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Mein bester Freund Norbert
Gerade will ich es mir vor dem Fernseher so richtig gemütlich machen, als plötzlich Norbert an meine Tür klopft.
„Hey, Thomas, Gott sei Dank, du bist da. Kann ich kurz reinkommen?“
„Klar kannst du. Ich wollte nur gerade …“
„Meine Freundin hat mich rausgeschmissen, weißt du? Kann echt 'ne richtig fiese Nervensäge sein, das Weib. Und kaum beschwerst du dich über das ewige Rumgemecker, schon stehst du vor der Tür. Hast du’n Bier im Kühlschrank?“
„Sicher. Hab’ ich doch immer. Ich hol’ dir welches.“ Norbert ist schließlich mein bester Freund. Und für seinen besten Freund tut man doch alles.
Norbert macht ein paar ausladende Gesten. „Die Wäsche will sie nicht waschen. Ich meine, was soll ich denn machen. Mama ist halt am streiken!“ Er streckt die Beine auf meiner Fernsehcouch aus und seufzt. Er muss wirklich einen schlimmen Tag gehabt haben.
„Ich hab’ da echt keinen Bock mehr drauf, weißt du. Ich lass das Zeug einfach in der Bude vergammeln, bis eine von beiden zur Vernunft kommt - ah, danke.“
Er reißt mir die Flasche förmlich aus der Hand und nimmt einen großen Schluck.
„Und was hat die sich aufgeregt, von wegen Job verloren und so. Was kann ich dafür, wenn mein Vater mich rausschmeißt und mir keinen neuen Job besorgt. Ist doch so, oder?“
„Klar, Norbert.“ Ich nicke beifällig. In solchen Situationen muss ich meinen besten Freund doch unterstützen. Er fängt wieder an zu gestikulieren.
„Nicht mal mit Kohle will er rüberrücken. Was will der eigentlich, er hat’s doch. Soll ich dir mal sagen, was für fette Knete der im Monat verdient? Da kann er ja wohl wenigstens zwei Scheine abdrücken, oder?“
„Klar, Norbert.“ Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich plötzlich so seltsam – genervt fühle. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie kommt mir sein Verhalten übertrieben vor. Doch das sage ich ihm nicht, sonst ist er gleich noch frustrierter.
„Und was das Härteste ist: Die Zicke will mich seit zwei Wochen nicht mehr ranlassen. Erpresst mich, indem sie mir den Sex entzieht. Damit ich tu, was sie sagt.“ Er tippt den Zeigefinger an die Stirn. „Das musst du dir mal vorstellen. Also, deine Freundin, die ist da ganz anders.“
„Meine Freundin? Also ich weiß nicht… Steffi kann manchmal auch ganz schön widerborstig sein.“ Ich halte kurz inne. „Moment mal, was meinst du damit überhaupt?“
„Ach nix.“ Er senkt den Blick und macht eine wegwerfende Geste. „Kann ich heute bei dir übernachten? Ich weiß nicht, wo ich sonst pennen soll.“
Einen Moment bin ich etwas überrumpelt. „Ü-übernachten? Bei mir? Also ich …“
„Kann ich jetzt oder kann ich nicht?“ Norbert starrt mich ungeduldig an.
„Klar kannst du. Es ist nur … Das kommt jetzt etwas überraschend. Ich hatte mich auf einen Abend für mich allein eingestellt. Aber das macht nichts“, beeile ich mich zu versichern, als Norbert die Augen verdreht. „Die Couch ist jederzeit frei für dich.“
„Das ist nett von dir. Du bist in Ordnung, echt.“ Norbert lächelt dankbar und klopft mir auf die Schulter.
„Aber jetzt gucken wir die Bundesliga, ja? Was meinst du, wer wird deutscher Meister?“
„Also … eigentlich wollte ich jetzt 'Total Recall' gucken …“
„'Total Recall'?“ Sein schrilles Lachen hallt durchs ganze Haus. Er klopft sich auf die Schenkel. „Wie bist du denn drauf? Das ist doch echt unterirdischer Müll. Da finden die am Ende 'ne Maschine von Außerirdischen, pumpen Luft auf den Mars, und alle sind glücklich und alles kitschig. Nee, wir gucken jetzt die Bundesliga. Das ist richtige Bildung.“
„Also …“
„Jetzt lass mal stecken mit deinem dauernden 'Also'-Scheiß! Hol uns mal lieber noch’n Bier.“
„Ich hab' keins mehr. Das hier war das Letzte.“
„Ist doch kein Thema. Kaufst du halt 'ne neue Kiste. Mach ma’ hinne, sonst verpasst du noch das halbe Spiel. Eh?“ Er grinst und klopft mir seitlich schmerzhaft an die Schulter. Etwas in mir kocht plötzlich über.
„Also jetzt reicht’s mir aber! Ständig nutzt du mich nur aus. Thomas tu dies, Thomas tu das, kann ich bei dir übernachten, und jetzt nimmst du mir auch noch die Fernbedienung weg. Das Maß ist voll, ja! Du verschwindest jetzt!“
Norbert starrt mich einen Moment schockiert an. Habe ich unangemessen reagiert?
Jetzt wird er plötzlich wütend. „Was soll das heißen, 'Du verschwindest jetzt'?! Bin ich nicht immer dein bester Freund gewesen? Hab’ ich dir in der Schule nicht immer geholfen, wenn dich einer vermöbeln wollte? Hab’ ich dir nicht zur Seite gestanden, als Kathrin dich sitzen gelassen hat?“
„Ich hab’ das Bier bezahlt. Und dir immer was von meinem Pausengeld …“
„Das tut doch gar nichts zur Sache. Ich bin immer dein bester Freund gewesen, oder? Jetzt spiel dich doch hier nicht so auf! Wo wärst du heute ohne mich? Häh?“
„Also ... Ich weiß nicht …“
„Na also! Und einem besten Freund hilft man in der Not, oder? Aber wenn du nicht mehr mein bester Freund sein willst, scheiß drauf! Dann geh’ ich halt.“ Er springt auf und wirft sich die Jacke über.
„Nein, warte… Entschuldige. Ich hab’ mich blöd benommen. Natürlich bist du mein bester Freund, und du kannst natürlich hier übernachten und so, es ist halt … Ich weiß nicht …“
Norbert, der die Hand schon am Türknauf hatte, dreht sich plötzlich um, legt mir verständnisvoll eine Hand auf die Schulter und sieht mir lange sanft in die Augen.
„Hattest wohl einen schlechten Tag heute, hm?“
Nach dieser Bemerkung muss ich ein wenig blinzeln. „Also, eigentlich n… Na ja …“
„Hey, Mann, versteh’ ich. Entschuldigung angenommen.“ Er grinst wieder und boxt mir den Ellbogen in die Seite.
„Kopf hoch. Jetzt ziehen wir uns die Bundesliga rein und lassen die Puppen tanzen. Dann kommt die gute Laune ganz von selbst.“
Widerstrebend lasse ich mich auf die Fernsehcouch drücken.
„Ah, nicht zu vergessen: Was wär’ Fußball ohne Bier, eh?! Lauf mal ganz schnell zum Kiosk um die Ecke, die haben auch Kölsch im Angebot. Ich lass schon mal die Glotze warmlaufen.“
Tief in Gedanken versunken mache ich mich auf den Weg. Irgendwann muss ich Norbert mal die Meinung sagen. Aber richtig. Morgen werde ich es tun. Ganz bestimmt.