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- 20.09.2007
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Sonne auf meiner Haut
Die Luft schwirrt über den Dächern der Innenstadt. Es ist der erste heiße Tag in diesem Jahr. Ich trete auf die Dachterrasse und schaue gen Himmel. Die Sonne brennt, keine Wolke ist zu sehen.
Mit der rechten Hand greife ich an die Regenrinne über mir, steige vorsichtig auf die Balustrade und klettere langsam auf das Dach. Die roten Ziegel haben sich in der Mittagssonne aufgeheizt und meine nackten Fußsohlen brennen, aber es stört mich nicht. Auf allen Vieren bewege ich mich vorwärts, ganz behutsam, um nicht auszurutschen.
Dann drehe ich mich um, setze mich, strecke mich aus und lasse die Sonnenstrahlen mein Gesicht berühren. Ich muss meine Augen zuerst mit der Hand abschirmen, aber ich gewöhne mich schnell an das Licht und schließlich liege ich ganz ruhig auf dem Dach unserer Wohnung.
Erst ist es angenehm warm. Ein grüner Fleck auf meinen geschlossenen Lidern, da wo die Sonne brennt; ich atme tief durch.
Dann wird es heiß. Unter meiner Haut fängt es an zu kribbeln, ganz langsam; der Schweiß tritt mir auf die Haut, meine Bluse klebt am Körper. Das Blut in meinem Gesicht beginnt zu pochen, ich spüre, wie meine Haut sich rötet.
Ich genieße das Gefühl. Verharre in dieser Position, bis es beinahe unerträglich wird, zögere den Moment hinaus. Schließlich setze ich mich auf und öffne die Augen.
Das Licht ist plötzlich grün und ich muss blinzeln. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Wasserkanister, der zu schnell angehoben wurde und einen Moment lang wird mir schwarz vor Augen.
Ich greife mir ins Haar, das von der prallen Sonne heiß ist wie Herdplatten.
Langsam stehe ich auf und klettere vom Dach.
In der Wohnung ist es kühl und dunkel, meine Füße tapsen über die kalten Fliesen ins Bad, vor den Spiegel.
Ich starre die rote Gestalt an, die mir gegenüber steht und mich mit hängenden Schultern mustert. Meine Schienbeine sind verbrannt, das Gesicht und meine Arme feuerrot. Ich drehe mich um und blicke über die Schulter, um meine Waden zu sehen. Dort sind Striemen von den Dachziegeln, ebenso wie auf meinen Armen.
Dann trete ich ganz nah an den Spiegel, so nah, dass ich sehe, wie sich meine Pupille verengt und wieder weitet, je nachdem, ob ich ins Licht schaue oder nicht. Ich schließe ein Auge. Sogar mein Lid ist rot.
Ich seufze und lächle. Es fühlt sich richtig an.
Ich klaue den Autoschlüssel meines Vaters und renne die dreiundachtzig Stufen des Wohnhauses hinab. Die letzten drei Stufen einer Treppe nehme ich immer auf einmal.
Der blaue Golf blitzt in der Sonne, er ist noch ganz neu.
Mit einem sanften Geräusch entriegeln sich die Türen und ich setze mich auf den Fahrersitz. Es riecht nach Leder. Ich streiche mit der Hand über die Armaturen, fühle mich kurz überlegen, dann lasse ich den Motor an und fahre los.
Die Hauptstraße ist voll um diese Zeit. Überall Blech, das die Sonne reflektiert. Ich muss die Augen zusammenkneifen.
Ein Lied geht mir durch den Kopf, dessen Text ich nicht vollständig kann, also singe und summe ich abwechselnd vor mich hin. Come on, come on and dance all night, despite the heat it will be alright ... Trommeln auf dem Lenkrad, ein kurzer Blick nach links. In the summer in the city, in the summer -
Jemand hupt und ich schrecke auf.
„Ups.“ Aber die Ampel ist schon wieder rot. Mein Herz klopft und ich setze mich gerade hin, versuche, mich zu konzentrieren. Fixiere den rot leuchtenden Punkt, bis die Ampel endlich auf Grün schaltet und fahre weiter.
Ich weiß, wo ich bin, deshalb muss ich nicht aus dem Seitenfenster schauen. Ich schalte den Motor aus, klettere aus dem Auto, den Blick auf den Boden geheftet. Der Fahrertür zugewandt stehe ich da, wieder erklingt das beruhigende Geräusch, wenn man die Türen abschließt. Ich drücke noch einmal den Knopf, um es erneut zu hören. Und noch einmal. Und noch einmal. Schließlich seufze ich und drehe mich um.
Das Haus ist frisch renoviert. Es steht dort, in einer Reihe alter Gründerzeitbauten, vierstöckig, so wie immer. Nur renoviert. Es hat wieder einen beigen Anstrich bekommen, so wie zuvor auch, nur sieht er jetzt viel frischer aus. Die benachbarten Häuser sind ganz grau, die Wände schmutzig. An dem rechten Haus sind noch Rußspuren zu sehen, da, wo die Flammen an der Nachbarfassade geleckt haben, der Eigentümer hat es noch nicht streichen lassen.
Das Dach des Hauses erstrahlt in neuem Rot.
Das ist nicht mehr das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Nicht das Haus, dessen Dach mein zweites Zimmer gewesen ist, bis meine Mutter das herausfand und ich nur noch heimlich mit meinem Bruder dort oben hatte spielen können. Nicht das Haus, in dem mein Bruder und ich ein Herz und eine Seele gewesen sind.
Ich schaue zum Himmel und muss blinzeln. Die Sonne brennt, keine Wolke ist zu sehen.