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Ideale Ernährung
Ideale Ernährung
1.
Der Beamte mit dem staubgrauen Gesicht starte Klausenacker entgeistert an. Sie saßen an einem halbrunden, sehr modischen Schreibtisch, der aber im Ensemble mit den funktionalen Aktenschränken, mit Fachliteratur beladenen Regalen und einem verkümmerten Gummibaum unpassend wirkte. Ein Fenster gab es in dem kleinen Büro nicht und so spendete eine arkturische Leuchtkartoffel das Licht.
„Was wollen Sie exportieren?“, würgte der Beamte, der sich als Dr. Rettig vorgestellt hatte, ungläubig hervor.
Klausenacker lächelte.
„Ideale“, sagte er schlicht.
Die Fassungslosigkeit seines Gegenübers bereitete ihm erhebliches Vergnügen.
„Dr. Rettig, ich versichere Ihnen, dass es mein voller Ernst ist.
Über das Büro des Polygarchen von den Soloniden hat meine Firma den Tipp bekommen, dass in dem neu entdeckten System eine intelligente Rasse existiert, die genau an diesem Produkt Bedarf hat. Uns wurde versichert, dass es im ganzen bekannten Universum keine Spezies gibt, die auf diesem Gebiet mit den Produkten der Menschheit konkurrieren kann.“
Der Beamte schüttelte den Kopf.
Dann lachte er auf.
„Wissen Sie Klausenacker, ich habe ja schon die verrücktesten Anträge bearbeitet. Sie können sich gar nicht vorstellen, was die Erde alles in den Weltraum schickt. Genmaterial für einen Zoo auf Terris Teranis im Rigelsystem, Exkremente für die chemische Industrie Beteigeuzes, alte Computerchips, als, nu ja, sexuelles Spielzeug einer dieser komischen Metallrassen.“
Klausenacker nahm die arkturische Leuchtkartoffel in die rechte Hand.
„Ist Ihnen bewusst, dass die Bewohner des Arkturussystems keinen Gesichtssinn haben? Sie orientieren sich mittels Schallwellen und bauen das hier“, er hob die Leuchtkartoffel vor Dr. Rettigs Augen,
„ausschließlich als Nahrung an. Vielleicht ist das der größte Segen des interplanetaren Handels. Gebrauchsgüter einer Zivilisation erweisen sich an anderem Ort als nützlich in einer Art und Weise, die sich die Produzenten nie haben träumen lassen.“
Dr. Rettig nickte nachdenklich.
„In Ordnung“, sagte er schließlich,
„ich werde es genehmigen. Sie können Ihre Ideale ausführen. Aber halten Sie mich auf dem Laufenden.“
2.
Memo
Von: Dr. Josef Pfeifenheiner
An: Geschäftsleitung d. Books of United Nations Inc.
Abteilung für außerterranische Lizenzangelegenheiten
z.Hd. Prof. Demitrewicz
Sehr geehrter Kollege,
„Heute um 8.30 Uhr wurde Herr S. Klausenacker bei mir vorstellig und bat um die Generallizenz für das sogenannte koptische System. Auf Nachfrage eröffnete er mir, dass er speziell an, wie er es nannte, idealverherrlichender Literatur interessiert sei.
Wie er es ausdrückte, beabsichtige seine Firma, die Welt-All Import/Export S.E., Ideale (!!!) auszuführen. Laut seiner Aussage habe die Evolution dort einen merkwürdigen Verlauf genommen, an deren Ende eine vernunftbegabte Spezies (Klassifizierung: bebeutelte Greifflügler) stand, die sich mittels Idealen ernährt.
Die Stoffwechselprozesse vollziehen sich bei dieser Spezies automatisch und osmoseähnlich. Dabei wirken die Ideale in rein katalytischer Funktion mit, d.h. durch mentale Teilhabe an einer Idealisierung wird eine emotionaler Erregungszustand geschaffen, der den Prozess in Gang setzt.
Ich halte das alles zwar für ausgemachten Humbug, sehe aber keine Hinderungsgründe für die Erteilung der Lizenz. Die Gebühren sollten sich auf den gängigen Satz belaufen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Dr. J. Pfeifenheiner
3.
Drei Jahre später...
„Ah, Herr Klausenacker, ich habe Sie schon erwartet. Die Zeitungen sind ja voll davon und wie ich hörte, steht Ihnen ein Prozess bevor.
Aber nehmen Sie doch bitte Platz. Ich vermute, Sie wollen Ihre Ausfuhrgenehmigung zurückgeben?“
Klausenacker schüttelte die ihm entgegengestreckte Hand und setzte sich.
„Ja, das wollte ich“, bestätigte er,
„Das ist doch kein Problem, Dr. Rettig? Probleme habe ich gegenwärtig mehr als genug!“
„Sie hätten sich nicht herbemühen müssen, die Erlaubnis ist, wie wir Juristen sagen, durch die normative Kraft des Faktischen bereits erloschen. Da Sie ja erfolgreich die gesamte Spezies ausgelöscht haben....“
Klausenacker sprang, durch den leisen Spott angestachelt, auf.
Rote Flecken erschienen auf seinen Wangen und schnell und wütend brach es aus ihn heraus.
„Dr. Rettig, wie hätte ich das ahnen sollen! Bei Shakespeare lief doch alles perfekt! Die Kopteraner rissen mir die Bücher förmlich aus den Händen, als wäre es Schweizer Schokolade. Goethe, Lessing, Marx, alles ohne Probleme.
Der Teufel muss mich getrieben haben mit Schiller...
Der Handschuh, Die Kraniche des Ibykuss, Die Bürgschaft, Ritter Togenburg, haben sie eine Vorstellung, wie die schillerschen Balladen einschlugen? So schnell konnte ich die Bücher nicht drucken, wie sie mir aus den Händen gerissen wurden.
Nach einigen Tagen habe ich es bemerkt. Die Kopteraner schwollen an.
Sofort stoppte ich den Verkauf der Bücher, aber es war zu spät. Wie eine Droge wirkte der Pathos und im Gegensatz zu uns Menschen waren sie dagegen nicht immun.
Sie brauchten den Stoff, verstehen Sie, Dr. Rettig? Es war Rauschgift für Sie.“
Frust stand in Klausenackers Augen.
„Gehen Sie nach Hause“, sagte Dr. Rettig mitfühlend,
„Ruhen Sie sich aus. Ich kann verstehen, dass das zuviel für Sie ist.“
Klausenacker wandte sich zum Gehen.
Sie haben sich tot gefressen!“, sagte er resignierend, schon auf der Türschwelle. Dann schlug die Tür hinter ihm zu.
Als seine Schritte im Korridor verklangen, seufzte Dr. Rettig tief, nahm einen Vorgang aus der Ablage, hielt aber inne.
´Tja, Ideale sind eine schwere Kost´, murmelte er mit beamteter Trockenheit zu sich selbst.
Dann wandte sich seine volle Aufmerksamkeit auf die Akte, die vor ihm lag.