfeift leise, als er den tief geschnittenen BH erkennt, der es ihr erlaubt, den Rücken zu entblößen. Zwei schnelle Griffe, dann baumelt er lose herunter, nur noch von ihren gebundenen Handgelenken gehalten. Auch ihr Slip fällt, und als sei sie ein Pferd, streicht er ihre Fesseln hinab und lässt sie einen Fuß nach dem anderen heben, um das winzige Kleidungsstück ganz zu entfernen. Er pustet leise in ihr Ohr, spielt mit seiner Zunge daran, folgt dann der Gänsehaut, die er herausgefordert hat und hinterlässt eine feuchte Spur auf ihrer Haut, die sich abkühlt und ein weiteres Frösteln hervorruft.
Ich habe genug gespielt. Sie ist eine der besten, die ich je hatte, jetzt geht es zur Sache. Wenn ich sie nicht völlig falsch einschätze, könnte sie es sein. Der Chef wird zufrieden sein mit mir und ich kann mich mit einem schönen Sümmchen absetzen. Wir werden sehen ...
Sie lässt sich willig von ihm führen, setzt sich auf leichten Druck seinerseits auf einen Sessel, lehnt sich zurück. Weiches, kühles Material legt sich über ihre Augen, schmiegt sich an. Ein Tuch, welches er hinter ihrem Kopf festzieht. Nun hat sich nie mehr die freie Wahl, ob sie sehen will oder nicht, er hat für sie entschieden, und sie fügt sich willig.
Dann hört sie leises Klappern, im nächsten Moment zieht ihr ein Duft in die Nase, den sie nicht sofort einordnen kann. Würzig, mit einer süßlichen Unternote, fruchtig, aromatisch. Fremd. Etwas feuchtes, Kühles berührt ihre Lippen, sie öffnet den Mund, tastet mit der Zunge, nimmt das dargebotene Stückchen mit den Lippen entgegen, kaut vorsichtig, lässt den Saft ihre Kehle herunterrinnen. Es ist eine exotische Frucht, deren Namen sie nicht kennt. Der Geschmack ist eigenartig, aber nicht unangenehm. Sie schluckt und wartet. Plötzlich spürt sie etwas Klebriges an ihren Lippen, öffnet sie leicht, spürt seinen Finger, von einer süßen, zähflüssigen Schicht umgeben. Honig. Sie leckt ihn begierig ab, langsam und genussvoll.
Ich beobachte sie, während ich sie füttere. Sie nimmt jeden Bissen ohne zu zögern, lässt sich darauf ein und scheint es zu genießen. Ich versuche Gemeineres, wechsle mit Leberpastete und Käsedip ab, doch nichts kann sie erschüttern. Überraschen sehr wohl, ich sehe es an ihrer kraus gezogenen Nase, die mich an eine sanfte Raubkatze erinnert. Ich würde sie gerne küssen, doch ist es mir nicht erlaubt. So mache ich weiter mit dem, was in meinen Aufgabenbereich fällt.
Warmes Öl rinnt an ihrem Hals herunter, seine Hände verteilen es mit kräftigen Bewegungen auf ihrer Brust, ihrem Bauch, ihren Schultern, ihrem Rücken.
Sie streckt sie ihm entgegen, versucht, mehr von ihm zu bekommen, seine Hände an allen erdenklichen Stellen ihres Körpers zugleich zu spüren. Er massiert sie kräftig, doch zieht sie wieder zurück, sobald sie zu tief hinabsinkt in ihre eigene Begierde. Immer wieder bringt er sie nah an ihre Grenzen, um sie dann zrückzuhalten. Weich und doch unnachgiebig sind seine Hände, und ihr wird klar, dass sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Zum ersten Mal taucht so etwas wie Panik in ihr auf, und sie kann ihre Reaktion nicht völlig vor ihm verbergen.
