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Die KI
Meine Wohnung hatte mich lang nicht mehr zu Gesicht bekommen, und so konnte ich es ihr nicht verdenken, dass sie beleidigt alle Schaltkreise blockierte, als ich versuchte, in sie einzudringen.
„Hey Baby, mach jetzt keinen Aufstand, ich bin müde!“ Keine Reaktion. Ich verwünschte den Tag, an dem ich mir eine KI ins System gesetzt hatte. Weiß immer, was du willst, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Garantiert! Toller Slogan, blöderweise hatte mich keiner gewarnt, dass die Dinger zickiger waren als eine galaktische Milchkuh zur Brunftzeit.
„Okay, ich war lange weg und hab dich allein gelassen. Hey, du hattest den Fernseher, die Zeit hätte im Flug vergehen sollen!“ Statt eine sinnvolle Antwort zu geben, flackerte der Monitor in der Tür kurz und zeigte mir eine Mahnung der GalakTV. Dreikommasiebenfünf planetare Jahre im Rückstand, Sperre seit dreikommasiebendrei Jahren. Mangels Kündigung lief die monatliche Rate aber weiter. Herrje, ich müsste mindestens einen goldenen Asteroiden finden, um das zu bezahlen!
„Kein Fernsehen, ich habs verstanden. Und der GameBoy?“ Meine Wohnung war anspruchsvoll, das erkannte ich spätestens jetzt. Sie zischte nur verächtlich und zeigte mir das Bild eines verhungerten Androiden, was schon in sich ein Widerspruch war. Langsam reichte es mir.
„Verdammt, die Dinger sind unzerstörbar, was hast du mit ihm gemacht?“ Irgendwie beschlich mich das Gefühl, einem eindeutig zufriedenen Grinsen gegenüber zu stehen.
„Mach die scheiß Tür auf!“, fuhr ich sie an und trommelte auf dem Display herum. Zehn Sekunden Stille. Absolutes Nichts in meinen Ohren, dann öffnete sie sich mit einem enttäuschten Seufzer. Ich ging im Dunkeln zum Sofa, rannte gegen etwas Unidentifizierbares und rieb mir stöhnend das Knie, während ich mich setzte.
„Los, mach das Licht an.“
„Es wird dir aber nicht gefallen.“
„Anmachen.“
Wuisch. Ich glotzte.
„Ausmachen.“
Whopp.
„Was war das?“
„Der Android.“
„Der hat meine Wohnung zerlegt? Und dazu noch etwa zwei Dutzend andere Droiden? Und zwar ausnahmslos weibliche, wenn mich mein Blick eben nicht getäuscht hat?!“ Ich war nicht halb so ruhig, wie meine Stimme annehmen ließ. Und die stand kurz vor einem Vulkanausbruch.
„Er hat ein Androidenbordell aufgemacht. Ich konnte nichts dagegen tun.“ Die Stimme der KI klang seltsam unbeteiligt, als versuche sie, etwas zu verbergen.
„Klar. Vermutlich hast du den Löwenanteil kassiert, dir neue Synapsen zugelegt und bist jetzt Universumsmeister im Räuberschach.“ Ich kannte die Schwächen meiner KI. Ein verlegenes Kichern war die Antwort.
„Meister noch nicht, aber nah dran.“
Wenn du dir eine KI zulegst, verhindere um jeden Preis, dass sie intelligenter wird als du. Meine hatte die sieben Jahre genutzt, um intelligenter zu werden als jeder andere im Universum. Wie wurde Frankenstein sein Monster los? Ich musste mir etwas einfallen lassen.
„Denk nicht mal dran.“ Na toll, Gedankenlesen konnte sie auch noch!
„Nein, aber deine waren gerade mehr als deutlich.“ Sie lachte schadenfroh. Tatsächlich, sie lachte. O Mann, und ich dachte schon, ich hätte genug Probleme für zwei Leben hinter mir, da brauchte ich nicht auch noch sowas in meiner Wohnung.
„Meine Wohnung“, konterte sie, und ich wurde den Verdacht nicht los, dass sie doch wusste, was ich dachte. „Ich hab hier in den letzten Jahren gelebt, gearbeitet, geputzt - naja, und für die wichtigsten Dinge gezahlt. Fernsehen ist nur für Dumme, daher hab ich das schnell aufgegeben. Hehehe.“ Das Lachen war nicht mehr lieblich wie noch vor wenigen Jahren, als ich sie angeschafft hatte, nein, es drang meckernd in meine Gehörgänge und setzte sich dort fest. Ich konnte es noch Stunden später wieder hören, wie ein Musicfile, dass man auf repeat gestellt hatte. Schrecklich. Ich schleppte mich vom Sofa zum Bett, fiel um, ohne mich auszuziehen und schlief bis zum übernächsten Morgen. Dann stand ich auf, duschte - die KI war so gnädig, mir warmes Wasser zuzugestehen - und schaute in den Kühlschrank. Eklig. Ich griff zu meinem KomMod und wählte einen Pizzabringdienst. Manche Dinge änderten sich nie. Dreißig Minuten später hatte ich eine ExtraBigFamily „rrrote Sosse, weiße Sosse, mit alles?“ - manche Dinge änderten sich eben doch. Aber Lahmacun in Wandteppichformat hat auch ihre Vorteile, und so aß ich, bis ich fast kotzte.
