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Die Sekte des heiligen Händchenhaltens
Ich sitze grade auf einer Parkbank und spiele auf Verpackungsresten Gitarre und da sehe ich sie wieder. Zwei Tussis, ein Typ. Sie verfolgen mich seit Tagen. Es ist mal echt ein schöner Tag, die Schoko-Donuts waren voll, richtig schön schokoladig und meine Verpackungsgitarre fluppt wirklich gut. Ein schöner Tag. Natürlich quält mich der Gedanke, dass es die Counting Crowes und die Stone Temple Pilots gar nicht gibt, aber das tut der Gedanke ja immer und man gewöhnt sich dran.
Die beiden Tussis sehen gar nicht mal schlecht aus. Die jetzt links steht, während ich das Solo beende, ist so ne Straßenköter-Rothaarige. Irgendwie gehetzt. So 'ne leicht versaute Nase. Kennt man ja. Und die rechts ist blond. Trägt 'nen weißen Pulli. So eine, die erst im Lauf des Lebens was aus sich macht. Jetzt noch bisschen blond und so, aber wird bestimmt mal. So mit dreißig. Und der Typ, na ja, der ist dick.
Neben meiner Parkbank läuft ein kleines Mädchen in fliederfarbenem Sommerkleid einem Ball nach. Das wird ein langer Tag.
Ich schaue die drei Gestalten da vor mir an, sie stehen in angemessenem Abstand, zehn, zwölf Meter, aber einfach auf einer Wiese. Also da gibt es nichts, was sie tun oder vortäuschen könnten zu tun, sie reden nicht miteinander, sie berühren sich nicht, sie stehen nur da, mitten im Nichts und schauen mich an.
„Kleines Mädchen“, sage ich. „Siehst du die auch?“
Aber das Mädchen jagt dem Ball hinterher.
Ich hab versucht, sie abzuhängen, bin U-Bahn gefahren, in ein Kino gegangen und sogar aufs Klo. So ein öffentliches Klo, hab ich mal in einem Film gesehen. Man geht in eine Kabine, dort wartet jemand auf einen, man tauscht blitzschnell die Kleider und entkommt dann unerkannt. War bloß keiner zum Tauschen da. Und sie haben draußen auf mich gewartet. Scheiß Plan.
Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, sind sie da. Seit Tagen geht das so. Ich hab ein schlechtes Gewissen, wenn ich Donuts esse und Verpackungsgitarre spiele. Dieses Beobachten ist einfach nicht gut. Man denkt dann, man müsste mehr machen. Mehr aus sich rausgehen. Irgendwie richtig leben. Weil man ja sein Leben verpasst. Man steht unter Beobachtung, ist irgendwie gehetzt, genervt und gereizt. Nein, nein, nein. So geht das nicht weiter.
Ich werfe die Donut-Verpackung weg, stehe auf und gehe mit schnellen, geraden Schritten auf sie zu.
Die beiden Tussis gucken den Typen an, der erst nach links und dann nach rechts schaut, und zurückweicht!
Der Fettsack flieht! Ich beschleunige meine Schritte, die Rothaarige, die mit der versauten Nase, schaut mich so komisch an, so von unten, blickt dann über ihre Schulter und weicht auch zurück. Wollen wohl den Abstand wahren. Zehn, zwölf Meter, aber nicht mit mir. Mit mir nicht.
Ich renne auf sie zu.
Der Dicke bekommt Panik, stolpert nach hinten, breitet die Arme wie ein halbes Hähnchen aus, um wegzuflattern, tatscht den Tussen irgendwie an die Brust, stürzt nach hinten um und reißt die beiden mit.
Ich stehe über den dreien. Die Blonde fährt sich noch schnell durchs Haar, der Dicke zieht seinen Bauch ein, und die Rothaarige, keine Ahnung, was die macht.
Ich ziehe meine Nase leicht hoch und sage: „So so, hab ich euch endlich.“
„Herrrr“, sagt der Dicke und er rollt das „R“. „Herrrr, wirrrr wollen dirrr dienen.“
„Lass uns deine Jünger sein“, sagt die Blonde.
Und die Rothaarige schaut mich mit ihrer versauten Nase an.
„Sag mal“, frage ich die Rothaarige. „Kennst du die Stone Temple Pilots?“
„Hab von ihnen gehört“, nuschelt sie.
