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Atemdurst

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14.03.2002
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Atemdurst

Vorbemerkung: Entstanden für den Challenge “Mit allen Sinnen”.

Verdursten, denke ich mir, muß eine besonders qualvolle Todesart sein. Finde ich ein besseres Bild, den Zustand zu beschreiben, dem ich mich ausgeliefert glaubte? Auf der Suche nach einem Ort, einer Zeit, einem Gegenüber.

Als du dann kamst, war ich schon gar nicht mehr auf der Suche nach dir. Du bist in mein Leben eingefallen wie das presto agitato aus Beethovens Mondscheinsonate: wie Sechzehntel deine Sprache, wie Triolen deine Rhetorik, dein Geist wie eine komplexe, verspielte, unerbittlich-bestimmte Kadenz. Und dazu dein Lächeln: ein strahlendes, silberwarmes Dur.

Von der Allee in die Querstraße, der unentschlossene Wind peitscht mir meine vorherige Dusche ins Gesicht. Bauchgetrappel treibt meine Schritte voran, voran. Das Treppenhaus empfängt mich mit dem Linoleum der Siebziger im frisch chlorschwangeren Gewand einer Reinigung. Fettverschmiert der Knopf für den Lift, zitternd drücke ich ihn. Er leuchtet matt und gelb und künstlich auf. Aluminumkalt und -rauh der zerkratzte Türgriff, tabakgeräuchert und -gelb die vollgeschmierten Wände. Meine weichen Knie werden vom plötzlichen Schwebflug auf die Probe gestellt, wie Lichtblitze die Stockwerke: zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, immer weiter, bis in die bedrohliche Höhe einer zwanzigsten Etage. Will weiterfliegen, werde gestoppt und stolpere hinaus. Mir wird geöffnet, man kennt mich noch nicht, ich nenne deinen Namen, die mitgebrachte Rose wird beäugt, ich werde eingelassen. Mit einem Prickeln auf den Lippen gehe ich den Flur entlang, mein Mund ganz trocken, meine Ohren taub, Vorfreudenübelkeit im Magen.

Echohallend meine Eile, bis zum Ende des Ganges. An der Tür steht ein Name, ist es deiner? Vorsichtiges Klopfen, mein Atem davor, Schuhquietschen dahinter. Mit einem Schwung bist da du, erfaßt mich ein Schwall Du aus deinem Zimmer. Verlegenheitshitze, bin unentschieden zwischen der Blume und einer Umarmung. Dein verhaltenes, im Versuch zerbrechendes Lächeln erfaßt mich, wir springen uns entgegen: warm und pulsierend ist dein Körper, süßlich kitzeln deine Haare meine Wangen. Hab’ ich dich gefunden? Ertrinken will ich in dir, doch etwas reißt mich los, wir klappen auseinander, diese Speise war zu süß, wir lassen sie zurückgehen.

Am knieniedrigen Tisch knabbern wir Gebackenes, nußhart und schokoladenschmierig, Teeheiß rinnt mir über die Zunge, Geruch einer Sommerwiese. Nervös deine Worte, stumpf ihr Widerhall in mir. Nervös auch meine Antworten, meine ungewollt bitteren Fragen. Sätze schwappen hin und her, dann Stille wie in tiefster Nacht. Krämpfe im Bauch, ich suche in deinem Sphinxgesicht nach Anzeichen einer Wehmut, wie ich sie gerade empfinde. Schmecken die Blicke anders als die Worte? Meine Augen wandern zum Fenster, in der Ferne räkelt sich die bekannte Skyline dieser fremden Stadt in einem dunstverhangenen Mittagsschlaf. In der Luft nur unser Atem, der Puls legt sich auf die Ohren, etwas Warmes, Weiches will mir über die Zunge, über die Lippen kommen, honigsüß und verzweifelt, doch bleibt es mir kloßdick im Hals stecken. Und vielleicht, denke ich, ist Ersticken, wenn auch schneller, doch viel schlimmer. Wo bist du? Warst du je du? Bin des Suchens müde, schaue dich an, du schaust zurück.

Nur an einem Blick sich festhalten, an einem hoffnungsvoll interpretierten Mienenspiel sich entlanghangeln zu dir. Will dir eine Brücke bauen, breit und fest. Der Mittelstein ist noch nicht eingesetzt, da fällt ein „Ach…” aus deinem Mund, zerklirrt am Boden, über Scherben gehe ich ein „Ach…” zu dir. Streckst mir ein gespreiztes „Ja…” entgegen, ich packe zu. Der Hocker fällt teppichdumpf, der Weg um den Tisch ein ziehendes Dauern, von deinen Armen umfangen, ein Schraubstock, der aus mir den Zweifel preßt. Lippennähe, schlingende Bekenntnisse einer unstillbaren Gier.