Sollte ich mich doch in ihr getäuscht haben? Sie wirkt unruhiger, als sei ihr nicht wirklich recht, was meine Hände in ihrem Schritt und zugleich in ihrem Kopf anrichten. Doch jetzt ist sie wieder entspannt. Ich höre nicht auf, nicht, bevor sie mir kein eindeutiges Zeichen gibt. Sie ist zu kostbar, ich bin zu nah an meinem Ziel, keine vor ihr war so ergeben.
Sie hat sich wieder in der Gewalt, beruhigt und entspannt sich. Sie ist hier, weil sie es so wollte, weil sie der Einladung gefolgt ist. Nun darf sie keinen Rückzieher machen, ihre Unsicherheit nicht verraten, denn sonst wird sie niemals erreichen, worauf sie schon so lange hingearbeitet hat. Sie will nicht im Nichts der Zeit vergehen, will nicht, dass ihre Spuren in Vergessenheit geraten, noch bevor sie ihren letzten Atemzug getan hat. Nein, sie will ihr Leben in den Dienst der Gerechtigkeit stellen und in den Geschichtsbüchern der kommenden Jahrtausende Erwähnung finden.
Ich bedeute ihr nur durch die Berührungen meiner Hände, dass sie sich vor das Sofa knien soll. Sie tut es, ohne Zögern, ohne Fragen. Ohne Vorwarnung greife ich ihr in den Schritt, spüre die Feuchtigkeit und höre ihren Atem, den sie zischend durch die Zähne zieht. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, und ich genieße mein Überraschungsmoment. Dann setze ich mich vor sie und beginne mit der letzten Prüfung.
Sie spürt sein Geschlecht an ihren Lippen und nimmt ihn bereitwillig auf. Schon längst hat ihre Erregung einen Punkt erreicht, der jenseits ihrer Vorstellung liegt, sie fliegt über eine farbige Landschaft dahin, während sie an seinem harten Schaft leckt und saugt, ihr Körper beginnt zu vibrieren, sie driftet immer weiter aus dem Hier und Jetzt davon. Doch es gibt keine Erlösung für sie. Abrupt zieht er sich aus ihr zurück, greift in ihr Haar, zieht ihren Kopf weit in den Nacken und spritzt ihr seinen Saft auf die Brüste.
„Wir haben sie gefunden.“ Seine Stimme klingt hart in ihren Ohren, sie prallt auf dem Boden der Realität auf. Hat sie es geschafft?
„Bringt sie zu ihm, sagt, sie ist die Richtige für den Job. Nicht mehr lange, und wir haben unser Trojanisches Pferd platziert.“ Hände greifen nach ihr, lösen die Fesseln, nicht aber das Tuch, hüllen sie in einen weichen Morgenmantel und führen sie in einen anderen Raum. Sie ist selig, sie hat ihr Ziel erreicht.
Schade, ich hätte sie gerne für mich behalten, sie bläst gut. Aber sie ist zu Höherem bestimmt. Sie wird der Dolch sein, den wir dem Tyrannen ins Herz stoßen, denn nichts lässt ihn schwacher werden als eine willige Sklavin, die ihm seine Wünsche von den Lippen abliest.
Ich sammle meine Sachen zusammen, esse gedankenverloren die unangerührten Weintrauben auf und verlasse dann nachdenklich die alte Fabrik. Sie war mein letzter Job, ich bin frei und kann tun, wonach immer mir der Sinn steht. Vielleicht sollte ich sie entführen, denn mir wird kaum eine zweite Frau wie sie begegnen. Aber ich könnte nicht mit der Schuld leben, meine eigene Geilheit über die Freiheit aller gestellt zu haben.
Ich kicke eine verrostete Dose über den Bordstein und lausche den Klängen der Fernseher, die aus fast jedem Fenster dringen. Bald ist es vorbei, bald werden wir wieder lernen, selbstständig zu denken. Ich hole eine Zigarette aus der Packung, stecke sie mir an und schlendere zum Fluß runter. Vielleicht finde ich eine Hafennutte, die es mir so richtig besorgt, dann kann ich sie für eine Weile vergessen.
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09. - 20.02.2005