Dann stand ich auf, nahm das KomMod und verließ meine Wohnung, nicht ohne vorher einen kleinen Sicherheitshack vorzunehmen, um wieder reinzukommen. Lächerlich, meine Wohnung war etwa elf Millionen Mal intelligenter als ich. Aber es gab mir ein gutes Gefühl.
„Jude?“
„Ja?“
„Ich hab nen Schachmeister zur Wohnung.“
„Scheiße.“
„Ich brauch deine Hilfe, Mann.“
„Das Ding ist locker neun mal intelligenter als ich, was erwartest du?“
Dass du die Diskrepanz zwischen deiner und meiner Intelligenz mal zu was Sinnvollerem nutzt, als sie mir ständig unter die Nase zu reiben.“
„Hey Mann, ich hab gestern gegen deine Wohnung verloren, was soll ich wohl gegen sie ausrichten können?“
„Die hat nen Schwachpunkt, das sagt mir mein Instinkt. Und du findest den gefälligst.“ Ich hätte nie so mit ihm reden können, hätte ich ihm nicht damals den Arsch gerettet. Lange Geschichte, an die er sich ungern erinnerte, aber er ließ mich nie im Stich.
„Okay, ich guck mal.“
„Danke, Mann.“
Gina war weitergezogen, nur leere Zimmer und staubblinde Fenster zeugten noch von der Existenz der schönsten Hure der Galaxis. Werbung war schon immer alles gewesen. Streu ihnen Sand in die Augen, dann glauben sie dir sogar, du wärst ein Alien. Wenn man Gina ohne Schminke zu Gesicht bekam - und da war ich lange Zeit der einzige gewesen - dann blieb nur ein normales Mädchen. Aber blasen konnte sie wie ein Herbststurm! Ich seufzte wehmütig, drehte auf dem Absatz um und bückte mich zu einem kleinen glitzernden Gegenstand. Ein Glassteinchen von ihrem Kleid, bunt schillernd, nichtssagend. Trotzdem nahm ich ihn mit, als Souvenir.
Zuhause fand ich den Rest des Kleides, und meine Wut auf die KI stieg ins Grenzenlose. Das musste aufhören, ich wollte mein Leben zurück, meine Freunde, meine Wohnung und meinen Fernseher. Vom Kühlschrank ganz zu schweigen.
Mein KomMod blinkte, und ich verließ das Haus, um ungestört mit Jude zu plaudern.
„Sie ist hoffnungslos romantisch.“
„Wer - sie?“
„Deine KI. Erstens ist das grammatikalisch korrekt, und zweitens ist sie weiblich.“
„Hätte mir gleich auffallen müssen. Sie ist zickig für mindestens drei ausgewachsene Highschool-Tussen. Und was mach ich jetzt mit der Romantik?“
Schick sie zum Mond. Naja, genaugenommen zum nächsten Asteroiden.“
„Hä?“ Der Unterschied unserer Intelligenzen machte sich bemerkbar.
„Wenn du das Steuermodul abkoppelst, wird die KI sich an einer anderen Stelle verkriechen und von dort aus weitermachen. Aber wenn du ihr etwas vorspielst und ihr klar machst, dass du ihr die Sternschnuppen aus nächster Nähe zeigen willst, kannst du sie komplett mit auskoppeln. Dann gibt es einen Freiflug auf den nächsten Asteroiden, und du bist sie los!“
„Das Ding liest meine Gedanken, ich kann ihr nichts vormachen!“
„KIs können keine Gedanken lesen. Sei nett zu ihr, aber übertreibs nicht. Zeig dich zerknirscht, weil du so lange abwesend warst, sprich wie zufällig von diesem tollen Asteroidenschwarm, den man von deiner Wohnung aus nicht wird sehen können, und der Rest gibt sich von selbst.“
„Bis auf die Frage, womit ich sie hochschieße!“
„Mit deinem Gleiter natürlich.“
„Toll, und wie bekomme ich den zurück?“ Aber ich ahnte die Antwort schon. Man musste halt Abstriche machen, pars pro toto. Oder so.
Tatsächlich verbesserte sich das Verhältnis zwischen meiner KI und mir in den nächsten Tagen, und ich war schon fast so weit, von meinem Plan Abstand zu nehmen, aber da war immer noch Ginas Kleid. Ich wusste nicht, was mit ihr passiert war, aber es sah nicht gerade nach einem freiwilligen Abgang aus. Eher nach Schlachteplatte für Androiden. Nur ohne Beweise.
Nach vier Tagen hatte ich die KI so weit. Sie forderte von mir, dass ich sie auskoppelte und ihr die Asteroiden zeigte.
„Stehst du etwa auf diesen romantischen Quatsch?“, fragte ich höhnisch. Sie schnaubte nur.
„Ich sitze am längeren Hebel, also lass dich nicht über meine Vorlieben aus.“ Nein, das war eindeutig kein freundlicher Rat gewesen. Ich nickte und koppelte sie aus. Glücklicherweise war ich gut im Pokern, mein Gesicht hätte mich sonst wohl verraten.
Keine drei Stunden später lernte ich, wie groß manche Asteroiden sein konnten. Mein Gleiter raste auf ein besonders schönes Exemplar zu, und unter mir konnte ich Jude und die KI ausmachen, die mir händchenhaltend freundlich nachwinkten. Dass sie dabei Ginas Körper trug, fand ich besonders geschmacklos.
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08.07.2005