Wir taumeln, fallen bettweich, leinenwarm. Nestelst am Bund meiner Hose, dein Entkleiden ein Reißen, keine Zeit mehr für verspieltes Necken, nur Entblößen noch, ich folge.

Heißrote Wallung schießt mir in die Wangen, als ich so ganz Ich vor dir ausgebreitet liege. Königinnenstolzer Blick, die Beute beugt sich willig. Von meinen Achseln ströme ich mir entgegen, kaum wahrnehmbar, riechst du mich auch? Berauschst du dich am Geruch meiner Ausgeliefertheit? Gnädig und verletzlich fließt du mir ganz plötzlich entgegen. Wir liegen fröstelnd, engumschlungen. Schutz begehrend unter einer gemeinsamen Decke, händewandernd.

Ganz unscheinbar dein Deuten, doch deutlich genug. Ich beginne den Schlangentanz, der immer tiefer führt und immer tiefer. Über sanfte Hügel, Rast nur auf der Spitze, hungrig knabbernd. Hinab die weiße Ebene, glasglatt, salzig und sommerwarm. Dein Seufzen bedeutet Ankunft, heißt willkommen.

Suche etwas im Drahtfarn, einst im Spiel verloren, bade mich im Duft deiner Blöße. Du sprichst mit mir in fremdartig-vertrauten Lauten, die lauter werden, anschwellen.

Und als ich mich an dich schmiege, finde ich dich endlich: in diesem Lächeln, das mir in den Ohren dröhnt, bist du. Im Zucken eines Körpers; in der Wärme, die du wie Flüssigkeit in mir ausbreitest und dem süßen, stoßweise-schweren Atem, der mir meinen Namen nennt.

 
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Hallo cbrucher,

Ein gelunger Beitrag zum Challenge. Trennung, und Herzschmerz, aber auch Zuneigung, und körperliche Nähe verpackst du gleichsam in einer recht koketten, etwas schwülstigen Liebesgeschichte. Meine Sinne hast du in einer wunderbaren Vielfältigkeit angesprochen, und das unbändige Verlangen nach Zärtlichkeit und Nähe (man beachte den Titel) als Suche getarnt. Dementsprechend erfüllt deine Geschichte alle geforderten Vorgaben.
Ein paar weniger Wortkreationen wie "teppichdumpf" würden nach meinen Geschmack nicht schaden. Ein klitzekleiner Fehler ist mir aufgefallen:
"Heißrote Wallung schießt mir in die Wangen, als ich so ganz Ich vor dir ausgebreitet liege."


Lieben Gruß,
moonaY

 

Hallo cbrucher,

ja, auch mir hat deine Geschichte gefallen. Gewohnt sensibel und stilsicher hast du alle Sinne bedient und die Suche auf schöne Art und Weise eingeflochten. Stellenweise hatte ich Angst, dass die Geschichte mit der Distanz der beiden endet, glücklicherweise folgte die Annäherung dann doch noch. Dennoch bleibt ein Gefühl von Bitterkeit und die Gewissheit, dass er ihr Lachen und sie als Gegenüber immer wieder verlieren, aber auch immer wieder finden wird - die Notwendigkeit des sich Entfernens, um sich immer wieder auf diese Arte und Weise annähern zu können.

Details:

in der Ferne räkelt sich die bekannte Skyline dieser fremden Stadt in einem dunstverhangenen Mittagsschlaf.
Königinnenstolzer Blick, die Beute beugt sicht willig.
sich
Und als ich mich an dich schmiege, finde ich dich endlich:
Wie wäre es, das "Und" wegzulassen?

Probleme hatte ich mit dem Brückenbau-Bild, so schön es auch ist. Wenn nur noch der Mittelteil fehlt, wie kann dann ihr "Ach" auf den Boden fallen? Und er ihr über Scherben entgegen gehen? Das Nachvollziehen der Annäherung über "Ach" und "Ja" fällt mir schwer. Nicht die Plötzlichkeit, die ist plausibel und realistisch.

Liebe Grüße,
Juschi

 

Wie nett, dass du dich auch mal wieder blicken lässt :D

Soll ich dir jetzt sagen, dass ich eine ähnliche Idee im Kopf hatte, dann aber an der Verwirklichung gescheitert bin?