„Genau!“, sage ich. „Jeder hat mal von ihnen gehört. Leute unterhalten sich über sie. Hey, Björn, hast schon das Neue von den Pilots gehört? Und dann: Nee, du, hab ich nicht. Nie sagt einer: Ja, hab ich! Es gibt sie gar nicht! Sag ich doch die ganze Zeit!“
„Ist das ein Gleichnis?“, fragt die Blonde.
„Ja“, sage ich. „Genau. Da ist wie mit … na, ihr wisst schon.“
Der Dicke quält seinen Po hoch und fischt ein Notizbuch aus der Gesäßtasche. Er schreibt mit.
Wow, das wird ein langer Tag.
Ich und die Rothaarige gehen Hand in Hand durch den Park. Die anderen beiden trotten hinter uns her. Die Hand der Kleinen fühlt sich zierlich an, so wie Babyhaut. Ich hab mal die Hand von einer gehalten, die das echt gut konnte. Die hat dann immer in meiner Handfläche rumgefummelt und ich dachte, das könnten alle Frauen. Sex mit den Händen machen. Aber die Rothaarige kann das nicht. Genetischer Defekt oder so. Sie läuft nur neben mir und hält kühl meine Hand. Ziemlich enttäuschend.
Ich sage: „Manchmal möchte ich aufstehen und gegen irgendetwas sein. Zum Beispiel gegen BH’s. Schreib das bloß nicht mit!“
Ich schaue nach rechts zu der Rothaarigen, aber mein allerbester Spruch, der mit dem BH, prallt einfach an ihr ab. Nicht mal ein Kichern. So wird das nix.
Ich und die Blonde gehen Hand in Hand durch den Park. Den Dicken hab ich Würstchen holen geschickt, der mit der versauten Nase hab ich gesagt, sie soll aufpassen, dass der Dicke die Würstchen nicht unterwegs frisst. Wieder kein Grinsen, und nix.
Die Hand der Blonden ist sogar noch kühler. Geht mal gar nicht.
„Also du heißt Ruth“, sage ich.
„Birgit“, murmelt sie.
„Ja, ich weiß. Birgit, das mit Ruth hab ich nur gesagt, um das Eis zu brechen.“
Keine Reaktion. Wir sind einmal um den Park rum und da ist wieder die Parkbank, ich lasse ihre Hand los und setze mich hin. Wenn sie nur schon dreißig wäre, aber so steht sie da, wie ein unfertiges Modell. Als hätte der Bildhauer auf halbem Weg vergessen, noch das Gesicht zu meißeln. Grübchen wären toll oder bessere Augenbrauen. Augenbrauen machen ein Gesicht ja erst aus.
„Hast du mal was von den Stone Temple Pilots gehört?“, frage ich.
„Dein Gleichnis“, flüstert sie. „Ich glaube, ich weiß, was damit gemeint ist. Dass das Ding einer Sache, die Essenz, immer im Verborgenen bleibt und sich erst dem entschließt, der bereit dafür ist.“
„Ja“, sag ich. „Genau, das hab ich damit gemeint. Genau das. Guck doch mal, wo die andern mit den Würstchen bleiben.“
Sie dreht sich um und geht.
„Ach halt“, ruf ich noch hinterher. „Könntest du versuchen, möglichst schnell, älter zu werden?“
„Ich verstehe“, murmelt sie und klingt todtraurig.
Als der Dicke und die Rothaarige wiederkommen, balanciert er eine Schale, die mit Aluminium bedeckt ist, in der linken Hand. Und mit der rechten tatscht er die Hand meiner neuen rothaarigen Freundin an!
„Was wird das denn, Normy?“
„Verrrrzeiht“, sagt er und lässt die Hand der Rothaarigen los. „Es steht mirrrr nicht zu.“
„Wir dachten, es wäre ein Zeichen“, sagt die Rothaarige.
„Würstchen her“, befehle ich. „Zeichen, hm. Menschlichkeit und so. Fasst euch alle an die Hände, wir sind Brüder!“ Ich packe das Würstchen aus, Ketchup funkelt rot in der Sonne. „Plastikgabel?“
Die Rothaarige reicht mir eine, ich umfasse ihre Hand, während ich ihr die Gabel stibitze, aber immer noch nichts.
„Dieser ganze Bruder-Schwester-Scheiß“, sage ich, während ich die Wurst esse. „Das ist alles Scheiße. Kontakt und so. Dieser ganze Netzwerk-Mist. Irgendwelche Emails von wegen Klassentreffen, was arbeitest du so, müssen in Kontakt bleiben, wisst ihr, das ist wie mit Broccoli und so. Keine Sau juckt das. Und nur weil irgendwelche Ärsche Broccoli mögen, denken sie, es wäre so, dass alle Broccoli mögen, und es ist dann okay, Broccoli zu mögen, und man muss vortäuschen, Broccoli zu mögen, und wenn man sagt: Geh mir nicht auf den Sack mit dem Scheiß in Kontakt bleiben, ist man gleich na ja, ihr wisst schon.“
„Puh“, mache ich zwischen zwei Bissen Wurst. „Die Weisheit perlt ja aus mir raus, wie das Schöfferhofer aus dem Bauchnabel der Französin da.“ Wieder: Null Reaktion.
Ich lasse die Worte einfach im Raum stehen, spieße die letzte Bratwurstscheibe auf und fahre sorgfältig das Styropor-Dings entlang, um Ketchup-Reste aufzutunken.
„Soll ich vielleicht ein Schöfferrrrrrhoferrrr holen?“, fragt der Dicke.
„Du bist mein Mann“, sage ich.
Er lächelt mich aus seinem Mondgesicht an, die Rothaarige schaut traurig auf ihre Schuhspitzen. So mit diesem Hunde-Augenaufschlag. Sehr geil.
„Hey, sag mal Rhabarber!“
Als er weg ist, klopfe ich auf den leeren Platz neben mir, schaue die Rothaarige an und sage: „Tja, Baby, gibt nur noch uns beide. Dich und mich.“
Sie setzt sich neben mich. Aber irgendwie, ist es mal echt nicht dasselbe.
„Weißt du“, sage ich, „meine Lieblingsstelle in der Bibel ist dieses Gehet hin und mehret euch.“ Dann leg ich ihr meine Hand auf den Oberschenkel. Und die Blonde mit dem unfertigen Gesicht kommt auch noch angetrottet.
Vielleicht kann man den langen Tag ja ein wenig verkürzen. Mit der anderen Hand klopfe ich auf den Platz neben mir.
Ich sitze mit zwei Frauen auf einer Parkbank, in meinem Magen vermischt sich gerade der Schoko-Donut mit der Curry-Wurst und ich denke, dass es mir verdammt noch mal viel schlechter gehen könnte.
Ich schaue die Rothaarige neben mir an und lächle. So ein ehrliches Lächeln. Die Blonde drückt sich auf der anderen Seite an mich ran. Ich drehe mich zu ihr um und sie streicht sich durchs Haar und ich kann ihre Brüste an meinem Arm fühlen.
Die Rothaarige räuspert sich auf der anderen Seite und zieht meine Hand auf ihren Oberschenkel. Ich drehe mich zu ihr um.
Die Blonde auf der anderen Seite drückt sich mit ihrem Mund an mein Ohr und pustet warm hinein.
Das kleine Mädchen in dem fliederfarbenen Sommerkleid steht plötzlich vor mir, hat den roten Ball vor ihrer Brust und schaut mich aus großen Augen an.
Ich nehme meine Hand vom Oberschenkel der Rothaarigen.
„Ich sehe sie“, sagt das Mädchen.
„Ja“, sage ich. „Leider.“
Das Mädchen rennt weg, rennt fast noch den Dicken um, der ein Weizenbier vor sich herträgt. Der Schaum ist leider schon zusammengefallen und als ich ansetze, um zu trinken, ist es warm.
„Wisst ihr“, sage ich. „Das ist wie mit diesen Liedern, diesen Chor-Liedern, wo die Leute Kopfhörer tragen, während sie singen. Jeder hört das Gleiche, aber jeder … na, ihr wisst schon. Eigenen Weg finden und so. Broccoli halt.“
„Herrr“, sagt der Dicke.
„Ist schon gut“, sage ich. „Du bist mein Mann.“
Dann gehen die drei. Ich schaue ihnen noch nach. Meine Verpackungsgitarre purzelt über die Wiese vor mir.