Dir ist sie ja recht gelungen. Bildlich beschrieben, alle Sinne werden angesprochen, die Suche ist da...

...aber...

...muss das wirklich so kompliziert sein? Manchmal drückst du dich furchtbar umständlich aus. Bitte schau den Text nochmal durch und mach ihn leserfreundlicher... ein bisschen zumindest *anfleh*

Des weiteren gefällt mir die Ich-Du Form nicht. Ich habe meines Wissens erst eine Geschichte gelesen, in dem sie mir angebracht erschien, ansonsten wirkt das ganze zu intim; wie jemand, der ungewollt ein Telefonat abhört, komm ich mir dann meistens vor. Wie wärs, deinem Prot einen Namen zu geben und seinem gegenüber auch? Dann wären die beiden auch nicht so schwammig, dann wär die Geschichte vielleicht mehr als Sinne und Suche, und tiefer als der Challenge.

Aber generell trotzdem einer der schöneren Beiträge hier.

lg Anea

 

Hallo cbrucher,
mir hat deine Geschichte teilweise zugesagt. Die Herausforderung Mit allen Sinnen scheint in erster Linie ein Reizwort in deiner Geschichte zu sein. So sehe ich eher einen kreativen Schreibfluss, in dem Wortschöpfungen und Adjektive einen Gefühlszustand beschreiben. Auch wenn ich erkenne was du aussagen willst, kann ich als Leser nicht mitfühlen. Ich kann nur hinnehmen wie es ist was du schreibst. Die Empfindungen kommen mir übergestülpt vor.
Die Herausforderung Suche bleibt für mich abstrakt. Hättest du es nicht erzählt, wäre ich nicht darauf gekommen. Ich habe Schlagworte wier Sehnsucht und Verschmelzung assoziert.
Goldene Dame

 

Hallo cbrucher,

die Sinne waren bei dir alle vorhanden, die Gewichtung ausgewogen auch zwischen direkter und indirekter Ansprache
Suchen findet nach meinem Empfinden nicht statt, eher Finden ohne Suche. Deine Sätze lasen sich oft sehr umständlich und nicht immer vollständig.

Lieben Gruß, sim

Lieben Gruß, sim

 

Hallo cbrucher

Deine Gechichte hinterlässt bei mir einen etwas zwiespaligen Eindruck. Einerseits eine interressante, schon fast experimentelle Sprachwahl, die du jedoch nicht ganz konsequent durchziehst.
Bsp.: "Fettverschmiert der Knopf für den Lift..."
aber dann
"Er leuchtet matt."

Du hast die Suche mMn nicht deutlich herausgearbeitet, etwas gesucht sozusagen.

Auch verlierst du dich mMn oft in eine ziemlich schwülstige Ausdrucksweise, welche in schwer vorstellbaren Metaphern endet.
Bsp:
"Am knieniedrigen Tisch knabbern wir Gebackenes, nußhart und schokoladenschmierig, Teeheiß rinnt mir über die Zunge, Geruch einer Sommerwiese."

Aber alle Sinne sind da, haben mir beim Lesen zum Teil schöne Assosationen ausgelöst und manchmal halt auch ein Stirnrunzeln verursacht.

Lieben Gruss
dot/

 

Hallo cbrucher,

den anderen Kritiken entnehme ich, dass es sich um den Challenge "Mit allen Sinnen" handelt, deshalb kann ich nun auch verstehen, wieso ich den Text etwas überladen empfand.

Aber: Ich las ihn sehr gerne. Gerade in dem Geplänkel, in dem mann oder frau sich wiederfinden kann, hast du schöne Bilder entwickelt. Schmeckt wie mousse-au-chocolat und ist leider auch so schwer (wie janey schon bemerkte).

Liebe Grüße
bernadette

 

@all:
Bitte wegen der (unendlich) langen Verzögerung um Nachsicht, hatte eine Auszeit gebraucht, irgendwann ist der zeitliche Abstand dann einfach zu groß geworden...

@moonaY:
Danke für die lobenden Worte, zugegeben, ein wenig schwülstig ist das alles schon. Das großgeschriebene “ich” werde ich belassen, betrachte ich als Substantivierung einer quasi-Eigenschaft.

@Juschi:
Vielen Dank auch Dir für das Lob und die Kritik, den Tippfehler werde ich umgehend beheben, auch den Grammatikfehler. Das “Und” bleibt, und über das Brückenbau-Bild muß ich noch einmal nachdenken.

@Anea:
Nein, der Text wird nicht “leserfreundlicher”, so ist’s beschlossen, so soll es sein. Die Ich-Perspektive mit beständiger Ansprache eines “Du”-Gegenübers bleibt, auch, ist für mich die einzig gültige Option. Interessant, daß Du Dich als Leser schon beinahe als Voyeur empfindest. Sind Leser das nicht immer? Und nur diese Du-Ansprache erinnert uns daran?

@Goldene Dame:
Deiner Kritik kann ich nicht wirklich etwas entgegenhalten; “Reizwort” trifft das ziemlich gut. Was die Suche betrifft, ist das sicher Ansichtssache, ich fand die Suche nach einem Gegenüber nicht unbedingt als abwegig oder als zu frei interpretiert. Kann aber verstehen, daß diese Ansicht nicht unbedingt geteilt wird. Vielen Dank in jedem Fall für Deine Anmerkungen!

@Crazy Janey:
Ja, ich weiß, der Text ist ein ganz klein wenig schwülstig. Vermutlich auch mehr als das. Auch die Überfütterung kann ich nachvollziehen, das war Sahnetorte mit Sahnehäubchen extra. Und was die Egozentrik des lyrischen Ichs betrifft: Gott, es ist eben verliebt, da kann das schon passieren.

Was die Schwülstigkeit betrifft, so gelobe ich Besserung, war auch nur aus der Kombination von Thema und Vorgabe geboren, das in einem Übermaß zu erfüllen, hat mich gereizt. Vielen Dank für die kritischen Anmerkungen.

@sim:
Vielen Dank auch an Dich für Deine Einwände. Was die “Suche” betrifft, so kann ich das nachvollziehen, die unvollständigen Sätze bleiben, gefallen mir gut.

@dotslash:
Vielen Dank für Deine Anmerkungen, gebe Dir im Prinzip in allen Punkten recht.

@bernadette:
Vielen Dank für das Lob und die kritischen Anmerkungen, sowie die Gelegenheit, endlich einmal auf die ganzen Kommentare zu antworten. Ja, das Ding ist einfach überzuckert…

 

Hallo cbrucher,
schön, dass die Geschichte hier in R/E ihren Platz gefunden hat. Nachträglich noch ein Mal "Herzlichen Glückwunsch" zur Platzierung.

Goldene Dame

 

Hallo cbrucher,

deine Geschichte hat mich fasziniert - tatsächlich konnte man sich sehr gut hineinversetzen, die Vorgaben des damaligen Challenge hast du super umgesetzt - allerdings kam es mir so vor, als würdest du deinen Stil nicht konsequent durchhalten. Der Anfang liest sich komplett anders als der Mittelteil.
Auch ich empfand manches als zu schwülstig, ein paar der selbsterfundenen Adjektive könntest du, meinem Geschmack nach, streichen. Das ist zu viel, finde ich.
Trotzdem habe ich deine Geschichte sehr gerne gelesen.

LG
Bella

 

@Goldene Dame:
Vielen Dank. Ja, ich denke, hierhinein paßt die Geschichte.

@Bella:
Vielen Dank für das Lob, auch für den Tadel. Ich werde den Text noch einmal überarbeiten, irgendwann, dann auch genau Anfang und Mittelteil vergleichen. Hier ist er ja gut aufgehoben. Ich könnte mir vorstellen, daß er (mit einer gewissen Erwartungshaltung an die Rubrik) hier auch weniger verstörte Reaktionen hervorruft, der Zucker nicht ganz so penetrant wirkt.

 

Hallo cbrucher,
ich wollte mir einmal mehr eine Geschichte von dir gönnen und bin auf diese hier gestoßen. Ich finde, dass in einer Beurteilung der Inhalt der Geschichte eine eher untergeordnete Rolle spielen sollte, da die story selbst sicherlich keine Höhepunkte beinhaltet. Der Schwerpunkt liegt ganz klar im Stil. Kraftvoll, fast schon lyrisch, beschreibst du das Treffen der Liebenden und die Auswirkungen auf den Prot. Kraftvolle Sätze und Wörter. Und du hast auch die Kurve bekommen. Wäre die kg länger geworden, wäre es sicherlich anstrengend gewesen. Aber so. GERN GELESEN!
Beeindruckende Wortwahl!

Lieben Gruß...
morti

 

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